Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

264-266

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Haenchen, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Weg Jesu 1968

Rezensent:

Demke, Christoph

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

263

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 4

264

Lehrers im wesentlichen bestätigt findet. Nur insofern variiert S.
allerdings entscheidend das Ergebnis von Bornkamm, als er annimmt
, daß es sich bei der ausschließlich prophetischen Gemeindeordnung
der Apc nicht um den Niederschlag einer literarisch gewordenen
Tradition, also um eine „Gemeindeidee" handelt, sondern
daß so geordnete Gemeinden am Ende des 1. Jh. in Kleinasien
wirklich bestanden haben in Form von judenchristlichen
Konventikeln. Diese Gemeinden sind nach S. etwa in der Mitte
der 70er Jahre entstanden. Sie sind gegründet von palästinensischen
Judenchristen, die kurz vor oder nach der Katastrophe
in Jerusalem nach Kleinasien ausgewandert sind, woher sich erklären
soll, „daß ihre Gemeindeordnung im frühesten Stadium
der palästinensischen Urgemeinde ihre Wurzel hat" (S. 193).

Den historischen Rahmen für seine Untersuchung der Apc gewinnt
S. durch eine kurze Darstellung der Gemeindeverhältnisse
im westlichen Kleinasien, wie sie sich in den Schriften widerspiegeln
, die wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 1. Jh. und am
Anfang des 2. Jh. in dieser Gegend entstanden oder an Gemeinden
dieser Gegend gerichtet sind (Kol, Eph, I Pt, Ign., Pol. Phil.,
Past, Joh, I Joh, II u. III Joh; Teil A, S. 1-18). In Teil B (S. 19 bis
161) erörtert S. die Einzelaussagen der Apc, die über die Glieder
der Gemeinde und ihre Funktionen Auskunft geben können. Das
Ergebnis ist, daß die einzigen „Amtsträger" die Propheten sind.
Diese Propheten verstehen sich jedoch nicht als Propheten Jesu,
sondern als Propheten Gottes; sie stehen in offenbar direkter und
bewußter Kontinuität mit den jüdisch-apokalyptischen „Weisen".
„Freilich weissagen sie auch über die Parusie Jesu ; es wäre auch
kaum vorstellbar, daß sie dieses Thema ausklammerten. Der
christliche Charakter kommt hier jedoch nur im Inhalt der Weissagung
zum Ausdruck, nicht schon in der Existenz der Propheten
an sich" (S. 157). Doch ist eigentlich nicht das Weissagen, sondern
das Lehren ihre Aufgabe; sie arbeiten „in besonderer Weise an
der Bewahrung und Bearbeitung der alttestamentlich-jüdischen
Tradition" (S. 159). Die Ansicht des Verf.s der Apc unterscheidet
sich indessen grundsätzlich von der der Gemeinden, an die er
schreibt. Für ihn ist einzig der erhöhte Christus der Ursprung der
Offenbarung. Da er nun derjenige ist, der diese Offenbarung
vermittelt, schreibt er sich allein eine einzigartige Stellung innerhalb
der Gemeinden zu; seiner Autorität sind alle Gemcindc-
glieder (mit Einschluß der Gemeindepropheten) gleichmäßig untergeordnet
. Andererseits aber ist für ihn die ganze Gemeinde
vom prophetischen Geist geprägt, was nach S. besonders deutlich
in Apc. 11,3 ff. hervortritt, da die zwei Zeugen die Gemeinde repräsentieren
.

Der Teil C (S. 162-195) zeigt parallele Erscheinungen einer
ausschließlich prophetischen Gemeindeordnung im frühen palästinensischen
Urchristentum auf. Spuren davon sollen sich in Act
(15,32; 11,27 f.; 21,10) und in der Q-Überlieferung erhalten haben
. Ein Anhang (S. 196-219) stellt einige Gemeinsamkeiten
zwischen den „Weisen" in Dan 7-12 und den „Propheten" in der
Apc heraus.

Mich haben weder die exegetischen Ausführungen des Verf.s
zur Apc davon überzeugt, daß in ihr eine Gemeindeordnung vorausgesetzt
sei, in der „Propheten" und nur sie ein besonderes
Amt innehaben, noch gar die historischen davon, daß eine solche
Verfassung in den sieben angeredeten Gemeinden am Ende des
1. Jh. in irgendeiner Weise in Kraft war. 3. weist S. 87 A.3 darauf
hin, daß es methodisch geboten ist, bei der Untersuchung der
theologischen Ansichten des Joh nicht bei den stark durch die
Tradition geprägten Visionen einzusetzen, sondern bei den Teilen
, in denen er direkt zur Gemeinde redet. Das dürfte besonders
für die Erhebung der Gemeindeordnung gelten. In den Sendschreiben
aber kommt „Prophet" nur 2,20 vor, zur Charakterisierung
der falschen Prophetin Isebel. Der Satz „die behauptet, sie
sei Prophetin" klingt so, als sei dieser Anspruch singulär, jedenfalls
nicht in der Gemeinde völlig geläufig. Besonders wichtig ist,
daß Joh selbst sich nie „Prophet" nennt, obwohl er sich in einer
Linie mit den Propheten sieht (vgl. bes. 22,9). Die Erwähnung
von „Propheten" innerhalb der apokalyptischen Visionen läßt
m. E. überhaupt keinen Schluß zu auf Verfassungsverhältnisse
innerhalb der Gemeinden. Wie auch S. feststellt, läßt sich freilich
erkennen, daß nach Joh alle Glaubenden prophetische Züge haben
.

Historisch ist es einfach unvorstellbar, daß etwa Ephesus in
den 90er Jahren eine „prophetische" Gemeindeordnung hatte,
kurz zuvor aber noch eine „presbyteriale" (wie doch wohl aus
Act 20,17 für die Zeit des Lk zu entnehmen ist) und bald danach,
zur Zeit des Ignatius, eine straff „episkopale". Schon Bauer
(Rechtgläubigkeit und Ketzerei, 89 ff.) hat den Gedanken einer
„Besetzung" der Provinz Asia durch die Urgemeinde zurückgewiesen
und nur von einem Auftrieb der judenchristlichen Elemente
dort nach 70 gesprochen. Nach der Konstruktion von S.
aber müßte man an eine regelrechte zeitv/eiligc Unterwerfung
der Provinz durch Palästinenser denken, die noch dazu eine Gemeindeverfassung
einführten, die selbst in Palästina schon lange
vor ihrer Auswanderung von dort aufgegeben war. Daß aber die
Sendschreiben und die ganze Apc sich nur an organisierte Kon-
ventikel in oder neben den eigentlichen christlichen Gemeinden in
den genannten Orten wenden, das dürfte doch wohl ausgeschlossen
sein.

Die stilistische Überarbeitung des Buches, dessen Verf. Japaner
ist, ist unzureichend. Gelegentlich ist nur mit Mühe zu erkennen
, was der Verf. sagen will (so muß z. B. doch wohl S. 135,
2. Abs. 4. Z.v.u. das „nicht" gestrichen werden, S. 159, 2. Abs. 2.
Z.v.u. das „ganz", 4. Abs. 3. Z.v.o. das „auch"). Auch sonst sind
einige grobe Versehen stehengeblieben, wie S. 24 zweimal „Johannes
" statt „Jesus" oder die falsche Auflösung der Abkürzung
Mid durch „Midrasch" statt „Middot" auf S. 150.

Greifswald Traugott H o 1 t z

Haenchen, Ernst: Der Weg Jesu. Eine Erklärung des Markus
-Evangeliums und der kanonischen Parallelen. Berlin: Tö-
pelmann 1966. XV, 594 S. gr. 8° = Sammlung Töpelmann,
Zweite Reihe, 6. Lw. DM 32.-.
Das Buch beginnt eine Brücke zu schlagen zwischen der rein
fachwissenschaftlichen Erklärung der synoptischen Evangelien
und dem, was frühere Zeiten eine erbauliche Auslegung nannten,
indem es auch dem Nichtfachmann die Möglichkeit zu geben versucht
, „einen selbständigen Zugang zur Welt der Evangelien zu
gewinnen" (VIII). Dabei bietet H. nicht einfach „Ergebnisse" historisch
-kritischer Arbeit allgemeinverständlich dar; vielmehr
leitet er den Leser zu selbständigen Beobachtungen an, so daß er
in der Lage ist, die Erklärungen und Hypothesen des Verf. „nachdenklich
und nicht ohne Kritik - zu erwägen" (ebd.). Auseinandersetzung
mit Thesen anderer Forscher gibt Hinweise für weitere
Studien. Das Buch ist ein ausgesprochenes Arbeitsbuch. Ein
Bibelstellen- und ein ausführliches Sachregister kommen diesem
Charakter des Buches zugute. Griechische und hebräische Worte
werden jeweils in Umschrift wiederholt und erklärt, so daß auch,
wer nicht sprachkundig ist, mitarbeiten kann. Die unkomplizierte
Sprache und Art der Darstellung, für die der Verf. bekannt ist,
zeichnen auch dieses Werk aus.

Die „Einleitung" behandelt „die Entstehung der kirchlichen
Tradition über die kanonischen Evangelien" (S. 1-12; von Lk. 1,
1-4 her wird die spätere Tradition destruiert, dabei werden die
einschlägigen Texte aus den Kirchenvätern in deutscher Übersetzung
wiedergegeben), „das synoptische Problem" (S. 12-25; H.
bietet die Gründe für die Zwei-Quellen-Theorie und die Ablehnung
von Ur-Markus-Hypothesen; und referiert über der Formgeschichte
„1. Stadium" (Dibelius, Bultmann] und „2. Stadium",
die sog. Redaktionsgeschichte, die Verf. lieber als „Kompositionsgeschichte
" [S. 24] bezeichnet wissen will, weil der Begriff des
Redaktors von den Vorstellungen der klassischen Quellenkritik
belastet ist) und „Markus (und die Großevangelien)" (S. 25-37;
Probleme der Textüberlieferung, Sprache, Stil und Theologie).

Die Erklärung ist in 80 Abschnitte nach dem Markustext unterteilt
. An der Spitze jedes Abschnittes steht die Angabc der Parallelstellen
, dann wird die Übersetzung des Markustextes geboten
. Die Erklärung selbst folgt keinem festen Schema, sondern
ist im Aufbau nach den Erfordernissen des jeweiligen Stoffes variiert
. Sie ist an verschiedenen Stellen zur exkursartigen Veranschaulichung
methodischer und systematischer Probleme erweitert
(Textkritik S. 126. A.2 zu Lk. 14,5; historisch-kritische Methode
S. 152-159 zu Mk. 3, 20-35; das Problem des Wunders
S. 198-203 zu Mk. 5, 1-20 usw.).