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Ausgabe:

1966

Spalte:

123-126

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Horst, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Trinitäts- und Gotteslehre des Robert von Melun 1966

Rezensent:

Hödl, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

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bei der Existenzthematik des Glaubens zu bleiben. Dabei tritt
an die Stelle der Vermittlung des Heils' durch die göttliche Welt-
und Heilsordnung in B.s Interpretation das Wort des göttlichen
Anspruchs. Der Vf. bemerkt selbst, daß die Weise, wie er etwa
die lex indita als „Wort" deutet, nicht die Meinung seines
Autors wiedergibt (62), meint aber unbekümmert, es handle sich
dabei der Sache nach eben doch um das Wort des göttlichen Anspruchs
. Ähnlich wird das zum Element hinzutretende Wort des
Sakramentes behandelt (64). Einschneidender ist der interpreta-
torische Eingriff, die gratia inlusa als „das im Herzen zu bedenkende
Wort von Jesus" (68) wiederzugeben. Doch auch das
verblaßt gegenüber der Gewaltsamkeit, mit der 79 ff. thomasische
Zitattrümmer als Belege zur Beschreibung des Willens als
„sprachliche Gegebenheit" und „Verspruch" dienen müssen. Im
folgenden wird ohne den Versuch einer Motivation aus der Problematik
der thomasischen Gnadenlehre der habitus gratiac
vom Gebet her „interpretiert" (92 ff). Dabei gibt Vf. allerdings
zu erkennen, daß er sich der Ungewöhnlichkeit seines Verfahrens
bewußt ist (95, 97).

Man darf dem Vf. keinen Vorwurf daraus machen, daß er
die Sätze des Thomas von deren Sache her, so wie sie sich dem Vf.
gegenwärtig darstellt, zu verstehen sucht. So wird im Grunde jede
Interpretation verfahren. Und der Mut, mit dem B. dies explizit
und methodisch durchzuführen versucht hat, ehrt sein Buch ebenso
wie die selbständige Kraft eigenen Denkens, die er dabei beweist.
Aber bei solchem Unterfangen ist es nie nur der Interpret, der
über seinen Autor zu Gericht sitzt, wie es hier den Anschein hat.
Es wird auch umgekehrt die Leistung des Interpreten am Text seines
Autors gemessen, und es muß auf den Interpreten zurückfallen,
wenn dessen vermeintlich besseres Sachverständnis ihn dazu verführt
, seinen Autor nach der Manier des Prokrustes zu behandeln.
Besonders enttäuschend wirkt hier, daß Vf. dem gesamten, für
Thomas und nicht nur für Thomas zentralen Themenkomplex der
Welt- und Heilsordnung schlechterdings keinen positiven Sinn
abzugewinnen vermochte. Ob ein Interpret wirklich aus tieferer
Einsicht in die Sache seines Autors diesen besser versteht als er
sich selbst verstand, das muß sich daran erweisen, in welchem
Maße er den Gedanken des Autors bei aller Relativierung ihrer
Geltung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen weiß. Und das dürfte
auch der eigentliche Sinn der Forderung nach historischer Gewissenhaftigkeit
im Rahmen der hermeneutischen Aufgabe sein.

Mainz Wolfhart Pa n n e n b e rg

Horst, Ulrich, OP: Die Trinitäts- und Gotteslehre des Robert von
Melun. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag [1964]. XXV, 334 S. 8°
= Walberberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie, Theologische
Reihe, hrsg. v. D. Arenhoevel, A. Fries, O. Pesch, Bd. I.
Schüler und Nachfolger Abälards auf dem Berg der hl. Genoveva
zu Paris, Hörer und Anhänger des Hugo von St. Viktor,
Gegner des Gilbert von Poitiers, Kollege des Petrus Lombardus,
— diese Angaben bestimmen den theologiegeschichtlichen Ort des
Robert von Melun, dessen Bedeutung für die Enwicklung der
frühscholastischen Theologie durch die vorliegende Studie über
die Gotteslehre neu ins Licht gerückt wurde. Er kritisiert scharf
die von Anselm von Laon entwickelte, von zahlreichen Sentenzensammlungen
seiner Schule bezeugte Methode, aus den Vätertexten
Stellen zu sammeln und zum Verständnis der Schrift und
Theologie wortreich vorzutragen. Er fragt nach der Summa,
d. h. nach dem Ganzen der Theologie. Diese Aufgabe kann nicht
auf dem Wege der Sammlung und Auslese von Vätersentenzen
erreicht werden, sondern fordert die dialektische Anstrengung des
Zergliederns, Definierens, Folgems. Robert legte auch die Theologie
auf den Weg der dialektischen Methode fest. Hatte der
Magister bei dieser Kritik lediglich Gilberts Römerbriefkomnien-
tar im Auge? In der Tat befleißigte sich der Bischof von Poitiers
bei der Auslegung des Römerbriefes dieser Methode, Vätersentenzen
als Glossen auf die Hl. Schrift zu beziehen. Dabei
unterscheidet er sich aber nicht von der bei den Schülern Anselms
vorherrschenden Methode. An diese richtete sich Roberts wissenschaftlicher
Appell.

l.Die dialektische Durchdringung, systematische Behandlung
und summenhafte Darstellung sah Robert vor allem in den Werken
des Peter Abälard und Hugo von S. Viktor vorbildlich verwirklicht
. Da Hugo in De sacramentis vor allem das Schöpfungsund
Erlösungsgeheimnis behandelte — die Trinitäts- und Gotteslehre
nimmt verhältnismäßig wenig Raum ein —, Peter Abälard
aber in den vielfachen Redaktionen der Theologia über die
Gotteslehre nicht hinauskam, stand eine Summe sachlich und
methodisch noch aus. Robert von Melun folgte in der Gliederung
der beiden Hauptstücke seines Sentenzenwerkes Hugo v. S.
Viktor; der Schlüssel zum Verständnis der Trinitäts- und Gotteslehre
Roberts findet sich bei Abälard (vgl. S. 200). Der Aufbau
des Sentenzenwerkes Roberts vereinigt und verbindet Abälards
und Hugos Konzeption der Summa theologiae. In der Geschichte
der theologischen Wissenschaftslehre — es ist die Geschichte der
Summa theologiae — muß Robert von Melun vorrangig gewürdigt
werden. Hätten diese Untersuchungen über den Systemgedanken
nicht schon im 1. Teil (2. Kapitel „Roberts Lehre vom Wesen der
Theologie.. .") Platz finden können? Dort wird das Interesse zu
einseitig auf Fragen der Heiligen Schrift konzentriert.

2. Die theologiegeschichtliche Situation des Magisters
(zwischen Abälard und Hugo v. S. Viktor) bestimmte den Entwurf
der Trinitäts- und Gotteslehre. Der heilsgeschichtliche
Rahmen stammt von Hugo; die Darstellung des Themas orientiert
sich an Abälards Theologie. Grundfrage der Gotteslehre ist
und bleibt die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes, die Frage
nach dem Offenbarsein Gottes in der Welt. Die einleitende grundlegende
Frage nach dem Wesen Gottes steht für diese Frage nach
der Erkennbarkeit Gottes. Gott ist als einer und dreifaltiger
erkennbar und offenbar, und zwar in den Heiligen Schriften des
Alten und des Neuen Testaments, in der Schöpfung, vornehmlich
in der Gottebenbildlichkeit des Menschen. So wahr Gott einer
und dreifaltiger ist, so wahr ist er als solcher offenbar. Robert
von Melun sondierte nicht nur eine allgemeine Gotteserkenntnis der
Heiden im Unterschied zur Offenbarung des dreieinigen Gottes,
sondern er sprach auch von der Trinitätserkenntnis bei den Juden
und Heiden (vgl. S. 93—96), ohne deshalb das Unterscheidende
der biblischen Offenbarung aufzugeben. Jeder, der erkennt, daß
Gott der Mächtige, der Weise, der Gute ist, ist nicht mehr weit
von der Erkenntnis des dreieinen Gottes entfernt (vgl. S. 92).
Welche Deutekraft mißt der Theologe den sogenannten Appropriationen
zu, daß er diese Aussagen machen kann? Die moderne
Theologie könnte diese Behauptung nicht mehr verantworten, weil
sie die Appropriationslehre nur mehr als Randthema betrachtet.
In der Theologie Abälards und Roberts war sie ein Kernthema.
In diesem Hauptstück der Gotteslehre wird ein Wesenszug Gottes
(Macht, Weisheit, Güte) auf eine unterschiedliche Seinsweise
Gottes (Vater, Sohn, Heiliger Geist) hingerichtet und orientiert,
so daß dabei die Erkenntnis der unterschiedlichen Scinsweisen
Gottes aufleuchtet, aufgeht. In welchem Sinne dürfen diese dreieinen
Seinsweisen Gottes als Personen bezeichnet werden? Die
frühscholastischcn Theologen haben den Personbegriff nicht
ungesehen und unkritisch auf Gott angewandt. Ein Zeugnis dafür
sind die Überlegungen Roberts (vgl. 114—118). Ähnliche Ausführungen
liest man auch in den Sententiae Varsavienses (ed. F.
Stegmüller: Div. Thom. Plac. 54 [1942] 322—24). Robert hielt
den bekannten boethianischen Personbegriff (rationalis naturac
individua substantia) in der Trinitätstheologie für unbrauchbar.
Im Anschluß an Hugo von S. Viktor bestimmte er die Person als
„differens proprictate personali" (vgl. S. 117), unterschiedlich im
je Eigentümlichen. Ähnliche Überlegungen kennen wir aus dem
Schulbereich Abälards. (Vgl. Sententiae Varsavienses, ed. F. Stegmüller
, a. a. O. 323 f!) In dieser Vorsicht gegenüber einem vorgegebenen
Personbegriff ist Magister Robert geradezu modern-
Was die personale Seinsweise in Gott ist, kann sich die Theologie
nicht von der Philosophie sagen lassen. Sie muß allerdings das
Linterscheidende des trinitarischen Personbegriffes philosophisch,
d. h. reflex, begrifflich aussagen.

3. Worin gründet aber das Unterscheidende der personalen
Seinsweisen? „Robert vertritt die Ansicht, daß die Unterscheidung
der göttlichen Personen durch den Ternar Abälards ,poten-
tia, sapientia, benignitas' vorgenommen werden kann, obschon er
sich gleich zu Beginn seiner Ausführungen nicht verhehlt, daß
diese .Namen' nicht nur den einzelnen Personen, sondern allen
dreien zukommen." (S. 119) Im Anschluß an Abälard benutzte
Robert den berühmten Ternar als trinitarisches Inventionsprinzip<