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Ausgabe:

1965

Spalte:

440-442

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Von den Mysterien zur Kirche 1965

Rezensent:

Hegermann, Harald

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439

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

440

(DM oder DMS = dis manibus sacrum, domus aeterna). Die
dornenvolle Aufgabe der Zeitrechnung nimmt sich P. Bruun vor.
(Die meisten Inschriften stammen begreiflicherweise aus der Zeit
nach 313, als das Christentum geduldet war.)

Die drei weiteren Bände, die uns heute vorliegen, bringen
Forschungsergebnisse; sie führen zum Teil das weiter, was in den
commentarii geboten ward.

J. Kajanto (2, 1) erörtert, nicht nur für die Christenheit und
nicht nur für die Stadt Rom, die Namengebung. Sie ist bei den
Römern, wenn man z. B. die Griechen vergleicht, etwas umständlich
: der Grieche bedient sich in der Regel eine6 einzigen
Namens; der Römer braucht ihrer drei (praenomen, nomen, cog-
nomen). Dafür bietet der lateinische Name nicht nur die Bezeichnung
eines Einzelnen, sondern weist ihm zugleich einen Platz
in der Gesellschaft an. Aber in der römischen Kaiserzeit wird es
weithin üblich, die Zahl der Namen zu beschränken. Der Apostel
Paulus sollte als römischer Bürger einen dreiteiligen Namen
haben, nennt sich aber (wenn wir von seinem jüdischen Namen
absehen) immer nur Paulus (also mit dem cognomen). Religiöse
Einflüsse spielen hier mit herein: sie heben gern hervor, daß vor
der Gottheit die einzelnen Gläubigen gleich sind (vgl. die dionysische
Inschrift der Agrippinilla aus der Gegend von Rom). Für
den Theologen ist wichtig, daß die Christen sich geradezu ein
eigenes Namensystem schaffen, wie die Juden (Ansätze einer
solchen Entwicklung finden wir z. B. auch bei den Gläubigen der
Isis und des Mithra). Das System wird nicht mit voller Strenge
durchgeführt. Wie wir schon aus dem Neuen Testament lernen,
finden Christen nicht selten auch solche Namen tragbar, die
heidnische Götternamen enthalten: von einer magischen Wirkung
des Namens sind sie wohl meist nicht überzeugt (anders z. B. die
Geschichte von Joseph dem Zimmermann 26, 6 S. 22 Morenz).
Aber es wird mehr und mehr üblich, für die Kinder Namen aus
der Bibel zu entnehmen, aus dem Alten Testament (z. B. S. 93 f.
Susanna), erst recht aus dem Neuen; dann Namen von Märtyrern
oder überhaupt Heiligen zu wählen oder Namen, die an christliche
Feste erinnern, wie Paschasios. Besondere Beachtung wird
dem Namen Thekla gewidmet (S. 99). Über den Namen Maria
wären weitere Forschungen anzustellen. Heute soll Anna der
häufigste Eigenname sein; er kommt in den Registern Kajantos
nicht vor, obwohl die Gestalt der heiligen Anna bereits dem
zweiten Jahrhundert angehört.

H. Nordberg erweitert seine Forschungen über das Alter der
römischen Christen (in 2, 2) und verwandte Fragen. Er legt für
seine Statistik weit über 10 000 Inschriften zu Grunde (S. 7).
Sein Hauptergebnis war, angesichts seiner kürzeren Darlegung in
den commentarii, oben bereits mitgeteilt. Er achtet dabei auch
auf die äußere Form der Inschriften, besonders aber auf ihre
Genauigkeit. In manchen Fällen wird eine Mitteilung auf der Inschrift
selbst als ungenau bezeichnet, durch vorgesetztes p. m. =
plus minus, oder es wird deutlich, daß eine Angabe abgerundet
ist. Geburtstage prägen sich stärker ein als Geburtsjahre, zumal
wenn es keine einheitliche Zeitrechnung gibt. So achtet unser
Verf. auch auf Geburtstage, soweit solche überliefert sind: es
gibt auf seinen Inschriften 524 Angaben über Geburtstage; die
große Masse fällt in die Zeit von Dezember bis März (S. 72).
Auch über Heiratsalter und Dauer der Ehe finden wir nur selten
eine Mitteilung, für Frauen in 125 Fällen; rechnungsmäßig ergibt
sich ein Heiratsalter von 20,4 Jahren; aber die Statistik zeigt
zugleich (Tafel S. 68), daß die Mädchen am liebsten mit 15 bis
18 Jahren Hochzeit feierten. Das Heiratsalter des Bräutigams ist
in 5 3 Fällen überliefert und lag bei 26,5 Jahren, am liebsten
wahrscheinlich niedriger.

An letzter Stelle (2, 3) behandelt J. Kajanto griechische
Grabschriften in Rom, und zwar nur heidnische; sie beginnen im
1. Jhdt. vor Chr.; die große Masse gehört in die römische Kaiserzeit
. Benutzt werden vor allem Inscriptiones Graecae XIV und
das Supplementum epigraphicum Graecum. Es wird besonders auf
die Form der Inschriften geachtet. Dabei ergibt sich eine wechselseitige
Durchdringung lateinischen und griechischen Wesens, die
hier mit besonderer Sicherheit und Genauigkeit festgestellt werden
kann (S. 20 ff.). Wichtigstes Kennzeichen griechischer Art

sind dabei die sog. Acclamationen: Der Tote wird angesprochen
oder auch der Vorübergehende usw., mit chaire, eupsychei u. dgl.
S. 39 ff. Wir erinnern uns hier, daß in der christlichen Römergemeinde
noch zu Hippolyts Zeiten (nach 200) griechisch gesprochen
wurde; das änderte sich erst im Laufe des 3. Jahrhunderts
. Wir wären dem Verf. dankbar, wenn er sich einmal
ausführlicher über den Unterschied griechischer und lateinischer
Grabinschriften äußerte. Vergleichen ist eine wichtige Grundlage
aller Wissenschaft.

Johannes Le ip .> 11! tf

L e i p o I d t, Johannes f: Von den Mysterien zur Kirche. Gesammelte
Aufsätze. Leipzig: Koehler und Amelang 1961. 404 S. 8°. Lw.
MDN 15.-.

Der Sammelband vereinigt dreizehn inhaltlich verwandte
Arbeiten des kürzlich heimgegangenen hochverdienten Forschers
und Lehrers aus den Jahren 1928 bis 1960. Das Gros
der Beiträge ist in der Reihenfolge der Zeitabschnitte vorgelegt
, die darin vorwiegend behandelt werden. Dazu kommen
akzentgebende Rahmenstücke: Die beiden ersten Arbeiten
sind von grundlegendem und zusammenfassendem
Charakter, während die drei ans Ende gestellten das religionsgeschichtliche
Material für die Gegenwart aktualisieren wollen.
Das Buch ist offenbar nicht nur für den Theologen, sondern auch
für den gebildeten Laienchristen bestimmt und ist dazu in seiner
Verständlichkeit und Anschaulichkeit zweifellos geeignet. Bei
aller Verschiedenartigkeit geht durch die hier vereinigten Arbeiten
eine große Linie, die der Titel zum Ausdruck bringt: Die
Bedeutung der griechischen Mysterienreligionen für die Geschichte
des Christentums soll gesehen und soll wegen der religiösen
und sozialen Werte, die sie enthalten, bejaht werden, wobei
L. das Christentum in seiner zentralen Intention als Vollendung
der Mysterien zeichnen möchte. Demgegenüber wird die
religionsgeschichtliche Bedeutung des Judentums durch vielfältige
Betonung des Trennenden und des urchristlichen Neuansatzes
abgeschwächt.

Die beiden gundlegenden Eingangsstücke (Die Mysterien —
Die frühe Kirche im Lichte der Religionswissenschaft) umfassen
fast ein Drittel des Bandes. Meisterhaft versteht L. die Welt der
Mysterien anschaulich zu machen und zugleich der wissenschaftlich
-kritischen Problematik gerecht zu werden. Die Darstellung
der frühen Kirche setzt betont bei dem vorösterlichen Wirken
Jesu an und hebt hier stark vom jüdischen Hintergrund ab. Jesu
,,Gefühl der Einheit mit Gott und die Kraft der Nächstenliebe"
seien „das persönliche Geheimnis Jesu; auf ihnen beruht seine
fortwirkende Kraft" (62). Von hier aus sei Jesu Predigt und
Leben bestimmt mit dem Ergebnis, daß die jüdische Gesetzesreligion
überwunden wird. Das Judenchristentum fällt in wichtigen
Punkten in das Judentum zurück. Das frühe Griechenchristentum
dagegen setzt Jesu Weg mutig fort, beginnt die gesetzesfreie
Heidenpredigt, entwickelt den opferkultfreien Gottesdienst
, ist „Schöpfer des Herrentages" (69). Als man in den
beginnenden theologischen Auseinandersetzungen unsicher zu
werden droht (70), sichert Paulus den begonnenen Weg und
wird der führende Theologe. In erster Linie aber fühlt Paulus
sich als Misionar, und die „Hauptmittel des Paulus, Griechen zu
gewinnen, liefern die griechischen Mysterien" (72). Taufe und
Herrenmahl deute Paulus mysterienhaft, der Wortgottesdienst
entspreche den dionysischen Feiern, die Christologie zeichne
Jesus als den „Herrn des christlichen Mysteriums" (77). Ist der
Ursprung des Eigentlich-Christlichen mit Jesus neu und unableitbar
gesetzt, so schaffen und bieten die Mysterien „die äußere
Form, in der das Christentum einen guten Teil der Welt erobert
" (49), nachdem sie zuvor schon dem Judentum missionarische
Erfolge vermittelt hatten (44—47). Aber auch im Kern des
Christlichen konnten die Mysterien bedeutsam werden, weil
analoge Strukturen vorhanden waren.

Die folgenden Beiträge sind geeignet, solche Thesen von
verschiedenen Seiten her zu begründen und zu stützen. Wir
müssen wegen der Vielfalt des Gebotenen auf eingehendes
Referieren und erst recht auf breite Diskussion verzichten.

Der kleine Aufsatz über „Gebet und Zauber im Urchristen-