Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

253-255

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Joseph et Aséneth 1970

Rezensent:

Burchard, Christoph

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

253

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

254

Die Dokumentation bezeugt die Lebendigkeit und Fruchtbarkeit
der Religionswissenschaft im französischen Raum. Sie muß
mit besonderer Freude und Dankbarkeit begrüfjt werden.

Schney Werner Schilling

Philonenko, Marc: Joseph et Aseneth. Introduction, texte critique,
traduction et notes. Leiden: Brill 1968. VIII, 265 S. gr. 8° =
Studia Post-Biblica, ed. par P. A. H. de Boer, 13. Lw. hfl. 48.—.

Seit G. D. Kilpatrick und J. Jeremias 1952 Joseph und Aseneth
(JA) wieder ins Gespräch gebracht haben, strahlt die schöne
Priesterfürstentochter aus Heliopolis wieder wie einst ihre gerühmte
weltweite Anziehungskraft aus, nun auf Liebhaber aus
der Wissenschaft. Und das mit Recht. JA lehrt nicht nur allgemein
die ägyptische Diaspora des ersten vor- oder eher nachchristlichen
Jahrhunderts besser kennen, sondern bildet auch im besonderen
als Roman ein reizvolles literarisches Zeugnis für die Begegnung
von Judentum und Antike und ist darüber hinaus durch seinen
Mysterieneinschlag religionsgeschichtlich sehr interessant. Philo-
nenkos Buch, das außer den im Untertitel genannten Teilen auch
Konkordanz, Bibliographie und Register enthält, gibt zum ersten
Mal so etwas wie eine Gesamtdarstellung der Schrift und ihrer
Probleme, die allerdings ihre Bedeutung für das Neue Testament
nur streift. Ph. zieht dabei nicht nur die Summe der bisherigen
Forschung, sondern bietet weithin Neues. Hervorzuheben sind der
neue Text, eine unumgängliche Sache, seit die Unzulänglichkeit der
üblichen Ausgabe von P. Batiffol (1889/90) und der fast unbekannten
von V. M. Istrin (1898) fest steht, weiter mindestens für französische
Leser die Übersetzung, denn sie hatten bisher keine (auf
deutsch gibt es P. Rießler, auf englisch E. W. Brooks, beide i. w.
nach Batiffol), und vor allem das reiche Material aus der ägyptischen
und hellenistischen Religionsgeschichte, das in der Einleitung
und den Anmerkungen zum Text verarbeitet ist. Kurz: ein Arbeitsinstrument
, das lange unentbehrlich bleiben wird, auch wenn sich
die angebotenen Lösungen nicht durchsetzen sollten. Und das sollten
sie m. E. an einigen wesentlichen Punkten nicht.

1. Schon die Textrekonstruktion scheint mir anfechtbar zu
sein. Erhalten sind 16 griechische Handschriften und 7 Übersetzungen
aus dem Griechischen (syrisch, armenisch, zweimal lateinisch,
serbisch-kirchenslawisch, neugriechisch, rumänisch), die in vier
Textfamilien a, b, c und d zerfallen, d ist ein Kurztext, der nur
etwa zwei Drittel von abc umfaßt. Ihn hält Ph. nach dem Vorgang
von Istrin für die älteste greifbare Textform. Aus ihr entstand b
(Erweiterung mit gnostischen Einschlägen), aus b c (leichte Gräzi-
sierung), aus c schließlich a (gründliche gräzisierende Bearbeitung).
In der Tat sind a (Batiffols Text!) und c Rezensionen. Aber d ist
keinesfalls die Mutter der Tradition, sondern eine sekundäre Kurzform
; auch ihr positiver Text ist öfter sichtlich (den) anderen
Familien unterlegen, die im übrigen wohl voneinander unabhängig
sind (ausführlicher: Zum Text von Joseph und Aseneth, Journal
for the Study of Judaism 1,1970 S. 3—34). Der älteste Text dürfte in
Richtung der längsten, ältesten, verbreitetsten, leider auch zer-
schriebensten Familie b (4 oder 5 griechische Handschriften und
alle Versionen außer der slawischen und neugriechischen) zu
suchen sein, wobei auch a, c, und d helfen können. Doch auch wenn
man Ph. zustimmt, befriedigt seine Ausgabe nicht ganz. Er beschränkt
sich darauf, d aus den drei vorhandenen Zeugen (den
griechischen Handschriften BD und der slawischen Übersetzung)
wiederzugewinnen, was übrigens eine neue Verszählung nötig gemacht
hat, und zitiert die übrige Überlieferung nur selten. Aber:
bca stellen doch nach seiner eigenen Sicht einen vierten Zeugen
dar, der zu berücksichtigen wäre. So wäre etwa, wenn BD Slaw
gespalten sind, im allgemeinen die von bca gestützte Lesart vorzuziehen
, was Ph. aber öfter nicht tut; er gibt bei Spaltung nicht
einmal immer an, ob überhaupt eine der Lesarten von außen gestützt
wird. Und: die Knappheit des Apparates macht es unmöglich
, Ph.s Rekonstruktion an seiner eigenen Ausgabe nachzuprüfen
oder sich mit dem in d fehlenden Stoff zu beschäftigen, der außer
bei Istrin bisher als Teil von JA behandelt worden ist und dem Ph.
selber gelegentlich Interesse zubilligt.

2. Ph. hat zum ersten Mal ernsthaft danach gefragt, woher
der Verfasser von JA den Stoff für sein Buch bekam, das immerhin
fast so lang wie Markus ist (daß Bibel und Haggada nur Einzelmotive
geliefert haben, wußte man). Beneidenswert belesen, hat

Ph. eine ganze Reihe möglicher Beziehungen zu jüdischer, ägyptischer
und griechischer Literatur (jüdische Asenethlegende, ägyptische
Erzählung vom gezeichneten Prinzen, Helenatradition,
Proseuche Joseph u. a.) aufgewiesen („Les sources", S. 32—42) und
insbesondere als erster gesehen, daß JA in starkem Maße Topoi
des antiken Romans verwendet („Le genre litteraire", S. 43—48).
Hier sind m. E. die Gewichte noch nicht richtig verteilt. Die besprochenen
literarischen Beziehungen finde ich eher locker; wenn
sich Quellen erkennen lassen, dann nur für Einzelheiten. Dagegen
ist der Nachweis von Romantopik schlagend; nur läßt sich vom
antiken Roman aus noch mehr als die Gattung aufhellen. Mir
scheint, daß JA 1—21, der in sich geschlossene erste Teil des Buchs,
der von Aseneths Liebe zu Joseph, ihrer Bekehrung und ihrer
Heirat handelt, auch strukturell und manchmal inhaltlich mit einigen
Romantexten eng verwandt ist. Für die Liebesgeschichte ist
ein Vergleich mit Amor und Psyche (Apuleius, Metamorphosen
LV 28 — VI 24) und dem I. Buch von Xcnophons Ephesiaka aufschlußreich
(man lese nebeneinander etwa die Monologe Aseneths
JA 11 und Psyches Met. VI 5 oder die Schlüsse JA 21 und Met. VI
22—24), für die Bekehrung (ab JA 11, vor allem 14—19) Lucius'
Rückverwandlung aus der Eselsgestalt und seine Initiation in die
Isismysterien bei Apuleius, Metamorphosen XI (man vergleiche
etwa JA 19, 4—9 mit Met. XI 22, 4—6). Natürlich ist nicht von literarischer
Abhängigkeit zu reden, denn Metamorphosen und Ephesiaka
dürften wie überhaupt alle vollständig erhaltenen Romane jünger
sein als JA; wohl aber stecken in JA Erzählschemata, vermutlich
sogar Stoffe, die den dort verwandten ähnlich sind (die Einzelheiten
bedürften genauerer Untersuchung). Ist das richtig, dann
muß man auch die Entstehung von JA anders begreifen, als Ph.
will. Er rechnet offenbar mit einem die verschiedensten Anregungen
aufgreifenden und im Romanstil zu einer im übrigen erfundenen
Handlung verarbeitenden Autor. Eher (und weniger modern)
ist wohl daran zu denken, daß der Verfasser vorhandene romanhafte
Stoffe auf Joseph und Aseneth übertragen oder vorhandene
Übertragungen adaptiert hat.

3. Ph. interpretiert JA mehrstöckig (S. 53—98). Er findet drei
Romane in einem, nämlich einen „roman missionr ire", einen
,roman ä clef (Aseneth trägt die Züge ihrer Namenspatronin
Neith) und einen „roman mystique"; dieser letzte ist dazu sowohl
„allegorie astrologique" (Joseph und Aseneths Heirat „repete le
hieros gamos d'Helios et de Selene", S. 81) als auch „drame
gnostique" („hierogamie de la Sagesse et du Logos", S. 87) als auch
„liturgie initiatique" (JA läßt „un mystere juif qui aurait comporte
des rites d'initiation, un repas sacre et une liturgie" erschließen,
S. 98). Ph. scheint der embarras de richesse, den seine Deutung
verursacht, selber nicht ganz geheuer zu sein, wie die Erwägungen
S. 107f. zeigen. Doch die »diverses traduetions possibles de l'ecriture
hieroglyphique" machen ihm die komplizierte Faktur des Romans
vorstellbar: „L'auteur de Joseph et Aseneth nous paralt avoir
transpose ces jeux de signes du niveau de l'ecriture ä celui de
l'oeuvre toute entiere" (ebd.). Mir scheint, hier sind einfach Traditionsgeschichte
und Exegese nicht genug auseinandergehalten. Die
Geschichte der Faustgestalt ist eine Sache, die Interpretation des
Goetheschen Faust eine andere, so sehr sie von der ersten zehren
mag. Ein Ölbild ist nicht gleichzeitig als Webkunstwerk zu begreifen
, bloß weil es auf Leinwand gemalt ist. So mag das Paar
Joseph-Aseneth von einer gnostischen Syzygie Soter-Sophia mitgestaltet
sein oder auch nicht, in JA jedenfalls erscheint Joseph
nicht als Aseneths Erlöser (gegen S. 87 f.), sondern als ihr Initiator
(vgl. 19, 4—9 und dazu o. unter 2), das freilich auch nicht uneingeschränkt
, denn diese Rolle spielt vor allem der himmlische Mann,
der Aseneth besuchen kommt (14—17). Hieros gamos-Motive mögen
vorhanden sein (vgl. 15, 14 ff.; 19,10 f., letztere Stelle fehlt allerdings
gerade in Ph.s Text), aber nur sublimiert; Aseneths Heirat
mit Joseph ist eine natürliche Sache, mit dem himmlischen Mann
findet keine Vereinigung statt. Im übrigen hört Ph. wie die Pioniere
der religionsgeschichtlichen Forschung manchmal auch einfach
das Gras wachsen. Betreffen die Berührungen Aseneths mit
Neith, wenn sie denn bestehen (S. 61—70), wirklich so charakteristische
Züge der Göttin, daß sie Pentephres' Tochter zum Bild der
Dame von Sais machen? Muß man gleich an den philonischen
Logos denken, wenn Joseph 21,4 einmal „Gottes erstgeborener
CTtpürtöxoHoe^Sohn" heißt (übrigens textkritisch nicht einmal ganz
sicher) ?