Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1963

Spalte:

379-382

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Metzke, Erwin

Titel/Untertitel:

Coincidentia oppositorum 1963

Rezensent:

Schmidt, Erik

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

379

Theologische Literaturzeitung 8 8. Jahrgang 1963 Nr. 5

380

scher Prägung ist, daß er die katholische Kirche bejaht und
voraussetzt und daß er „dies nicht nebenher, per accidens, tut,
sondern, daß der kirchliche Charakter des Philosophierens zum
Wesen dieser hochscholastischen Systematik gehört" (S. 352).
Wenn Hoffmann ihm trotzdem „Wissenschaftscharakter" zuschreibt
(S. 370), so werden ihm hier wohl nicht alle Forscher
folgen. Noch eine letzte treffende Bemerkung: „Man hört zwar
heute das Wort von einer .Auflösung der Scholastik' nicht
gern; aber nicht zu bestreiten dürfte sein, daß ihre antiken
Bestandteile im sechszehnten Jahrhundert aus dem Amalga-
mierungsverbande sich gelöst haben, in den sie hineingezwängt
waren" (S. 310). Diese „zweite Renaissance ist antischolastisch
auf allen Fronten, selbst bei den aristotelisierenden Humanisten"
(S. 311).

Am Schluß des Buches gibt einer der Herausgeber, P. Wil-
pert, eine kurze Darstellung von Leben und Schriften Ernst
Hoffmanns. Das schönste in diesem Gelehrtenleben war jene
charaktervolle Haltung gegenüber dem System des Ungeistes,
die man im „Dritten Reich" leider bei vielen Universitätsprofessoren
vermißt hat. Was Hoffmann in einer seiner letzten
Veröffentlichungen den deutschen Erziehern zugerufen hat, das
hat er selber gelebt: ,, ,Des tät'gen Mannes Behagen ist Parteilichkeit
'. Nämlich Parteilichkeit für Wahrheit und Recht. Wer
nidit tätig dafür ist, wirkt, auch ohne es zu wissen, aus Trägheit
dagegen" (S. 485).

Köln Johannes Hessen

M e t z k e, Erwin: Coincidentia oppositorum. Gesammelte Studien
zur Philosophiegesdiichte, hrsg. v. K.Gründer. Witten: Luther-
Verlag [1961]. 372 S. 8° = Forschungen und Berichte der Evang.
Studiengemeinsdiaft, hrsg. v. G.Howe, Bd. 19. Lw. DM 36.—.
In diesen Studien zur Geschichte der Philosophie des leider
so früh verstorbenen Verfs. sind zwölf Arbeiten über verschiedene
Denker und Themen vereinigt, die in zwei Jahrzehnten
entstanden sind. Der Verf. verbindet streng wissenschaftliche,
subtile Einzelforschung mit einem weiten philosophisch-theologischen
Horizont und kühnen Gedankengängen. Der Leser wird
beim Studium dieser Arbeiten historisch und systematisch
gleichermaßen angeregt und befruchtet. Die Sammlung der Studien
beginnt mit einem Aufsatz über die Skepsis des Agrippa
von Nettesheim (1935), es folgen drei Arbeiten über Paracelsus
(1939, 1941 und 1952) und eine Arbeit über J.Böhme aus dem
Nachlaß. Es schließen sich an Studien über Nicolaus von Cues,
M.Luther, Hamann und Hegel (1951, 1956 und aus dem Nachlaß
). Ein Anhang bringt Anmerkungen des Herausgebers, eine
Bibliographie E. Metzkes von Lothar Bornscheuer und ein Nachwort
von Karlfried Gründer.

Obwohl auch die Studien über Agrippa von Nettesheim,
Paracelsus und J. Böhme theologisch bedeutsam sind, liegt doch
der eigentliche theologische Wert dieser Studien bei den Arbeiten
über den Cusaner, M. Luther, Hamann und Hegel. Es sind
Studien zur Philosophiegeschichtc. Aber hier besonders wird es
deutlich, wie unmöglich die Trennung von Philosophie und
Theologie ist, wie — um mit P. Tillich zu sprechen — korrelativ
ihr Verhältnis ist. Ausdrücklich betont denn auch der Verf.,
daß die Berührung zwischen Philosophie und Theologie sich
nicht auf methodologische Erörterungen und Kompetenzstreitigkeiten
beschränken darf, daß vielmehr beide von einander lernen
müssen (158). Der Verf. bedauert es tief, daß besonders
M. Luthers philosophische Bedeutung von der Forschung bisher
so wenig erkannt worden ist (159). Zwar ist Luther durch die
Art seiner Polemik gegen die „Hure Vernunft" selbst mitschuldig
an der Verkennung seiner wahren Stellung zur Philosophie
. Aber es ist an der Zeit, daß die Theologie erkennt, wie
wenig Luther 6ich die „Anstrengung des Begriffs" erspart hat
(219). Luther hat niemals die Vernunft auf Kosten eines denkfeindlichen
Irrationalismus verworfen (219). Und gerade in
seiner Christologie und Abendmahlslehre kommt Luther zu
neuen und tiefen metaphysischen Erkenntnissen, die in die Zukunft
weisen (164).

Ebenso wichtig ist, was der Verf. über Hegel ausführt. Er
stellt fest: „Es ist bestürzend, wie dürftig unser herkömmliches
Hegelbild ist." Schuld daran ist nicht zuletzt die Theologie,

welche die letzten Zugänge zu Hegels Philosophie verschloß,
indem sie ihn aus dem legitimen Entwicklungsprozeß der christlichen
Tradition hinauszuweisen versuchte! (320). In Wahrheit
gründet sich Hegels Philosophie, genau so wie Luthers Theologie
, auf der Tatsache der Inkarnation. Metzke kann sagen:
Hegel macht für das Denken Ernst damit, daß Gott in der Welt
erschienen ist (3 3 5). Das ist die Interpretation der Hegeischen
Philosophie, die der Rez. in seinem Buch über Hegel genau so
vertreten hat.

Das Buch von Metzke trägt den Titel: Coincidentia oppositorum
. Dieser Begriff besagt, daß im Unendlichen die endlichen
Gegensätze zusammenfallen. Der Begriff ist vom Cusaner
zuerst gedacht worden, wurde dann von Hamann neu entdeckt
und von Hegel übernommen. Er gehört zu den Grundlagen
der Hegeischen Philosophie. Darum kann der Verf. sagen
, daß niemand dem Denken des Cusaners 60 nahe gekommen
ist wie Hegel (241'43. 207/08). Aber auch Luther kommt
hier dem Cusaner sehr nahe (212). Zwar hat Luther keine
neue theologische Logik begründet, aber sein Glaube gab ihm
neue Denkimpulse, welche wie bei dem Cusaner die traditionelle
Logik aufhoben (214/15). Schon der Titel der Sammlung
zeigt also, daß das Schwergewicht der Studien auf der Erforschung
dieser metaphysischen Grundlagen der Theologie des
Nikolaus von Cues, Luthers und Hegels liegt.

Aus dem reichen Inhalt dieser Studien, die oft an die so
überaus gründlichen und weitherzigen Arbeiten von Karl Holl
erinnern, heben wir folgende Gedanken heraus, die uns besonders
wichtig erscheinen:

1. Der „fast vergessene" Agrippa von Nettesheim vertritt
eine „Skepsis", die nicht erkenntnistheoretisch gemeint ist,
sondern aus dem Bewußtsein der Gebundenheit, Krcatürlichkeit
des Menschen kommt (11). Diese Skepsis weist den Menschen
in seine Schranken, und die Erkenntnis seines Nichtwissens
führt ihn zur Wahrheit des Herzens (13/17). Stellt so schon
Agrippa den Menschen in ähnlicher Weise wie Luther vor
Gott, so ist

2. auch Paracelsus Luther hierin nahe gekommen. Den Arzt
Paracelsus führte seine ärztliche Praxis neben seinem Nachdenken
zu einem neuen Begriff der Erfahrung und der Wirklichkeit
(26'31). Er erfaßt in ganz neuer Weise die Bedeutung der
Zeit für alle Wirklichkeit (5 3). Die Zeit bestimmt alle natürliche
Existenz (54). Sie ist die alles beherrschende schöpferische
Macht (72). Es gibt keine neutrale Zeit (75). Darum wendet
sich P. gegen alle subjektivistische Verflüchtigung der Zeit, wie
dies seit Augustin in der Metaphysik üblich war (12 3/24). Die
Zeit ist die Grundbedingung der Erfahrung. Es gibt nichts, was
zu jeder Zeit möglich wäre (125). Der Mensch und seine Vernunft
stehen in der Zeit Gott gegenüber (128). Paracelsus
kommt Luther besonders nahe in seiner nüchternen Analyse der
menschlichen Situation (41), in seiner Lehre vom unfreien Willen
(107) und in seiner Überwindung des Gegensatzes von
Geist und Leib (97 f.).

3. Paracelsus wie Luther haben auf J. Böhme eingewirkt
(131). Es geht Böhme um das Rätsel des Bö6en und der Entstehung
der Welt (129). Gott ist für ihn nicht nur reiner
Geist, sondern auch Natur. Es gibt eine Natur in Gott und
außer Gott (13 3). Die weltliche Natur ist die leibhafte Gegenwart
der Wirklichkeit Gottes (134). Böhmes Problem ist dieser
Gegensatz zwischen der erdhaften Wirklichkeit und der reinen
Geistigkeit Gottes (135). Die kirchliche Lehre von der Schöpfung
aus dem Nichts genügt ihm dabei nicht (136). Mit Luther
sieht J. Böhme, daß das Wirken Gottes in der Welt durch den
Schmerz und den Tod hindurchgeht (156).

4. Der Verf. sagt weiter, daß vor und nach Hamann keiner
das biblische Luthertum so aus Luthers Geist begriffen habe
wie unser Philosoph (317). Dieser hat die coincidentia oppositorum
des Cusaners neu entdeckt, er hat erkannt, daß die göttliche
Offenbarung unsere gewöhnliche Logik aufbebt (292).
Hamann, dieser dunkle „Magus", war nach Goethes Zeugnis
der hellste Kopf seines Jahrhunderts! (293). Er war der erste
und scharfsinnigste Kritiker Kants (301). Zwar betont Metzke,
daß Kant und Hamann auch viel Gemeinsames haben, und er
wendet sich sehr energisch gegen eine billige Kritik an Kant