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Ausgabe:

1965

Spalte:

497-502

Autor/Hrsg.:

Loewenich, Walther

Titel/Untertitel:

Überkonfessionelle Kirchengeschichtsschreibung? 1965

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497

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

498

Überkonfessionelle Kiri

Von Walther von L

In der ThLZ ist, soviel ich sehe, die „Geschichte der Kirche
in ideengeschichtlicher Betrachtung" in Jahrgang 66 (1935),
Sp. 68 f. von Ed. Lempp besprochen worden. Es handelte sich
damals um die 3. Auflage dieses Werkes von 1934. Die 1. Auflage
erschien 1929/30. Nunmehr liegt die 21. Auflage vor1.
Laut Vorwort (VIII) unterscheiden sich die 1.—20. Auflage,
abgesehen von einigen Erweiterungen in der 3. Auflage, nicht
wesentlich voneinander. Die 21. Auflage ist völlig neu bearbeitet.
Wenn ein umfangreiches Werk eine derartige Auflagenhöhe erreicht
, so muß es bemerkenswerte Vorzüge haben. Was ist das
Besondere dieser „Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher
Betrachtung"? Wir beschränken uns im Folgenden auf die Fassung
in der 21. Auflage.

„Ideengeschichtliche Betrachtung" bedeutet nach Lortz:
„Geschichte muß denkend ergriffen und so begriffen werden"
(V). Das ist sehr allgemein definiert und besagt noch wenig
über die Durchführung einer „ideengeschichtlichen Betrachtung".
„Die Geschichte der Kirche kann man nicht aus Ideen ableiten",
schreibt Lortz (6). Eine Erinnerung beispielsweise an Hegel
wäre also hier fehl am Platz. Die Bezeichnung „ideengeschichtlich
" will die Darstellung keineswegs einfach in die allgemeine
Geistesgeschichte einreihen. Im Falle der Kirchen geschiente
ist nach Lortz die „ideengeschichtliche Betrachtung" praktisch
nichts anderes als eine theologische und theologiegeschichtliche
Betrachtung. Man kann fragen, ob das Wort „ideengeschichtlich"
nicht schon im Titel besser durch die Bezeichnung „theologisch"
ersetzt werden sollte. Denn um eine theologische Bewertung und
Beurteilung der einzelnen Ereignisse der Kirchengeschichte handelt
es sich bei Lortz durchgängig, nicht um „Ideen zur Geschichte der
Kirche". Es liegt Lortz sehr viel daran, zu betonen: Kirchengeschichte
ist Theologie im vollen Sinne, nicht theologische Hilfswissenschaft
(V). Insofern die Kirchengeschichte neben der natürlichen
Erkenntniskraft des Menschen die Offenbarung als Erkenntnisquelle
und Erkenntnismaßstab verwendet, kann Lortz sogar formulieren
: „Kirchengeschichte ist Heilsgeschichte" (VI). Diesem
Satz liegt natürlich ein bestimmter Begriff von Kirche zugrunde.
Die Kirche ist, als mystische Fortsetzung der Inkarnation des
Logos, etwas Göttliches; sie stellt aber zugleich die Geschichte
dieses Göttlichen auf Erden dar. Durch die Inkarnation wollte
Gott teilhaben an der menschlichen Geschichte. Darum stoßen
wir in der Kirchengeschichte auf das Zusammensein von Göttlichem
und Menschlichem als Folge der Inkarnation (VI). Deshalb
kann eine profangeschichtliche Darstellung der Kirchengeschichte
ihren Gegenstand gar nicht wirklich erfassen. Es ist weiterhin
klar, daß mit der Begründung der Kirche in der Inkarnation dem
menschlichen Faktor in der Geschichte der Kirche ein großes
Gewicht beigelegt werden kann. „Denn obschon die Kirche
göttlich ist, hat sie doch eine wirkliche Geschichte" (3). Infolge
dieses durch die Begründung in der Inkarnation von vornherein
mitgesetzten menschlichen Faktors läßt sich im Sinne
von Lortz der Satz theologisch (!) rechtfertigen: „Die Entwicklung
der Kirche verlief nicht nur gradlinig" (5). Es wäre
„kleingläubig", wollte man die „vielen Schwächen, Belastungen
und Spannungen" aus der Geschichte der Kirche wegzuerklären
versuchen (5). Das Reich Gottes ist zwar schon unter uns, wird
aber in seiner Vollkommenheit erst am Ende der Zeiten hereinbrechen
(5). Trotzdem ist die Kirche „im Kern unfehlbar und
irrtumslos unwandelbar" (6). Dieses „unwandelbar Göttliche in
der Geschichte der Kirche" läßt sich freilich „nur im Glauben
ganz erfassen". Aber dieser Glaube muß nicht notwendig von geschichtlicher
Kritik getrennt sein (6). So verhilft also die Geschichte
der Kirche dazu, einen richtigen Kirchenbegriff auszubilden
. Eben damit erweist sich die Kirchengeschichte als theologische
Disziplin.

') Lortz, Joseph: Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher
Betrachtung. 21..völlig neubcarb. Aufl. Bd. I: Altertum und Mittelalter.
XX. 526 S. m. 27 Ktn., 22 Taf. Kart. DM 38.— ; Lw. DM 43.—. Bd. II:
Die Neuzeit, VIII, 590 S. m. 19 Ktn., 24 Taf. Kart. DM 46.— ; Lw.
DM 52.—. Münster/W.: Aschendorff [1962/64]. 4°.

Lengeschichtsschreibung ?

e w e n i c h, Erlangen

Von diesen Voraussetzungen aus ist Lortz in der Lage, die
Ambivalenz kirchengeschichtlicher Tatsachen in erstaunlichem
Maße in seine theologische Betrachtung einzubeziehen. Er lehnt
den historischen Relativismus ebenso ab wie die „falsche Trennung
zwischen einer .idealen' und einer .realen' Kirche" (7). Aber
er kommt dieser Betrachtung von einer anderen Seite her insoweit
entgegen, als ihm eine Deutung der Geschichte ohne den
Hinweis auf die „felix culpa", auf die „sinnvolle Schuld" (7) als
unzulänglich erscheint. Durch den Gedanken der „sinnvollen
Schuld" werden Irrtum und Schuld in der geschichtlichen Erscheinung
freimütig zugegeben und zugleich der „geschichtlichen Sinnlosigkeit
" entnommen (7). Irrtum bleibt Irrtum, und Sünde bleibt
Sünde, aber Gottes Heilsplan macht auch das Irren der Menschen
seinem heiligen Willen dienstbar. Dieses Urteil über die Kirchengeschichte
kann als letzte Aussage über Gottes Vorsehung auch
von reformatorischer Theologie bejaht werden; nur wird letztere
in concreto eine stärkere kritische Zurückhaltung in der Anwendung
dieses letzten Maßstabes für geboten erachten, als dies vom
katholischen Kirchenbegriff aus als notwendig erscheint. Die Erinnerung
an die Verborgenheit der wahren Kirche im Glauben
macht für reformatorisch bestimmtes Denken die katholische
Zusammenschau von Wesen und Erscheinung der Kirche und
den Gedanken von der göttlich-menschlichen Einheit der Kirche
problematisch. Trotz mancher gleichlaufender Versuche von Seiten
evangelischer Theologie wird es sich nicht empfehlen, die Kirche in
ihrer Geschichte als Fortsetzung der Inkarnation des Logos auf
Erden zu verstehen. Die Geschichte der Kirche steht, wie der einzelne
Gläubige, unter dem „simul" der Rechtfertigung, das bekanntlich
keinen habitus, sondern ein „Urteil" bezeichnet. Es
bleibt aber bemerkenswert, wie weitgehend Lortz die reformarische
Diastase in seine katholische Synthese einzubauen vermag.
Man höre dazu folgenden Satz: „Auch die Kirchengeschichte enthüllt
als Kern des christlichen Bekenntnisses die Theologie des
Kreuzes" (16).

Lortz wehrt sich gegen den Vorwurf, die kirchengeschichtliche
Problematik „zu leicht und zu schnell katholisch harmonisiert
" zu haben (VII). Unter Ablehnung des „modernen
Subjektivismus" und der „liberalistischen Freizügigkeit" bekennt
er sich „selbstverständlich" zu der These, „daß wir nur durch
die Kritik hindurch" zu einem „gültigen Bild" der Kirchengeschichte
gelangen (VII), möchte aber dabei „kritisch" und
„kritizistisch" scharf unterscheiden (ib). Der Kritizismus zerstört
die „gesunde Spontaneität der Kontaktnahme mit dem Vorgegebenen
" und verkennt, daß menschliche Erkenntnis nicht nur
eine Tätigkeit des Intellekts ist (VII). Diese Unterscheidung
leuchtet grundsätzlich ein; im Einzelfall wird man des öfteren
verschiedener Meinung sein können, wo die Grenzlinie läuft.
Die kritische Haltung gegenüber der Geschichte der Kirche bleibt
jedenfalls bei Lortz nicht bloß eine ideale Forderung, sondern
wird von ihm auch praktisch verwirklicht, wenn man auch über
die Tragweite dieser Kritik wiederum verschiedener Meinung
sein kann. Seine theologische Grundkonzeption ermöglicht
Lortz eine geradezu virtuose Handhabung des nach allen Seiten
hin abwägenden historischen Urteils und ein erfolgreiches
Bemühen um konfessionelle Toleranz. So steht seine Geschichtsschreibung
unter dem Zeichen ökumenischer Begegnung (IX).
Von da aus erklären sich die besondere Berücksichtigung der
Reformation und die „einigermaßen" (X) ausführliche Darstellung
der Geschichte der Ostkirchen.

Es ist unmöglich, der Schilderung des geschichtlichen Verlaufes
bei Lortz im Einzelnen referierend und kritisch nachzugehen
. Wir greifen nur einiges heraus, was zu ihrer Charakterisierung
dienen mag. Die Darstellung des Urchristentums ist ziemlich
konservativ gehalten (3 3 ff.). Die Religion Jesu ist „frei von
allen zeitgeschichtlichen Bedingtheiten" (37). Die „Brüder Jesu"
sind keine solchen „im eigentlichen engeren Sinn" (36). Jesus
hat die Kirche „auch als sichtbare Gesellschaft und geschichtliche
Gemeinschaft" gegründet (37). Zu Gal 2, 11 ff. heißt es: „Eine
bedeutsame Tatsache: Der Fels der Kirche, der oberste Apostel,