Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

436-437

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Benedictus de Nursia, Die althochdeutsche Benediktinerregel des Cod. Sang 916 1962

Rezensent:

Engelmann, Ursmar

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

435

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

436

figer Standort Davids als Typus in Verbindung mit Christuß gewonnen
" (S. 73). Schließlich sei die Bedeutung der Taube erwähnt, die
bei der Taufe Jesu ebenso auftaucht, wie bei der Inspiration
Davids (S. 99).

Weitaus am bedeutendsten sind die Beziehungen zwischen
den David-Darstellungen und den Herrschern jener Zeit. So
erscheint David in einer Darstellung des 6. Jhdts. im Gewände
Justinians! „David erhält das Gewand und den Thron des
byzantinischen Kaisers; er trägt seine ,Krone' und erscheint in
seinem Bildtypus. Nahm also der Kaiser früher die Attribute
der Götter an, wie Strahlenkrone usw., so werden jetzt Heilige
. . . durch die Begabung mit kaiserlichen signa an den
byzantinischen Herrscher angeglichen. Dieses bedeutet kaum
etwas anderes als eine versteckte Vergottung oder wenigstens
Heiligung des lebenden Kaisers" (S. 108). Im Abendland wird
diese Linie nicht glatt fortgesetzt. Im 8. Jhdt. erscheint David
ohne Krone, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Krone als
Herrschaftszeichen bei den Germanen nur langsam durchsetzte
(S. lo/ll). Erst „vom 9. Jhdt. an tritt das David-rex-et pro-
pheta-Bild — was die Krone betrifft — vollständig in die
Herrecharbildformel ein" (S. 23). Wichtig sind folgende Formulierungen
: „Mittelalterliche Menschen stellen einen biblischen
König mit Insignien und Tracht ihrer eigenen Könige dar,
nähern ihn aber gleichzeitig durch ikonographische Zufügungen
Christus. Das Ganze erscheint wie ein Austausch von Zeichen
zwischen religiöser und weltlicher Sphäre" (S. 125). Steger
meint, „daß die mittelalterlichen Herrscher seit karolingischer
Zeit Anschluß an das heilige Charisma des Königs David suchten
. Ob sie damit aber beanspruchten am Priestertum teilzuhaben
, kann nur im einzelnen Fall nachgeprüft werden" (S. 130).
Das Königtum hat nach Steger „jahrhundertelang an der Grenze
des Königspriestertums" gestanden, „ohne sie im ganzen endgültig
zu überschreiten" (S. 130). Der vieldiskutierte Problemkreis
„Geblütsheiligkeit" wird angeschnitten und aus der Beischrift
„David filius Jesse" gefolgert: „Wenn seit dem 9. Jhdt.
dieser filius Jesse mit Insignien und Tracht des mittelalterlichen
Herrschere im Bild auftritt und in der Majestas-David-regis-
Fcrrmel zur höchsten Steigerung gebracht wird, so erscheint er
dem mittelalterlichen Betrachter als der heilige praedecessor der
mittelalterlichen Könige, die durch ihn der gens Jesse zugehören
und verwandt sind mit Christus" (S. 132). Steger spricht
von einer „Ansippung mittelalterlicher Königsgeschlechter an
die heilige gens Jesse" (S. 132).

Daneben liegt eine vielfältige zweite Linie: „Der rex et
propheta David erscheint als praefigura des adeligen Minnesängers
im Mittelalter" (S. 133). „Jahrhundertealt ist die Rolle
der biblischen Könige David und Salomon als Urheber des rex
pius et sapiens" (S. 135). Dazu kommt noch eine Variante dieser
Linie: Eine Weissagefunktion der germanischen Herrscher
könnte eine Brücke zum Propheten David gebildet haben
(S. 137). Auch Anknüpfungspunkte zur Wodanvorstellung werden
erörtert; „bei dem Auftauchen von Krähenvögeln wird man
im Norden vor allem an die Raben Odins als „Dichthelfer"
denken . . . Der Rabe wird im nordgermanischen Raum als
Weissagevogel betrachtet (S. lOO/oi). Eine direkte Linie David-
Wodan lehnt Steger ab (103). Im Zusammenhang mit Wolfsmasken
auf Davidsdarstellungen wird die Frage nach der „Einwirkung
der vorliterarischen Unterströmung des Mittelalters
auf unsere Bilder" gestellt (S. 138 ff.). Einerseits sind die Wolfsmasken
als Erklärung zu Psalm 1 deutbar als der „Rat der Gottlosen
". Andererseits ist der Wolf dem Wodan geweiht (S. 144),
so daß hier offene Fragen bleiben. „Der große Bär heißt in vielen
Gegenden Davidswagen. Umfangreiche europäische Zusammenhänge
tun sich auf, wenn man die guten Belege bedenkt,
die dieses Sternbild als Wodanswagen erkennen lassen" (S. 143).
Doch schließt Steger diese Überlegungen mit der Feststellung
ab, daß Einzelzüge unserer Bilder nicht ausreichen, um eine
klare Antwort zu vermitteln (S. 146).

Kritische Fragen an Stegers Buch ergeben sich von der Methode
her. Steger will „soweit als möglich das bildliche Material selbst zum
Sprechen bringen"; er betrachtet es „als Kriterium der Sauberkeit der
Methode, daß schriftliche Quellen den aus den Bildern gewonnenen
Befund im allgemeinen nur 6tützen, verdeutlichen oder bestätigen sollen
" (S. 5). Steger bemüht sich mit größter Akribie um jede Einzelheit
des Bildmaterials. Die Denkmälerbeschreibung umfaßt 101 Seiten
(S. 153—253), engbedruckt, zweispaltig; ein analytischer Teil (S. 7
—103) geht ebenfalls von den Einzelheiten der Bilder aus; ein Kapitel
„Synoptische Tabellen" folgt auf S. 254—60. Ist hier nicht doch bei
allem Verständnis für gründliche Bildauswertung des Guten zuviel getan
worden? Das Gewand Davids z. B. wird in jeder der 74 Nummern
der Denkmälerbeschreibung behandelt, es füllt die Seiten 24—40 und
die Tabelle 5 a (S. 255), ohne daß man den Nutzen solcher dreifachen
Behandlung- einsehen kann. Tabelle 5 b hat die Überschrift „Gewandung
III: Die Gewandfarben bei den tanzenden, gaukelnden und stehenden
Begleitern Davids". Solche Tabelle kann nützlich sein, wenn
von den Farben die Deutung des Bildinhaltes abhinge, — aber das ist
doch kaum der Fall (S. 30) I Andererseits fehlen wichtige Elemente wie
Thron, Szepter und Globus. Wie wichtig diese Elemente für den
Bedeutungsinhalt eines Typos sein können, hat A. Raddatz für das
Ekklesia-Synagoge-Motiv gezeigt (Die Entstehung des Motivs „Ekklesia
und Synagoge", geschichtliche Hintergründe und Deutung, Diss. theol.
Berlin 1959). Auch auf P. E. Schramms Arbeit Sphaira — Globus —
Reichsapfel, 1959, wäre zu verweisen, die in Stegers sonst so ausführlichem
Literaturverzeichnis fehlt. In Tabelle 6 „Armspangen und
Knieriemen" wird nicht gesagt, ob es sich bei den Armspangen um
das Herrschaftszeichen der armillae handelt. — Vor allem aber hätte
man sich an manchen Punkten eine stärkere Berücksichtigung schriftlicher
Quellen gewünscht. S. 99, Anm. 11 wird u. a. auf den Heliand
verwiesen; für den Vergleich Davids mit Christus und Wodan hätte
man jene Stelle auswerten 6ollen: Die Taube läßt sich bei der Taufe
Jesu auf dessen Schulter nieder! Auf S. 101 spielt eine Vision des
Adamnan eine Rolle; es wird keine Quelle genannt, sondern ein Buch
von 1891 und eine Festschrift von 1911. Da diese Vision aus dem
9. Jhdt. stammen soll, Adamnan aber im 7. Ihdt. lebte, hätte man «ich
genauere Angaben gewünscht. Für das Problem der „versteckten Vergottung
oder wenigstens Heiligung des lebenden Kaisers" (S. 108)
wäre Berkhofs Darstellung „Kirche und Kaiser", 1947, nützlich gewesen
, in der die schriftlichen Quellen ausgewertet wurden. S. 127
wird von der Bibelauslegung der Theologen (seit Ambrosius) gesprochen
, die David als Prototyp des christlichen Herrschers sah. Steger gibt
keine Quellen an; Hauptgewährsmann ist E. Rieber, „Die Bedeutung
alttestamentlicher Vorstellungen für das Herrscherbild Karls d. Gr.",
1949, — und diese Tübinger Dissertation liegt nur in Maschinenexemplaren
vor! S. 129 wird aus einem Brief Papst Leos II. an die
6. ökumenische Synode in Byzanz zitiert, — und als Quellort liest
man: „Fichtenau, Byzanz und die Pfalz zu Aachen, S. 30ff." Der
gleiche Einwand ist auch gegen eines der wichtigsten Ergebnisse Stegers
zu machen: S. 132 wird die Verwandtschaft der mittelalterlichen
Könige mit der gens Jesse behauptet auf Grund der Bilder; es soll
nicht bestritten werden, daß die Bilder 6o interpretiert werden können
, — aber handfeste literarische Quellen wären hier überzeugender
gewesen als pauschale Hinweise auf Sekundär-Literatur.

So zeigt Stegers Buch, wie der gegenwärtige Zug der
Forschungsgeschichte, primär die monumentalen Quellen auszuwerten
, einmal mehr zu durchaus anregenden Ergebnissen
führt; es zeigt freilich zugleich auch, wo die Grenzen und Gefahren
dieser Methode liegen. Vielleicht empfindet Steger etwas
Ähnliches, wenn er im Vorwort schreibt, ihn habe zunächst die
phänomenologische Betrachtungsweise gefesselt, er würde aber
heute stärker als früher eine innere Geschichte des Gegenstandes
anstreben. Das Aufgreifen des Themas sowie die Ordnung
des Materials unter der Formel „David Rex et Propheta"
sind aber eindeutige Verdienste des Autors.

Rostock CertHaendler

Da ab, Ursula: Die Althochdeutsche Benediktinerregel des Cod. Sang

I 916 hrsg. Tübingen: Niemeyer 1959. 304 S. 8° = Altdeutsche Textbibliothek
, hrsg. v. H.Kuhn, Nr. 50. Kart. DM 14.—.

Neben der Regel St. Benedikts im Codex 914 aus dem
9. Jahrhundert in der Stiftsbibliothek zu St. Gallen ist der Cod.
916 gleichen Jahrhunderts ebendort bemerkenswert, der eine
altalemani6che Interlinearversion der Benediktinerregel gibt. Als
Schülerin des hochverdienten Georg Baesecke hat sich die Herausgeberin
Ursula Daab schon 1929 mit der Sache befaßt, 1958 die
Schreiber der Handschrift untersucht und nun den Text kritisch
publiziert. E. v. Steinmeyer hatte den Text bereits 1916 in den
„Kleineren althochdeutschen Sprachdenkmälern" abgedruckt.
U. Daab hat in kritischer Arbeit einen brauchbaren Text geschaffen
. Anmerkungen machen den Wortlaut verständlich, indem
verdorbener Text, falsche Übersetzungen oder auch abweichende
lateinische Formenbildungen erklärt werden. Wichtig sind das
beigegebene althochdeutsche und das lateinische Glossar, die