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Ausgabe:

1968

Spalte:

455-457

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Petri, Heinrich

Titel/Untertitel:

Exegese und Dogmatik in der Sicht der katholischen Theologie 1968

Rezensent:

Geisser, Hans Friedrich

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tologie" wieder preisgegeben hat. Verfasser fragt, „ob nicht bis
1930 Barths O n t o theologie sowie der exklusive Rekurs auf den
Christus praesens in KD IV/3 eine futurische Eschatologie unmöglich
machte" (183). Mit den Stichworten „Ontotheologie" und
„Christus praesens" sind die die Analysen des Verfassers mehr
oder weniger bestimmenden Gesichtspunkte angegeben. Analysen
im strengen Sinne sind es allerdings nicht, eher kleine Essays. Es
werden unter sachlich ausgewählten Problemtiteln geschickt und
angemessen zusammengestellte „Stellen" besprochen. Aber mehr
als ein „Buch der Besprechungen" kommt eben auch nicht heraus.
Die wirklichen Denkprobleme werden in der Regel (besonders enttäuschend
beim Begriff der Urgeschichte) nur angetönt, wie man
in der Schweiz sagt.

Die Arbeit ist eine interessante Erinnerung an Gedachtes. Dabei
wird deutlich, wie „modern" die Theologie des Barth der zwanziger
Jahre heute zu sein beanspi'uchen könnte. Von dem, was
zur Zeit als neueste theologische Auskunft gilt, hat nur wenig
nicht damals auch schon Furore gemacht. Solche Erinnerungen an
Gedachtes mögen nützlich sein. Fruchtbar werden sie erst, wenn
sich das Ereignis des Denkens dabei wiederholt. Es duldet keinen
Zweifel, daß der Verfasser eine solche Wiederholung intendiert.
Wie überhaupt ein Buch, das nicht gut ist, noch lange nicht schlecht
zu sein braucht. Neben anderen Dissertationen kann sich diese
Arbeit durchaus sehen lassen. Aber müssen sich alle Dissertationen
denn unbedingt sehen lassen?

Vielleicht aber hatte der Verfasser die ganz andere Absicht,
mit seiner kritischen Frage Barth doch noch zum ausführlichen
Widerspruch zu provozieren? In diesem Fall soll das Buch zumindest
in Basel wärmstens empfohlen sein.

Zürich Eberhard J ü n g c 1

Petri, Heinrich: Exegese und Dogmatik in der Sicht der katholischen
Theologie. München-Paderborn-Wien: Schöningh 1966.
VIII, 255 S. gr. 8° = Abhandlgn zur Philosophie, Psychologie und
Soziologie der Religion, hrsg. v. J. Hasenfuß, 11/12. DM 24,-.

Die verbreitete evangelische Meinung, „die Lehre der römisch-
katholischen Kirche (kenne) die Kluft zwischen dogmatischer und
biblischer Theologie und damit jene Zweigleisigkeit zwischen
Dogmatik und Exegese nicht", entlockte 1962 dem katholischen
Theologen Viktor Warnach die Bemerkung: „Bezüglich der katholischen
Praxis aber kann man nur sagen: utinam!"1

Wie offen und ausführlich von der katholischen Theologie
solche auf der „oft nur schwer feststellbaren" Übereinstimmung
der Dogmen mit der Heiligen Schrift beruhenden „Differenzen"
heute zur Kenntnis und in Verantwortung genommen werden,
dokumentiert die vorliegende Arbeit, mit der der Verfasser 1965
an der Gregoriana promovierte (vgl. 5). Er hat darin - auch aus
außerdeutscher Literatur, leider fehlt ein Namenregister - die
Argumente gesammelt, die seit der prinzipiellen Avisierung moderner
Fragestellungen durch die Bibelenzyklika „Divino afflante
spiritu" von 1943 zumeist nur in kleineren Einzelbeiträgcn vorgebracht
wurden-, und versucht, durch Konfrontationen und Querverbindungen
die zur Zeit noch nicht greifbare Lösung mit vorzubereiten
(V, vgl. 207).

Freilich wird bei diesem Verfahren auch manche kritische Pointe
unterdrückt (vgl. die Zurechtweisung des Exegeten O. Kuß, 61 f.)
oder gar nicht wahrgenommen, etwa in speziellen Abhandlungen
über Inspiration, Historizität und Irrtumsfreiheit der Schriftaussagen
. (Verfasser rechnet noch mit dem Grundsatz „frei von
allem Irrtum" - 67, vgl. 98 -, den die Offenbarungskonstitution
des II. Vatikanums vom Jahre 1965 entgegen den Vorlagen so
nicht mehr festhält.) Auch sind die Reflexe der theologischen
Arbeit auf höchster Ebene nach 1943 („Humani generis" und
Assumptadefinition 1950, Monitum des Heiligen Offiziums zum
römischen „Bibelstreit" 1961, Diskussion des Konzilsschemas „De
fontibus revelationis" 1962, Instructio der päpstlichen Bibelkommission
1964) nicht berücksichtigt. Überhaupt wird der die Praxis
beunruhigende Konflikt in einem Augenblick, da die Dinge offenkundig
im Fluß sind, fast allzu unvermittelt und unbefangen als
theoretische Kontroversfrage traktiert.

1 Was ist eine dogmatische Aussage? Cath. 16, 1962. 102-130: 114 Anm. 23, unter
Bezug auf H. Diem, Dogmatik (Theologie als kirchliche Wissenschaft II) 1955, 40.

2 Vgl. auch den von H. Vorgrimler herausgegebenen Sammelband „Exegese und
Dogmatik", Mainz 1962.

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Ebenso unbefangen und ohne vorschnelle Vermittlungsversuche
werden indes auch die strittigen Punkte fixiert. In den fünf Kapiteln
über „Exegese als theologische Disziplin" (12 ff.), „Biblische
Theologie" (70 ff.), „Die dogmatische Relevanz des biblischen Lite-
ralsinnes" (94 ff.), „Aufgaben und Wesen der Dogmatik" (162 ff.),
„Das Verhältnis zwischen Exegese und Dogmatik" (192 ff.) bringt
jeweils ein erster Abschnitt einen hinreichend genauen Problem-
aufrifj. Die Linien laufen, jeweils der durch lehramtliche Erlaubnis
und Ermunterung gewiesenen Richtung folgend, in folgendem
Schnittpunkt zusammen: Einerseits kann die Exegese als Erhebung
des Literalsinns nicht bloße historisch-philologische Hilfswissenschaft
der Dogmatik bleiben, sondern hat, der auf kirchliches und
gläubiges Verstehen zielenden Absicht der Texte gemäß, eine eigenständige
theologische Funktion gegenüber der Dogmatik zu versehen
(143 f., 162, 180). Andererseits muß sich die Dogmatik, die
wesensgemäß spekulative oder aktualisierende Durchdringung der
in den Dogmen wie im Glaubensbewußtsein bezeugten Offenbarungswahrheit
ist, dennoch zugleich als der Autorität der
Heiligen Schrift verpflichtete Auslegung verstehen (1, 192 ff., 200 ff.,
208). Aus dieser eigentümlichen Duplizität und Extcrnität scheint
eine Konkurrenz der beiden „Aspekte" zu resultieren (vgl. 91 ff.,
238 ff.).

Jedoch bleiben sie - wiederum lehramtlichcr Gewährleistung
zufolge - im Blick auf die „Sache selbst" verbunden. Denn die
gemeinte „geistige Wirklichkeit" ist größer als die Aussageformen
der Schrift wie des Dogmas (vgl. 23, 99 ff., 162 ff., 245 ff. u. ö.).
Zwar steht die Bibel, inkarnatorisch geprägt, als inspiriertes Got
teswort und menschlich formuliertes Zeugnis der abgeschlossenen
Offenbarung normativ am Anfang einer weitergehenden „Schrift-
werdung" und eines sich entfaltenden gläubigen Verständnisses
der Offenbarung. Doch nur die über den Anfang hinausführende
Entwicklung (vom Verfasser vor allem im Sinne Karl Rahners
beschrieben, vgl. 41 ff., 232 ff.) kann der ausgesagten Wirklichkeit
entsprechen. Ihr Niederschlag in unfehlbaren Dogmen wiederum
ist nur menschliches Wort (236 f., vgl. 165 f.).

So haben Exegese und Dogmatik sich von ihrem unterschiedlichen
Ausgangspunkt und als verschiedene Methoden der Annäherung
an die mit Schrift und Dogma intendierte Wirklichkeit
wechselseitig zu fördern (65, 247). Die Exegese vermag die Dogmen
aus ihrem „lebendigen Urgrund" zu interpretieren und auch
in gewisser Hinsicht zu kritisieren (160 ff., 242 ff.). „Da auch die
Kirche und ihr Lehramt die Schrift immer wieder lesen und hören
müssen, können die Exegese und die biblische Theologie, wenn
sie in und mit der autoritativen Kirche die Bibel auslegen, eine
beurteilende und richtende Funktion in der Kirche und der Theologie
ausüben" (245). Die Exegese besitzt jedoch keine absolute
Autorität (147 u. ö.), da ihr lediglich das Anfangsstadium des
Lebensprozesses der Lehrentwicklung zugänglich ist, dessen
eigentliches Subjekt die Kirche darstellt (vgl. 144, 157 ff., 192 ff.,
202 ff., 235 f.). Von einer „gründlichen Untersuchung über die Gesetze
und Prinzipien der Dogmenentwicklung" ist demnach „eine
Lösung der hier anstehenden Fragen" zu erwarten (224, vgl. 231 f.,
235 f.).

Die Frage ist natürlich nicht nur an den Verfasser zu richten,
ob mit dem gebräuchlichen Entwicklungsargument wirklich die
„Geschichtlichkeit der Offenbarung" (235) ernst genommen wird
oder ob nicht nur aus gegebenem historischem Anlaß kritischer
Einsichten zu alten dogmatischen Theorien in apologetischer Absicht
Modifikationen der nicht eben neuen Entwicklungstheorie
hinzugefügt werden. Der Hinweis auf die Unzulänglichkeit aller
theoretischen Regeln des Entwicklungsprozesses lenkt den Blick
zwar wieder auf die jede geschichtliche Formulierung transzendic-
rende „Sache selbst". Aber es ist dann schließlich doch die Dogmatik
, die „mehr auf die Sache selbst" schaut und von ihrem
Ausgangspunkt beim Dogma und beim Glaubensbewußtsein
sowohl dieser Sache wie auch der ganzen Fülle ihrer kirchlichen
Entfaltungen unmittelbarer zugewandt ist als die notgedrungen
beim allzu deutlich zeitgebundenen Schriftwort verweilende historisch
-philologische Exegese samt der biblischen Theologie (vgl.
239, 247).

Den beabsichtigten indirekten Beitrag zum ökumenischen Gespräch
(9) leistet diese Bestandsaufnahme der innerkatholischen
Diskussion somit nicht zuletzt dadurch, daß sie das nur am Rande
monierte hermeneutische Problem (10617, 168R) als Frage nach der

Theologische Litcraturzcitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6