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Ausgabe:

1966

Spalte:

428-429

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Begrich, Joachim

Titel/Untertitel:

Gesammelte Studien zum Alten Testament 1966

Rezensent:

Osswald, Eva

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427

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 6

428

E. Gerstenbergers" über den Ursprung des apodiktischen Rechts
im altisraelitischen Sippenethos (vgl. bes. 60). Die Hauptthese,
die immer wieder anklingt, lautet, daß der Prophet Arnos in
seinen Rechtsthemen von Sippenethos und Sippenweisheit herkomme
, die als eine Sonderüberlieferung neben der in den Kultzentren
geübten Rechtsverkündigung (54) eigenständig weiterlebte
(60). Erwägungen über die Herkunft des Arnos aus Thekoa
und die in Wanderhirtenkreisen gepflegte Sippenweisheit des
Ostens (53 f) sollen die These unterstützen. Auch hier wird wieder
der Sprachgebrauch (das häufige Auftreten des Wortpaares tCBÖM
und npij:: 5, 7.24; 6, 12; vgl. 5, 15) als Beweis herangezogen, zu
dem Parallelen vor allem aus der Spruchliteratur nachzuweisen
seien. Hierzu ist aber zu bedenk»n, daß offensichtlich ursprünglich
ein eng begrenzter terminus technicus für die richterliche
Entscheidung ist7, so daß es nicht verwunderlich ist, wenn
der Begriff in den großen pentateuchischen Korpora nur an Stellen
erscheint, die speziell sich als „Richterspiegel" mit dem Thema
Rechtsprechung befassen (Lev 19,15; Dt 16, 18—20). Und der
Sitz im Leben für diese ist natürlich die Ortsgerichtsbarkeit im
Tor, so daß sie sich, wenn man so will, mit „bestimmten Lebensordnungen
der Sippe" (46) beschäftigen. In den angeführten
Stellen aus dem Spruchbuch (Prov 16, 8.11; 11, 1; 15, 8; 21, 27)
ist dagegen eine Willenshaltung des Menschen gemeint, also eine
Ethisierung und Humanisierung des Begriffs eingetreten, die man
eher als letzte Entwicklungsstufe des Begriffs ansehen kann (vgl.
Hertzberg, II, 75). Bei Arnos wird dagegen besonders aus 5, 15
deutlich, daß seine Verwendung des Begriffes durchaus der Urbedeutung
noch nahe steht. Trotz der verbalen Nähe ist es also
zweifelhaft, ob die Prov.-Stellen wirklich eine so enge
Entsprechung zu Arnos darstellen. Was die von Arnos in diesem
Bereich behandelten Hauptthemen anlangt (der Einsatz für die
Armen und Geringen, die Warnung vor dem Luxus), so ist zumindest
das erste, wenn es auch vielleicht verhältnismäßig selten
mit den termini ?t, "T3X, 79 ausgedrückt wird, der Sache nach
doch eines der Hauptthemen der Bundesrechtsordnungen. Auf der
anderen Seite ist es nur natürlich, daß die Weisheit, die den einzelnen
Israeliten über den ihm zugewiesenen Platz in der Lebensordnung
seines Volkes belehren will, auf diese Grundforderungen
des Jahweglaubens hinweist. Wodurch keineswegs ausgeschlossen
wird, daß das Thema „Fürsorge für die Schwachen" weit über den
Bereich des israelitischen Jahweglaubens zurückreichende Wurzeln
besitzt (nach Cod. Hammurabi I, 30 ff gehört es zusammen mit
„Gerechtigkeit" zu den Aufgaben des Königs — vgl. dazu die
Stellen aus der israelitischen Königsideologie, S. 43).

Alles in allem gewinnt man den Eindruck, daß in der vorliegenden
Studie eine vor allem auf dem Gebiet des Sprachlichen
überzeugende Beobachtung, daß Arnos von weisheitlicher Denk-
und Redeweise beeinflußt ist, in ihrer Bedeutung weit überschätzt
worden ist. Vor allem eignet sie sich nicht, als Antithese gegen
die mit viel zentraleren Topoi in der Verkündigung des Propheten
zu begründende Auffassung zu dienen, die Arnos von den,
auch institutionellen, Ordnungen des Bundes bestimmt sein läßt.
Die Schlußsätze Terriens" scheinen hier ein ausgewogeneres Urteil
zu bieten.

Das erkennt man am deutlichsten an dem, was der Verfasser
selbst an versteckter Stelle (als Unterpunkt „Weisheit und Gerichtsverkündigung
", S. 58 f) über das Zentrum der Botschaft des
Arnos sagt. Hier wird ausgesprochen, daß „nur im Sprachrahmen
und Schuldaufweis" weisheitliche Sprache und Denkweise in die
Verkündigung des Arnos hineinspiele. „Das Ganze und Eigentliche
seiner Botschaft ist gerade nicht auf diese Weise ableitbar."
Stellen wir unsere Bedenken beiseite, ob mit der Verkündigung

") E. Gerstenberger, Wesen und Herkunft des sog. apodiktischen
Rechts im AT. Diss. theol. Bonn 1961. (Neuerdings auch im Druck;
Wesen und Herkunft des „apodiktischen Rechts" WMANT 20, 1965.) —
Vgl. dazu jedoch H. Graf Reventlow, Kultisches Recht im AT. ZThK 60,
1963, S. 267—304, bes. S. 274 ff.

7) Vgl. H. W. Hertzberg, Die Entwicklung des Begriffes BGflta im
Alten Testament. ZAW 40, 1922, S. 256—287; 41, 1923, S. 16—76.

") A.a.O. S. 115: "Such a hypothesis should not be construed as
meaning that the prophet was not primarily steeped in the covenant
theology of Israel."

vom Ende das Eigentliche dieser Botschaft getroffen ist (die
Heilsverkündigung als eine nicht unwesentliche Seite der Arnos-
Botschaft wird damit aus dem Wege geräumt; ihre auch literar-
kritischc Austilgung müßte dann die notwendige Folge sein),
bleibt doch zu fragen, ob diese Verkündigung vom Ende wirklich
etwas so unerhört Neues ist. Der Bundesfluch, dessen Ausprägung
in Dt 28 und Lev 26 gewiß nicht Nachwirkung prophetischer
Verkündigung ist, sondern dem kultischen Bundesformular entspricht
, sieht, indem er über ganz Israel (und nicht nur den einzelnen
Israeliten) ausgesprochen wird, schon vom intakten Bundesverhältnis
her als grundsätzliche Möglichkeit sein Ende vor (die
S. 3, Anm. 6, genannten Themen sind gerade die charakteristischen
des Bundesfluchformulars, Lev 26, Dt 28). Jetzt geht es
nur darum, daß der Tag des Gerichts, den das Volk ferne wähnt
(6, 3; 9, 10), als unmittelbar herbeigekommene Bedrohung verkündet
wird. Gerade das Zentrum der Botschaft des Arnos wurzelt
in den Grundgehalten des Bundes.

Das Verhältnis der Weisheit, ihrer religiös-moralischen Belehrung
, zu den Verkündigungsgchalten des Bundes, vor allem
dem Bundesrecht, müßte dringend einmal genauer untersucht
werden. Daß sie gläubige Weisheit ist und die Bundesordnungen
voraussetzt, dürfte nicht zu bezweifeln sein. Aber ihre rechte
Zuordnung ist noch nicht vollzogen. Wenn das geschehen wäre,
würden wir wohl klarer sehen über die vielfältigen Einflüsse, die
in der Botschaft eines Propheten wie Arnos zusammenströmen,
und dadurch zu Differenzierungen kommen, die die Eigenart
einer Botschaft hervorheben, ohne doch aufzulösen und zu entzweien
.

Das Gespräch über Arnos ist noch nicht am Ende. Es wird
weitergehen müssen, wenn wir zu einem tieferen Verständnis
seiner Botschaft gelangen wollen. Dafür einen neuen Beitrag geliefert
zu haben, ist dem Verfasser sehr zu danken.

Bochum Henning Graf R c v en 11 o w

Begrich, Joachim: Gesammelte Studien zum Alten Testament, hrsg.
v. W. Z i m m e r 1 i. München : Kaiser 1964. 277 S. 8° = Theologische
Bücherei, Neudrucke und Berichte aus dem 20. Jahrhundert, 21: Altes
Testament. Kart. DM 20.—.

Es ist sehr zu begrüßen, daß, nachdem 196 3 im vorhergehenden
Band der Theologischen Bücherei ein Neudruck von J. Begrichs
„Studien zu Deuterojesaja" erschienen ist, nun auch Aufsätze, die
in den Jahren 1928-1944 in Zeitschriften (ZAW, BZAW, ZS,
ZDMG) veröffentlicht wurden, erneut zugänglich gemacht werden.
Dabei handelt es sich um die Iiterargeschichtliche Studie „Die
Paradieserzählung", die lexikalische Untersuchung „Mabbül" und
den Aufsatz „Berit", in dem der Verf. einen wichtigen Beitrag zur
Erfassung dieser atl. Denkform geleistet hat. Um Probleme der
Geschichte Israels geht es in „Söfer und Mazkir", „Der Syrisch-
Ephraimitische Kiieg und seine weltpoltischen Zusammenhänge'.
„Jesaja 14, 28—32". Eine wichtige Ergänzung zu metrischen Studien
stellt die Arbeit „Der Satzstil im Fünfer" dar, während die
Beschäftigung mit den Psalmen und Propheten, vor allem mit
Deuterojesaja, den Verf. zu den Untersuchungen „Die Vertrauens-
äußerungen im israelitischen Klagelied des Einzelnen" und „Das
priesterliche Heilsorakel" angeregt hat. An letzter Stelle ist der
Aufsatz „Die priesterliche Tora" wiederabgedruckt worden, ,n
dem der Verf. versucht, den Wandlungen des Tora-Begriffes nachzugehen
. Register der Bibelstellen, der hebräischen Wörter, der
Namen und Sachen bilden den Schluß des Buches.

Den einleitenden Ausführungen des Herausgebers im Vorwort
, in denen er die wissenschaftlichen Anregungen, die Begricn
vor allem durch seinen Lehrer H. Gunkel empfangen hat, aufzeig1
und seine Arbeitsweise charakterisiert, ist kaum etwas hinzuzufügen
. Es fällt immer wieder auf, wie Begrich mit Hilfe seiner
scharfen Beobachtungsgabe Sachverhalte, die andere Forscher
übersehen oder beiseite gelassen haben, aufgespürt und sie zurn
Ausgangspunkt für seine eigenen Untersuchungen gemacht hat-
Seine Arbeitsweise ist, wie auch der Herausgeber mit Recht betont
, durch eine bewundernswerte methodische Sicherheit ausgc
zeichnetl. Das verleiht diesen Aufsätzen auch da, wo die For-

') Vgl. auch die Würdigung Begrichs durch H. Bardtke: In memoriarn
Joachim Begrich = ThLZ 75, 1950, Sp. 441 ff.