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Ausgabe:

1965

Spalte:

788-791

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Werdende Kirche in Neuguinea - Kopie oder Original? - 1962 1965

Rezensent:

Staude, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 10

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Perspektive gewonnen, wenn Radhakrishnan eingehender im
religions- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang des gesamten
Neuhinduismus interpretiert worden wäre. Möglicherweise
wäre damit auch zwei Gefahren, denen der Verf. nicht immer
entgeht, besser vorgebeugt gewesen: der Versuchung, die scheinbaren
Absagen Radhakrishnans an die Hindu-Überlieferung zu
überschätzen, und der Tendenz, Radhakrishnan allzu viele Anleihen
beim westlichen Denken und beim Christentum zuzuschreiben
, oder mindestens doch dabei nicht genau genug zwischen
Ursache und Anlaß zu unterscheiden. Der Abschnitt über
Radhakrishnans Menschenbild ist in dieser Hinsicht besonders
aufschlußreich. Was z. B. dem Verf. als Radhakrishnans spezifisch
eigene „Wende . . . von einer Verneinung des Handelns
zu einer Bewertung des Tuns ,aus Gnaden'" erscheint (S. 214),
dokumentiert u. a. durch die angebliche Umdeutung des Begriffs
samnyäsa (Entsagung), beruht bereits auf Eigenheiten der in der
Bhagavädgita aufgenommenen theistischen Tradition. Überhaupt
fragt man sich, ob Radhakrishnan wirklich so oft, wie der Verf.
meint, seine „Chance" eines an der „neuen Wirklichkeit" orientierten
Umdenkens versäumt habe und in den Hinduismus
„zurückgefallen" sei (S. 8 5 f. u. ö.). Wie, wenn Radhakrishnan
faktisch den hinduistischen Bereich gar nicht verlassen hätte,
stattdessen allerdings die dem Hinduismus seit je eignende überbordende
Fülle religiöser und philosophischer Möglichkeiten so
virtuos genutzt hätte, daß der abendländische Beobachter dadurch
in die Irre geführt würde? Daß Radhakrishnan unter dem
Druck der heutigen Weltwirklichkeit auch zu Konsequenzen gezwungen
wurde, die sich von der hinduistischen Tradition weit
entfernen und ihn zu Rückgriffen auf westlich-christliches Gedankengut
nötigen, soll natürlich nicht bestritten werden. Allerdings
wünschte man sich, dabei auch die wichtige Frage des
„idealistisch-humanistischen Ansatzes" bei Radhakrishnan
(S. 25), im Unterschied zu Anleihen beim christlichen Glauben,
ausführlicher erörtert zu sehen.

Dies führt bereits zu der theologischen Absicht des Verf.,
nicht einfach „dem neuhinduistischen Denken entsprechend das
Evangelium wieder verständlicher [zu] machen" (S. 114), sondern
„kritischen Rückfragen an die selbstverständlich gewordenen
Explikationen des christlichen Glaubens standzuhalten" und diejenigen
Impulse aufzunehmen, „die sich einer für den missionarischen
Dialog offenen theologischen Haltung mitteilen" (S. 16).
3ei aller grundsätzlichen Zustimmung zu dieser Absicht und
ihrer Durchführung spitzt sich hier die oben angedeutete kritische
Anfrage erst recht zu: Lassen die Anleihen, die Radhakrishnan
faktisch oder angeblich beim Christentum macht, wirklich
den Schluß zu, daß man es bei ihm mit „verstreuten Teilen
des christlichen Menschenbildes", „Spuren aus dem Offenbarungsbereich
Jesu Christi" (S. 212) und einer „auffallenden
Nähe zur reformatorischen Theologie" (S. 213) zu tun habe, ja
daß „Gott hier auf eine eigentümliche Weise das Evangelium
am Werk sein läßt" (S. 45)? Der Verf. hat diesen seinen
Grundgedanken durch Berufung auf Tillich, J. Sittler, P. D.
Devanandan u. a. unterbaut und führt ihn dort seiner Klimax
zu, wo der herkömmlichen Betonung eines dogmatischen Anspruchs
auf Einzigartigkeit der christlichen Botschaft die Aufgabe
entgegengesetzt wird, daß „die Religionen ... in ihre vorbereitende
Rolle eingewiesen" werden, „in der sie der universalen
Offenbarung dienend ihre Erfüllung finden" (S. 278) — das ist
offenbar mit der „Inbesitznahme der Religion durch das Neue
Sein in Jesus als dem Christus" (S. 279) gemeint. So sehr man
zustimmen möchte, wenn die Kirche und ihre Botschaft über die
Bechränkung auf eine bestimmte Gestalt von Christentum hinaus
gewiesen werden, wenn die neue missionarische Front nicht in
einem bloß innerreligiösen Bereich, sondern in dem „offenen
Raum welthafter Begegnung" gesucht wird, mit allen Folgen
für die Entschränkung eines einseitig auf die individuelle Entscheidung
festgelegten missionarischen Zeugnisses (S. 283) —
man kann die Frage nicht unterdrücken, ob dieser notwendige
Durchbruch nur um den Preis einer Deutung der Religionen zu
haben ist, die von einer bestimmten Geschichtstheologie oder
-ontologie her „jeder . . . sich in religiösem Verhalten bekundenden
menschlichen Situation" die auf das Christusereignis
„vorbereitende" Qualität zuschreibt (S. 279).

Bei aller Bereitschaft, Radhakrishnans Botschaft als „Bußruf
" an die Christenheit und ihre Mission anzunehmen, wird
man schließlich fragen müssen, ob und wie der Verf. für eine
missionarische Begegnung mit Radhakrishnan selbst den Boden
bereitet hat. Mit Recht verzichtet er darauf, auf der Basis
quantitierender Theorien von einer revelatio generalis das
Kompromißangebot der alten Erfüllungstheologie von J. N. Far-
quhar u. a. zu wiederholen. Nach dem Nachweis der verschiedenen
Aporien in Radhakrishnans Position, dem der Hauptteil
der Arbeit gilt, wird festgestellt, daß die christliche Botschaft
bei Radhakrishnan auf „eine bisher nicht gekannte .Immunität'"
(S. 283) stoße. Andererseits wird auf den neuen Universalismus
verwiesen, der „die Erfüllung aller geschichtlichen Vorgänge in
der Reich-Gottesherrschaft angebrochen" sieht (S. 275) und auf
diese Weise das bieten soll, was Radhakrishnans System nicht
oder nur ungenügend zu leisten vermag, wofür es aber kraft
seiner Zuwendung zur „neuen Wirklichkeit" und seiner eigenen
universalen Ausweitung als vorbereitet und vorbereitend gelten
muß; denn von dem Postulat des „Vorbereitungscharakters", den
die Religionen mit den „vielerlei Bewegungen und Anlässen der
Zeit" (S. 275) gemein haben, kann der Neuhinduismus ja nicht
ausgenommen sein. So wird nicht ersichtlich, ob und wie der
Dialog, den der Verf. mit Radhakrishnan führt und dem man
mit gespannter Teilnahme folgt, auf der anderen Seite mehr als,
günstigstenfalls, das Gegenangebot einer „Gemeinschaft des
Geistes" nach Radhakrishnans eigenem Rezept hervorrufen
sollte, womit man dann wieder beim Ausgangspunkt angelangt
wäre und der Dialog von neuem beginnen könnte. Wenn man
Radhakrishnan kennt, darf man sich die Vermutung erlauben,
daß es ihm nicht schwer fiele, in diesem Verfahren letztlich sich
selbst bestätigt zu finden.

Wenn man Indien kennt, wird man sich immerhin daran
halten können, daß Radhakrishnan schwerlich, wie der Verf.
gelegentlich in kühner Verallgemeinerung anzunehmen scheint,
„den Hindu" (S. 43) oder „den indischen Adressaten" der
christlichen Verkündigung (S. 71) vertritt. Wie würden die radikalen
Orthodoxen, wie die großen Massen reagieren, die einer
der theistischen Glaubensrichtungen oder der magisch-mythischen
Volksreligion anhängen? Die Auseinandersetzung mit Radhakrishnan
erreicht eine zwar keineswegs unbedeutende, aber gewiß
nicht allein maßgebende intellektuelle Oberschicht. Das
Gespräch mit ihr ist wichtig, nicht zuletzt, wie der Verf. überzeugend
nachweist, um dessentwillen, was die Christenheit
ihrerseits dabei zu lernen hat. Ob damit die christliche Aufgabe
in Indien in ihrer vollen Größe in Sicht kommt, ist fraglich, wobei
freilich zugegeben ist, daß diese Erwägung über den Scopus
der Arbeit hinausführt. Daß und wie der Verf. sich auf den
Dialog mit Radhakrishnan einläßt, ist sein eigentliches Verdienst
, und der Leser wird es ihm am besten danken, indem er
sich seinerseits zum Dialog mit dem Verf. anregen läßt. Auch
die Bedenken schmälern nicht den Gewinn, der dabei zu erwarten
steht.

Heidelberg Hans-Werner Gensichen

P i 1 h o f c r , Georg, D.: Die Geschichte der Neuendettelsauer Mission
in Neuguinea. Bd. 3: Werdende Kirche in Neuguinea — Kopie oder
Original? Geschichtliches und Grundsätzliches zur Frage des Verhältnisses
von alten und jungen Kirchen. Neuendettelsau: Freimund-
Verlag 1962. 120 S. gr. 8°. DM 9.50.

Umfassen die ersten beiden Bände (zu Band 1 vgl. ThLZ
1963, Sp. 944, zu Band 2 vgl. ThLZ 1965, Sp. 307 ), je rund
300 Seiten, hat dieser dritte und letzte Band des Pilhofersdien
Werkes einen Umfang von 120 Seiten. Nach dem Geleitwort,
das der damalige Neuendettelsauer Missionsdirektor H. Neumeyer
geschrieben hat, trägt diese Darstellung, die vor dem
2. Band erschienen ist, die lebendigen Spuren des heißen Ringens
mit einer anderen Welt und der Gestaltwerdung des Evangeliums
in Gemeinde und Kirche an sich.

Der Verfasser gliedert diesen letzten Band in zwei Haupt-