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Ausgabe: | 1965 |
Spalte: | 935-937 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Lüthi, Kurt |
Titel/Untertitel: | Gott und das Böse 1965 |
Rezensent: | Konrad, Johann-Friedrich |
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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12
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ethischen Prozesses und der sittlichen Welt durch den christlichen
Glauben" (112). Man halte dagegen, wie F.V.Reinhard in seinem
zwischen 1788 und 1815 viermal aufgelegten „System der
christlichen Moral" die Aufgabe bestimmt: „das, was Christus und
seine Apostel von den Pflichten des Menschen gelehrt haben, zu
sammeln und nach seinem ganzen Umfang und Zusammenhang zu
einer bequemen Übersicht zu ordnen" (zit. S. 142), und man wird
die grundlegende Neubestimmung der Disziplin durch Schleiermacher
richtig würdigen.
Verf.s Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zur Schleiermacherinterpretation
, der uns die überragende Bedeutung und die Probleme
dieser Konzeption erneut deutlich macht.
Halle/Saale Erdmann S ch o 11
LS tili, Kurt, Priv.-Doz. Dr. theol.: Gott und das Böse. Eine biblisdi-
theologische und systematische These zur Lehre vom Bösen, entworfen
in einer Auseinandersetzung mit Sendling und Karl Barth.
Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag 1961. 296 S. 8° = Studien z.
Dogmengeschichte u. systematischen Theologie, hrsg. v. F. Blanke,
A. Rieh, O. Weber, Bd. 13. Kart. DM/sfr. 23.-.
Die „formale Ähnlichkeit im Denken des Philosophen der
Offenbarung" und „des Theologen der Offenbarung" reizt Lüthi
(L), in seiner Habilitationsschrift Sendling (Sch) und Barth (B)
hinsichtlich der Problematik des Bösen zu vergleichen. Nach dem
Vergleich aneinander zieht L beide miteinander durchs Feuer
ßeiner biblischen Exegese und schmiedet, was sich ihm als haltbar
erwiesen, zu einer biblisch-theologischen und systematischen
These zur Lehre vom Bösen. Dabei werden Sch's Denkformen mit
„exegetischen Gehalten" gefüllt und wird B's Lehre von Gottes
Vollkommenheiten mit seiner Lehre vom Nichtigen verbunden.
Nach einem „Gang" durch Sch's Werke wird deutlich (16—52), daß
Sch erstens immer mehr vom allgemeintheologischen Denken zum „christo-
logischen Zusammenschauen der Probleme" kommt (45 Anm. 110) und
zweitens trotz verschiedenster Themen „immer die gleichen Denkformen
zur Erhellung der jeweiligen Problematik" beibehält (52 f.). Bei den Denkformen
(52—64) geht es hauptsädilich um die im Idealismus beliebte:
„Das Wahre ist das Ganze"; ontologisch: „Sein im ursprünglichen Sinn
ist . . . in sich differenziert"; „Sein ist nicht totes, sondern . . . werdendes
. . . Sein". Analog zu diesen „ontologischen Axiomen" wird
das Problem des Bösen mit folgenden „Kategorien" bedacht: „Differenzierter
Monismus" (54 ff.) meint: „Das Absolute ist . . . in differenzierender
Tätigkeit, und so entsteht ,Gegensein', das zutiefst bezogen
ist auf das Ursprüngliche". Dabei geht es um „teleologische Totalität".
„Indifferenz" meint ursprüngliche „Identität, die in sich schlummernde
Möglichkeiten der Differenzierung enthält" (57 f.). Ging es eben um
den finalen, so hier um den kausalen Aspekt. „Potcnz-Faktizität" (59 f.)
„konstituiert im Voraus die Möglichkeit von Gegensein und die davon
zu unterscheidende Realfaktizität des Bösen." Eine andere Denkform
sieht Gottes Sein als „Affirmation"; Affirmation „versetzt anderes
Sein in Abhängigkeit" (61). Die Rede vom „Seinszentrum" ermöglicht
die Kennzeichnung des Bösen als „Abfall", als „aktive Gegenposition".
Mit dem Begriff „Amphibolie" wird die Zweigesichtigkeit alles Seins
umsdirieben. — An die Erläuterung der Denkstrukturen schließt sich ein
Exkurs, der in die Tiefen der philosophie- und theologiegeschichtlichen
Verwurzelung Sch's hinableuchtet, um zu zeigen, daß Sch „von der Welt
der frommen württembergischen Väter herkommt" und so „als Interpret
der Bibel" „ernstgenommen werden muß" (7).
Dem Referat über Sch (1. Kap) folgt das Referat über B's Lehre
vom Nichtigen, in dem neben KD §§ 50 (Gott und das Nichtige) und
41 (Exegse von Gen 1 und 2) der Schöpfungslehre auch § 60 der Versöhnungslehre
„Des Menschen Hochmut und Fall" berechtigterweise zu
Wort kommt (2. Kap).
Im anschließenden Vergleich (3.Kap) kann Sch B kaum standhalten,
schon weil bei ihm „keine explizite Rechenschaftsablage über seinen jeweiligen
Erkenntnisweg zu finden ist" (105), während bei B der „erkenntnistheoretische
Einsatz": Jesus Christus der Erkenntnisgrund auch
des Nichtigen' von Anfang an sauber geklärt ist. So kann 1) Sch die
von B (KD III, 3 S. 334 ff.) beschriebene Verwechslung des Bösen mit
dem bloß dunklen Aspekt der guten Schöpfung unterlaufen (vgl. aber
B's von L übersehene Schwierigkeiten mit der Ontotogie des Chaos in
seiner Exegese zu Gen 1 trotz seines Einsatzes! III, 1 S. 130 von der Finsternis
: „geschaffen ist auch dieses Zeichen" ; S. 137 „ist nicht Gottes Geschöpf
"). 2) Sch ordnet das Böse einer besonderen „Schicht der Gottheit"
zu, die „die ideale Faktizität von . .. Gegensein ermöglicht" : die „eigentliche
Göttlichkeit Gottes" hebt er als „Gottes Herz", das nur Liebe ist,
deutlich ab. Er wird sich von B den Vorwurf einer „Domestizierung des
Bösen" „im Gottesgeheimnis" gefallen lassen müssen. B zeigt demgegenüber
die Abhängigkeit des Bösen von dem in keiner Seinsschicht potentiell
bösen Gott an Gottes Handeln. Das Nichtige verdankt sich Gottes
opus alienum. 3) Hat Gott in Jesus Christus selbst die Auseinandersetzung
mit dem Bösen übernommen, so muß Sch's Zuversicht, der Mensdi
könne den Kampf gegen das Böse bestehen, zuschanden werden. 4) Kann
B von einer Indienststellung des Bösen nur vom Sieg Christi her und
auch so nur „sehr zurückhaltend" reden, so spielt bei Sch die Indienststellung
eine weit größere Rolle. 5) Die Divergenzen im Freiheitsbegriff
sind deutlich: Kann sich nach B der durch Jesus Christus Befreite gar
nicht anders als gegen das Nichtige entscheiden, so verficht Sch einen
„neutralen Freiheitsbegriff". 6) Sind für B die Theodizeefragen „gleichsam
verschlungen in den Sieg", so nehmen sie bei Sch eine uns heute
ungewohnte Breite an. 7) L stellt von B her den neutralen Gebrauch
der genannten Denkformen unter Verdikt. — Die Gemeinsamkeiten B's
besonders mit dem späten Sch sieht L 1) in der Ablehnung des Bösen
als Privation, 2) in der Betonung der Entmachtung der Mächte durch
Christus, 3) in der Nichtgeschöpflichkeit des Satans als der von Gott
infragegestellten Gegenmacht und 4) mehr oder weniger auch im Wissen
um die Indienststellung des Bösen durch Gott (108 f.).
Die Rückfragen von Sch her an B erschöpfen sich im wesentlichen in
dem inzwischen ermüdend oft vorgebrachten Vorwurf: B vergässe über
dem triumphalen Sieg Christi „den langen mühsamen Weg" zu diesem
Siege, von dem das Schriftzeugnis erzählt (113 f.).
Der exegetische Teil (warum hat L ihn nicht an den Anfang gestellt
und gleich von hier aus B und Sch konfrontiert? Er hätte sich dadurch
manche Wiederholungen ersparen können!) untersucht das Problem
des Bösen nach den Zeugnissen des AT (Kap 4) und NT (Kap 5).
Es geht um die atl Satanologie und — „streng zu unterscheiden"! — Dämonologie
, um Jahwe als „mystcrium tremendum" (Jahwe handelt unter
der Maske des Bösen) (Ex 19 und 20; bes. Gen 32, 22 ff.) (129 ff.), um
Chaos und Chaostiere (bes. Gen 1,2); es folgen „Hinweise" auf die
Gesdiichte vom Sündenfall, die Hiobsproblematik, das Lucifermotiv
(Jes 14, 12 ff.), „auf die Anwendung des Schöpfungsgedankens auf den
Bereich der Finsternis" (Jes 45, 7). Der Abschnitt „Atl. Aspekte" faßt
zusammen: Das AT vertritt keinen absoluten, „sondern höchstens einen
transitorischen Dualismus". Für L's These widitig: Gott „enthüllt sich
dem menschlichen Partner in einem Kosmos . . . von Eigensdiaftcn.
Dagegen wird der Mensch darum zu ringen haben, bis er diesen Gotteskosmos
erkennt, . . . weil ihm eine Eigenschaft Gottes zunächst isoliert
. . . entgegentritt" (Sendlings Denkform!) (154).
Zum Verständnis der Problematik des Bösen im NT wird zuvor die
Position des Spätjudentums erläutert. Der Untersuchung der Satanologie
und — ntl nicht mehr zu trennen — Dämonologie in den einzelnen
Schriftkorpora des NT folgen „Hinweise" auf die Vokabelgruppen
7Tetgd£o), ooyl] fleov, äfiamai o), jrorr/po'c, xaxoe. In seiner Zusammenfassung
(246 ff.) stellt L fest: Die Vielschichtigkeit der atl Problematik
ist im NT konzentriert: „Lehre vom Bösen ist . . . Aspekt der ntl
Christologie".
Kap 6 bringt die „Konfrontation der Exegese mit Sch und B". Da
die Haupteinwände gegen Sch schon in seiner Konfrontation mit B erhoben
sind und sich hier z. T. wiederholen, greife ich den m. E. für L's
eigenen Beitrag entscheidenden Punkt heraus:
Es geht um Sch's nach L vom AT her zu bejahende „Unterscheidungen
in Gott", die ihm eine „monistische Sicht" ermöglichen
, „die einen gewissen Dualismus als Idealmöglichkeit des
Bösen in sich schließt" (254 f.). Nach L liegt Sch richtig, sofern er
„Gottes Güte und Barmherzigkeit" als den „eigentlichen Gottes -
aspekt" dem „Zornaspekt" vor- und überordnet. Er liegt falsch,
sofern er nicht deutlich genug herausstellt, daß Gott „in keiner
Weise Momente des Bösen in sich oder an sich" hat. Darum ist
nicht von einer Zorneigenschaft zu reden, wenn das Sein Gottes
beschrieben wird, sondern . . . vom Handeln Gottes. . . .
Gottes Sein tut sich wohl in einer Fülle von Eigenschaften kund.
Diese Eigenschaften sind aber als Vollkommenheiten in
Gott zu beschreiben und nie als nur mögliche Unvollkommen-
heiten". Hauptfrage an Sch: „ob er der biblischen Sicht der
Gotteseigenschaften als Vollkommenheiten ganz standgehalten
hat". L unterstreicht von der Exegese her: „Die Eigenschaften
Gottes sind in Gott . . . vollkommen; in der Isolierung
außerhalb der Gottheit werden sie böse; m. a. W. böse ist
eine abstrakte, von Gott gelöste Eigenschaft Gottes in der Sicht
des Menschen, der seinen Weg mit Gott nicht bis zum (guten)
Ende . . . gegangen ist."
Kritik an B von der Exegese her: 1): „Sehr starke Verkürzung
aller Fragen des Bösen". Der Sieg Christi überstrahlt alles, so daß
„Refexion über abstrakt Böses" keinen Raum hat. (Über abstrakt
Böses will doch aber auch L nicht reflektieren [271]!!) Es geht hier
(262) um denselben Vorwurf wie vor der Exegese (114), nämlich daß
B den weiten Weg zum Sieg Christi verkürze. 2) trifft B die Mahnung,
er hätte auch als Dogmatiker „verschiedene Gesichtspunkte der Bibel
nebeneinander stehen zu lassen". (Mit der Qumranliteratur wird hier