Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

767-769

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Mann, Josef

Titel/Untertitel:

John Henry Newman als Kerygmatiker 1968

Rezensent:

Becker, Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

767

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10

768

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Mann, Josef: John Henry Newman als Kerygmatiker. Der Beitrag
seiner anglikanischen Zeit zur Glaubensverkündigung und
Unterweisung. Leipzig: St. Benno-Verlag 1965. XVI, 200 S. gr. 8°
= Erfurter theologische Studien, hrsg. v. E. Kleineidam u. H.

Schürmann, 19. Kart. M13,-.

Die vorliegende Arbeit, eine Münchener Dissertation, behandelt
ein Teilproblem aus dem großen Themenkreis „Newman als Seelsorger
". Ihr Gegenstand ist das Werk Newmans in seiner anglikanischen
Zeit, näherhin von der Zeit seiner Weihe zum Diakon
und zum Priester (1824/25) bis zu seiner Aufnahme in die katholische
Kirche (1845), unter dem Gesichtspunkt der Glaubenverkün-
digung und der katechetischen Unterweisung.

Die bei Newman hervortretende Einheit von Leben und Werk
(S. 4) legt eine genetische Betrachtungsweise seines Denkens nahe.
Mann zeigt, wie aus der Ernsthaftigkeit der Glaubensentscheidung
des jungen Newman, aus der als Bekehrung erfahrenen religiösen
Ich-Du-Beziehung des „Ich und mein Schöpfer" die Übernahme
einer missionarischen Sendung im Dienste Christi erfolgt: Die Hingabe
an Gott als den Schöpfer und Erlöser führte zur Frage nach
dem durch die Offenbarung erkennbaren Plan Gottes mit der
Menschengemeinschaft und zur Übernahme des seelsorglichen
Dienstes an den Menschen. Als Priester unter ihm anvertrauten
Menschen, aber auch als Freund unter Freunden trifft nun Newman
die Entscheidungen seines persönlichen Ringens nicht isoliert,
sondern für die anderen mit und versucht sie auf dem Wege des
persönlichen Einflusses „von Herz zu Herz" weiterzugeben.

Die Arbeit Manns vermittelt ein lebendiges Bild davon, wie die
Predigten Newmans (über 600 Predigten hat Newman in 20 Jahren
niedergeschrieben), aber auch ein großer Teil seiner Briefe und
besonders sein theologisches Werk zugleich im Dienst der Klärung
seiner eigenen theologischen Anschauungen und der Führung seiner
Gemeinde, seiner Freunde und Schüler zum Glauben dienen.
Auch seine Tagebuchaufzeichnungen und noch ungedruckte Predigten
werden herangezogen. Wir werden Zeuge des Wachstums
seines Glaubens, der von Anfang an eine realistisch-offene Haltung
gegenüber der Wirklichkeit mit einschloß, in den Stufen seiner
Entwicklung in der Lebenserfahrung. Sein Studium der Kirchsn-
geschichte, besonders der Zeit der Kirchenväter, lenkte ihn in dieselbe
Richtung. Das gilt besonders für sein Buch "The Arians of
the Fourth Century" (1832), das Mann ausführlich heranzieht, und
auch für seine Bestrebungen zur Erneuerung der anglikanischen
Kirche in der Oxfordbewegung.

Als Student hatte Newman unter dem Einfluß der evangelikalen
Richtung innerhalb der Anglikanischen Kirche gestanden und die
Isolierung unter den Oxforder Studenten, die mit dieser Parteinahme
verbunden war, auf sich genommen. Als dem jungen Diakon
schon mit 23 Jahren eine Vorortspfarrei in Oxford anvertraut
wurde, machte er jedoch die Erfahrung, daß „der Calvinismus kein
Schlüssel zu den Phänomenen der Menschennatur" sei. Seine Predigten
zeigen „ein wachsendes Verständnis für das Zusammenspiel
objektiver und subjektiver Faktoren im Vorgang des Christwerdens
" (S. 14ff). Er sieht gerade bei erfolgreichen Predigern
seiner Zeit einen „Mangel ihrer Lehrtätigkeit: die durchgängige
Unterdrückung einer großen Wahrheit", er entdeckt die Bedeutung
der Kirche. Gerade von der Erweckungspredigt wurde diese Wahrheit
in den Schatten gestellt, während bestimmte Artikel des
Glaubensbekenntnisses „bei ihrem Hervortreten den Rest aufzusaugen
" schienen.

Seitdem Newman 1826 das Amt des Tutors der Studenten seines
Kollegs übernommen hatte, ließ ihn das Problem der Verbindung
von weltlichem Unterricht und pädogogischer Verantwortung mit
praktisch-religiöser und theologischer Unterweisung nie mehr
wieder los. Bald treten zu seinen Pfarrpredigten „Universit'its-
predigten" hinzu, bei denen es um das theologische Verhältnis von
Glaube und Vernunft und um eine Abrechnung mit der damaligen
Apologetik geht. Auch hier betont Newman, daß es die durchgängige
Methode der Heiligen Schrift sei, „das Evangelium mit
der natürlichen Religion zu verbinden und den Gehorsam gegen
das moralische Gesetz als den ordentlichen Weg herauszustellen,
um zu dem christlichen Glauben zu gelangen" (S. 76). Newman
erkennt und lehrt, wie dem Heilsplan Gottes eine „heilspädagogische
Stufenfolge" entspricht, und er wendet sich gegen „die
falsche Heilssicherheit", wie sie der einseitigen Herausstellung des
Sühnopfers Christi (atonement) entspricht, die Newman noch in
seinen ersten Predigten versucht hatte. Durch einen literarischen
Auftrag im Bereich der Geschichte der ersten Konzilien wird er
dazu geführt, die Verkündigungspraxis des frühen, aber schon zur
Volkskirche gewordenen Christentum zu studieren. Gerade dadurch
sieht er, was die anglikanische Kirche seiner Zeit in bezug
auf den rechten Ansatz und das Gleichgewicht der Verkündigung
eingebüßt hat. Wenige Monate nach Abschluß seines Buches über
die Arianer schließt er mit seinen Freunden den Bund, aus dem
1833 die Oxford-Bewegung zur Erneuerung der anglikanischen
Kirche entstand. Mann beschreibt zunächst „das kerygmatische
Ziel" dieser Bewegung (S. 93ff). Wenn sie auch das „Kirchenprinzip
" im Sinne der alten Kirche in den Mittelpunkt stellte, so gilt
doch für Newman, daß er „nicht nur der Verfechter einer Theork'
der kirchlichen Ordnung war, sondern der Lehrer einer Theologie
der Gnade". Newman kämpft mit allen damals verfügbaren Mitteln
der Publizistik für die „Fülle des Glaubens gegen rationalistische
Verengung" und für eine Verkündigung aus der Mitte der Heilsgeschichte
. Kirchenpolitische Fragen bringt er nicht auf die Kanzel
, das große Thema seiner Predigten bleibt der Ernst der Hingabe
an Gott und seine Offenbarung, die Erbauung des Glaubens
durch Eingliederung in die Kirche, durch Wort und Sakramenl.
Immer wieder betont Newman die Gefahr einer Verwischung der
Grenze zwischen Missionspredigt und Gemeindepredigt (S. 120ff ;
S. 132f., vgl. die Kritik H. Schürmanns an der modernen Keryg-
matheologie [Art. Kerygma im LThK, VI, Sp. 1231).

In die Zeit des ersten Höhepunktes der Oxfordbewegung gehören
zwei Vorlesungsreihen, die Newman in einer Kapelle der
Universitätskirche Oxfords hält. In seinen Vorlesungen über das
Lehramt („Prophetical Office") der Kirche entwickelt er eine via
media zwischen den Extremen des „Romanismus" und des populären
Protestantismus" (1837). Es folgten Vorlesungen über die
lehre von der Rechtfertiaung. eine via media zwischen einer extremen
Auffassung der lutherischen Rechtfertigung und der katholischen
Lehre, wie er sie damals versteht'. Das Wesen der Rechtfertigung
sieht er darin, daß wir „in den Leib Christi eingepflanzt
oder zu seinen Gliedern gemacht worden sind, darin, daß Gott in
uns wohnt und wir in ihm wohnen, und daß der Heilige Geist der
gnadenhafte Mittler in diesem wunderbaren Werk ist" (S. 1171.
Rechtfertiguna und Erneuerung können ebensowenig wie Siegel
und Eindruck voneinander getrennt werden (S. 118).

In seinem Gesamtwerk geht es Newman zugleich um eine ..verkündigungsnahe
Theologie und eine theolooienahe Verkündigung
". In der Entwicklung seines Denkens bis zu seinem erste"
theologischen Hauptwerk „Die Entwicklung der christlichen Lehre"
hin, das, 1845 erst nach seinem Übertritt zur katholischen Kirche
erschienen, von Mann wohl allzu kurz behandelt wird (S. 179ff.V
tritt für Newman die Inkarnation als .Leitidee" des Christentums
immer deutlicher zutage (S. 180f.). Indem das heilsgeschichtlichr
wirken Gottes in der Inkarnation des Gottessohnes girrfeit, ist
auch der Weg der Einführuna des Menschen über die Heilsökonomie
in das Glaubensaeheimnis angedeutet. Der Zusammenhanq
von Heilswort und Geheimnis Heilsgeschichte und Lehre hat
Newman stets beschäftigt" (S. 186).

Newmans Bemühung um die . Herausarbeitunq des Wesentlichen
der göttlichen Botschaft" (S. 1221 wird vom Verfasser in die Näh«
heutiger Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Kerygma
und Homologese" gestellt (S. 186). Immer muß von der Verkündigung
die „in der Heiligen Schrift sichtbar werdende Struktur der
göttlichen Offenbarung" berücksichtigt werden - was nach Newman
auch für jede Art theologischer Svstematik gilt. Geoeniiber
einer Predigtweise, die . . . über Selbstbetrachtung und Vergewisso-
rung des Glaubens nicht hinausgelangt", fordert Newman, daß
Christus, seine Person und sein Heilswerk gepredigt werde (S. 122V
Christus ist der Mittelpunkt der Verkündigung". Wenn Newman
den Auftrag zur Samlung des Gottesvolkes in der Kirche sehr
betont und dabei die Kirche, ohne jemals ihre eschatologische

') Das S. 118, Z. 16 v. u. beginnende Zitat wendet sich nicht qcoen katholische
Autoren, sondern aeqen bestimmte Richtungen des Calvinismus, die sich, ohne
es zu wollen, wieder der .unica formalis causa" des Tridentinums „nähern".
(Vgl. J. H. Newman, Lectures on the Doctrine of Justification, London, Oxford
und Cambridge, '1874, S. 186, Anm.)