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Ausgabe:

1965

Spalte:

262-263

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Le pouvoir et le sacré 1965

Rezensent:

Mann, Ulrich

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261

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

262

tausch zwischen den Vertretern der Religionen, sowohl in Institutionen
als auch auf Kongressen, mit dem Ziel gegenseitigen
Verstehens (wobei als spezielle Aufgabe gilt, „Aussagen über Religionen
ZU erarbeiten, die zumindest innerhalb zweier religiöser Traditionen
gleichzeitig verstanden werden können" (98), 4. der gesamtmenschheit-
liche Bezug, denn in der Religionswissenschaft ist der Mensch im Grunde
sein eigener Gegenstand (101). S. tritt daher für eine „multireligiöse
Aufgeschlossenheit" des Forschers ein. Mir erscheinen diese und andere
Formulierungen zwar beachtenswert, aber letztlich eine Gefährdung des
Wissenschafts Charakters der Religionswissenschaft zu bedeuten2.
Auch sind sie vielzusehr von den gegenwärtig noch lebenden Religionen
her konzipiert: die Religionswissenschaft hat es ja nicht nur mit diesen
zu tun. — Auch M. Eliade, Methodologische Anmerkungen
zur Erforschung der Symbole in den Religionen
(106—135; 86—107), geht auf die allgemeine Aufgabe der
Religionswissenschaft ein und sieht sie in erster Linie in der Hermeneutik
, d. h. im Verstehen des vom Philologen und Historiker vermittelten
Materials aus der Perspektive der Religionsgeschichtc (112). So
ist das religiöse Symbol einerseits in seiner historischen Situation,
andererseits in seiner Struktur oder religiösen Bedeutung zu erfassen
(115 f.). Wer 6ich für E.s weitgespannte und anregende Forschungen
interessiert, sei auf diese grundsätzlichen Ausführungen verwiesen. Man
ersieht aus ihnen sehr deutlich die im Grunde ahistorische, rein phäno-
menologisch-abstrakte Zielsetzung. Einen anderen Standpunkt vertritt
R. Pettazzoni. Das höchste Wesen: Phänomenologische
Struktur und historische Entwicklung
(l36—146; 59—66). Er präzisiert hier seine bekannten Auffassungen,
indem er den Begriff „Höchstes Wesen" nicht auf die „himmlischen
Wesen" beschränkt wissen will, sondern auch auf die „Mutter Erde"
und den „Herrn der Tiere"'1 anwendet. Al6 einheitliche Wurzel dieses
Hochgottglaubens sieht P. die „Existenzangst" an (145). Für P. kann
die Rcligionsphänomenologie „an der Wirklichkeit der elementaren
Kulturformen nicht vorübergehen, weil diese historisch-kulturelle Wirklichkeit
, wenn auch nur in ihrer ökonomischen Eigentümlichkeit, auch
das religiöse Leben im ganzen betrifft" (144). Jede Struktur ist an ihre
historische Form gebunden, durch die sie bedingt ist und in der sie 6ich
widerspiegelt. Daher kann die Religionsphänomenologie der Geschichte
nicht entraten: „sie ist das religiöse Verständnis der Geschichte und
Geschichte selbst in ihrer religiösen Dimension" (146). — Gleichfalls
der Religionsphänomenologie sind die Darlegungen von J. D a n i e 1 o u,
Die Phänomenologie der Religionen und die Religionsphilosophie
(147—174; 67—85) gewidmet. Es handelt
sich um eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Henry Dumery',
der eine rationalistische Rcligionsauffassung in der Nachfolge Plotins
und Spinozas vertritt und, um der Wahrung unbedingter Transzendenz
willen, alle religiösen Ideen und Bestimmungen als Schöpfungen des
Menschengeistes betrachtet (wobei er auch Kritik am Kerygmatismus
Bultmanns übt (171). Nach seinem christlich-katholischen Kritiker
hat Dum. das Kernproblem der heutigen Religionswissenschaft gestellt,
nämlich „die Organisation des Materials in einem umfassenden Sinn-
zusammenhang" (169), wodurch die Arbeiten von Wach, v. d. Leeuw
und Eliade fortgeführt werden könnten (174). M. E. muß sich die
Religionswissenschaft hüten, derartige rein religionsphilosophische
Fragestellungen in ihr Programm aufzunehmen, sie kann zwar zu
solchen hinführen, sie aber nicht beantworten. — Das gleiche gilt
auch für die „metahistorischen" Bemerkungen von L. M a s s i g n o n,
Der Begriff einer „wirklichen Elite" in Soziologie
und Geschichte (175—184; 108—114), der eine psychologische
Introspektion als ergänzende Methode der Soziologie empfiehlt,
um einer jeweiligen „wirklichen Elite" (real elite) religiöser Menschen
auf die Spur zu kommen, ohne die kein gesellschaftliches Kollektiv
bestehen (daher ..apotropäisch 'genannt) und erforscht werden kann. —
Den Abschluß bildet ein aufschlußreicher Überblick über die „Religionsgeschichtc
in Amerika" von J. M. Kitagawa
(185—229; 1—30). Es ist interessant festzustellen, daß in den USA
eine ähnliche Entwicklung wie in Europa stattfand: die Einrichtung
religionsgeschichtlichcr Lehrstühle in der 2. Hälfte des 19. Jhdt.s (1867
in Harvard, 1 873 in Boston. 1892 in Chicago), das Zurückgehen des
Interesses nach dem 1. Weltkrieg im Zusammenhang mit einer theologischen
Renaissance (204 f.) und die immer noch akute Problematik der
Religionswissenschaft als akademischer Disziplin (uns seit Harnack wohl
Vertraut/); seit dem 2. Weltkrieg ist ein zunehmendes Interesse für
Religion und Rcligionsgc6chichte sichtbar geworden (195 f., 198 ff.). K.
hat in diesem Zusammenhang auch grundlegende Fragen berührt
(206 ff.) und folgt dabei in der Hauptsache seinem Lehrer Wach (212)
unter Aufnahme von gewissen Intentionen Eliades (216). Seine Charakterisierung
der Religionswissenschaft scheint mir realistischer zu sein

-) Vgl. auch ThLZ 1964, Sp. 654.

*) Dagegen neuerdings Ivar Paulson in: History of Religions Vol. 3,
1963 (Nr. 2 Winter 1964), S. 202—219, spez. 216 ff.

') Critique et Religion, Paris 1957; Philosophie de la Religion,
2 Bde, Paris 1957; Le Probleme de Dieu. Brügge 1957.

als die von Smith und findet meine volle Zustimmung. Nach K. steht
die Religionswissenschaft zwischen den normativen und deskriptiven
Disziplinen: sie ist wohl selbständig, aber auch von beiden Bereichen
abhängig (das wird am Beispiel der Religionssoziologie erläutert) denn
es gibt keine rein religiösen Phänomene (216). K. wendet sich auch gegen
eine Tendenz, den westlichen Wissenschaftsbegriff zu entwerten,
und bemerkt m. R., daß es nur eine Wissenschaft gibt und auch im Osten
eine Theologisierung der Religionswissenschaft sichtbar ist (220). Eine
strenge Scheidung von der Theologie ist nötig (227). In Abwandlung
eines Wortes von J. H. Newman sagt K., „daß wir dem Unterricht der
Religionsgcschichte eine intellektuelle und nicht eine religiöse Funktion
im traditionellen Sinn des Wortes zuerkennen" (228, engl. 29). Als
Kernproblem nennt K. die Koordination und Zusammenarbeit zwischen
den unterschiedlich ausgerichteten Religionswissenschaftlern und den
Nachbardisziplinen (221 f.). Das Anliegen zukünftiger Forschung muß es
sein, die Ganzheit einer Religion, d. h. die „interne Übereinstimmung"
(internal consistency) der verschiedenen Aspekte einer Religionsgemeinschaft
zu berücksichtigen und die „Adhäsion" (adhesiveness) zwischen
diesen Aspekten „zu fühlen und zu begreifen" (222—22 5).

Den Herausgebern ist dafür zu danken, daß sie durch dieses
Buch der Religionswissenschaft als einer eigenständigen Disziplin
einen beachtenswerten Dienst erwiesen haben, und für die
deutsche Ausgabe gilt dem Verlag, M. Vereno und den Übersetzern
unser Dank.

Einige Druckfehler und Versehen seien im Hinblick auf eine ev.
Neuauflage notiert: 42,14 1. religion; 62,4 1. est l'amour (Zitat von
Renan); 69,3 „säkulare Größen" ist eine unpassende Übersetzung von
„men of renown"; 234, 5 v.u. (= engl. 144 A. 60) 1. Koetschau; 248,
13 v.u. 1. Frazer; 260 A. 13 erg. 2. Aufl. S. 777; hier liegt kein Zitat
von Wach vor, sondern ein Verweis v. d. Leeuws auf Wach, Religionswissenschaft
(so auch die engl. Ausgabe), die Seitenangabe ist allerdings
schon bei v. d. Leeuw unrichtig, wahrscheinlich ist S. 129 f. gemeint
. Ib A. 16 erg. 2. Aufl. S. 787; auch hier liegt wieder kein Zitat,
sondern nur ein Verweis auf Wach vor! 261 A. 18 I. Waldlandindianer:
ib. A. 3 (zu Danielou) 1. 1917.

Leipzig Kurt Rudolph

Lc Pouvoir et le Sacre par Luc de Heusch, Philippe Derchain, Andre
Finet, Leopold Flam, Emile Janssens, Jacques Pirenne, Henri Plard,
Ciaire Preaux, Jean-G. Preaux, Ludo et Rosane Rocher. Brüssel:
Universite Libre de Bruxelles, Institut de Sociologie 1962. 186 S.
gr. 8° = Annales du Centrc d'Etudes des Religions. 1.

Religions de Salut par A. Abel, L. de Heusch, A. Dorsinfang-Smets,
D. Ellegiers, L. Flam, Leon Herrmann, E. Janssens, R. Kaufmann,
J. Pirenne, L. et R. Rocher, M. J. Vermaseren. Ebda 1962. 228 S.
gr. 8° = Annales du Centre d'Etudes des Religions, 2.

Am soziologischen Institut der Freien Universität Brüssel
hat sich seit 195 7 ein religionswissenschaftliches Studienzentrum
gebildet, dessen Arbeiten nun in den ersten beiden Jahrbüchern
veröffentlicht werden. Das Centre d'etude stellt sich die Aufgabe
, beizutragen zur objektiven Erforschung religiöser Pro-.
bleme „des points de vue historique, sociologique et philoso-
phique", mit dem Ziel einer Perspektive „conforme ä l'esprit
lai'c du libre-examen", wie im Vorwort beider Bände betont wird.
Man muß dieses Programm verstehen unter Berücksichtigung der
spezifisch belgischen Verhältnisse; gemeint ist weltliche, historisch
-kritisch forschende Religionswissenschaft, welche sich jedoch
durchaus zusammenfügen kann mit einer engagierten und intuitiven
Schau (besonders schön ausgeprägt in den Aufsätzen von
Emile Janssens), einer Betrachtungsweise also, die m. E. unter
Voraussetzung streng wissenschaftlicher Vorarbeit der religions-
phänomenologischen Thematik angemessen ist.

Die beiden Annalenbände sind, was man in Jahrbüchern und
Sammelwerken sonst nicht allzu häufig antrifft, streng an klar
umrissenen Grundthemen orientiert, und ihre Titel bezeichnen
wirklich den Gegenstand. So bietet der erste Band einen umfassenden
und wohldurchdachten Überblick über das sakrale
Königtum im alten Ägypten, Mesopotamien, im achaiischen
Griechenland, in Rom, im alten Indien, in Afrika und schließlich
über seine Relikte in der Neuzeit, ausmündend in einer tiefschürfenden
Betrachtung über das Heilige und das Profane im
Denken unserer Zeit (bes. bei Heidegger). — Der zweite Band
ist orientiert an den Begriffen Erlösung, Heil und eschatologi-
scher Hoffnung, wiederum angefangen bei der ägyptischen Religion
, weiterführend über den eschatologisch bestimmten homerischen
Demeterhymnus, das Urchristentum, den Islam, den