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Ausgabe: | 1965 |
Spalte: | 272-273 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Olivier, André |
Titel/Untertitel: | Apocalypse et Evangiles 1965 |
Rezensent: | Lohse, Eduard |
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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4
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machen würde. Sie gibt dem sich wiederholenden Grundgedanken
ein) immer anderes Gesicht, so daß der Leser trotz der
Wiederholungen nicht ermüdet. Manche Stellen sind einfach
schön. So etwa folgende Kennzeichnung des Betens und des
Beters. „Et pour savoir ce qu'est la priere, il n'est pas inutile
de regarder se tendre vers le ciel, toujours allongees, les tiges
des fleurs, de regarder leurs petales qui s'ouvrent, et s'ouvrent
comme pour tenir plus de lumiere, et leur corolle dilatee,
fixant le soleil, comme un regard qui ne veut pas se fermer"
(S. 11). „Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen...
(Mörike).
Man sollte meinen, eine Theologie des mystischen Leibes
müsse mit einler Lehre von der Kirche beginnen, um von da aus
etwa im Anschluß an Kol. 1, 15 und andere neutestamentliche
Stellen weitere Kreise zu ziehen. Aber Mersch geht den umgekehrten
Weg. Der erste Teil seines Buches, in dem die onto-
logischen Grundlagen seiner Theologie des mystischen Leibes
gelegt werden sollen, hat die Überschrift ,,L'homme et l'uni-
vers"; im zweiten geht es um das Bewußtsein von der Einheit
dieses Leibes. Er ist überschrieben: „L'unite: La conscience
humaine du Christ et la conscience des Chretiens". So schreitet
der Gedankengang von der Kosmologie zur Anthropologie und
erst vonl da aus zum theologischen Mittelpunkt und zur praktischen
Anwendung.
Zwischen dem Weltganzen (I'univers) und dem Menschen
besteht eine wechselseitige Beziehung. Der Mensch steht physiologisch
in Abhängigkeit von der Natur; sein Körper hat
eine chemische Verwandtschaft mit ihren Elementen; er ist durch
die Luft, die er atmet, die Nahrung, die er aufnimmt, mit ihr
verbunden; die Landschaft und das Klima, in denen er lebt,
haben unmittelbaren Einfluß auf seine Seele, sie bestimmen
weitgehend seine Lebensnotwendigkeiten, seine Lebensgewohnheiten
und sein Verhalten. Umgekehrt aber gilt, daß der geistige
Gehalt (la pensee), der Felsen und Wolken entströmt
(emane) und in der Biochemie und Geologie zum Gegenstand
wissenschaftlicher Erkenntnis wird, erst im Menschen Gestalt
gewinnt (se forme) (30). Von da aus kommt Mersch zu der
These: Das ganze Universum ist im Innersten (intrinsequement)
menschlich, so wie der Mensch körperlich wie seelisch und geistig
im Innersten kosmisch ist. Die Welt findet sich im Menschen
wieder und der Mensch in der Welt (37).
Das gleiche Verhältnis besteht zwischen der Menschheit
und den einzelnen Menschen. Erbgang, Milieu, Sprache verbinden
jeden mit jedem. Einbildungskraft, Gedächtnis, Verstehen,
Handeln und Leiden machen den Einzelnen offen für das Ganze
der Menschheit. So sind in jedem Menschen alle Menschen virtuell
gegenwärtig . . . jeder menschliche Erkenntnisakt stellt
einen Kontakt mit der Gesamtheit aller Menschen her (70). So
dringt die Menschheit gleichsam in den einzelnen Menschen ein;
er selber wird mit ihr zu einer substantiellen Einheit.
Der dritte Schritt, also der von der Kosmologie und
Anthropologie zur Theologie des mystischen Laibes, ist ein
Schritt in die Zukunft (unite de l'humanite qui est encore ä
venir). Mersch bezeichnet ihn als „natürliche Eschatologie" (87).
Der Sache nach geht es um die endgültige Bestimmung der
Menschheit. In ihr erreicht die natürliche Einheit des Menschen
mit dem Weltganzen und mit der gesamten Menschheit in der
übernatürlichen Einheit mit Gott ihren Gipfel. Das Mittelglied
ist Christus, der Gott-Mensch. Es ist charakteristisch, daß auch
bei diesem Übergang zum Übernatürlichen die Freiheit und die
Verantwortung des Menschen entschieden betont wird. Versteht
man unter der größten Seinsfülle (comble d'etre), die überhaupt
zum Ausdruck gelangen kann, das Ziel (fin) der Menschheit, so
muß man zuerst nicht von Gott, sondern vom Menschen reden,
— selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß das wahre
Menschsein auf der Teilhabe an Gott unid der Analogie mit ihm
beruht (89). Der Mensch ist nur dann wirklich frei, wenn er
verwirklicht, was er durch Gott schon ist. Dies geschieht durch
das Sichöffnen für die Gemeinschaft, und zwar auf der Grundlage
der natürlichen Beziehungen in Ehe, Familie, Beruf, Freundschaft
und gesellschaftlichem Umgang, nicht durch moralische
und rechtliche Vorschriften, erst recht nicht durch ein Sich-
hinein-stürzen (plonger) in alltägliche Konflikte, Rivalitäten
und Parteien mit ihren Leidenschaften, Feindschaften und auseinandertreibenden
Strebungen. Die Erkenntnis der Einheit des
mystischen Leibes führt in der entgegengesetzten Richtung über
das Wissen um die Menschlichkeit des Universums und die
wesenhafte Einheit alles Menschseins zum Anschauen Gottes
(vision beatifique), zwar reicht so, daß unser Auge direkt in die
göttliche Sonne blicken kann, wohl aber so, daß der Mensch in
einem übernatürlichen Zustand (divinise) Gott erkennt, wie
dieser sich selbst erkennt, mag man das nun Glauben (foi) oder
Schauen (connaissance definite) nennen (103).
Der zweite große Abschnitt des Buches zieht aus dieser
Metaphysik des mystischen Leibes die theologisch-praktischen
Folgerungen. Seine Überschrift lautet: „L'unite: La conscience
humaine du Christ et la conscience des Chretiens". Nicht
Glaube und Glaubensgehorsam sind also der Weg zum Heil,
sondern das zunehmende Sich-bewußt-machen der Realität des
mystischen Leibes. Zwar hat nur Gott allein ein vollkommenes
Bewußtsein von sich selbst, das zugleich ganz innerlich und ganz
umfassend ist (total). Aber Gott ist in seiner Inkarnation „auf
eine stille und zarte Weise unseren menschlichen Wegen nachgegangen
". Christus ist der erste in der Ordnung derer, in denen
und durch die jene übernatürliche Einheit von Gott und
Mensch aufleuchtet. Er gibt das Bewußtsein davon an alle wahren
Christen weiter. Als Glieder des mystischen Leibes sind sie
ganz von innen her (intrinsequement) und wesenhaft (ontologi-
quement) mit ihm verbunden; der durch die göttliche Gnade
bewirkte Rang des Seins greift verwandelnd in die Substanz
der menschlichen Seele ein (l21).
Von da aus ergibt sich die ethisch-pädagogische Aufgabe.
Das Gegenstands-Bewußtsein, das nicht nur die heutige Wissenschaft
, sondern auch die Theologie beherrscht, muß überwunden
werden. Es muß zurückgeführt werden (reduire) auf jenes Ursprungsbewußtsein
von der Einheit des mystischen Leibes. Das
geschieht äußerlich durch eine entsprechende Sinndeutung der
säkular-wissenschaftlichen Erkenntnisse, innerlich (d. i. in der
Theologie) durch Angleichung der Vernunft an den Glauben
und umgekehrt. Nur die „halben Christen" sehen Glauben und
Wissen als zwei trennbare Akte an. Denn alles echte Denken
ist ein Akt des Zusammenwachsens (adherer) mit dem Gedachten
, somit ein Akt des Glaubens und der Liebe (136). Wer
wirklich erkennt, wird eins mit dem, was er erkannt hat. So
ungefähr sagt Piaton auch, und es ist bemerkenswert, daß in
einer Zeit, in der die gewalttätige Vernunft des homo faber alles
zu beherrschen scheint, auch diese uralte Auffassung vom Erkennen
ihre Verteidiger hat. Es ist wichtiger, so sagt Mersch,
über den Christus der Evangelien nachzusinnen (contempler) als
über Prinzipien zu vernünfteln (raisonner).
Der Rezensent könnte nun nach den Vorläufern dieser
Mystik fragen, Er könnte sie auf ihre neutestamentliche Berechtigung
hin untersuchen. Er könnte als Dogmatiker an ihr
Kritik üben. Er könnte sie schließlich in unsere heutige Wissenschaftssituation
hineinstellen und fragen, ob sie Aussicht auf
Gehör hat oder gar einen Umschwung des Denkens bewirken
könnte. Aber wozu? Die aufmerksamen und theologisch gebildeten
Leser der Theologischen Literaturzeitung können das
ebensogut selber tun.
Mainz Friedrich D oleka t
O 1 i v i e r, Andre: Apocalypse et Evangiles. I.: Introduction, Annexes.
II.: Texte et Traduction. Saint-Maurice (Seine): Cite „La Thebaine"
1960. IV, 140 S. u. 28 S., 22 Ausklapp-Bl. m. Handschr.-Faks. 4° =
Cahiers de Litterature Sacree.
Diese Untersuchung ist nach der ausdrücklichen Erklärung
ihres Verfassers in der Absicht verfaßt worden, „sous le radieux
soleil de la Tradition" (S. 15) ans Werk zu gehen. In dem einleitenden
Forschungsbericht über die Apokalypse wird zunächst
mit Genugtuung festgestellt, daß unter den rund 200 katholischen
Kommentatoren, die im Laufe der Kirchengeschichte das
letzte Buch der Bibel ausgelegt haben, keiner von der Auffassung
abgewichen sei, daß „Jean l'Apotre est l'unique auteur de l'Apo-
calypse, ouvrage d'une seule venue, redige d'apres les reelles