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Ausgabe:

1967

Spalte:

703-705

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Müller, Alfred Dedo

Titel/Untertitel:

Dämonische Wirklichkeit und Trinität 1967

Rezensent:

Fritzsche, Hans

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Der zweite Teil (S. 34 ff.) will am Thema „Der Auftrag der
Kirche nach dem Matthäusevangelium" ein Beispiel der „radikal
c-ffenbarungsmäßigen Interpretation" geben und bietet interessante
Fragestellungen.

Bern Kurt Stalder

ETHIK

Müller, Alfred Dedo: Dämonische Wirklichkeit und Trinität.

Der Atomkrieg als theologisches Problem. Meditation und
Strukturanalyse. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn (1963). 223 S. gr. 8°. Lw. DM 24.-.

Von den unzählbaren theologischen Äußerungen zum Problem
des Atomkrieges ist dieses Buch wohl diejenige Stellungnahme
, die dieses Thema am umfassendsten in größere Zusammenhänge
, theologische wie ,profane', hineinstellt. Aber so wird
ein Lanzenschaft bereitet, der seiner Spitze Durchschlagskraft
gibt - und es wird Anlaß genommen, von dieser Konfrontation
der Kirche mit der Welt her Wichtiges zur Erneuerung der
Theologie überhaupt geltend zu machen.

Aus zwei Gründen bedarf das Thema .Atomkrieg' als das
Problem theologischer Stellungnahme zum Wesen und Unwesen
.dieser Welt' gewisser Vorerörterungen und eines weiten Blik-
kes: einmal deswegen, weil Bibel und Bekenntnisse keine direkte
Antwort an die Hand geben (S. 11 ff.), und zum andern deswegen
, weil das Thema ,Atomkrieg' kein ethisches Spezialproblem
darstellt (wie schon das Thema ,Krieg' nie hätte verstanden
werden dürfen), sondern tief symptomatisch für das theologische
Verständnis des Menschen in der Welt und seiner Geschichte
überhaupt ist. Wie schon die Titelformulierung des Buches zum
Ausdruck bringen will, geht es darum, am Phänomen des Atomkrieges
die Wirklichkeitsdimension des Dämonischen in neuer
Weise ernstzunehmen. „Zu ihrem Verständnis - der Atombombe,
F. - und ihrer Bewältigung ist der theologische Begriff der
Dämonie unentbehrlich. . . . Dämonie ist kein moralischer
Schmäh-, sondern ein theologischer Seins-, Erkenntnis- und Ordnungsbegriff
. . . . Die Atombombe ist dabei kein Einzelfall, sie
ist ein Strukturphänomen von symbolischer Bedeutung. Sie ist
der Ausdruck eines Zustandes, das Symbol einer bewußtseins-
mäfjigen Abkehr von gewissen Voraussetzungen menschlicher
Existenz und Kultur. ... Es läuft hier eine ganze Reihe von
Fäden zusammen. Die Atombombe kommt nicht von ungefähr.
Sie ist ihrer Struktur nach dämonisch" (S. 142). Das Atomkriegsproblem
ist nicht die große Ausnahme, von der absehend das
Verhältnis von Kirche und Welt in wohlgeordneter Symbiose
bestehen - und in der Theologie alles beim alten bleiben könnte.
Es ist von den Normalproblemen kirchlichen Handelns in der
Welt „doch nur gradweise, nur relativ, nur quantitativ, nicht
qualitativ" (S. 49) verschieden.

Ausführliche Erörterungen sind zunächst dem Geschichtlichen
zugewandt, ehe die neue Situation in der Kriegstechnik
im Eingehen auf die diesbezügliche Literatur abschreckend vor
Augen geführt und die Frage nach der Verantwortung der Kirche
angesichts dessen gestellt wird. Aber eben diese Frage bedarf
weitverzweigter Auseinandersetzungen mit den von der Kiir-
chengeschichte her sich anbietenden Modellen für theologische
Stellungnahmen zum Wesen der ,Welt' überhaupt. In diesem
Sinne bietet das Buch ausführliche Analysen folgender drei Modelle
, deren Wahres wie Unzureichendes richtig einzuschätzen
in der Tat Voraussetzung für jedes theologische Geltendmachen
der Friedensbotschaft heute sein wird: Augustin, Thomas, Luther.
- Augustins Geschichtstheologie bleibt dadurch grundlegend
, daß er im Bösen der Menschheitsgeschichte das Obwalten
überindividueller .dämonischer' Kräfte nicht verkennt und daß
er damit im .Fall' des Menschen ein gewissermaßen ontologisches
und nicht nur ethisches Geschehen sieht, sosehr er andererseits

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den lähmenden manichäischen Dualismus (durchaus) überwindet
. - Thomas hat zwar diese „Radikalität" verloren, „die
empirische Welt . . . verharmlost, ihre dämonische Bedrohtheit
. . . entschärft" (S. 91), aber doch in realistischer ethisch-juristischer
Arbeit am unmittelbar Änderbaren den Krieg an die
Kette zu legen versucht, besonders durch Fixierung von Regeln
für den „gerechten Krieg". - Luthers Zwei-Reiche-Lehre
schließlich hat einerseits das von Thomas nicht überwundene
Kreuzzugsdenken, die Heiligsprechung des .gerechten Krieges'
beendet, aber andererseits durch ihre Scheidung von Amt und
Person auch allerhand Eigengesetzlichkeiten Entfaltungsmöglichkeiten
gegeben. Demgegenüber ist zu sagen: Nicht Versachlichung
und Veramtlichung des Krieges bedeuten die Rettung, wie auch
nicht von der Eigengesetzlichkeit des Kriegs technischen oder
überhaupt soziologischer Entwicklungen der Ausweg erhofft
werden darf, sondern nur ein erneuter heiliger Eifer, in der
Kraft des Heiligen Geistes, gegen Krieg überhaupt und für wahre
Mitmenschlichkeit (die „die Angst vor dem Menschen" überwindet
, S. 213) kann den Bestand der Menschheit sichern.

Damit sind noch folgende zwei wichtige Gedanken des Buches
zu nennen: Heiliger Eifer gegen den Krieg - das heißt
nicht: mit allen sonst üblichen Praktiken und Taktiken nun doch,
wie eh' und je, weiterkämpfen, nur eben, fast wie zufällig, gegen
den Krieg und für den Frieden oder gar nur für irgendwelche
allein für menschenwürdig gehaltene sog. kulturellen
Werte. Sondern es heifjt: in geheiligter Weise kämpfen, und im
Wissen darum, daß nur in der Kraft des Heiligen Geistes Dämonien
wirklich überwunden werden können. Wenn Theologie
und Kirche das Thema Krieg (einschließlich des sog. kalten Krieges
) in ihre Verkündigung himeinnehmen sollen und müssen,
dann nicht unter Aufgeben und Verlust ihrer eigentlichen Kategorien
(wie des Realismus der Stelle Matth. 5, 23 ff., vgl. V. 44,
der Bergpredigt), als ob diese nur für die .Kriege' im kleinen
privaten Bereich Geltung und Wahrheit hätten. Denn es ist eine
und dieselbe Wirklichkeitsgestalt des Dämonischen hier wie da,
gegen die nur eine und dieselbe Haltung und Gestalt an Heiligung
etwas ausrichtet - und das heißt das genuine Wort der
Verkündigung im Gegensatz zur alle Methoden der ,Welt' sanktionierenden
Hofpredigertheologie, wie eine solche immer noch
in der theologisch-kirchlichen Meinungsäußerung unserer Tage
viel zu viel enthalten sei (S. 185).

Auch wird mit dem bisher von A. D. Müllers Buch Genannten
Grund gelegt sein zum Verständnis dessen, daß er - schon
in der Titelformulierung - die Trinität (und nicht vielleicht
einfach das Werk Christi im Sinne christologischer Dogmatik)
der dämonischen Wirklichkeit gegenüberstellt und überhaupt
diese zum methodischen Ansatz zur Bewältigung des Problems
nimmt. Das meint einmal (im Blick auf den dritten Artikel),
daß nur in der Kraft des Heiligen Geistes, d. h. weder durch
bloße Einsicht oder durch objektive Entwicklungsgesetze, die
Gefahr gebannt werden kann (S. 211. 171). Es meint darüber
hinaus, im theologischen Ansatz, dies: daß nur von den dogmatischen
Einsichten aller drei Artikel aus eine wirkliche Erkenntnis
und Entlarvung des Phänomens ,Atomkrieg' möglich
ist. Es muß gesehen werden, daß er seine Wurzel in verobjektivierten
Strukturen einer in gewisser Hinsicht tatsächlich gefallenen
Schöpfung' hat, sosehr andererseits Theologie und
Kirche endlich ein positiveres Verhältnis zu den Themen Natur
und Technik gewinnen müssen. („Die Natur war aus dem Reich
Gottes ausgeschlassen. ,. . ,. Die unvermeidliche Folge idtasei?
Selbstpreisgabe der Totalität des Evangeliums durch die Theologie
war die totale Säkularisierung der Natur und der Politik",
S. 43). Hauptsächlich ist aber dies zu sagen, daß es eine Art von
„Exorzismus" bedeutet, mit der Atomkriegsgefahr wirklich fer-
tigzuwerden, zumal selbst bei politischer Überwindung dieser
ein geistiger Ruin für lange Zeit bleiben wird.

„Echte Theologie ist Exorzismus nicht im Sinne eines antiquierten
Begriffes von Magie, sondern in dem durchaus reali-

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 9