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Ausgabe:

1966

Spalte:

815-816

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Diem, Hermann

Titel/Untertitel:

Sine vi - sed verbo 1966

Rezensent:

Hummel, Gert

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Seite 1

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815

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

816

den Genealogien der Priestersdirift, der Chronik und des Islam''5
lebt in ihm die ältere und volkstümliche Tradition weiter. Es
stellt eine kurze volkstümliche Genealogie dar und konstituiert
die durch Bande der Blutsverwandtschaft zusammengehaltene Gemeinschaft
Israel als vom Stammvater her verwandt, wie der gewöhnlich
mit „Volk" übersetzte hebräische Ausdruck 'am besagt.
Jener Ahn ist der mit Jakob gleichgesetzte Israel (vgl. Gen

56) F. Wüstenfeld, Genealogische Tabellen der arabischen Stämme
und Familien, 1852.

32,29)56; ja, nach der genealogischen Aneinanderreihung der Patriarchen
ist der 'am Israel eigentlich schon in der Familie Abrahams
vorhanden. Natürlich hat nach der Annahme des Jahweglaubens
auch dieser als einigendes Band gewirkt.

(Forts, im nächsten Heft)

m) Vgl. H. Seebaß, Der Stammvater Israel, 1966. Das Israel der
Stele des Pharao Merneptah um 1220 kann die alte Israelsippe gewesen
sein, die nach ihrer weitgehenden Vernichtung durch die Ägypter in
einer anderen israelitischen Gruppe aufging, was die Gleichsetzung Israel-
Jakob ermöglichte.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

D i e in, Hermann: Sine vi — sed verbo. Aufsätze, Vorträge, Voten. Aus
Anlaß d. Vollendung seines 65. Lebensjahres am 2. Febr. 1965, hrsg. v.
v. U. A. Wolf. München: Kaiser 1965. 281 S. 8° = Theologische
Bücherei. Neudrucke und Berichte aus dem 20. Ih., 25. Systematische
Theologie. DM 15.80.

Hermann Diems theologische Arbeit war, ehe er aus dem
Pfarramt auf ein Ordinariat für Systematische Theologie nach
Tübingen berufen wurde, vor allem drei Gebieten gewidmet: der
Kontroverstheologie, der Frage einer evangelischen Kirchenordnung
und Sören Kierkegaard. Aus all diesen Gebieten sind
Aufsätze und Vorträge, bisher verstreut und schwer zugänglich,
in den vorliegenden Sammelband aufgenommen worden. Dazu
kommen noch drei unveröffentlichte Voten aus der Zeit des
Kirchenkampfes.

Diems Stärke bei der Frage nach dem Selbstverständnis der
evangelischen Kirche ist seine unbestechliche Analyse von Art. VII
der Confessio Augustana. Ihr ist der erste Beitrag gewidmet, der,
obschon von 1936 stammend, bleibend aktuell ist. Diem insistiert
darauf, daß die rechte Verkündigung „keinen Augenblick von dem
zentralen Inhalt . . . der Rechtfertigung des Sünders" abstrahieren
darf (S. 11). Darum muß sich das evangelische Kirchenverständnis
an der rechten oder falschen Verkündigung der Rechtfertigung
entscheiden. Der zweite Beitrag, ebenfalls von 1936, gilt dem
vielverhandelten kontroverstheologischen Thema: „Analogia
fidei gegen analogia entis". Diem knüpft hier an Karl Barth an,
vermag jedoch dadurch, daß er mehr als jener (damals!) der katholischen
Seite Verständnis entgegenbringt, den eigentlichen Kernpunkt
der Auseinandersetzungen aufzuhellen. Die beiden folgenden
Beiträge sind Voten zur Prüfung der dritten und vierten
These von Barmen auf ihre Übereinstimmung mit den lutherischen
Bekenntnisschriften. Aus der Lektüre dieser Beiträge erwächst am
Ende die beglückende Erkenntnis des vorletzthaffen Charakters
aller innerprotestantischen konfessionellen Grenzziehungen. In der
todernsten Situation des Kirchenkampfes in den Vierzigerjahren
wurden der Aufsatz über „Das Problem des lebensunwerten
Lebens in der katholischen und in der evangelischen Ethik" (1940)
und der Offene Brief an Bischof Meiser: „Wider das Schweigen
der Kirche zur Judenverfolgung" (1943) geschrieben, dessen geheimer
Verfasser Diem war. Beide Beiträge lassen es trotz einer
Situation, die eher ein pragmatisch-ungestümes Wort erwarten
ließ, an gegründeter theologischer Besinnung nicht fehlen.

Nach 1945 wendete sich Diems theologische Arbeit dann
unter anderem besonders der Kirchenordnung zu. „Die Problematik
der Konvention von Treysa" (1947) ruft die über neuen
Schwierigkeiten beinahe schon vergessenen Fragestellungen aus
der Gründungszeit der EKD in die Erinnerung zurück. Ob
„Kirche" nur bekenntnisgebundene Kirche sein kann, alles andere
lediglich einen „Kirchenbund" darstelle, wird trotz des angebrochenen
ökumenischen Zeitalters da und dort auch heute noch
„kleinkirchlich" entschieden. Diems Feststellung, daß sich „Kirche"
nach evangelischem Verstehen allein von der ums Wort versammelten
Gemeinde her konstituiert (S. 124), bleibt daher wegweisend
. Von diesem theologischen Ansatz aus wird auch die
Frage nach der „Ortsgemeinde in der Kirchenordnung" (1948)
beantwortet. Diem fordert die „Gemeindeversammlung als rechtsfähige
Größe" (S. 133), vor allem für strittige, die Einzelgemeinde
betreffende Fragen. Auch der Aufsatz „Kirchenvisitation als
Kirchenleitung" (1952) geht, orientiert an Karl Holls Lutherstudien
, diesem zentralen Gedanken nach. Die Aufforderung an
die Kirchenleitungen, „hinauszugehen zu den Pfarrern und Gemeinden
und dieselben nicht bloß vorzuladen" (S. 172), ist dabei
Kernstück der Entfaltung und gewiß nicht nur technisch, sondern
vielmehr sachlich, menschlich und theologisch gemeint. — Daß die
Evangelische Kirche im Rheinland bei ihrem Gesetz über die Besetzung
der Gemeindepfarrstellen dies nicht beherzigt hat, erweist
das Votum über: „Die Grenzen kirchlicher Gesetzgebung" (1952).

Mit zwei theologischen Aufsätzen schließt der Band. „Kierkegaards
Hinterlassenschaft an die Theologie" (1956) erkennt der
Verfasser in der Dialektik der christlichen Mitteilung (in Predigt
und Lehre), durch die der Hörer aller Zeiten „so vor das Ärgernis
der christlichen Botschaft (gestellt wird), daß dieser in der Entscheidung
zwischen Ärgernis und Glauben mit dem Augenzeugen
gleichzeitig wird" (S. 226). Allerdings hat diese existenzielle
Gleichzeitigkeit auch eine kritische Seite, nämlich die Preisgabe
des historischen Geschehenseins der Offenbarung als Autorität
aller christlichen Mitteilung. Darum endet Kierkegaards Dialektik
in einer „unlösbaren Verwirrung des Verhältnisses von Nachfolge
und Gnade" (S. 237).

Rudolf Bultmann zum 80. Geburtstag ist der theologisch
bedeutsamste Beitrag des Bandes gewidmet: „Glaube und Überlieferung
als Problem des Verstehens". Diem zeigt darin mit der
ihm eigenen Gabe zur präzisen Unterscheidung die gegenwärtigen
Positionen in der hermeneutischen Fragestellung auf. Im Gegensatz
zu Bultmann möchte er jedoch nicht von der allgemeinen
Hermeneutik zur theologischen übergehen, sondern (mit Lothar
Steiger) „bei dem spezifischen Verstehen der biblischen Überlieferung
" einsetzen (S. 246). Während Bultmanns hermeneutischer
Zirkel zwischen dem Gesagten und Gemeinten in den Texten verläuft
, wobei das Gemeinte als Existenzverständnis durch das
Gesagte hindurch vom Ausleger existenziell ergriffen werden muß.
um verkündigt zu werden, verläuft Diems Zirkel zwischen Glaube
und Überlieferung in den Texten einerseits und Glaube und Verkündigung
des Auslegers andererseits. Den Zirkel bringt dabei
das immer gleiche Handeln Gottes am Menschen zuwege. Auf
diese Weise meint Diem am „Sacra scriptura sui ipsius interpres'
festzuhalten (S. 267). Er spricht so mit klareren Begriffen das aus,
was bei Karl Barth unscharf das „Treueverhältnis" von Text und
Ausleger genannt wird. Hier muß Diem freilich gefragt werden,
ob er überhaupt noch von einem hermeneutischen
Zirkel spricht und nicht vielmehr nur von einem permanenten
Verkündigungsgefälle. Seine Wiedergewinnung der Schriftautorität
bezahlt er offenkundig mit einer Entwertung verstehender
theo-logischer Arbeit. Ist bei Bultmann durch das Denken von der
Existenz her das (Existenz-)Verstehen verabsolutiert, so ist bei
Diem durch das Denken im Geschehen des Handelns Gottes das
Verstehen depraviert. Beide Einseitigkeiten muß eine theologische
Hermeneutik zu vermeiden suchen.

Insgesamt liegt hier zweifellos ein vielseitiger und anregender
Band vor, für den dem Verlag zu danken und dem weite Verbreitung
zu wünschen ist.

Saarbrücken Gert H ■ m ■ e 1