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Ausgabe:

1965

Spalte:

948-949

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dross, Reinhard

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht und Verkuendigung 1965

Rezensent:

Hammelsbeck, Oskar

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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geschehen aufzuzeigen. Denn es sind auch hier, im dritten
Kreis, keine exklusiv esoterischen, sondern höchst vernünftige
bzw. die Vernunft in Anspruch nehmende Aussagen zu treffen.

Sein in der Gemeinde bedeutet zunächst ganz einfach das
„Bezeugen der Wahrheit" (70 ff.) in dem schon geschilderten
Sinn: sich dem brüderlichen Gespräch offenhalten (112 f.), in
dem es zur unverstellten Erfahrung der Wirklichkeit kommen
kann. Das Suchen und die Annahme dieser Wirklichkeit bedeutet
nichts anderes als Üben des Glaubens (42, 44). Das Standhalten
gegenüber den Anfechtungen aber ist Übung der Nachfolge
Christi (246), in dem dieses Standhalten angeschaut und
empfangen wird.

Gemeinde bedeutet zweitens: Gemeinschaft der Liebe üben
(59, 209), den Nächsten annehmen und ernstnehmen in seinem
Anspruch. Bs gilt: „nur die Liebe macht das Christuszeugnis
hörbar" (80). Solche Gemeinschaft wird begangen im Sakrament
des Altars, weil in ihm jenseits aller theologischen Deutungen
die Gegenwart dessen empfangen wird, der die Gemeinschaft
ursprünglich gewährt hat (56, 260).

Und es ist schließlich keine Spekulation und kein „alt-
testamentlicher" Positivismus, sondern ein auch für das Erziehungsgeschehen
relevantes Hinnehmen unverstellter Wirklichkeitserfahrung
, wenn zur Gemeinde zum Dritten das Angewiesensein
auf reale Geschichte gehört. Aus geschichtlichen Zeugnissen
wird nicht nur der Ursprung der Gemeinde verstanden (37), in
geschichtlicher Überlieferung wird die Gemeinschaft der Liebe
erwiesen und empfangen, von den Eltern (12), den überlegenen
Menschen, den „Vätern" (225 ff.), von dem Herrn selbst (246).
Von diesem Ernstnehmen geschichtlicher Wirklichkeit her und
nicht aus klerikalen Erwägungen ist auch die lebensgeschichtliche
Bedeutung der Taufe für Erziehung und Unterweisung
recht zu würdigen (136 ff.).

Die im Namen Jesu Christi grenzenlos angebotene (weil
„eschatologische") Gemeinschaft als Kriterium alles Ethos, das
ist der Horizont, in welchem Erziehung geborgen ist. Solcher
Horizont erlaubt keine Beanspruchung für ein Sonderunternehmen
. Es ist vielmehr der weiteste Horizont, der für alles erzieherische
Handeln überhaupt denkbar ist. Denn er beansprucht
für die eine Gemeinschaft durch die Geschichte, zu welcher alle
mit allen berufen sind: einander liebend anzunehmen in Kraft
der Annahme, die ihnen widerfährt. Welchen anderen Sinn
könnte christliche Überlieferung haben, als das Angebot solcher
Gemeinschaft anzusagen? Das heißt aber: Überlieferung hat für
den Christen grundlegend soziale Struktur, eben weil es ihr
nicht um einen verbalen Bestand von „Überlieferungen" geht,
sondern um die Erfassung und Selbsterfassung des Menschen in
seinem Schicksal. Daß dieses Schicksal nicht verlorene Besonde-
rung, sondern eschatologische Versammlung zur Gemeinschaft
liebender Annahme ist, das ist der Inhalt ihres Glaubens „um
Christi willen". Um dessentwillen kann sich der Erzieher als
Christ (und nicht auch der Erzieher, der dieses Prädikat nicht
in Anspruch zu nehmen wagt?) nicht mit der „Offenheit" und
„Sachlichkeit" (ja, selbst nicht mit der „Mitmenschlichkeit") in
formalem Sinne begnügen (die doch auch noch Signum eines
„privaten" Verhaltens sein könnte), indem er die „Offenheit"
einübt, muß er von ihrer Realität zeugen, die er in der Sammlung
der Gemeinde erfährt. Daß solche Gemeinde nicht an einer
Wunschvorstellung gemessen werden darf, sondern, wo immer
Menschlichkeit erwiesen wird, auch „real" ist, (154), das ist
eine notwendige Konsequenz aus dem Gesagten.

Solcher Art ist der Rahmen, in welchem die Konzeption
der „evangelischen Unterweisung" Erziehung im Allgemeinen
und Religionsunterricht im Besonderen bedenkt. Von einer Absonderung
„christlichen" Erziehungsdenkens vom allgemeinen
im Sinne der eingangs genannten Kritik kann keine Rede 6ein.
Umgekehrt wehrt das Werk freilich bewußt einer Absonderung
pädagogischer und didaktischer Erwägungen vom umgreifenden
Menschen- und Wirklichkeitsverständnis, das den Pädagogen, er
mag es nun wahrhaben oder nicht, in seinem Tun stets begleitet
. In ihm muß der Erzieher sich selbst (in Luthers Sinne: seine
eigene Erziehung durch Gott) mit zur Sprache bringen. Er tut
es faktisch immer. Und hier fällt angesichts der christlichen

Überlieferung die Entscheidung des Glaubens oder Unglaubens
— eine Entscheidung, die sich doch wieder konkret vernünftig,
auch pädagogisch und didaktisch ausweist (und auch dieses geschieht
explizit oder implizit unter allen Umständen). Weil
der Zusammenhang von W i r k 1 i c h k e i t s v e r-
ständnis und konkretem erzieherischem
Handeln unzerreißbar ist, darum ist der Erzieher
auf sein mögliches oder wirkliches
Christsein hin angesprochen.

Im Sinne des Zeugnisses für das Evangelium im Werk der
Erziehung bleibt Kittels Werk ein Maßstab, an dem die religionspädagogische
Arbeit auch künftig gemessen werden sollte.

Hamburg Wenzel Lohff

Dross, Reinhard: Religionsunterricht und Verkündigung. Systematische
Begründungen der katechetischen Praxis seit der Dialektischen
Theologie. Hamburg: Furche-Verlag [1964]. 222 S. gr. 8°. Lw.
DM 19.80.

Ein doppelter Eindruck muß dieser Rezension vorangestellt
werden. Es fragt sich, ob einem solchen Thema, das „Systematische
Begründung der katechetischen Praxis seit der Dialektischen
Theologie" (Untertitel) darstellen will, die Dissertation
eines jungen Theologen gerecht werden kann. Er ist selbstverständlicherweise
noch abhängig von der theologischen Schule, aus
der er kommt; er tritt von da auf den Boden einer historisch zu
bezwingenden Abhandlung und muß notwendigerweise etwas
gewaltsam den Abstand suchen, der dem Historiker geziemt. Der
andere Eindruck bewirkt eine Aporie des Rezensenten, da er zu
seinem Teil „mit drin" ist in diesem historischen Ablauf der
„bisherigen Diskussion" und deshalb keine zureichenden Mittel
in der Hand hat, um zu beurteilen, ob das stimmt, was von seinem
Beitrag ausgesagt wird. Er hat dabei keinen Grund zur Klage
, da er sogar ausnehmend gut dabei wegkommt. Aber es ist
weiterhin wiederum die Frage, ob es sich darum handelt, „wegzukommen
", wenn etwas noch so sehr im Fluß, in der Verwandlung
, in der nech ausstehenden Konsolidierung begriffen ist, wie
das im Augenblick sicher richtig gekennzeichnete Problem von
„Religionsunterricht und Verkündigung".

Dross schließt seine Einleitung mit einem für ihn selber
nachdenklichen Satz:

„In jüngster Zeit schlägt die Religionspädagogik einen Weg ein,
der die Antithesen der Verkündigungsdebatte überholt erscheinen läßt.
Er ist vom hermeneutischen Interesse an der .Sprachlichkeit' bestimmt.
Die hierdurch nötig gewordene Bestimmung dessen, was dann unter
.Verkündigung' zu verstehen ist, steht noch aus."

So will diese Arbeit die zur Zeit spürbare Wendung bezeichnen
, aber auch auf den neuen Weg die Frage mitnehmen, ob
der nirgends voll behauptete, sondern mehr von der Kritik kritisch
ins Auge gefasste „Vorrang" der Verkündigung eine relativierte
Berechtigung behält. So gesehen, ist der Versuch unerläßlich
, „die bisherige Diskussion aufzuarbeiten, um diese neu gestellte
Aufgabe (was künftig unter Verkündigung' zu verstehen
ist) vorzubereiten".

Im 1. Kapitel „Aufriß der Problematik" (11 ff) wird die
Verlegenheit, die seit dem Aufkommen der dialektischen Theologie
„die gesamte katechetische Auseinandersetzung beschäftigt
hat" aufgerufen: Wie lassen sich Evangelium und Lehre aufeinander
abstimmen, wenn sie als unvereinbare Größen erkannt sind?
Ich frage zurück, ob der richtig vorbedachte „Aufriß" in den
Folgerungen aus der „Aporie" herausgelangen kann, wenn wir
kurzschlüssig Evangelium und Lehre, Verkündigung und Lehre
auf „Lehrbarkeit" beziehen, so daß die Frage ausgelöst wird (14):
„Bleibt von dem Evangelium noch etwas übrig, wenn die .Verkündigung
des Wortes Gottes' so tiefgreifend verwandelt wird:
im Vorgang in eine Lehre, im .Stoff in ein Bildungsgut?" Es erhebt
sich als Gegenfrage angesichts der neueren Katechetik —
der letzten Jahre —, ob wir nicht daran arbeiten und es herausarbeiten
müssen, zwischen dem „pädagogischen" Kurzschluß von
Evangelium in Hinsicht auf die von Dross verschieden umsichtig
dargestellte Verkündigung und der Lehrbarkeit die Kategorie der
Lehre als ebenfalls dem Evangelium zugehörig zu bestimmen.
Sehen wir auf das letzte Kapitel des Buches (152 ff) als „Schluß",
so fällt auf, daß der Verf. in einem großen Sprung aus den er-