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Ausgabe:

1967

Spalte:

335-338

Autor/Hrsg.:

Niederstrasser, Heinz

Titel/Untertitel:

Brahmanismus-Pelagianismus-Neuplatonismus 1967

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335

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5

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vorzuliegen, auch zu der Problematik, mit der sich dieser Theologenkongreß
beschäftigt.

3. Hat sich die Religion für die Analytische Psychologie als
eine Wirklichkeit erwiesen, so mußte die Psychologie notwendigerweise
ins Gespräch kommen mit der Religionswissenschaft.
Allein dies konnte noch nicht genügen, denn der Tiefenpsychologie
kommt es vor allem auf eine maßgebende und wissenschaftlich
durchhellte Äußerung der Religion selbst an, und an diesem
Punkt stieß sie auf die Theologie. Die Theologie ist bislang
die einzige Selbstdarstelli'.ng einer Religion in wissenschaftlicher

Art und sie wird dies noch lange sein; und wenn einmal andere
Religionen wissenschaftliche Theologien entwickelt haben werden
, so wird die christliche Theologie immer den Prioritätsrang
behalten, denn sie war es, die dazu den Anstoß gegeben hat. Die
Theologie wurde von der Tiefenpsychologie in Beschlag genommen
, weil sich in ihr die Wirklichkeitsmacht der Religion, von
der Tiefenpsychologie aus gesehen, als eine wissenschaftlich verantwortete
Aussage darstellt. Es ist eine Frage an die Systematische
Theologie, ob sie nun ihrerseits gewillt und bereit ist, diesen
Vorgang als eine Aufforderung zur Gesprächsaufnahme zu
verstehen.

Brahmanismus-Pelagianismus-Neuplatonismus
in einem erziehungstheologischen Streitgespräch zwischen Fr. W. Foerster und K. Barth*

Von Heinz Niederstrasser, Wilhelmshaven

Nach der Rückkehr aus dem New-Yorker Exil in seine
Schweizer Wahlheimat (1963) verstarb in der Dämmerung eines
kämpferischen und leidensreichen Lebens am 9. 1. 1966 im Alter
von 96 Jahren Fr. W. Foerster — weltbekannt als deutscher
Religionsphilosoph und Kulturethiker, Verfechter friedlicher Politik
und weltoffener Erziehung, meistgelesener pädagogischer
Autor des 20. Jh. Sein Name, der auch bis in die heutige theologische
Paideia-Diskussion noch wirksam ist, erinnert an das theologiegeschichtlich
bedeutsame Jahr 1923, in dem nicht nur die
bekannte Auseinandersetzung zwischen A. v. Harnack und K.
Barth, sondern auch das — nicht allein in der Praktischen Theologie
so gut wie vergessene, jedoch nicht minder wichtige —
Streitgespräch zwischen Fr. W. Foerster und K. Barth stattfand1,
dessen Vergegenwärtigung das diesjährige Kongreßthema „Der
christliche Glaube und die Religionen" in die noch keineswegs
geklärte Dimension und Relation von „Kerygma und Paideia"
hineinzustellen erlaubt.

Fr. W. Foerster, der sich selbst als aus der „pelagianischen
Welt" herkommend bezeichnet (152), definiert seine Stellung zu
K. Barth und seinem Werk dahingehend (152ff. 326ff.), daß er
ihm und seinem extremen und abstrakten Paulinismus (157) jegliches
pädagogisches Vermögen abspricht; vermisse man doch in
allen Schriften dieses „Verächters des Allzumenschlichen" „die
dem Leben und dem Menschen zugewandte Seite Christi" (155);
komme doch in ihm „die Pädagogik Jesu selber" zu kurz; es
fehle das Menschliche, Liebende, Teilnehmende des verstehenden
und versöhnenden „Verkörperers Gottes auf Erden" (327f.).
Aber K. Barth, jener „Wortführer des in Gott erstorbenen, von
Gott her verneinten und verworfenen und eben dadurch erneuerten
Menschen" (15 5) habe durch die gefährliche Einseitigkeit seiner
Darstellung und seine gegen 20 christliche Jahrhunderte stehende
isolierte Deutung des Christentums (326) viele Glieder der protestantischen
Jugend zu Extravaganzen verführt, sich ins „Absolute
" zu werfen, „Anachoreten" zu werden — was nur zu deutlich
einen Mangel an christlicher Liebe, Achtung, Sorgfalt für den
Nächsten verrate (156); mit der bloßen Verneinung aller natürlichen
Anstrengung könne man aber die Jugend nicht erziehen
(157). Unentbehrlich für „Seelenführung" und „Kulturführung"
sei darum „die andere Seite der Sache", dh. die innere Vorbereitung
auf den neuen Menschen in Christus, nämlich: mit „Elcmcn-
tarpädagogik" den inneren Menschen für die Gnade zu erschließen
, seinen Willen, sein tätiges Streben nach oben anzuregen, damit
es zur „Einweihung der Seele in die christliche Forderung"
komme (l57f.). Unter Berufung auf Piatons Verständnis der
Dikaiosyne als „Sinn für Proportionen", jedem das Seine zu geben
(152), verweist Friedrich Wilhelm Foerster Karl Barth
auf Michelangelos Deckengemälde „Die Erschaffung Adams"

*) Kurzfassung des auf dem 2. Wiener Ev. Theologenkongreß
Sept. 1966 gehaltenen Sektionsreferats.

1) Fr. W. Foerster, Meine Stellung zu Karl Barth — in: Neuwerk
5. Jg. 1923/24 S. 152 ff.; ders. Schlußwort — in: ebda. S. 326 ff.;
K. Barth, Gegenrede zu dem Aufsatz von Friedrich Wilhelm Foerster —
in: ebda. S. 242 ff.

in der Sixtinischen Kapelle. Hier komme das zum Ausdruck
, was er die „Synthese" nennt: Adam streckt seinen Arm
dem Schöpfer entgegen, „um die letzte Belebung zu empfangen.
Das ist das Geheimnis auch der Erziehung: die Kraft von unten
her muß der Kraft von oben her entgegengeführt werden, wenn
der Mensch für diese reif werden und die tiefsten Erfahrungen
in Bezug auf den eignen Zustand machen soll. Alles kommt natürlich
auf die richtige Rangordnung und Proportion der Einwirkungen
an" (157).

K. Barths „Gegenrede" zu dem Aufsatz Fr. W. Foersters als
eines Pelagianers, wie er im Buch steht, und Bundesgenossen A.
von Harnacks sowie anderer Barth-Ankläger, daß sein Christentum
zur Erziehung nicht zu gebrauchen sei (242ff.), richtet sich
mit Leidenschaft wider den Mißbrauch und die Entstellung des
Christentums durch einen „christlich geölten" Moralisten, der für
sein immanent-ethisches Programm sich dankbar und begeistert
des Christentums bediene, um Gott und Ewigkeit in seinen
selbstentworfenen Erziehungsplan = „Seelenführung" und in
sein Kulturideal = „Kulturführung" einzuordnen. Wider sein
Christentum der „Synthese" und Brauchbarkeit für Kultur und
Erziehung, mißtrauisch gegen diese „andere Seite" (243), daß der
mitnichten hoffnungslose Adam immer strebend bemüht das
Seine tun müsse und könne, um in Begegnung der Kraft von
unten her mit derjenigen von oben her, der Gnade, seine „letzte
Belebung" selbst zu besorgen, im Widerspruch zu einer solchen
Erziehung, die im Geiste Dantes und Michelangelos letztlich „das
Tiefste im Menschen bestärkt und bestätigt" und die die Reformatoren
grundsätzlich und entschieden bekämpft haben (243f.),
fragt K. Barth, woher Fr. W. Foerster wisse, „daß Gott ausgerechnet
ein Erzieher" sei, „daß das Verhältnis von Gott und
Mensch sich ausgerechnet in Form einer Schulstunde" abspiele,
„bei der der eigentlich Gewinnende und Triumphierende doch
zweifellos der kluge und fleißige Schüler, dh. der Mensch" sei.
Fr. W. Foersters Gott ist für K. Barth ein „ins Metaphysisch-Gigantische
ausgewachsener Lehrer", aber nicht der barmherzige
Gott; und der hoffnungsvolle Mensch der Selbstautorität in Fr.
W. Foersters Weltbild ist die gefährlichste aller „Autöritäts-
pagoden" (243ff). Des Menschen Leben unter Gott ist auch keine
„Himmelsleiter", sondern ein „Wanderweg hienieden" (247). Die
vielverneinte wirkliche Autorität hingegen, das Problem, die genügsame
Begründung und die Summa aller Ethik und Pädagogik,
ist die selbständig gültige und sich behauptende christliche Wahrheit
, „daß Gott den Sünder seinen Heiligen nennt" — die als Zuspruch
und Anspruch über dem ganzen Leben stehende und dieses
„brauchen"-wollende Wahrheit, die weder „pelagianisiert"
noch „hellenisiert" werden darf (247)f.). — Versuchen wir in
Kürze zu diesem theologisch-pädagogischen Streitkomplex Fr. W.
Foerster — K. Barth folgendes zu sagen:

1. Fr. W. Foerster macht K. Barth und seinem Kreis unter
Gebrauch eines Terminus der indischen Religionsgeschichte den
Vorwurf, daß manche seiner Formulierungen „schon dem Geist
des Brahmanismus weit näher (seien) als dem Geiste Christi"
(15 8)! — Nun würde es viel zu weit führen, in unserem Zusammenhang
K. Barths Theologie und Pädagogik mit dem viel-