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1969

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Kirchenrecht

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Theologische Literarurzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 8

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keit zum Eingreifen. Wenn die „jrrige Lehrer sich nicht weysen
lassen und vom predigen nicht ablassen wollen", soll die Schwertgewalt
tätig werden (S. 13 f.). Ebenso betonte Calvin, der zunächst
die wechselseitige brüderliche Zucht der Diener am Wort mit der
Lehrbeanstandung befassen wollte, „die Pflicht einer jeden
frommen Obrigkeit, der Verkündung falscher Lehre notfalls
aaich mit dem Schwerte entgegenzutreten" (S. 18). Damit waren
die Weichen für die Behandlung der Irrlehre als Fall der Disziplinargerichtsbarkeit
für Jahrhunderte gestellt. Die Entwicklung
in der Orthodoxie und der Aufklärung sowie in der Theologie
und Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts wird im einzelnen
dargestellt. Die große Wende kam mit dem von Wilhelm Kahl
geschaffenen Kirchengesetz der altpreußischen Union „betreffend
das Verfahren bei der Beanstandung der Lehre von Geistlichen"
vom 16. März 1910. Nachdem in der Kirchenrechtswissenschaft
Aemilkis Ludwig Richter schon 1844 als Folge des Abweichens
eines Geistlichen vom Bekenntnis der Kirche „Unfähigkeit zur
Ausübung des Amtes" und nicht „Strafe um eines Verbrechens
willen" gefordert hatte (S. 34), wurde auf dieser Grundlage durch
das Kirchengesetz von 1910 „zum ersten Male in der Geschichte
des deutschen evangelischen Kirchenrechtes die Herauslösung der
Aufgabe kirchlicher Lehrbeanstandung aus dem Rahmen der
hergebrachten disziplinarrechtlichen Behandlungsweise gewagt"
(S. 43).

Im Zweiten Hauptteil (S. 67 ff.) bringt der Verf. einen Kommentar
zur Lehrbeanstandungsordnung der Evangelischen Kirche
der Union vom 27. Juni 1963, indem er zu jedem Paragraphen
ausführliche Erläuterungen gibt. Die von ihm kommentierte
kirchliche Ordnung soll zugleich als Beispiel für die Problematik
der modernen Lehrbeanstandungsgesetzgebung dienen, die sich
im 20. Jahrhundert in den deutschen evangelischen Landeskirchen
allgemein durchgesetzt hat.

Der mit der Materie vertraute Leser wird dem Dritten Hauptteil
das meiste Interesse entgegenbringen. Der Verf. sucht hier
nach einer neuen theologischen Begründung des Lehrbeanstan-
dungsverfahrens. Von hier aus kritisiert er das geltende Recht
in wesentlichen Punkten und macht im Zusammenhang damit
Vorschläge de lege ferenda. Ausgangspunkt ist die „menschlichrechtliche
Seite des evangelischen Pfarramts heutiger volks- und
landeskirchlicher Ausprägung . . . Der heutige evangelische Pfarrer
hat nicht nur durch seine weitgehend gesicherte Unabsetzbarkeit,
Unversetzbarkeit und für den Kernbereich seines Amtes garantierte
Weisungsfreiheit eine richtergleich gesicherte Rechtsstellung;
vielmehr darf und soll er diese Rechtsstellung auch innerhalb
eines nur jeweils ihm zugewiesenen, festumgrenzten Bereiches
betätigen" (S. 198). Damit ist durch die trotz aller Lockerung
grundsätzlich bestehende Kasualhoheit und das Kanzclrecht die
Gemeinde ebenso wie das einzelne Gemeindeglied auf ihn angewiesen
. Um seinem Auftrag gerecht zu werden, benötigt der
Pfarrer das „Ja" der Gemeinde; nur so kann die unbedingt erforderliche
„Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens"
gegeben sein (S. 207 f.); deswegen sollte „im Lehrbeanstandungs-
verfahren nur die Frage des Fortbestandes der Einigkeit im Geist,
und zwar in der Form des Lchrgespräches behandelt werden"
(S. 213). Es handelt sich demnach nach Ansicht des Verf. bei der
Lehrbeanstandung weder um Amtszucht noch um die Wahrung
des kirchlichen Konsenses, sondern um „die geistliche Entscheidung
darüber, ob zwischen der Kirche und ihrem Amtsträger noch
geistliche Einigkeit anerkannt werden kann oder nicht" (S. 212).
Im letzteren Falle trägt die Kirche die Mitverantwortung in dem
Sinne, daß „sie für die Fortdauer der pfarramtlichen Rechtsstellung
des Betroffenen gegenüber seiner Ortsgemeinde nicht
mehr einstehen kann" (S. 216).

Die Forderung, daß zwischen Pfarrer und Gemeinde „Einigkeit
im Geiste" bestehen muß, führt, juristisch gesehen, zu einer
Liberalisierung des Lehrbeanstandungsverfahrens. Es kommt sehr
wesentlich auf den Grad der Lehrabweichung an. Da es sich um
das Verhältnis zur Gemeinde handelt, soll unter Umständen eine
andere Verwendung im kirchlichen Dienst möglich sein. Ebenso
können der Titel „Pfarrer" und die Befugnis zur Vornahme
einzelner Amtshandlungen unter Umständen belassen werden. Es
gibt keine Rechtskraft der Entscheidung, so daß eine Rückkehr in
das geistliche Amt möglich ist. Damit ist Vorläufigkeit und jederzeitige
Berichtigungsfähigkeit der Entscheidung gegeben. Weitere
Forderungen des Verfassers sind, daß das entscheidende Gremium
nicht ad hoc mit Rücksicht auf den konkreten Fall unter Zuziehung
von Sachverständigen, sondern wie ein Gericht für einen
längeren Zeitraum in fester Besetzung gebildet wird. Die Mitglieder
des Gremiums sollen auch ihrerseits, jeder für sich, ihre
bekenntnismäßige Einstellung offen legen.

Aus diesen Vorschlägen und Überlegungen ergibt sich, daß
das Recht der Lehrbeanstandung im evangelischen Kirchenrecht
noch viele offene Fragen in sich schließt. Vieles von dem, was
der Verf. de lege ferenda anregt, ist der Überlegung wert. Aber
es bleiben auch einige Bedenken. Ist die Generalklausel von der
„Einigkeit im Geiste" wirklich die Formel, mit der die meisten
Schwierigkeiten gelöst werden können? Sie birgt wie jede Gcneral-
klauscl die Möglichkeit sehr verschiedener Auslegung in sich. Und
läßt nicht die Betonung der Einigkeit im Geist mit der lokalen
Gemeinde das Interesse der K i r c h e zu sehr in den Hintergrund
treten? Die Gefahr eines Indcpcndentismus bekenntnisverschiedener
Gemeinden ist jedenfalls nidit auszuschließen. Aber
wenn auch auf diese Bedenken hinzuweisen war, ist die verdienstvolle
Arbeit ein wertvoller Beitrag zur Weiterentwicklung des
trotz vieler Fortschritte nach wie vor des Ausbaues bedürftigen
Rechtes der evangelischen Lehrbeanstandung.

Krlanßen Hans L i e r in a n ■

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