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Ausgabe:

1964

Spalte:

735-737

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Theologisches Jahrbuch ; 1963 1964

Rezensent:

Schott, Erdmann

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735

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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weit51. Besteht irgendein Grund heute, an der Realität des beschriebenen
Verhältnisses dieser Menschen der Vorzeit zu ihrem
Vätergott zu zweifeln? Besteht ein Grund, in dieser Figur nicht
mehr den Wegbereiter bei gewissen Stämmen und Gruppen zum
Jahwekultus zu sehen? Anders ist wiederum die Lage anläßlich
des Aufenthaltes in Ägypten. Dort gibt es anscheinend nur
einen Vers, Ex. 1, 11, der von der Forschung als ziemlich einwandfreier
Bericht anerkannt wird; und dennoch gibt es auch
hier, und besonders in der Josephsgeschichte, verschiedene Elemente
, die man ohne weiteres mit dem ägyptischen Leben der
zweiten Hälfte des II. Jahrtausends in Zusammenhang bringen
kann und auch gebracht hat'5. Dies kann zum Thema der Gültigkeit
dieses Teils der Heilsgeschichte nicht unerheblich sein,
auch wenn wir die Josephsgeschichte in der heutigen Fassung,
nach den Forschungen von Rads58, als ein Produkt der altisraelitischen
Weisheit werten wollen. Und wenn die Vorfahren
Israels zum Teil in Ägypten gewesen sind, ist es dann
arbiträr, auch wenn unsere Quellen über die Wüstenwanderung
völlig unzulänglich sind, eine solche vorauszusetzen? Was die
Landnahme betrifft, so hat Israel immer wieder das klare Bewußtsein
gehabt, nicht von jeher in Palästina ansässig gewesen
zu sein. Also hat es eine Art „Landnahme" gegeben, was auch
niemand bestreitet, in welcher die Söhne die Einlösung des göttlichen
Versprechens an die Erzväter erkannt haben. Dabei wissen
wir ganz gut, daß sich vieles anders oder gar nicht zugetragen
hat, wie es überliefert wurde: die Einnahme Jerichos
und die Eroberung Ais mögen ganz gut ein Produkt späterer
Übertragung anderer Überlieferungen gewesen sein (wir haben
hier tatsächlich zwei auseinanderklaffende Berichte: die der
Ausgrabungen und die der Tradition, wissen aber nicht, wie
die Eroberungsmotive in die israelitische Tradition hineinka-

M) S o g gi n, a.a. O. S. 394 ff.

*•) Neuerdings ist Ex. 1,11 als Geschiditsberidit stark angegriffen
worden, vgl. B. D. Bedford, Exodus I 11, Vet. Test 13 (1963)
S.401—418. Zum Aufenthalt in Ägypten vgl. J. Vergote, Joseph
en Egypte, 19 59 und den ausführlichen Bericht über diese Studie von
S. Morenz, ThLZ 84 (1959) Sp. 401 ff.

°6) Josephgeschichte und ältere Chokma, Suppl. Vet. Test. I, 19 53,
S. 120—127 (Ges. Studien 1958, S.272—280).

men), aber es handelt sich nur um Ausschmückungen der Heilsgeschichte
, die ja nicht davon abhängt, ob Jericho und Ai so
oder so oder gar nicht erobert wurden, sondern nur davon, daß
es einmal eine Landnahme gegeben hat, die die konkrete Einlösung
des alten göttlichen Versprechens bildete. Sie ist zum
größten Teil das Produkt eines friedlichen Weidewechsels noch
vereinzelter Gruppen gewesen, die sich erst in Palästina als
„Israel" zusammenschlössen, nach den bekannten Thesen A. Alts,
wobei es nur selten und erst am Ende des Prozesses zu kriegerischen
Auseinandersetzungen gekommen ist, aber eine Landnahme
hat es gegeben, so daß die Heilsgeschichte an ein Faktum
anknüpfen und das mannigfaltige Material darum zu ordnen
versuchen konnte. Die Liste könnte diesbezüglich noch
ausgedehnt werden, aber nur auf eines möchte ich noch aufmerksam
machen: daß die Lage im Neuen Testament ganz ähnlich
erscheint, wie wir oben schon gesehen haben: auch dort ist
die Heilsgeschichte an einige zentrale Fakten gebunden: an die
Ereignisse vom Karfreitag bis zum Ostersonntag. Auch um diese
* Motiv kristallisieren sich viele andersartige, oft legendäre
Materialien.

Ich fasse zusammen: Die Fragestellung unseres Themas
wurde zu einer Zeit formuliert, da sowohl die Geschichtswissenschaft
als auch die Wissenschaft vom Alten Testament,
von verschiedenen Voraussetzungen getrieben, mit anderen Methoden
arbeiteten und sich andere Ziele setzten. Sie bedarf
heute einer neuen Formulierung. Dabei ist es der Wissenschaft
noch nicht gelungen, ein einheitliches, allgemein annehmbares
Bild der Vor- und Urgeschichte Israels zu entwerfen, das sich
den Grundthemen der Heilsgeschichte, wie sie im „kleinen geschichtlichen
Credo" überliefert wurden, entgegenstellen könnte.
Die Heilsgeschichte, deren geschichtliche Grundlage gerade in
diesen Themen verankert liegt, wird durch die vielen Verschiedenheiten
zwischen Forschung und Überlieferung nicht
oder nur selten berührt. Deswegen sollte das im einzelnen oft
6charfe Auseinanderklaffen von Überlieferung und Geschichte,
ein Phänomen, das Israel mit allen Völkern des Altertums in
ihrer Vor- und Frühzeit teilt, nicht zur Anfechtung für den
Glauben werden.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Theologisches Jahrbuch 1963. Hrsg. v. A. D ä n h a r d t.

Leipzig: St. Benno-Verlag 1963. 546 S. gr. 8°. Lw. DM 12.50.

Das bereits rühmlich bekannte Theologische Jahrbuch von
A. Dänhardt enthält diesmal 30 Beiträge. Die ersten sieben
(9—156) behandeln Fragen um das Konzil. Am radikalsten äußert
sich Hans Küng, Das theologische Verständnis des ökumenischen
Konzils (Tübinger Antrittsvorlesung). Küng faßt nicht
eine historische oder die gegenwärtige Gestalt des ökumenischen
Konzils ins Auge, sondern will „zum Wesen des ökumenischen
Konzils vorstoßen" (24). Aus dem Widerspruch
zwischen alter Konzilsgeschichte und neuem Konzilsrecht zieht
er die Lehre, daß es „auf dieser Ebene der Diskussion zwar
faktische und praktische Rechtssätze, aber keine streng verbindlichen
theologisch-dogmatischen Sätze gibt" (26). Zu solchen
kann man nur von der Ekklesiologie her kommen. „Das ökumenische
Konzil aus menschlicher Berufung ist Repräsentation
des ökumenischen Konzils aus göttlicher Berufung (sc. der
Kirche)" (29). Können demnach auch Laien vollberechtigte Mitglieder
, vielleicht sogar Einberufer eines ökumenischen Konzils
sein? Küng antwortet: „Einer den heutigen Zeitverhältnissen
angepaßten . . . direkten Repräsentation der Laienschaft auf dem
ökumenischen Konzil können keine grundsätzlichen dogmatischen
Gründe entgegengehalten werden. Sie dürfte gerade in
der heutigen Situation... nicht von vorneherein ausgeschlossen
werden. Sie sollte vielmehr Gegenstand ernster Überlegungen
werden" (36). Allerdings könne die Repräsentation der Kirche
nicht allgemein auf Grund des allgemeinen Priestertums erfolgen
, sondern bedürfe auch des apostolischen Amtes (der
Bischöfe) und des Petrusamtes (des Papstes). Aber: „Die Beziehungen
des Petrusamtes zu Kirche und Konzil unterliegen bei
bleibender Lebiensstruktur dem Wandel der Geschichte . .. Sowohl
das Zeugnis der Urkirche in der Heiligen Schrift, wie die
Kirchen- und Konzilsgeschichte lehren uns, daß das Petrusamt
unbeschadet seines Wesen6 in Kirche und Konzil sehr zurücktreten
kann, und dies gerade zum Nutzen der Einheit der
Kirche" (39). Hier 6ind Desideria angemeldet, die zu tiefgreifenden
Wandlungen führen könnten. — Die Thematik der übrigen
23 Aufsätze ist wieder weit gespannt. Nur weniges kann hervorgehoben
werden. A. Spindeler weist mit m. E. durchschlagenden
Argumenten nach, daß nach Tridentinischer Lehre „die traditioncs
Apostolorum von Gott nicht in der Schrift geoffenbarte Wahrheiten
enthalten" (267), daß also die Offenbarungswahrheiten
nur zum Teil in der Schrift enthalten seien. Gegen diese
traditionell katholische Interpretation war neuerdings eingewendet
worden, daß in dem Entwurf des Dekrets gestanden hat:
. .. hanc veritatem partim contineri in libris scriptis, partim sine
scripto traditionibus . . ., quibus par pietatis debetur affectus,
während die endgültige Fassung das partim — partim durch ein
einfaches et ersetzt. Diese Änderung hat jedoch, wie aus den
Konzilsakten klar hervorgeht, nicht theologisch-sachliche, sondern
lediglich stilistische Gründe. Die wenigen Opponenten
(Nacchianti und Bonucci) beanstandeten nicht das partim — partim,
sondern das par (pietatis affectus), das sie durch similis ersetzt
sehen wollten. Doch hatten sie damit keinen Erfolg. In der Tat
dürfte erst damit der Gegensatz gegen die reformatorische Lehre
scharf fixiert sein. Denn daß die außerbiblische Tradition Elemente
der Offenbarung (z. B. echte Jesusworte) enthält und daß
sie mit einem pietatis affectus aufzunehmen ist, kann auch evangelische
Theologie zugeben; aber daß Schrift und außcrbibilische
Tradition grundsätzlich gleiche Autorität haben, muß sie be-