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Ausgabe:

1968

Spalte:

213-217

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gogarten, Friedrich

Titel/Untertitel:

Jesus Christus, Wende der Welt 1968

Rezensent:

Jüngel, Eberhard

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manchmal an die schönen, so bedeutsamen Jahre nach dem Kriege
denken. Das waren geistig gesehen gute Jahre und, gebe Gott, so
etwas käme wieder." Und dann schließlich am 14. Oktober 1951:
„Niemöller ist müde und sehr isoliert. Die meisten derer, die einmal
die Fahne gegen die Überfremdung der Kirche ergriffen, sind
nicht mehr. Die neue Generation wird anders, ganz anders sein."

In dem Vorwort berichtet K. G. Steck, dafi viele Briefe aus der
Zeit nach 1945 jetzt zugänglich gemacht worden sind; die liegen
„aber der Gegenwart noch so nahe, dafi ihre Veröffentlichung wohl
erst später in Frage kommt". Mit Bedauern stellt man fest, dafi
dies wohl richtig ist. Um so mehr danken wir für das, was uns
hier gegeben wurde.

Kopenhagen N. H. S 0 c

Gogarten, Friedrichi Jesus Christus Wende der Welt. Grundfragen
zur Christologie. Tübingen: Mohr 1966. III, 255 S. gr. 8°.
DM 21,-; Lw. DM 26,-.

Die „Einheit von Gott und dem Menschen in Jesus Christus"
(S. 1) zu e r f r a g e n , ist die Aufgabe dieses Buches. Der späte
Gogarten meldet sich in der bewegten christologischen Diskussion
unserer Tage noch einmal zu Wort, um Fragen zu stellen.
Weder „eine ausführliche Christologie" noch auch nur deren „Grundzüge
" sind beabsichtigt (231). Diese Zurückhaltung unterscheidet
die Arbeit eines im Fragen alt gewordenen Theologen toto coelo
von dem Versuch eines christologischen Entwurfes, wie ihn kurz
zuvor Wolf hart Pannenberg1 vorgelegt hat. Die theologische Lage
der Gegenwart gerät unversehens in ein Licht, das die Konturen
unserer Aporien ebenso scharf hervortreten läfit wie die Konstruktionen
, mit denen die Aporien verdeckt werden. Ein Buch von
Friedrich Gogarten ist eben allemal ein eminent kritisches Buch
und erhebt damit von selbst den Anspruch, eminent kritisch gelesen
zu werden. Das ist seine beste Empfehlung.

Gogarten stellt seine Fragen, weil die Theologie noch
immer nicht „unserer geistigen Situation" gerecht geworden ist
und die mit dem „Geschichtsdenken" für die Theologie sich ergebende
Methodenrevolution vollzogen hat. Als Grundfragen
zur Christologie werden diese Fragen Gogartens vorgetragen
, weil der christliche Glaube mit dem geschichtlichen
Menschen Jesus von Nazareth steht und fällt, so dafi also „die
sich aus dem geschichtlichen Denken ergebende Verwandlung der
theologischen Methode nirgendwo sonst eine so tief eingreifende
Bedeutung haben wird wie in der Christologie" (231 f.). Die sich
dabei ergebenden Fragen „kann man . . . nicht nebenbei behandeln"
(232). Sie eigens thematisch zu machen, heifit aber: das „Gesamtthema
der Christologie" thematisch zu machen, eben „die Einheit
von Gott und dem Menschen in Jesus von Nazareth" (ebd.). Diese
Einheit selbst ist für Gogarten das i m Fragen zu Behauptende
. Um recht behaupten (asserere) zu können, wird hier
gefragt. Denn allein die rechte Behauptung ist das Recht der
Behauptung.

Ein Buch des geschichtlichen Denkens wird in der Christologie
unausweichlich vor die Frage führen, „wieweit die in der altkirchlichen
Christologie gefundenen Lösungen der Probleme, die ihr
mit der Einheit von Gott und dem Menschen in Jesus von Nazareth
aufgegeben waren, noch möglich und verpflichtend sind. Kann
man diese Frage nicht klar beantworten, so wird es nicht ausbleiben
, dafi jene Lösungen sich verwirrend in unser eigenes neu
zu gewinnendes christologische(s) Denken einmischen und dieses
m Widerspruch mit sich selbst bringen, wodurch die von ihm gedachte
Christologie notwendig unglaubwürdig würde" (ebd.).

Die Arbeit Gogartens setzt deshalb mit einer Kritik der altkirchlichen
Christologie ein, wobei die Christologie Luthers als
Kriterium zur Geltung gebracht wird: „Die Christologie der altkirchlichen
Theologie und die Christologie Luthers" (1-5). Es
folgt eine in drei Abschnitten geführte Diskussion mit der neu-
testamentlichen Forschung, wobei deren jüngste Geschichte sich in
der Folge der Überschriften spiegelt: „Die Frage nach dem historischen
Jesus" (5-12) wird im Gespräch mit R. Bultmann rekapituliert
. „Die Frage nach dem geschichtlichen Grund des Kerygmas"

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(12-16) bringt eine scharfe Analyse der (vor allem) von Paul Althaus
erhobenen Einwände gegen Bultmanns ebenso bekannte wie
immer wieder verkannte Position. „Eine neue Frage nach dem
historischen Jesus" (16-32), nämlich die der Schüler Bultmanns,
wird ausführlich referiert. Dafi Gogarten in der Kritik der Bultmannschule
am verehrten Lehrer ein eigenes altes kritisches Anliegen
aufgenommen und vertreten sehen kann, habe ich bereits
früher angedeutet.'- Allerdings legt Gogarten Protest gegen die
Verkennung der eigentlichen Intention Bultmanns bei vielen seiner
Kritiker ein und erinnert an die antipositivistische Wendung
im Geschichtsdenken Bultmanns, von der her allein Bultmanns
These recht zu verstehen ist, dafi das „blofie Dafi" des Gekommen-
Seins Jesu diesen als geschichtliches Ereignis für den Glauben
relevant mache. Als „Aufgabe der Christologie" (32-38) stellt sich
gerade im Blick auf die Frage nach dem historischen Jesus das
Problem, was „geschichtliche Wirklichkeit" eigentlich ist, wenn
die im Bekenntnis zu Jesus Christus gemeinte Wirklichkeit
die geschichtliche Wirklichkeit Jesu von Nazareth war. Gogarten
befragt danach die „neutestamentliche Christologie" (39-49).
Und da klingen nun die Antworten auf, die in den noch weiter
zu stellenden christologischen Grundfragen das Fragen dirigieren
werden. Nach neutestamentlichem Verständnis geschieht nämlich
in der geschichtlichen Wirklichkeit Jesu von Nazareth: Jesu Verhältnis
zu Gott, Gottes Verhältnis zu Jesus und in diesem gleichzeitigen
Doppelverhältnis die Verwandlung der Welt (cf. 45). Verwandlung
der Welt geschieht in jener gleichzeitigen Doppelrelation
durch die geschichtliche Verantwortung, die Jesus für die
Schöpfer und Geschöpf vertauschende und so sich der Vergänglichkeit
ausliefernde Welt übernahm, indem er sich in ihr Verhängnis
fügte. Verantwortung wird damit zur Leitkategorie
der folgenden Fragen.

Jesus nahm die Verantwortung für die Welt in der Verantwortung
vor Gott auf sich (cf. 53). In diesem Satz läfit sich das
Gefälle der neutestamentlichen Christologie wiedergeben. So wird
Jesus im Glauben verstanden. Bleibt, nach dem „geschichtliche(n)
Grund der neutestamentlichen Christologie" (49-60) zu fragen.
Gogarten wehrt sich noch einmal mit Nachdruck gegen die Meinung
, als sei der hier in Frage kommende „geschichtliche Grund"
dadurch Grund für den Glauben, dafi er dem Kerygma an dokumentarisch
oder durch Augenzeugen gesicherter „historischer
Tatsächlichkeit" Anteil gebe (cf. 55). Damit würde nämlich die
Relation Jesu zu Gott als geschichtlicher Grund der Christologie
ausfallen. Demgegenüber meint Gogarten, das die Christologie geschichtlich
begründende „Geschehen ausschließlich als das verstehen
zu müssen, das sich im Gehorsam Jesu zwischen ihm und
Gott ereignet". Und es ist nur sachgemäß, „dafi dieses Geschehen
seinem Wesen nach nicht historisch sichtbar werden kann. Es ist
allein dem Glauben zugänglich" (55). Allein der Glaube versteht
deshalb auch diejenigen Ereignisse, in denen dieses Geschehen
sich als Geschehen zur Sprache bringt: Jesu Tod und Auferstehung.

Gogarten rekurriert also bei der Frage methodisch höchst bewußt
nicht auf Jesu Verkündigung (gen. subj.), sondern auf die
glaubende Verkündigung Jesu Christi (gen. obj.). Dabei wird nun
Jesu Tod verständlich als das Jesu Verantwortung für die Welt
in der Verantwortung vor Gott integrierende Ereignis. Verantwortet
wird die Welt, die von Gott aus dem Nichtsein ins Sein gerufen
ihren Schöpfer mit dem Geschöpf vertauschte und nun ohne
den aus dem Nichtseienden rufenden Gott als das in sich selbst
verschlossene Nichtige dem Nichtsein verfällt. Jesu Leben führt
als Verantwortung für diese Welt in den Tod. „Als der für die
nichtige Welt Verantwortliche erfährt er die Nichtigkeit der Welt
und das Geschick der in diese Nichtigkeit verstrickten Menschen
als sein eigenes" (58 f.). Auch diesem Baum, so könnte man sagen,
ja gerade diesem Baum ist die Axt schon an die Wurzel gelegt
. Jesus vollzieht diese Erfahrung im Gehorsam und so in der
Verantwortung vor Gott. Und indem er die Verantwortung für
die nichtige Welt als Verantwortung vor Gott gehorsam vollzieht
, erfährt er Gott als den, der dem Nichtseienden ruft, daß es
sei. „Indem wir dies sagen, sprechen wir von der Auferstehung
Jesu. Und zwar so, wie man allein richtig von ihr sprechen
kann . . ., wie sie aufs engste zusammenhängt mit dem, was am
Kreuz geschieht" (59).

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 3

' W. Pannenberg. Grundzüge der Christologie. Gütersloh 1964.

Cf. mein Buch .Paulus und Jesus". Tübingen 19673, S. 14 f. und S. 212.