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Ausgabe:

1963

Spalte:

655-658

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kristensen, William Brede

Titel/Untertitel:

The meaning of religion 1963

Rezensent:

Richter, Liselotte

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 9

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aber die Denkmäler von diesem ihrem Ursprung entfernen, um
so abstrakter, starrer und gewissermaßen „genormter" wurde der
Wortschatz. Die Folge war eine bestimmte „Exklusivität" des
altslavischen Idioms, das man zu Recht als „Alt k i r c h e n -
6lavisch" bezeichnet hat. Dieses „Altkirchenslavische" war aber,
im Gegensatz zum Lateinischen etwa innerhalb der Germanisch
sprechenden Völker, für die 6lavischen Völker keine Fremdsprache
, sondern auf dem Boden einer gemeinslavischen Sprache
entstanden, die im 9. Jahrhundert noch nicht in einzelne
Nationalsprachen differenziert war. Als sich diese Nationalsprachen
im Laufe der nächsten Jahrhunderte aber lebendig
weiterentwickelten, kam es zu einem komplizierten Prozeß des
sich ständig wandelnden Verhältnisses dieser Sprachen zum
„Altkirchenslavischen". Schon die Sprache der Literatur der
Kiever Rus' im 11. und 12. Jahrhundert zeigt den Beginn dieses
Prozesses. Wenn auch noch intensivere Forschungen abgewartet
werden müssen, so wird man doch feststellen können,
daß es schon in der Literatur der Kiever Rus' Anzeichen für
Übersetzungsbemühungen aus anderen Sprachen, darunter auch
aus dem Hebräischen, gab, die weniger das „Altkirchenslavische"
als die damalige russische Volkssprache benutzten. Die Geschichte
nicht nur der Auseinandersetzung, sondern auch der
gegenseitigen Durchdringung und Angleichung beider, wie gesagt
, auf einem gemeinsamen Boden erwachsenen Sprachen ist
Gegenstand zahlreicher Untersuchungen der Slavisten. In einem
sehr verwickelten Prozeß hat sich endlich im 19. Jahrhundert

die russische Literatursprache in den großen Dichtungen eines
Puskin, Tolstoj, Turgenjev, Dostojevskij u. v. a. herausgebildet.
Die „Exklusivität" des „Altkirchenslavischen" hat diesen Prozeß
, gerade weil es kein unbedingter Fremdkörper war, in gewisser
Weise aufgehalten. Auf der anderen Seite wurde die
„Exklusivität" von innen her, durch langsame Modifikation, aufgebrochen
, und es wurden zahlreiche Elemente der Volkssprache
integriert59. Etwa bei Dostoevskij ist dann das „Kirchcn-
slavische" bereits ein Stilmittel in der Hand eines genialen
Meisters der russischen Sprache geworden60. Das alles kann hier
nicht dargestellt werden, da diese Fragen in den Kompetenzbereich
der slavischen Philologie fallen. Es sollte nur angedeutet
werden, welche Probleme das „Altkirchenslavische" aufwirft
und daß man, unter historischem Blickwinkel, die Großtat der
Slavenlehrer nicht in falscher Weise idealisieren darf. Vielmehr
wächst ihre geschichtliche Bedeutung, wenn ihre historische
Problematik ständig beachtet wird.

M) Ich nenne hier nur zwei leicht zugängliche Darstellungen:
G. Vinokur, Die russische Sprache, Leipzig 1955s und A. Sachmatov-
G. Y. Shevelov, Die kirchenslavischen Elemente in der modernen russischen
Literatursprache, Wiesbaden 1960. Vgl. auch die Anm. 48 gen.
Arbeit von lakobson, The kernel of comparative slavic literature.

60) V. Vinogradov, Stil' peterburgskoj poemy, in: F. M. Dostoevskij
. Stat'i i materialy, hrsg. von A. S. Dolinin, l.Bd., Petersburg
1922, 211—254.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Kri Stensen, W. Brede, Prof. f : The Meaning of Religion. Lec-
tures in the Phenomenology of Religion. With an introduction by
H. Kraemer. Transl. by lohn B. Carman. Den Haag: Nijhoff
1960. XXVIII, 532 S. gr. 8°. Lw. hfl. 28.50.

Das bemerkenswerte, von seinen Schülern nach seinem
Tode auf Grund hinterla6sener Manuskripte ins Englische übersetzte
Werk des norwegischen in Leyden lehrenden Forschers
hat in mehr als einer Hinsicht in der gegenwärtigen Situation
der Religionswissenschaft Bedeutsames beizutragen.

Hierbei ist es zunächst wichtig, die geistige Herkunft
des Forschers kennenzulernen. 1867 in Christiansand geboren,
studierte er zunächst in Oslo Theologie und klassische Sprachen
. Sehr bald zu der Überzeugung gelangt, daß Religion das
Entscheidendste im Leben des einzelnen wie der Völker sei,
begann er seine Lebensaufgabe vor allem mit ausgedehnten
Studien der Kulturen und Sprachen des Sanskrit, Hebräischen,
Ägyptischen, Babylonischen, Phönizischen und des Avesta vor
allem in Leyden und Paris. 1896 erwarb er den Doktorgrad
mit einer Dissertation „Über die Vorstellungen der Ägypter
über das Leben nach dem Tode in Verbindung mit den Göttern
Ra und Osiris". Von 1897 — 1901 lehrte er in Oslo und wurde
dann der Nachfolger Tieles auf dem berühmten Leydener Lehrstuhl
, den er bis 1937 innehatte, danach noch bis zu seinem
Tode am 25. Sept. 1953 in lebhafter Forschungsarbeit stehend.
Alle seine Publikationen wie seine Lehrtätigkeit bekunden das
Bestreben, in einer durchaus eigenständigen Weise alle Religionen
ausschließlich vom Standpunkt ihrer jeweiligen Bekenner
zu interpretieren. Und so kommt er dazu, den evolutionisti-
schen Standpunkt der Forschergeneration seiner Lehrer zu verlassen
und einen eigenen Weg einzuschlagen, den anhand vorliegender
umfangreicher Publikation zu verfolgen vor allem
instruktiv ist für die gegenwärtige noch ungelöste Problematik
der methodologischen Grundsatzfragen der Religionswissenschaft,
obwohl oder gerade weil er ein Forscher ist, der auf Grund
seiner umfangreichen Vorstudien in engster Tuchfühlung mit
den konkreten historischen Phänomenen vorgeht. So kann man
sein Verfahren als eine experimentelle Befragung gangbarer
und nicht gangbarer Wege nachvollziehen und manche wichtige
Antwort dabei sich abzeichnen sehen.

Besonders wichtig sind die 25 Seiten der Einleitung, wo
er gleichsam die Summe seiner Lebenserfahrungen zieht und

fast alle offenen Fragen grundsätzlicher Art berührt, mit denen
6ich die heutige Religionswissenschaft systematischen Typus
von Joachim Wach bis Kurt Goldammer abmüht. Besonders
interessant ist seine Stellungnahme zu Rudolf Otto, der weithin
noch immer als der Initiator der neueren Religionswissenschaft
gilt und dessen Werk „Da6 Heilige" als unerläßlicher
Ausgangspunkt für Anfänger gilt. Brede Kristensen hat dagegen
folgende kritischen Einwände: Zwar ist der Begriff des
Heiligen zentral wichtig für die Erforschung der Religionen.
Aber obwohl Otto ihn nicht im Hegeischen Sinne dialektisch,
sondern psychologisch faßt, begeht er doch den fundamentalen
Fehler, ihn im Grunde philosophisch zu fassen. Er kommt damit
dann doch wieder zu einer Art Evolutionismus, indem das
Heilige, das doch für seine jeweiligen Bekenner das Absolute
ist, relativiert wird: "He makes the opposite mistake of Tiele
and Pfleiderer, who on the basis of historical data try to
ascend to the formulation of the essence of religion. Like
Hegel, Otto believes that in the essence the germ of all
phenomena is contained, that the phenomena have to be
understood on the basis of essence . . . The evolurionary
pattern is evidently forced upon history — for the sake of a
certain coneeption of the germinal forms of the religious
consciousness. Otto is wrong in thinking that history proves
his theory." Otto wünsche den Abgrund zwischen seiner eigenen
Konzeption des Göttlichen und der des „Primitiven" durch
den systematischen Begriff des Heiligen zu überbrücken. Man
kann nicht seinen eigenen Standpunkt als die Krone einer
religionshistorischen Entwicklungsreihe ansehen und dann noch
erwarten, daß man fremde Religionen adäquat verstehe. Brede
Kristensen nimmt nicht den Begriff des Heiligen als systematischen
Standardterminus zum Ausgangspunkt, sondern fragt,
wie der jeweilige Gläubige das Phänomen „heilig" erfährt und
begreift. Wir müssen unvoreingenommen seine jeweiligen Begriffe
in ihrer Entstehung verfolgen. So allein können wir erkennen
, daß es keine Stufenleiter des Heiligen gibt. "The
starting point of phenomenology is therefore the viewpoint of
the believer and not the coneept "holiness" in its elements or
moments... We come to know the absolute (namely what is
absolute, for the believer) in its various expressions; and what
is absolute, is never just r e 1 a t i v e 1 y absolute ! " Der Philosoph
versucht sich selber zu verstehen, der Historiker das jeweilige
reale Phänomen. Man muß beide Wertge6ichtspunktc
wohl unterscheiden. "Otto has tried to join the two in his
evolurionary theory and his argument therefore comes W