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Ausgabe:

1966

Spalte:

171-178

Autor/Hrsg.:

Haufe, Christoph Michael

Titel/Untertitel:

Die Stellung des Paulus zum Gesetz 1966

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171

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3

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Geschichte der Trinitätslehre aufgetretenen und ausgeschiedenen
Häresien hier in alter und neuer Form wieder auftreten werden.
Wie könnte das anders sein, da die Verkündigung und Theologie
es immer und überall mit dem homo religiosus naturalis zu tun
hat. Und diese Gefahr wird umso größer sein, wenn die Missionstheologen
selbst in dem trinitarischen Denken nicht so sicher sind,
daß sie es auch in veränderter geistesgeschichtlicher Situation einüben
oder besser gesagt „vollziehen" können, oder wenn sie
sogar überhaupt kein Verständnis für seine Bedeutung haben, was
weithin der Fall zu sein scheint. Ein bezeichnendes Beispiel dafür
ist das Reden vom „kosmischen Christus" auf der Ökumenischen
Konferenz in Neu-Delhi 1961 und die Begeisterung, aber auch die
hilflose Verwirrung, welche es unter den Theologen angerichtet

hat. Aber diese Gefahr muß man jedenfalls wagen. Sie ist nicht
anders und keineswegs größer als diejenige, in welche sich die
alte Kirche mit ihrem Einbruch in die griechische Welt begab. Will
man dieser Gefahr entgehen, dann kann man eben nicht Mission
treiben. Man kann ihr nicht entgehen, aber man kann ihr, damals
wie heute, nur begegnen durch sachgemäße theologische Arbeit,
die einerseits aufs strengste gebunden ist an das im Evangelium
bezeugte Geschehen der Offenbarung des Dreieinigen Gottes und
andererseits in größter geistiger Freiheit und Beweglichkeit geschieht
. Nur wenn sich in beiden Punkten die „alten" und die
„jungen" Kirchen finden, wird die erfolgte Zusammenlegung von
Mission und Ökumene mehr als eine nur organisatorische Angelegenheit
werden.

Die Stellung des Paulus zum Gesetz1

Von Christoph Haufe, Leipzig

Das Problem der Stellung des Paulus zum Gesetz tritt am
deutlichsten zutage, wenn wir Aussagen nebeneinanderstellen, die
geradezu diametral entgegengesetzt zu sein scheinen. Diese Widersprüchlichkeit
betrifft alle die verschiedenen sachlichen Elemente
, die bei der Definition des Gesetzes — sowohl dem Begriff
als auch der Sache nach — in der gängigen Exegese eine
Rolle spielen:

1. Das Gesetz als Ausdruck des Willens Gottes, das Gesetz
als Zusammenfassung des vor Gott Guten und Bösen, also das
Gesetz als inhaltliche Norm verbindlicher göttlicher Forderungen
. Es wird einmal bezüglich dieser soeben ausgesagten
Qualität von Paulus radikal verneint, zum anderen ebenso
radikal anerkannt. „Wenn ihr euch beschneiden laßt, wird euch
Christus nichts nützen." (Gal. 5,2) Die Forderung des Gesetzes
wird durch diese Aussage nicht nur als bloß gleichgültig, sondern
ein Gehorsam geradezu als heilsgefährdend bezeichnet. Werke
sind schädlich und trennen von Christus. Andererseits kann Paulus
das Gesetz ausdrücklich als verbindliche Richtschnur für
das Handeln des Christen zitieren: „Durch Liebe dienet einander
, denn das ganze Gesetz wird erfüllt in einem Wort: Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" (Gal. 5,14)

2. Das Gesetz, sofern es nicht nur auf eine Gesinnung geht,
sondern daneben ausdrücklich ein verantwortliches aktives
Tun fordert, wird ebenfalls widersprüchlich beurteilt. Gal. 4,10
wird das Halten bestimmter Feiertage scharf untersagt, 6,2 jedoch
wird der Christ aufgefordert, des anderen Last zu tragen, also
etwas zu tun.

3. Das Gesetz als für die Vergeltung Gottes gültig
ist in dem Satz „Die aus Gesetzeswerken sind unter dem Fluch!"
(Gal. 3, 10) nicht nur aufgehoben, sondern geradezu ins Gegenteil
verkehrt, indem der von Paulus bekämpfte Gesetzesgehorsam
noch unter die Strafandrohung Gottes zu stehen kommt. Andere
Aussagen hingegen bestätigen das Gesetz als für die Vergeltung
Gottes gültig: Wer in Feindschaft, Zorn, Ehrgeiz, Zwietracht oder
Neid lebt, wird das Reich Gottes nicht ererben, da sich gegen
solche Sünden das Gesetz richtet (Gal. 5, 19 ff).

4. Das Gesetz als Bestandteil des Heilsweges wird
gleichfalls widersprüchlich beurteilt. Einerseits: „Wenn durch das
Gesetz Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben"
(Gal. 2, 21). Andererseits: „Irret euch nicht, Gott läßt seiner nicht
spotten! Denn was ein Mensch säet, das wird er ernten!"
(Gal. 6, 7).

5. Ein solcher Widerspruch liegt auch bezüglich dessen vor,
was im Zusammenhang mit dem Gesetz als „Eudämonismus" bezeichnet
werden kann und besagt, daß jemand bei seinem Tun
den Lohn hierfür im Auge hat, ja letzteren geradezu zum Motiv
für sein Tun erhebt. Einerseits Gal. 5, 4: „Die ihr durchs Gesetz
gerechtfertigt werden wollt, ihr seid aus der Gnade gefallen."
Andererseits 6,9: „Lasset uns im Gutestun nicht müde werden,

*) Referat auf dem Theologenkongreß in Wien.

denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten
."

Die angeführten Zitate zeigen, daß selbst innerhalb eines
Briefes das Gesetz — unter welchem der verschiedenen Gesichtspunkte
man es auch betrachten mag — einmal abgeschafft, zum
anderen jedoch verbindlich und gültig zu sein scheint. Einerseits
werden diejenigen, die es erfüllen wollen, als von Christus losgerissen
, aus der Gnade gefallen und unter dem Fluch stehend
bezeichnet, andererseits jedoch wird gesagt, daß nur diejenigen,
die sich um Erfüllung des Gesetzes mühen, der Verurteilung entgehen
.

Handelt es sich hier um Antinomien, die man höchstens dialektisch
oder existentiell vereinigen oder zwischen denen man
beliebig wählen kann? Könnte Paulus — vielleicht aus praktischen
Erwägungen (in ein- und demselben Brief!) das wieder aufgerichtet
haben, was er zunächst aus dogmatischen Gründen eingerissen
hat, so daß sein Urteil über den zum Gesetzesgehorsam
zurückkehrenden Petrus auch gegen ihn selbst gerichtet werden
müßte, nämlich: „Wenn ich das, was ich niedergerissen habe,
wieder aufbaue, so stelle ich mich selbst als Übertreter hin
(Gal. 2, 18)?

Die Problematik läßt sich auch nicht durch Hinweis auf eine
jeweils andere Einstellung oder innere Haltung zum Gesetz lösen-
Paulus wirft dem Petrus ganz objektiv einen bestimmten W a n -
d e 1 vor; und dem eudämonistischen Motiv räumt er ja selbst
eine gewisse Berechtigung ein. Auch zwischen aktiver und in'
aktiver Erfüllung des Gesetzes kann nicht zum Zwecke der Lösung
des Problems geschieden werden. Paulus lehnt nicht das selbsttätige
Wirken des Menschen ab. Wie immer man auch die sogenannten
„mystischen" Formulierungen bei Paulus verstehen will, sie dürfen
nie so interpretiert werden, daß sie in einem absoluten Widerspruch
zum Imperativ, zu einem verbindlichen und verantwortlichen
Tun und einer damit verbundenen Vergeltung im Gericht
stehen und ihnen keinen echten Raum mehr lassen. Sonst würden
wir ja dieser Reihe der paulinischen Aussagen nicht mehr gerecht
werden können. Die echte Antinomie in den vorhin gegebenen
Zitaten muß scharf gesehen werden; sie liegt darin, daß der Christ
einmal aufgefordert wird, das Gesetz abzulehnen, auch wenn es
ihn von innen her zur Erfüllung drängt, und daß zum anderen ihm
zugemutet wird, mit Anstrengung um den Gehorsam zu ringen,
auch ohne Rücksicht auf einen Drang von innen heraus. Und
beide Antinomien sind — in reziproker Weise — mit Androhung
von Heilsvcrlust und Verheißung von Heilsgewinn verbunden.

Zur Lösung des Problems möchte ich nun die Hypothese
aufstellen, daß Paulus dort, wo er in so radikal antigesetzlicher
Richtung argumentiert, ein anderes Gesetz meint als dort, wo er
positiv vom Gesetz sprechen kann. Einmal handelt es sich um das
jüdische Kult- und Zeremonialgesetz und zum anderen sind die
um das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe kreisenden Gebote
gemeint. Sehr deutlich wird diese Unterscheidung 1. Kor. 7, 1^-
„Beschnitten sein ist nichts und unbeschnitten sein ist auch nichts»
sondern Gottes Gebote halten."