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Ausgabe:

1970

Spalte:

205-207

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils 1970

Rezensent:

Fangmeier, Jürgen

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205

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

206

hypagein „aus der Nähe einer Person fortgehen, sich wegbegeben
", in der Sondersprache dagegen „Hingang Jesu durch
die Passion in die doxa des Vaters als eschatologisches Ereignis".
Eine zweite Tabelle veranschaulicht den Sitz im Leben der Mißverständnisse
, nämlich teils in der Predigt vor der Gemeinde
(7 Stellen), teils im Lehrvortrag vor Katechumenen (4 Stellen).
Dem formalen Überblick folgt ein inhaltlicher. Was die Gemeinde
von Jesus als fundamentales „Credo" ausspricht, ist
gerade sein hypagein; Jesus geht durch die Passion und den
Tod hindurch in die Herrlichkeit des Vaters. Von dorther erweist
er sich durch das pneuma als der lebendige Offenbarer, der in
•seiner Offenbarung der glaubenden Gemeinde am ewigen Leben
Anteil gewährt. Diese pneumatische Glaubenserfahrung ist die
Ostererfahrung der Gemeinde, ihr „Credo" ist die theologische
Interpretation des Kreuzes und des ganzen irdischen Lebens
Jesu von der Erfahrung des Verherrlichten her. Erst die Verherrlichung
erweist Jesu als den Offenbarer. Er redet immer
schon als der, der in die doxa geht. Wer außerhalb des Glaubens
an den Verherrlichten steht, kann Jesus nicht als den „Hingehenden
in die doxa" erblicken. Er kann dann auch die Worte
Jesu nicht verstehen, sondern muß sie mißverstehen, indem er
sich außerstande zeigt, das in ihnen verborgene Rätsel zu lösen.
Entgegen der gewöhnlichen Auffassung erweist sich das „Herabsteigen
" (katabainein) als eine Konsequenz des „Hingehens",
nicht als Ausgangspunkt der joh. Christologie. Damit ist aber
auch gesagt, daß dem joh. Christusbild schwerlich der gnostische
Offenbarungsmythos zugrunde liegen dürfte. Die gnostischen
Vorstellungen wurden dem joh. Kerygma erst zugänglich, nachdem
die theologische Reflexion den Weg vom „Verherrlichten"
über den „Hingehenden" zum „Herabgestiegenen" zurückgelegt
hatte.

Das Selbstverständnis der joh. Gemeinde geht Hand in Hand
mit der Christologie. Der primäre Grund, dem die Gemeinde
selbst ihren Ursprung zuschreibt, ist die Offenbarung des „Verherrlichten
". Sie ist die Gemeinde des Erhöhten und hat teil an
seinem pneuma. Sie versteht sich als die Gemeinde der Wissenden
. Von diesem Selbstverständnis her setzt sich die Gemeinde
von denen ab, die das Geheimnis Jesu nicht kennen. Alle, die
außen stehen, begegnen ihr als Unwissende. Die Juden verstehen
Jesus nicht, weil sie diejenigen sind, die sich der Offenbarung
verschließen und das Kreuz errichten. Das hindert nicht,
daß eine Reihe von Elementen alttcstamentlicher Theologie
and jüdischer Spekulation im joh. Traditionskreis lebendig
blieb. Je klarer sich die Gemeinde als das wahre Israel Gottes
verstand, desto mehr geriet sie in Widerspruch zu der Synagoge.
Die prinzipielle Absonderung von der Synagoge scheint jedoch
Nuancen zugelassen zu haben. Das könnte mit den Schichten
der joh. Tradition zusammenhängen, dürfte aber eher von der
von Ort zu Ort veränderten Einzelsituation der joh. Gemeinden
abhängen. Ebenso darf man annehmen, daß das joh. Urkerygma
in judenchristlicher Tradition wurzelt; gnostischer Einfluß
dagegen machte sich erst auf einer jüngeren Entwicklungsstufe
geltend.

Der Vf. ist sich dessen stets lebhaft, bewußt, daß die im
Rahmen des Themas seiner Untersuchung zutage getretenen
Begriffe nur eine Teilerscheinung der joh. Sprache ausmachen.
Die Basis ist entschieden zu schmal, um weitgehende, sichere
Schlüsse zu gestatten. Seine Folgerungen werden deshalb ausgesprochen
als Probabilia vorgetragen, die gewagt werden
können, weil ihre Reichweite begrenzt ist. Diese Zurückhaltung,
von der auch das oben gegebene Referat zeugen dürfte, harmoniert
gut mit der Klarheit der wohlgegliederten Darstellung,
die den Leser, auch wo er anderer Meinung sein sollte, dem Vf.
sympathisch stimmt.

Ali» Kafad Oyllenbern

A. Bizer, Ernst. Fürst, Walther, Goctere, J.F. Gerhard, Kreck,
Walter, Schräge, Wolfga ng: Das Kreuz Jesu Christi als Grund
desHcils.Giitersloh: GütersloherVerlagshausGerd Mohn [1967].

132 S. 8° = Schriftenreihe des Theologischen Ausschusses der
Evaug. Kirche der Union, hrsg. v. Fritz Viering. - Linzenzausgabe
Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1969. 127 S.

B. Beckmann, J., D.Dr. [Hrsg.]: Zum Verständnis des Todes

Jesu. Stellungnahme des Theologischen Ausschusses und Beschluß
der Synode der Evangelischen Kirche der Union. Ebd.
[1968]. 31 S. 8° = Schriftenreihe d. theol. Ausschusses d.
Ev. Kirche der Union.

1964 beauftragte der Rat der Evang. Kirche der Union (EKU)
ihren Theolog. Ausschuß, eine Handreichung zum Verständnis
des Todes Jesu als Hilfe für den Dienst der Verkündigung zu
erarbeiten. An dieser Ausschußarbeit beteiligten sich von Anfang
an über die Gliedkirchen der Union hinaus fünf weitere
unierte Landeskirchen. Die Tagungen des von den Professoren
Kaehler - Greifswald und Kreck - Bonn präsidierten, von
1964-1967 mit dieser Materie beschäftigten Ausschusses standen
zunächst im Zeichen wichtiger theologischer Vorträge, die in drei
Bänden veröffentlicht worden sind: 1. ,Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft
für den Glauben an Jesus Christus'
(W.Marxsen, U.Wilckens, G.Delling, H.G.Geyer), Gütersloh
1966 (19688; Lizenzausgabe bei der Evang. Verlagsanstalt
Berlin); vgl. ThLZ 93, 1968 Sp.583f. (G.Koch). 2. ,Zur Bedeutung
des Todes Jesu - Exegetische Beiträge' (H.Conzelmann,
E.Flesseman-van Leer, E.Haenchen, E. Käsemann, E.Lohse),
Gütersloh 19671"3; (Lizenzausgabe bei der Evang. Verlagsanstalt
Berlin); vgl. ThLZ 93, 1968 Sp.507ff. (T.Holtz). Der
3. Band ist der hier (unter A) angezeigte. Das andere Bändchen
(B) schließlich enthält a) die Stellungnahme des Theolog. Ausschusses
selbst, b) den Text, mit dem die Synode der EKU (1968)
die Stellungnahme (bei nur 1 Gegenstimme) sich zu eigen gemacht
und verabschiedet hat, c) einen historischen Überblick über das
Zustandekommen der Stellungnahme, besorgt von F. Viering.

Man ist sich bei dem Unternehmen bewußt gewesen, genau
450 Jahre nach der Reformation zum Kern der reformatorischen
Botschaft in nicht ganz anspruchsloser Weise Stellung zu nehmen
(vgl. B. Vorwort von J.Beckmann). Und man wurde sich
während der Arbeit noch mehr bewußt, welche Brisanz gerade
diesem Thema heute eignet; zwei Jahre nach Erteilung des Auftrags
war diese Frage das Thema der Bekenntnisbewegung ,Kein
anderes Evangelium' in Dortmund (vgl. B. S.27).

„Die Stellungnahme ist kein Bekenntnis" (B. S.30), sondern
versteht sich als nur „eben eine Stellungnahme zu den Auseinandersetzungen
in Kirche und Theologie um das rechte Verständnis
des Todes Jesu" (ebd.), dies freilich auf gewichtiger und
vor allem weiter Ebene; dem Ausschuß gehörten 13 Vertreter
des theologischen Lehramts und 16 der beteiligten Kirchen an,
und die Synode beschloß, Veröffentlichungen und (Stellungnahme
' des Theolog. Ausschusses wie auch den affirmativen
Synodalbeschluß allen Landeskirchen in der Bundesrepublik
und in der DDR zustellen zu lassen.

ad A: ,Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils' will nicht
nur als das Problem der fünf Beiträge dieses Bandes verstanden
werden, sondern affirmativ als deren gemeinsamer Nenner (Vorwort
von J.Beckmann).

Der ausführlichste Beitrag, der des Neutestamentiers Schräge
über ,Das Verständnis des Todes Jesu Christi im Neuen Testament
', bestreitet freilich entschieden, daß Jesus selbst seinem
Tod Heilsbedeutung zugeschrieben habe - eine negative These,
die bis an den Rand der Postulierung eines gedankenlosen Jesus
vorgetrieben wird. Wohl erkennt der Vf. „Analogien" zwischen
Jesu Reden und Verhalten einerseits und der Interpretation
seines Todes als Heilstod an (z.B. Freund der Sünder - Tod für
die Sünder; S.53ff.). Aber die Heilsbedeutung des Todes Jesu
wird „allein von Ostern her" erkannt (53). Wohl gibt es in der
Urchristenheit dann „eine vom Kreuz isolierte Auferstehungstheologie
, nirgendwo aber eine von Ostern isolierte Theologie
des Kreuzes" (60). Eine am Kreuz vorbei konzipierte Theologie
wird auch für das lukanische Corpus, JohEv und MtEv konstatiert
(87/89) - ich bin indessen überzeugt, daß diese Entwürfe
wesentlich stärker als Kreuzestheologie interpretiert sein wollen-
nnd die Kreuzestheologie vor allem bei Mk und Paulus aufgewiesen
. Die Feststellung der ncutestamentl. Pluralität ist das
letzte Wort dieser gründlich dokumentierten Studie (89).

Die Beiträge von E. Bizer und G.Goeters gelten dem Rechtfertigungsverständnis
nach Luther und der Confession Augusta-
na (Bizer) und der .Christologie und Rechtfertigung nach dem