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Ausgabe:

1964

Spalte:

181-182

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Paulson, Ivar

Titel/Untertitel:

Schutzgeister und Gottheiten des Wildes (der Jagdtiere und Fische) in Nordeurasien 1964

Rezensent:

Goldammer, Kurt

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181

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

182

RELIGIONSWISSENSCHAFT

p»ul«on, Ivar: Schutzgeister und Gottheiten des Wildes (der
Jagdtiere und Fische) in Nordeurasien. Eine religionsethnographische
und religionsphänomenologische Untersuchunng jägerischer Glaubensvorstellungen
. Stockholm-Göteborg-Uppsala: Almqvist & Wikseil
1961. 315 S. 8° = Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholm
Studies in Comparative Religion, 2. Schw. Kr. 60.—.

Der Verf. kann von der zunehmenden Bedeutung ausgehen,
die die Religionsgeschichte des Jägertums vor allem in der
ethnologischen Forschung der letzten Jahrzehnte gewonnen hat.
Daß die rezente Jägerreligion, wie sie die Völkerkunde erforscht
, bei der Frage nach den Früh- und Urformen der Religion
eine gewisse Rolle spielt, ergibt sich aus einfachen soziologischen
und kulturhistorischen Überlegungen. Darüberhinaus
haben die jägerischen Glaubensvorstellungen und Riten ein
nicht unbeträchtliches religionsphänomenologisches Interesse.
P- hat es dankenswerterweise übernommen, die erste zusammenfassende
Untersuchung dieses Themas für den nordeurasischen
Bereich durchzuführen, der in mehr als einer Beziehung
bemerkenswert ist, auch wegen seiner Nachbarschaft zum Prähistorischen
. Die Schutzwesen der jagd- und fischbaren Tiere
spielen schließlich eine mutmaßliche Rolle in der Geschichte des
Gottesgedankens.

Zunächst (S. 17-47) werden „die Vorstellungen von den Seelen
der Tiere" untersucht, wobei vor allem „die Tierseele als Schutz-
Wesen (Schutzseele)" in Erscheinung tritt. Nur in einem Falle hat der
Verf. das Fehlen einer Seelenvorstellung überhaupt (für die Fische
feei den Jenisseiern) festgestellt, sonst aber entweder die Doppelheit
Körperseele (Lebensseele) und Frciseele oder den Glauben nur an
eine Körperseele oder nur an eine Freiseele der Tiere gefunden. Das
dualistische Schema einer doppelten Seele ist besonders verbreitet
(S. 43). Im allgemeinen werden die Tierseelen von den Menschenseelen
unterschieden (S. 44 ff.). Als nächste Gruppe numinoser Wesenheiten
werden „die Schutzgeister und Gottheiten des Wildes im
Glauben der nordasiatischen (sibirischen) Völker" behandelt (S. 48
-122). Damit ist P. bei der wichtigsten Art der Tiergeister, aus der
sich auch der für den alten Hochgottglauben vermutlich bedeutsame
„Herr der Tiere" erhebt. Die gleiche Kategorie wird als „die Schutzwesen
der Jagdtiere und Fische im Volksglauben der finnischen Volker
in Europa" verfolgt (S. 123—180), wobei es sich stärker um folkloristische
Vorstellungsrudimente in Gebieten handelt, die mehrfach
„weltanschaulich" überlagert wurden. Im Hintergrunde steht oft die
Erinnerung an das Tier selbst, besonders an den Bären, als „Wildgottheit
, die über den Wald und die Waldtiere herrecht" (S. 161).
In beiden Fällen ergibt sich aber die Aufteilung in spezielle Schutzgeister
und Gottheiten der Tiere und in allgemeinere Naturgeister
und -gottheiten als Schutzwesen der Tiere. Schließlich befaßt 6ich P.
mit den „Tierknochen im Jagdritual der nordeurasischen Völker"
(S. 181—223), wobei er wiederum an eine in letzter Zeit häufiger
untersuchte Frage anknüpfen kann, die u. a. auch zu den Praktiken
des Schamanismus in Beziehung steht. Eine „Zusammenfassung"
hringt „Ergebnisse und Erwägungen" (S. 224—251) und leitet zu
•auswärtigen Vergleichen" (u. a. mit Nordamerika) und einem
„kulturhistorischen Ausblick" über (S. 252—293).

Mit den letzten beiden Abschnitten kommt der Verf. noch
stärker in die Bereiche der Religionsphänomenologie als in den
vorhergehenden Untersuchungen, in denen er ebenfalls bereits
die phänomenologische Methode weithin angewendet hatte.
Das gleiche Vorgehen hat übrigens auch sein früheres Werk
über „Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen
Völker" ausgezeichnet1, dessen Weiterführung auf einem bestimmten
, für den Werdegang des Gottesglaubens so wichtigen
Gebiet nun das vorliegende Buch gebracht hat. Das Überwiegen
einer „dualistischen Seelenauffassung" (d. h. die Unterscheidung
von „Körperseele" und „Freiseele") gilt bei den nordeurasischen
Völkern für Tiere wie Menschen. Das religionshistorisch und
-phänomenologisch relevante Ergebnis ist darüber hinaus nicht

*) Vgl. Ivar Paulson: Die primitiven Seelenvorstellungen der
nordeurasischen Völker. Eine religionsethnographische und religionsphänomenologische
Untersuchung. Stockholm 1958. 407 S. gr. 8° =
The Ethnographical Museum of Sweden, Stockholm (Statens Etno-
grafiska Museum), Monograph Series, Publication No. 5. — Der Verf.
hat hier „den grundlegenden Dualismus in den primitiven Seelenvorstellungen
der nordeurasischen Völker" deutlich zu machen versucht
, sowohl in einer religionsethnographischen Übersicht wie in
einer „Phänomenologie der Seelen".

nur die Bedeutsamkeit großer Wildgottheiten, „die sich aus der
allgemeinen Masse der Artgeister des Wildes erheben" (S. 237),
und ihre bloß beschränkte („indirekte") Beziehung zu den
Hoch-, Himmels- und Wettergottheiten (S. 250), sondern auch
die Tatsache, daß hier eine polygenetische Entwicklung der
Glaubensvorstellungen zu verzeichnen ist (S. 292), in deren
Werden allerdings die Seelenvorstellung eine große Rolle spielt
(S. 290), die jedoch nicht eine Hochgottheit, sondern die Tiere
selbst und die Wildgeister als die ältesten numinosen Mächte
des Jägers erscheinen läßt (S. 293). „Eine genetisch-psychologische
Brücke" führt von der Tierseelenvorstellung „zur Vorstellung
vom Schutzgeist der Tiere" (S. 228 f.), wie P. wahrscheinlich
gemacht hat. Wichtig ist auch, daß ein bestimmtes
religionsgeschichtliches Faktum unbeschadet seines Vorkommens
in verschiedenen ethnischen Gruppen sich mit völliger Klarheit
phänomenologisch zusammenordnen läßt. Nicht Nordasien
oder Nordeuropa, nicht einzelne Stämme oder Völker, sondern
die gemeinsame Kultur- und Wirtschaftsform und verwandte
Lebensbedingungen scheinen die Grundlagen von gemeinsamen
Glaubensvorstellungen und Praktiken zu sein. Die phänomenologische
Differenzierung der Seelen- und Schutzgeistvorstellungen
hat offenbar keinen ethnischen oder kontinentalen Unterbau
, sondern ist etwas urhaft Menschliches, jedenfalls in
einem um die halbe Erde reichenden Gebiet des eurasischen
Großkontinentes. Dieser Schluß drängt sich auf. Theologisch
bemerkenswert sind die Hinweise auf die Problematik des
Tötens für den frühzeitlichen jägerischen Menschen, den entstehenden
Schuldgedanken und die daher angestrebten Methoden
der Versöhnung (S. 228).

Die ethnologisch wie religionsphänomenologisch mit
großer Akribie und mit unbestechlich sachlichem Urteil durchgeführte
Untersuchung gehört — ungeachtet des seit Tylors
..Animismus" reichlich kompliziert und unübersichtlich gewordenen
Komplexes der Seelenvorstellungen, in den sie mit bestimmten
Ordnungsprinzipien hineinstößt — zum Erfreulichsten
an religionswissenschaftlichen Arbeiten in Verbindung mit der
Ethnologie aus den letzten Jahren. Sie überzeugt schon durch
die Sauberkeit ihrer kombinierten Methode, in der P. seinem
Lehrer Ernst Arbman folgt und ähnliche Probleme der „Naturreligion
" ins Auge faßt wie Äke Hultkrantz. Das zugnmde gelegte
mächtige Quellenmaterial wird kaum jemand nacharbeiten
können. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir von hier ausneue
Möglichkeiten einer Würdigung des Naturreligiösen erwarten
, aber auch wichtige Hilfen für die phänomenologische
Religionsbetrachtung überhaupt.

Marburg/Lahn Kurt G ol dam m r-r

Günther, Gerhard [Hrsg.]: Die großen Religionen. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1961. 172 S. gr. 8°. Lw. DM 14.80.

Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine Vortragsreihe
, die die Evangelische Akademie Hamburg im Wintersemester
1960—61 veranstaltete. Die damals gehaltenen Referate
, die nun hier im Druck vorliegen, lassen die im Titel des
Buches nicht zum Ausdruck kommende Zielsetzung erkennen,
einen wissenschaftlich fundierten Beitrag speziell zur interreligiösen
Auseinandersetzung unserer Gegenwart zu leisten.

Trotz des relativ knappen Raumes, der dabei jedem einzelnen
Mitarbeiter zur Verfügung stand, ist es bei der Mehrzahl
der Beiträge gelungen, in äußerst instruktiver Weise die
aktuelle Situation zu beschreiben und diese zugleich in einer
ebenso zuverlässigen wie auch dem interessierten Laien verständlichen
Art auf dem Hintergrund ihrer historischen Bedingungen
zu erhellen. Es ist hier der gründlich fundierte und
glänzend formulierte Beitrag von Bertold Spuler über den Islam
zu nennen, ferner die Aufsätze über den Hinduismus (Helmuth
von Glasenapp f), den Buddhismus (Gerhard Rosenkranz), das
Judentum (Karl Heinrich Rengstorf), das katholische (Peter
Meinhold), das protestantische (Wolfgang Trillhaas) und das
östlich-orthodoxe Christentum (Robert Stupperich).

Die Namen der Mitarbeiter lassen ohne weiteres unterschiedliche
Standpunkte deutlich werden, die an sich einem
Buche, das religiösen Auseinandersetzungen gewidmet ist, nicht