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Ausgabe:

1962

Spalte:

941-943

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Cusanus-Konkordanz 1962

Rezensent:

Weiß, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 12

942

PHILOSOPHIE LWD RELIGIONSPHILOSOPHIE

Zellinger, Eduard: Cusanus-Konkordanz. Unter Zugrundelegung
der philosophischen und der bedeutendsten theologischen Werke.
München: Hueber i960. XVI, 331 S. 8°. Lw. DM 23.80.

Die Anlage von Indices zum Gesamtwerk großer theologischer
oder philosophischer Autoren bzw. zu deren Editionen
ist eine wissenschaftliche Aufgabe eigenen Gewichtes und eigener
methodischer Problematik. Wenn diese Spezies gelehrter Erzeugnisse
auch große und je in ihrer Art und für ihren speziellen
Zweck großartige Leistungen aus älterer und neuerer Zeit
aufzuweisen hat, wie — um nur auf berühmte Beispiele hinzuweisen
— das Milleloquium veritatis b. Augustini von Bartho-
lomaeus de Urbino, die Tabula aurea (zu Thomas) des Petrus
von Bergamo, Bonitz' Index Aristotelicus und Leisegangs Philo-
Index, so lassen sich doch die Grundsätze, nach denen in dem
einen Fall gearbeitet wird, nicht ohne kleinere oder größere
Modifikationen oder überhaupt nicht auf einen andern übertragen
.

Besonderer Überlegungen und Sorgfalt bedarf zweifellos
die Erstellung von Sach-Indices zu den Editionen der philosoph.-
theol. Autoren der Spätscholastik und des ausgehenden Mittelalters
, bei denen der verfügbare Sprach- und Wortschatz mit
der Subtilität ihrer Di6tinktionen und der Dialektik ihrer
Argumentationsweise nicht mehr Schritt hält. Wenn 6ie zur Behebung
dieser Schwierigkeit auch zum Mittel neuer philosophischer
Wortbildungen greifen, die nicht nur den Sprachkenner,
sondern auch den laienhaften Sprachliebhaber oft genug schaudern
lassen, so kann das doch nicht verhindern, daß gleiche
Worte und Formulierungen gelegentlich ganz verschiedene Sachverhalte
decken müssen. Wie oft sind nicht ontologische und
gnoseologische Erörterungen so eng ineinander verschlungen,
daß schwer zu entscheiden ist, ob eine Aussage in diesem oder
jenem Sinn gemeint ist. Ferner besagen gleiche Formulierungen
etwas anderes, je nachdem sie für das Verhältnis zwischen
gleichartigen oder ungleichartigen Größen, d. h. im univoken
oder analogen Sinn gebraucht werden. Und endlich ist ja auch
der Wortgebrauch beim gleichen Autor alles andere als konstant
.

In derartigen Schwierigkeiten und den dadurch ermöglichten
Mißdeutungen und Mißverständnissen sind manche Verdächtigungen
und kirchliche Improbationen begründet, die solchen
Lehrern und Lehren bereits von ihren Zeitgenossen widerfuhren
. Erst recht gilt das von den oft konträren Interpretationen
, die ihre Gedankenwelt in der Gegenwart erfährt.

Daraus erhellt die beträchtliche Verantwortung, die auf sich
nimmt, wer das Ganze eines solchen philosoph.-theol. Systems
in der „objektiven" Gestalt eines Sach-Index oder einer Wort-
Konkordanz einzufangen sucht. Er kann kaum umhin, die alphabetische
Gliederung des Materials mit Elementen einer systematischen
Ordnung zu durchsetzen, dadurch aber in gewissem Umfang
seine Interpretation in die Arbeit eingehen zu
lassen.

Das ist das Dilemma, dessen man bei der vorliegenden
Arbeit ansichtig wird. Um nicht neben die vielen vorliegenden
eine weitere eigene Cusanus-Interpretation zu stellen, entschloß
s'di Z., eine auf Vollzähligkeit der Stellenbelege bedachte Cusanus
-Konkordanz vorzulegen und damit der Forderung des Cusa-
"ers an seinen Leser, ut omnia scripta legat attente et in
Unam concordantem sententiam resolvat, zu genügen. Darin
'iegt bereits die Rechtfertigung seines Verfahrens, das Material
nicht als Wortkonkordanz, sondern in systematischer Ordnung
vorzulegen, eines Verfahrens, das bei der dialektischen Denkend
Darstellungsweise des Cusaners unumgänglich ist. Denn nur,
wenn jede Aussage mit ihrem dialektischen Gegenüber zusam-
mengesehen wird, ist ihr legitimer Sinn erkennbar.

Aber mit seiner Systematik, die er ja dem „essayistischen
"erk des Cusaners nicht entnehmen konnte, hat der Verf. der
„objektiven" Materialdarbietung nun eben seine Interpretation
aufgeprägt. Worauf sie zielt, spricht er S. XV klar genug aus:

• •Die Philosophie des Kardinals ist durch und durch orthodox, an
'hrer Integrität kann nicht gerüttelt werden! Unserer Überzeugung

nach ist es sicher, daß — ebenso wie bei Meister Eckhart ein Vergleich
mit den thomistischen und anderen als autoritativ sanktionierten
Lehren seine Unanfechtbarkeit in überraschender Weise zum Vorschein
bradne — dasselbe bei Cusanus der Fall sein würde. Denn soviel
kann mit Gewißheit behauptet werden, daß der Kardinal in den
entscheidenden Fragen der Gottes- und Schöpfungslehre in keiner
Weise vom klassischen Höhepunkt der christlichen Scholastik und
damit von der kirchlichen Doktrin abgewichen war."

Ebensowenig wie bei dem zum Vergleich herangezogenen
Meister Eckhart dürfte diese Eindeutigkeit des Urteils der Weisheit
letzter Schluß 6ein. In dem auf unser Zitat folgenden Abschnitt
schränkt es Verf. auch wieder ein, wenn er bemerkt, daß die
„bedeutenden Ansätze neuzeitlichen Philosophierens (des Cusaners
) methodologisch wie inhaltlich den Rahmen der sdiolasti-
6chen Tradition sprengen".

Sieht man von diesen Fragen ab und faßt den engeren
Zweck, nämlich den einer vollständigen Materialsammlung ins
Auge, so kann diese Publikation nur dankbar begrüßt werden.
Angesichts der noch unabsehbaren Vollendung der Cusanus-
Edition und erst recht der sie erschließenden Indices ist die
hier geleistete ordnende Aufarbeitung des gesamten in Hss.,
alten und neuen Editionen vorliegenden philosoph.-theol. Werkes
des Cusaners ein Geschenk an die Forschung.

Die Vollständigkeit ist insofern eingeschränkt, als von den theologischen
Werken nur die berücksichtigt sind, die philosophischen
Ansprüchen genügen wollen. Nähere Auskunft hierüber und über die
nicht erfaßten theologischen Opera wird auf S. XI unten gegeben.

Die Anordnung des Stoffes könnte man als Kombination des
Systems einer philosophischen mit dem einer theologischen Summe
bezeichnen. Auf die analogia entis (mit dem cusanischen Begriff der
alteritas) und die Lehre von „Art und Einzelsein" folgt die philosophische
Erkenntnistheorie, der zwei Abschnitte über die reinen Geister
und den Glauben angefügt sind. Darauf werden die Gottes- und
Trinitätslehre mit der Lehre von der Gottes-Erkenntnis und die
Christologie dargeboten, letztere unter der Überschrift „Gott-Vereinigung
" mit der Lehre von der Vereinigung Gottes mit dem Menschen
überhaupt kombiniert. Das Verhältnis Gott-Welt (Schöpfung),
in dem die Analogielehre sozusagen theologisch wiederkehrt, schließt
sich an. Warum der nun folgende Abschnitt „Gottes Wort" nicht bei
der Christologie steht, ist nicht recht einzusehen. Nach zwei knappen
Absätzen „Individuum" und „Liebe", die sich ein wenig verloren ausnehmen
, folgt die Anthropologie und Psychologie. Für die Zwischenschaltung
des Abschnittes „Principium - Principiatum" vermag ich
wiederum keine Erklärung zu finden. Das Ganze wird mit der Cytologie
abgeschl ossen.

Die, gegen diese Anordnung erhobenen und zu erhebenden weiteren
Fragen sollen, wie gesagt, nicht weiter verfolgt werden. Verf.
gesteht ihnen von vornherein im Vorwort S. X ihre Berechtigung zu.
Er erleichtert das Sichzurechtfinden durch Voranstellung eines nach
dem Alphabet der Hauptabschnitte geordneten „Thematischen Inhaltsverzeichnisses
" (S. 5) und der Gesamtgliederung mit sämtlichen Unterabschnitten
(S. 6—34). Außerdem wird der Gesamtstoff unabhängig
von der Systematik auf 307 fortlaufende „Kapitel" (fette Randnummern
) aufgeteilt. Im Anhang sind tabellarische Übersichten der
Substanz- und Erkenntnislehre angefügt.

Zu den einzelnen Gegenständen werden die einschlägigen Texte
entweder durch bloße Angabe der Fundstellen oder durch Zitierung
im Wortlaut mitgeteilt, woran 6ich Verweise auf zugehörige, aber an
anderer Stelle genannte oder zitierte Texte schließen. Diesem Verweis-
verfahren kommt die fortlaufende Kapiteleinteilung insbesondere zugute
, so daß sich der Benutzer in der Tat von der Systematik des
Ganzen weitgehend unabhängig machen kann und eine erstaunliche
Bequemlichkeit für die Benutzung des Buches als Sach - Repertorium
erreicht ist.

Für die Form der zitierten Texte ist Verf. von den Editionen,
ihrer Interpungierung durch die Herausgeber (die freilich nicht immer
einleuchtet — vgl. n. 13! Z. 5 — und bei solchen Texten oft eine
fragliche Interpretation darstellt) und von den (auch zur Kontrolle der
älteren Editionen herangezogenen!) Hss. abhängig. Die jeweils benutzten
Editionen und Hss. und die Bedeutung der benutzten Siglen
lassen sich, soweit nötig, bequem im „Quellennachweis" (S. 2—4)
nachschlagen.

Daß beim einfachen Textabdruck überhaupt nicht sichtbar wird,
wo der Cusaner selbst, wo seine Quellen sprechen, was eigenes
Gedankengut, was gemeinscholastische Tradition ist, weiß Verf. (S. XI).
Wir werden es mit ihm in einem solchen Buch für tragbar halten.

An die Drucklegung und Korrektur hätte mehr Sorgfalt gewandt
werden sollen. Nicht selten erschweren die Druckfehler im lateinischen
Text dessen Verständnis (vgl. das Durcheinander von sie und sit