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Ausgabe:

1966

Spalte:

141-143

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Philippi, Paul

Titel/Untertitel:

Abendmahlsfeier und Wirklichkeit der Gemeinde 1966

Rezensent:

Kimme, August

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

142

P h i 1 i p p i , Paul: Abendmahlsfeier und Wirklichkeit der Gemeinde.

Berlin: Evang. Verlagsanstalt [i960]. 188 S. gr. 8°. Lw. MDN 14.—.

Die Abhandlung ist aus einer Erlanger syst.-theol. Dissertation
von 1956 erwachsen. Vf. verficht die These, daß die
„horizontale" (d. h. ethisch-soziale und ekklesiologische) „Dimension
" der Wirklichkeit und des Verständnisses des Abendmahles
bisher zugunsten der „vertikalen (d. h. soteriologischen) Dimension
" vernachlässigt worden sei und nun im Wesenszusammenhang
mit dieser anhand des N. T. umfassend herausgearbeitet werden
solle. Dies wird in drei großen Teilen entfaltet: „A. Grundlegung
: Die systematische und methodische Fragestellung" (9—39),
„B. Die biblischen Berichte von der coena institutionis" (40—111)
und „C. Die urchristliche Abendmahlsfeier" (112—167). Darauf
folgt eine kurze Zusammenfassung „D. Folgerungen und Ausblick"
(168—176). Betrachtet werden folgende Texte: Joh-Evgl. (40—80),
Synoptiker (80—111), Paulus (112-140), Apg (140-151) sowie
„abendmahlstheologische Ansatzpunkte" in Hebr, Jak, 1 und 2
Petr, Jud und Apoc (151—159), schließlich noch die Didache und
Ignatius als Beispiele für die „altchristliche Abendmahlstheologie
außerhalb des NT" (159—167).

Folgende Gedanken sind für die Arbeit charakteristisch:

Zur Methode: „Es soll inhaltlich geprüft werden, ob und
wieweit in der Abendmahlsfeier nach der Einsetzung Christi Momente
enthalten sind, die in der gemeindlichen Dimension Hegen. Damit ist
die Frage nach den formalen Grundlagen der Abendmahlslehre verbunden
: Können diese in den sogenannten .Einsetzungsworten' allein
gefunden werden? — Bei der Beantwortung dieser Fragen stellt sich der
Verfasser auf den Standpunkt der reformatorischen Lehre auch hinsicht-
Iidi des Schriftprinzips, da es ja zu prüfen gilt, ob und wie im Sinne der
reformatorischen Dogmatik auf diese damals so nicht gestellten Fragen
zu antworten ist. Gleichzeitig soll aber versucht werden, gültige Ergebnisse
der historisch arbeitenden Exegese in diesen systematischen Kategorien
zu fassen und zum Tragen zu bringen" (39).

Eingesetzt wird bei Joh 13, dem letzten Mahle Jesu, das mit dem
synoptisdien identisch sei, wobei die Fußwaschung als ein „Bestandteil
der .coena institutionis'" erscheint (42). „Der Akzent unterschied
der Brot- und Wein-Spendung zu der Fußwaschung trifft nicht die theologische
Substanz. Beide geben .Vergebung der Sünden' (Reinigung),
.Leben und Seligkeit' (ftigot fttt 1/toS, ftaxagte). Beide enthalten die
Botschaft des .für euch hingegeben'. Beide geben es actualiter und visi-
biliter, beide haben die Gestalt einer actio, die dem Empfänger persönlich
zugewendet wird. — Während aber im Brot- und Kelchwort (selbst) nur
die Beziehung der Institutio zur .vertikalen Dimension' der Vergebung
von Gott ausgesprochen wird, tritt in der Fußwaschung die .horizontale
Dimension' der Vergebung im gegenseitigen (und als gegenseitiger)
Dienst hinzu als selbstverständliche und notwendige Konsequenz des
.Seins in Christo' und erweist damit das Sakrament erst als eine der
.systematischen Gesamtanschauung' [H. Graß] des Evangeliums gemäße
Handlung, und erst das heißt wiederum im Vollsinne als der .Ordnung
und Meinung Christi' entsprechend" (61). Zur „coena institutionis"
gehören auch die Abschiedsreden Joh 13, 31—17, 26 (vgl. S. 6 5 ff). „Das
ganze Christus-Ereignis aber, d. h. neben Kreuz und Auferstehung
auch Christi Menschwerdung, die exinanitio, . . . u n d auch
die Gebote seiner Lehrtätigkeit, die im .höchsten Gebote
' ihre Zusammenfassung finden, konstituieren nach Johannes den
Inhalt der Stiftung des letzten Abendmahles. Christus ist auch nach
seinem munus propheticum in ihm gegenwärtig! Denn erst in dieser
Ganzheit kann er realpräsent sein; weil Christus nur in dieser inhaltlich
bestimmten Ganzheit der Christus des Evangeliums ist" (79).

Zum synoptischen Befund wird einerseits stark betont, daß „die
Begründung und Deutung der Sakramentsfeier aus der bloßen Kontingenz
der Einsetzung am letzten Abend" „unwahrscheinlich, wenn nicht sogar
unhaltbar" sei (84). „In dem hcilsgeschichtlich", d. h. vom Verrat und
von cschatologischcn Motiven, „bestimmten Mahlmotiv als solchem"
wird „das Zentrum der Überlieferung gesehen" (96). „Brot- und Kelchwort
ersdicinen uns nicht als die alleinige causa der Feier, dafür aber
als konzentrierter, verbindlicher Ausdruck einer für die gesamte Mahl-
feier geltenden Einsetzung — ganz gleich, ob man diese mit der erweiterten
Mahltradition Zusammensicht oder sie allein von der letzten
coena her versteht. Brot- und Kelchwort sind auch nicht causa der
Sakramentalität des Mahles, aber komprimierter Ausdruck derselben.
Was den theologischen Inhalt der Feier betrifft, so stehen im Mahl das
Brot- und Kelchwort als pars für das totum des Christusereignisses"
(99 f).

Andererseits hebt Vf. Luk 22, 25 ff als zum Abendmahlsbericht gehörig
in seiner inhaltlichen Parallelität zu Joh 13 hervor. In dieser
„diakonischen Grundordnung" (101 ff), dem ..Bundesgesetz des neuen
Reichsvolkes |Stauffcr]" (103), liege die volle Entsprechung zur Fußwaschung
mit der anschließenden Belehrung des Petrus und zum neuen
Gebot. Nur finde bei Luk „eine Objektivation zu einem .Ordnungshaften
' hin statt" (107). „In der actio des Mahles wird anschaulidi,
visibile, was auch außerhalb derselben indikativisch gilt; die nach der
besseren .Gerechtigkeit', dem Nomos des Reiches neu geordnete Gemeinschaft
des Neuen Bundes wird zur eschatologischen, geltenden Realität,
zur leibhaftigen, gültigen Gegenwart" (108).

Die „urchristliche Abendmahlsfeier" (Teil C) wird hauptsächlich aus
1 Kor in der Weise erhoben, daß der ganze Brief auf offene und latente
Bezüge zum Abendmahl befragt wird und auch die bekannten Texte aus
Kapp. 10 f dem zentralen „Gesichtspunkt" des Briefes, der „ oixodofii)
der Gemeinde" (144), untergeordnet erscheinen. Zu 11, 20 ff urteilt Vf.
im Gefolge von Lohmeyer und G. Bornkamm: „Es geht Paulus beim
Rekurs auf die Einsetzungshandlung nicht um geschichtliche Schilderung,
auch verfolgt er damit kein liturgisches Interesse, die Spitze seiner
Frage richtet sich auch nicht allein auf das, ,was hier begründet und
eingesetzt wird', sondern auf .die andere, mit der ersten' ...unbedingt
zusammenhängende, wie die Gemeinde ,zu diesem hier Begründeten
oder Eingesetzten sich verhalte'. Es geht speziell in der
Anamnese Christi um die aus ihrer christologischen Bestimmtheit sich
ergebende Gemeinschaft mit den Brüdern, um die innere und äußere
Integrität der Gemeinde als der Gottesordnung des Neuen Bundes in

Christus.....Die Gemeinde ist Ort der Realpräsenz ebenso wie Brot

und Wein' [Doebert]" (129). „Paulus setzt. . . voraus, daß liebegetriebenes
, zusammenhaltendes Achthaben auf die Brüder, besonders der (in
irgend einer Hinsicht) Starken und Führenden auf die (aus Mittellosigkeit
oder irgend welchen anderen Gründen) Empfindlicheren . . . zum
Wesen (auch) des Herrenmahls gehört" (130).

Mit der von Ignatius verschuldeten „hierarchischen Sicherung" des
Herrenmahles beginnt die „Deformation" der urchristlichen Abendmahlsfeier
(171 f). Seit Justin kommt die „Zweiteilung der Gemeindezusammenkünfte
in die (mehr .sozial' ausgerichtete) Agapenfeier und in
die (rein kultisch gewendete) Eucharistie" hinzu. „In der kultischen
Isolierung des Sakraments wird der in der Qualitas Christi und seiner
Diatheke wesensmäßig angelegte Spannungsbogen, der Vertikale und
Horizontale, Kultus, Ethos und Bruderschaft .zusammenbindet' und stets
von der Koinonia des Anteil h a b e n s am Heil zur Koinonia des Anteil-
g e b e n s , der Gemeinsamkeit, der Eintracht, der Einheit und des
Dienens führt, in einem et — et gelöst und damit auch die inhaltliche
Neuheit des Christusbundes mit dem zersetzenden Ferment .alten Sauerteiges
' versetzt und . . . verdorben" (174). „Nur Zwingli und die Seinen"
haben in der Reformationszeit das Verdienst, den praktischen, freilich
theologisch mißglückten Versuch gemacht zu haben, dieser „Deformation
" zu begegnen (175).

Die in einem etwas breiten und gelegentlich etwas geschwollenen
Stil geschriebene Abhandlung stellt einen beachtlichen
Versuch dar, die Abendmahlstheologie aus der Verengung auf
uralte Streitfragen herauszuführen. Sie folgt dem heute obwaltenden
Bemühen, den ganzen neutestamentlichen Reichtum der Bezüge
zum Abendmahl und seiner Ausstrahlungen in das innergemeindliche
, ethische und soziale Leben der mahlfeiernden
f.xxhjota aufzuspüren und auszuwerten. Dabei bedient sich Vf.
allerdings einer Methodik, die weder den Systematiker noch den
Exegeten ganz überzeugt. Der als Systematiker auftretende
Autor muß sich z. B. fragen lassen, ob es das von ihm nur allgemein
beschriebene Kriterium, „die reformatorische Dogmatik"
(welche?), überhaupt gibt. Zudem hebt er sein Kriterium selber
auf. Während die „reformatorische Dogmatik", ob im Gefolge
von Luther und Melanchthon oder von Butzer und Calvin, ihre
Abcndmahlstheologie und -feicr vornehmlich von den verba
testamenti her bestimmt hat, lehnt die vom Vf. versuchte Harmonisierung
aller Abendmahlsaussagen und -bezüge des NT, zentriert
in Joh 13—17, Luk 22 und 1 Kor als Ganzem, den reformatorischen
Ansatz durchgehend als Verengung usw. ab. Ob der
E x c g e t den zahlreichen exegetischen Gedankengängen innerhalb
dieser dogmatisch angelegten Arbeit in Methode und Ergebnissen
folgen wird, erscheint ebenfalls etwas zweifelhaft. Z. B. fällt auf,
daß Joh 6, 51 ff zwar als Abendmahlstext anerkannt, aber ohne
Begründung außer Betracht gelassen wird (vgl. 40). Vor anderem
muß man fragen, ob es haltbar ist, in Joh 13—17 einen für das
neutestamentliche Abendmahlsverständnis konstitutiven Grundriß
der Mahlfeier zu sehen, in den die eigentlichen Abendmahls-
berichtc sich einordnen lassen.

Diese kritischen Bedenken seien durch ein Wort uneingeschränkten
Dankens ergänzt. Das Buch von Philippi verdient
intensive Auswertung, weil es aus der theologischen und kirchlichen
Verengung und Wirkungsbehinderung unserer Abendmahls-