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Ausgabe:

1962 Nr. 1

Spalte:

42-43

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dupont, Jacques

Titel/Untertitel:

Les sources du livre des Actes 1962

Rezensent:

Haenchen, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 1

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entscheidende Ereignis der Heilsgeschichte, und alles Handeln Gottes
in ihrem Ablauf, von der Schöpfung bis zur Vollendung, geschieht durch
ihn. Nach Kap. II, dem neben Kap. III umfänglichsten dieses Teils, bildet
für C. die Königsherrschaft Christi die Mitte des urchristlichen
Denkens. Durch Kreuz und Auferstehung hat Christus den Sieg über
die unsichtbaren Mächte erlangt, ohne daß er schon ganz vollzogen ist
(„Fleisch" und Tod sind noch deutlich wirksam). Seine Herrschaft wird
sichtbar in der Kirche, die als versammelte den Leib des auferstandenen
Christus darstellt; im Bereich der Civilisation übt er sie durch die
engelischen Mächte aus, die sich teilweise von ihr zu emanzipieren versuchen
. Das entscheidende Geschehen zwischen Himmelfahrt und Par-
usie ist die Missionspredigt. Von .Gründung und Erbauung der Kirche'
ist in Kap. III die Rede, von der einmaligen Aufgabe des Apostolats
(die Offenbarung endet mit dem Tode des letzten Apostels), von der
besonderen Stellung des Petrus, von der Bedeutung der Schrift (ihre
Entstehung gehört zum Wesentlichen des Inkarnationsgeschehens; der
Heilige Geist stellt ihre Leser unmittelbar Christus gegenüber). Kap. IV
skizziert (entsprechend Kap. IV in „Christus und die Zeit") ,Die Rolle
des Christen in der Heilsgeschichte' (S. 178—199). Durch die Taufe
fügt Gott den einzelnen der Gemeinde und damit dem Heilsgeschehen
ein; sie ist der Anfang eines völlig neuen Lebens durch den Geist.

Aufs Ganze gesehen, dürfte die Darstellung Fr.s (aus der natürlich
wiederum nur die Linien nachgezogen werden konnten,
die in ihr als theologisch besonders bedeutsam hervortreten) entscheidende
Aussagen C.s herausheben; häufig läßt er seine Leser
an der Beweisführung C.s im einzelnen (bis hin zur Wiedergabe
deT verwendeten Bibelstellen) teilnehmen, nicht selten tritt er
aus der Rolle des Beobachters ganz heraus und versetzt sich sozusagen
in die C. s. Fr. hat sich offenbar bemüht, das Verständnis
des Neuen Testaments durch C. als Ganzes in den Blick zu
bekommen (freilich kann man schon hier mitunter fragen, ob er
nicht zu sehr zum Systematisieren neigt). Daß auch die Christo-
logie für dieses Verständnis wichtig ist, war offenbar schon vor
Einsicht in C.s Werk „Die Christologie des Neuen Testaments"
in Fr.s damals .praktisch bereits vollendeter' (S. 79, A. 1) Arbeit
sichtbar; die Lektüre jenes Werkes bestätigte für Fr. nur seine
Gesamtdeutung C. s. Gleichwohl kann man fragen, ob eine tiefergehende
Prüfung nicht gezeigt hätte, daß bereits Fr.s Darstellung
von C.s Theologie (des Neuen Testaments2) gerade in den
Grundlinien der Ergänzung bzw. der Korrektur bedarf.

Das ist jedenfalls (auch abgesehen von C. s „Christologie")
in bezug auf den relativ kurzen dritten Teil des Buches Fr.s zu
sagen (S. 203—253). Hier kommt Fr. zu seiner eigentlichen Absicht
: der Beurteilung der C.sehen Theologie (des Neuen Testaments
) vom Standort katholischer Theologie aus. Diese stimmt
dem Ausgangspunkt C.s zu: die christliche Offenbarung ist vor
allem Heilsgeschichte3. Von daher und im Blick auf die mitunter
gemeinsame Ausdrucksweise, so 6tellt Fr. fest, haben katholische
Theologen eine ganze Reihe weiterer Sätze im Werk C.s unterschreiben
zu können geglaubt (S. 204), das in der katholischen
Welt, namentlich in Frankreich und Italien, erhebliches Interesse
erregt hat* (S. 7). Dem gegenüber zeigt Fr. den weiten Abstand
C.s von der katholischen Lehre im Fundamentalen auf. öfters betont
er (schon in der Darstellung), daß C.s Theologie mit erheblicher
Konsequenz durchgeführt ist; bei den ersten Schritten
fallen die Entscheidungen, wer dabei mit C. geht, muß ihm bis
zum Ende folgen.

Im dritten Teil will Fr. nunmehr den Weg C.s kritisch nachgehen
(S. 204). In Kap. I zeigt er die Grenzen seiner Methode
auf: C. reduziert — das ist nach Fr. der entscheidende Ausgangs-
satz — zu Unrecht die Heilsgeschichte auf zwei Dimensionen, das
Raumzeitliche — ohne Offen6ein nach oben, in die Transzendenz,
deTen erste Ursache ,das göttliche Wesen' selbst ist, und die sich
im Weg Christi von der Inkarnation bis zur Himmelfahrt ent-

') Siehe dazu unten Sp. 42.

> Vgl. dagegen die Ausführungen von R. Bultmann zu C.s heilsgeschichtlicher
Interpretation des Neuen Testaments in ThLZ 73 (1948)
659—666.

) Die Bibliographie verzeichnet 10 Übersetzungen ins Italienische,
14 ins Französische (von kleineren Artikeln in Nachschlagewerken,
Rezensionen usw. abgesehen, erschienen bis 1959 rund 25 Arbeiten
zuerst [oder nur] in französischer Sprache, rund 25 in deutscher, unter
diesen allerdings die umfänglicheren Bücher; ins Englische übersetzt
wurden 22 Arbeiten); für „Christus und die Zeit" werden 10 kath.
Rezensionen angeführt, 4 „prot", für „Tauflehre" 7 bzw. 2 usw.,
zu schweigen von „Petrus" (40 bzw. 18) und „Tradition" (13 bzw. l).

hüllt. Besonders hier nimmt Fr.s Kritik es nicht genügend ernst,
daß C. gerade auf die Begrenztheit der Aussagen des Neuen
Testaments hinweist (ob C. darin nicht teilweise zu weit geht,
ist freilich zu fragen, aber vom Neuen Testament her und d. h.
also von der Interpretation der Texte her); C. will die Theologie
des Neuen Testaments darstellen, Fr. redet im allgemeinen von
C.s Theologie. — Nach Fr. realisiert die als Catholica bezeichnete
Kirche in sich die gesamte religiöse Transzendenz, die im
Leben Christi enthalten ist. Diese Kirche gewährleistet das rechte
Schriftverständnis (deshalb gibt es z. B. keine neutestamentliche
Christologie im genauen Sinn, weil es kein rechtes Lesen der
Schrift außerhalb der kirchlichen Tradition gibt [S. 242]). Weil
er das Transzendente ausschaltet, kommt C. zu einer positivistischen
Methode (u. a. in der Befragung der neutestamentlichen
Glaubensbekenntnisse nach dem ihnen Gemeinsamen), und darum
erkennt er in der Heilsgeschichte nicht die offenbarende Begegnung
zwischen Gott und Mensch. In Kap. II weist Fr. ,Die Unzulänglichkeiten
der C.sehen Theologie der Heilsgeschichte' (besonders
in der Ausschaltung des Menschen aus dem Heilsvorgang, im
Vermeiden von Aussagen über das Wesen Christi, in der Begrenzung
der apostolischen Funktion auf die Apostel des Urchristentums
) auf. Hier werden fast nur noch Gegenüberstellungen gegeben
, in thetischen Formulierungen, die von bestimmten dogmatischen
und philosophischen Voraussetzungen ausgehen; eine
Auseinandersetzung über die exegetischen Grundlagen wird abgelehnt6
. Das mag insofern begreiflich sein, als den katholischen
Bibelwissenschaftlern von Fr. vorgehalten werden muß, sie seien
(im Unterschied zu den Dogmatikern) in der Zustimmung zu
Sätzen C.s zu weit gegangen6. Fr. unterstreicht dagegen immer
wieder, daß für den Theologen die — katholische — Kirche (mit
ihrer Tradition) die einzige legitime Auslegerin der Schrift ist.

Natürlich hängt das Verfahren Fr.s mit der Aufgabe zusammen
, die ihm durch die in der katholischen Welt C. entgegengebrachte
Sympathie (S. 7) gestellt wurde (es ist merkwürdig, daß
schon der Titel des Buches die Person C. so stark in den Mittelpunkt
rückt). Insofern handelt es sich in seinem Buch um eine
innerkatholische Auseinandersetzung. Gewiß ist es darüber hinaus
sinnvoll, daß die Unterschiede evangelisch / katholisch im Verständnis
des Neuen Testaments vom Ansatz her erneut deutlich
Werden; 6ie brechen auch im Gespräch der Bibelwissenschaftler
auf (etwa in der Frage der ontologischen Aussagen, die auch bei
Fr- sichtbar wird). Gerade deshalb braucht deren Wechselrede
nicht gering geschätzt zu werden, in der sich freilich nicht selten
zeigt, daß das Neue Testament — seine eigene dynamis hat.

Halle/Saale Gerhard Delling

6) Abgesehen von der nicht völlig unproblematischen Bezeichnung
von Kreuz und Auferstehung als der zeitlichen Mitte der Heilsgeschichte
wäre hier etwa bei der Rolle der „Mächte" in der Zeit der
Christusherrschaft anzusetzen gewesen. Zum ersten Problem darf man
wohl weiteres in C.s angekündigtem Buch „Eschatologie und Heilsgeschichte
" (a.a.O. [s. Anm. 1] S. 269, A. 7) erwarten.

") Genannt werden etwa J. Danielou (S. 204, A. 3), P. Benoit
(S-258, A. 1).

Dupont, Dom Jacques: Les sources du Livre des Actes. Etat de la
question. Bruges: Desclee de Brouwer [i960]. 168 S. gr. 8°.

Dom Jacques Dupont, durch eine stattliche Reihe von Aufsätzen
als Actaspezialist bestens ausgewiesen, hatte 1950 „Les
problemes du Livre des Actes d'apres les travaux recents" behandelt
. Den Abschnitt über die Quellenfrage in jener rasch vergriffenen
Studie hat D. jetzt zu einer kritischen Übersicht über
die heutige Lage jenes Problems erweitert und damit ein lehrreiches
— er bespricht 189 Autoren! — und anregendes Buch geschaffen
.

Eine kurze „Einführung" (9—14) handelt von Tendenzkritik,
Quellenkritik und Formgeschichte und bereitet D.s eigene Einteilung
vor, deren erster Teil (17—70) von der Quellenkritik handelt.
Kap. l, „Eine einzige Quelle" (17—39) bringt als Musterbeispiel Loisy'g
(heute allgemein preisgegebene) These, ein Redaktor habe das echte
lukanische Werk völlig überarbeitet. Kap. 2, „Parallele Quellen"
(3 5—50), erreicht seinen Höhepunkt in der Darstellung der auf Harnack
zurückgehenden These, in Apg 4 und 5 werde dasselbe Ereignis des
Apostelverhörs nach zwei verschiedenen Traditionen berichtet, und der