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Ausgabe:

1967

Spalte:

584-586

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nielsen, Eduard

Titel/Untertitel:

Die zehn Gebote 1967

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8

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der typologischen Auslegung äußert (S. 102-28). Unter dem
Titel »Das Hauptgebot" werden die Grundlagen alttestament-
licher Ethik und speziell des Bundesrechtes erörtert (S. 129-50).
Uber die alttestamentliche Gesetzestheologie und die Stellung
der Propheten zum Gesetz informiert die sich anschließende Arbeit
»Gesetz und Gnade" (S. 151—73). Elemente altisraelitischen
Geschichtsverständnisses werden in dem Beitrag „Freiheit und
Wiederholung" herausgearbeitet (S. 174-97). Es folgt eine Gegenüberstellung
der alttestamentlichen und der neutestament-
lichen Todesauffassung: »Der Mensch vor dem Tod" (S. 198-
-243). Den Beschluß des Bandes bildet eine Studie über „Bubers
Bibelübersetzung" (S. 244-61), in der M. Buber als »Spracb-
meister des Expressionismus" gewürdigt wird.

Da L. sich als geistreicher, oft auch eigenwilliger Autor erweist
, sind sämtliche Beiträge auch für den Fachmann von Interesse
und geben mancherlei Anlaß zur Diskussion. Besonders
ist dies bei den Arbeiten, die am Anfang der Sammlung stehen,
der Fall. Zumal der zweite Beitrag, der bereits im Jahre 1964
unter dem Titel „Die Irrtumslosigkeit und die Einheit der
Schrift" in den .Stimmen der Zeit' (174, S. 161-81) veröffentlicht
worden ist, hat innerhalb kurzer Frist außergewöhnliche
Beachtung gefunden.1 - Worum geht es L.? Die Irrtumslosigkeit
selbst steht nicht zur Debatte. Sie ist eine „alte und eindeutige
Glaubenstradition", weshalb es sich nur um „Verständnis
und Formulierung der alten Sache" handeln kann. Es gilt
die Glaubenswahrheit aus der alten Inspirationslehre in eine
neue, „die unserem heutigen Bibelverständnis entspricht" zu
übertragen (S. 44). Abgelehnt wird die Theorie von der Inspiration
der Verfasser, die angesichts der modernen Erkenntnisse
von der Entstehung der biblischen Bücher nicht mehr zu halten
ist. Die Irrtumslosigkeit kann aber auch nicht bei den einzelnen
Büchern oder Quellen liegen. Vielmehr ist nur die Bibel als
Ganzes inspiriert und irrtumslos. Dies bedeutet, daß sich der
Einzelexegese ein weiterer Arbeitsgang anschließen muß, der
zum „sensus plenior", „zur Ganzheitsaussage der Schrift gelangt"
(S. 65). Die Erhaltung der ehrwürdigen Glaubenswahrheit von
der Irrtumslosigkeit der Schrift ist damit nach Meinung des
Verfassers auch für unsere Zeit gesichert. Es hat sich also „nur
um ein Sprachproblem" gehandelt (S. 65). Im übrigen dürfte
die Erkenntnis, daß die biblische Botschaft nicht in ihrer äußeren
Gestalt, sondern nur in ihrem 'Kerygma' den Anspruch der
Irrtumslosigkeit erheben kann, so neu nicht sein.

Der Vortrag „Das Siegeslied am Schilfmeer", dessen Thema
dem Sammelband den Titel gegeben hat, geht aus von der Gattung
der „liturgischen Typologie" als der „Welt des geistlichen
Spiels" (S. 102). Das Schema solcher Typologie besteht darin,
daß eine Entsprechung für den alttestamentlichen Text im
Neuen Testament gefunden wird und dabei eine Überbietung
durch den neutestamentlichen Text eintritt. Als Beispiel dafür
führt der Verf. die Verwendung von Ex. 15 in der Osternacht-
Liturgie an. Dieses Beispiel ist nun allerdings besonders günstig
. In beiden Vorgängen, im Exodus wie im Osterereignis,
liegen glaubensbegründende Überlieferungen vor. Am Anfang
des alttestamentlichen wie des neutestamentlichen Glaubens
steht die Befreiungstat Gottes. Ebenso entsprechen sich die Termine
der kultischen Haftpunkte, das Passah - und das Osterfest
. Es geht also um das gleiche Thema und um das gleiche
Fest, und es ist nicht einzusehen, warum man eine Erinnerung
an die alten Taten Gottes in der christlichen Feier des Festes
vermeiden sollte. Es sei denn, man wolle versuchen, in den
alttestamentlichen Texten bereits eine Vorspiegelung des späteren
Christusgeschehen zu sehen. Dies beabsichtigt aber L. offenbar
nicht. Doch meint er, „modernes exegetisches Bewußtsein"
werde sich mit dieser „typologischen" Beziehung zwischen Exodus
- und Ostergeschehen nur dann „zufriedengeben", wenn die
„Heilsgeschichtsschilderung" von Ex. 15 „offen wäre", d. h.
„wenn sie von vornherein so angelegt und auch verstanden
wäre, daß sich spätere Heilstaten Gottes in sie eintragen ließen,

') R. North, S. J., spricht von »the bombshell of the year" in seinem Bericht
.Scripture Trends in 1964' (American Ecclesiastical Review CLII, 1965.
S. 367).Vgl. dort S. 368 ff. eine Zusammenstellung der Diskussionsbeiträge zu
Lohfinks Aufsatz bis Anfang 1965.

bis hin zu Tod und Auferstehung Christi" (S. 122). Dies versucht
L. dadurch für Ex. 15 wahrscheinlich zu machen, daß er
auf die „typologische" Verwendung der „Bildstruktur" des Schilfmeerereignisse
in Ex. 15, 14 ff. für den Vorgang der Landnahme
verweist und an entsprechende „typologische Bezugnahmen
" auf das Exodusgeschehen im Buche Josua und bei Deu-
terojesaja erinnert (S. 125). Dies ist ohne Zweifel richtig beobachtet
, wenn man auch hier wohl kaum von einer Typologie im
eigentlichen Sinne sprechen kann. Eine Offenheit für weitere
Heilstaten ist mit der Exodusüberlieferung in der Tat insofern
verbunden, als es sich um die glaubensgründende Befreiuungs-
tat Gottes handelt, die am Beginn der Erwählungsgeschichte
Israels steht. Allerdings läßt speziell Ex. 15 nichts von dieser
,Offenheit' erkennen, weil hier mit der Inbesitznahme des Landes
Kanaan durch Israel eindeutig Jahwes Heilszusage erfüllt
ist.

Diese beiden Beispiele mögen genügen, um einen kleinen Einblick
in des Verfassers Anliegen und Methode zu vermitteln.
Es kann abschließend nur noch einmal betont werden, daß L.s
Vorträge trotz ihres populären Charakters durchaus die Aufmerksamkeit
der Fachwelt verdienen.

Rostock Karl-Heinz Bernhardt

Nielsen, Eduard: Die Zehn Gebote. Eine traditionsgeschichtliche
Skizze. Übers, v. H.-M. Junghans. Kopenhageni Pro-
stant Apud Munksgaard 1965. 125 S. gr. 8° = Acta Theolo-
gica Danica, ed. T. Christensen, E. Nielsen, J. Munckf,
R. Prenter, VIII. dkr. 40,-.

Innerhalb weniger Jahre erscheint mit vorliegender Arbeit,
der ein dänisches Original zugrunde liegt1, bereits die dritte
Spezialuntersuchung über den Dekalog2. Ihre Absicht, vom Verfasser
selbst als traditionsgeschichtlich" definiert (6), ist zu begrüßen
: „den Weg des überlieferten Stoffs durch die vielen
Phasen und Epochen zu verfolgen, die sein ursprüngliches und
organisches Gebundensein an eine bestimmte Zeit und einen
bestimmten Ort von seiner gegenwärtigen Stellung in den literarischen
Zusammenhängen scheiden, und die den Wunsch hat,
allen Stadien ein selbständiges Interesse au bezeigen . . .".
Ihre Ausführung wirkt allerdings zwiespältig, da den einzelnen
Ansetzungen vielfach literarkritische und historische Hypothesen
zugrunde liegen, deren Gültigkeit nicht immer so unzweifel-
bar sicher zu sein scheint, wie die sehr bestimmte Zuweisung
der einzelnen angenommenen Entfaltungsstufen an gewisse Abschnitte
der Geschichte Israels voraussetzt. Dabei ist jedoch
anzumerken, daß der Verfasser selbst mehrfach auf das Hypothetische
seiner Konstruktionen hinweist.

Für die Auslegung des Dekalogs besteht schon eine lange
exegetische Tradition3. Als hervorstechenden Zug vieler dieser
Arbeiten kann man immer wieder beobachten, daß versucht
wird, eine formal einheitliche Urgestalt des Dekalogs wiederherzustellen
, die im Laufe der mündlichen und literarischen
Überlieferung verlorengegangen sein soll. Eine solche Rekonstruktion
steht auch im Mittelpunkt dieser neuesten Arbeit; sie
wird etwa auf halbem Wege der Untersuchung geboten (64)
und zeigt zehn Sätze gleicher Formulierung absolut verneinter
Verbote, jeweils mit einem ausgeführten Objekt verbunden. Die
Form ist apodiktisch nach A. Alts Definition.

Sehr sorgfältig versucht der Verfasser, den Weg zu seiner
Rekonstruktion zu ebnen. Dem dient zunächst (1., S. 13-33)
eine grundsätzliche Besinnung über die Bedeutung der Zehnzahl
im Alten Testament. Es verwundert, daß angesichts des
mageren Ergebnisses (zu dem die Schwierigkeit der Zählung im
Dekalog selbst hinzukommt) noch ein derartiges Gewicht auf
die Zehnzahl der ursprünglichen Gebote des Dekalogs in der
gebotenen Rekonstruktion gelegt wird. Daß die Zehnzahl in

') De ti bud. En traditionshistorik skitse. (Festskrift udgivet af Kobenhavn
Universitet i anledning af Hans Majestaet Kongens fodselsdag 11. marts 1965).

2) Vgl. außerdem J. J. Stamm, Der Dekalog im Lichte der neueren Forschung
, 2. Aufl. 1962, H. Graf Reventlow, Gebot und Predigt im Dekalog, 1962.

3) Vgl. J. J. Stamm, Dreißig Jahre Dekalogforschung, ThR N. F. 27, 1961.
S. 189-239. 280-305.