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Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

432-434

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Lafont, Ghislain

Titel/Untertitel:

Structures et méthode dans la Somme théologique de Saint Thomas d'Aquin 1962

Rezensent:

Persson, Per Erik

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

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tat entscheidende Bedeutung gehabt. Er tritt also für einen
doppelten Ursprung ein. Beachtenswert sind die Ausführungen
über die Herkunft der Ministerialien, insbesondere den etwaigen
Anteil von Freien oder sogar Edel-Freien. Für die soziale Entwicklung
im Mittelalter ist dies von Belang, doch ist darüber
noch keine endgültige Klärung erlangt2. Der folgende Aufsatz
über „Ursprung, Zweck und Bedeutung der karolingischen Westwerke
" faßt die Ergebnisse der neuesten Forschungen und nicht
zuletzt der Ausgrabungen zusammen; er ist eine der neuesten
Arbeiten (1955). Das Westwerk der Kirchen ist die eigenartige
Ausgestaltung der Westfassade der karolingischen Langkirchen
, und zwar durch einen burgartigen Aufbau, der quadratisch
oder rechteckig über der Eingangshalle errichtet wurde.
Als ältestes Beispiel gilt das Westwerk der Kirche von St. Riquier
in Nordfrankreich, die durch Abt Angilibert, der Karl dem Großen
nahestand, 799 geweiht wurde.Es handelt sich also um eine karolin-
gische Schöpfung. Diese Westwerke haben sich im Laufe des 9. Jahrhunderts
über das Reichsgebiet verbreitet. Eine große Rolle scheint
dabei das Westwerk des Klosters Corvei gespielt zu haben. Die
neueste Forschung bringt sie mit der kirchlichen Stellung des
Königs in Zusammenhang, denn sie enthalten eine Empore für einen
Königsthron gegenüber dem Altar. Dadurch kommt der staats-
symbolische Charakter dieser Anlage zum Ausdruck, es handelt
sich also um Königskirchen. Der Verfasser betont daneben, daß
der burgartige Ausbau im Zusammenhang mit der damals drohenden
Normannengefahr bestanden hat, daß es also eine Art
Wehrkirchen gewesen seien'1. Allgemeine Bedeutung hat ein
Aufsatz „Land- und lehnrechtliche Grundlagen des Reichsfürstenstandes
" (1948). Auch hier ist die Entwicklungsgeschichte
wichtig. Der Verfasser betont, daß man die Initiative
der staufischen Herrscher nicht überschätzen darf. Besonders beschäftigt
er sich mit der Bedeutung des Herzogtums. Auch er
ist der Ansicht, wie es die neue Forschung betont, daß nicht der
Stamm, sondern das Land entscheidend gewesen ist. Man wird
aber vielleicht noch mehr den zeitbedingten Charakter der sogenannten
Stammesherzogtümer betonen müssen4. Zu begrüßen
ist der Wiederabdruck seiner schönen Studie über Baldewin von
Luxemburg, dessen Bedeutung für die Ausbildung des Trierer
Territoriums und seine Stellung in der internationalen Politik
gut herausgearbeitet wird. Nun folgen die diplomatischen und
Quellen-Untersuchungen. Dabei ist hinzuweisen auf den ersten
Aufsatz: „Die Entwicklung des Kaiserprivilegs für die römische
Kirche 817—962. Ein Beitrag zur ältesten Geschichte des Kirchenstaats
." Mit großem Scharfsinn wird die Entwicklung des grundlegenden
Privilegs für die territoriale Stellung der römischen
Kirche von dem Privileg Ludwigs des Frommen bis zu dem
Ottos des Großen verfolgt. Dabei wird die Ansicht vertreten,
daß mehr, als bisher angenommen wurde, das letzte Privileg bereits
auf verlorenen Zwischen-Privilegien beruht. Haller hatte
der Ansicht widersprochen, wozu der Verfasser in einem Nachwort
Stellung nimmt. Eine Reihe von Quellenuntersuchungen
haben Ergebnisse gebracht, die über den Rahmen der Hilfswissenschaften
hinaus von Belang für die politische und insbesondere
Geistesgeschichte des Mittelalters sind. „Die Entstehung
der Res gestae Saxonicae des Widukind von Corvey" beschäftigt
sich mit der Frage, wie weit vor der endgültigen Redaktion
von 967 es bereits eine Urfassung gegeben habe. Der Verfasser
hat in eingehender Untersuchung diese Vermutung zurückgewiesen
. Wir erhalten dabei einen Einblick in die Tätigkeit des
hochmittelalterlichen Geschichtsschreibers. Es wird deutlich, wie
stark in dem zeitgeschichtlchen Teil die politischen Verhältnisse
auf die Darstellung eingewirkt haben. Die kirchliche Geschichts-

2) Für dieses Problem sei auf die Arbeit von W. Schlesinger „Die
Landesherrschaft der Herren von Schönburg", Münster 1954, S. 246
hingewiesen, der auch den Übertritt Edelfreier in die Ministerialität
für möglich hält. Die« blieb nicht unwidersprochen. Vgl. Karl Bosl,
Dienstrecht u. Lehnrecht im deutschen Mittelalter, Bd. V, Vorträge u.
Forschg. Lindau S. 51 ff., insbes. S. 94.

3) Es steht im Zusammenhang mit dem Wiederentstehen von
Festungsbauten in dieser Zeit; vgl. meinen Aufsatz Residenz u. Territorium
im nieder!. Raum, in: Beiträge z. belg. niederl. Gesch., Bln.
1959, S. 246 ff.

*) Vgl. hierzu meinen Aufsatz La naissance d'un Etat allemand au
Moyen-Age, in: Lc Moyen-Age 1958, S. 219 ff.

Schreibung des M A steht, wie sich gerade an diesem Beispiel
nachweisen läßt, nicht außerhalb des politischen Geschehens.
Daher wird man sich hüten müssen, diese Geschichtsschreibung
als isoliert von dem Umweltgeschehen zu betrachten. Auf der
gleichen Linie liegt der Aufsatz über „Die Entstehung der
Kaiserchronik und der Aufgang der staufischen Zeit". Hier hat
der Verfasser mit neuen Argumenten die Entstehung für ca. 1160
nachgewiesen. Dabei ist von Bedeutung, daß er dieses berühmte
Werk mitten in den geistigen Umbruch der frühen staufischen
Zeit stellt, indem er die Einwirkung der sozialen Umwandlung
und dadurch die Entstehung eines ritterlichen Standesgefühls
und einer frühhöfischen Kultur an diesem Werke nachweisen
kann. Den viel umstrittenen Geschichtsschreiber der saalischen
Zeit vermag er in ein neues Licht zu stellen in seinem Aufsatz
„Lantpert von Hersfeld, der erste Abt von Hasungen, zugleich
ein Beitrag zur Frühgeschichte der Hirsauer Klosterreform".
Es ist ihm gelungen, wesentliche neue Argumente dafür beizubringen
, daß Lampert durch den Erzbischof Siegfried von Mainz
1081 zum Abt des niederhessischen Klosters Hasungen gemacht
worden ist. Die Ergebnisse sind sowohl für die Persönlichkeit
Lamperts, wie auch für die Beurteilung seines Werkes bedeutsam
. Auch hier erhalten wir wieder Einblicke in die Geschichtsschreibung
dieser Zeit. Diese Beiträge zeigen den Weg, zu einem
tieferen Verständnis des mittelalterlichen Menschen zu gelangen
.

So stellt denn diese Sammlung ein Geschenk der älteren
Generation an die weitere Forschung des Mittelalters dar, die
gerade auch in geistesgeschichtlicher Beziehung vor neuen großen
Aufgaben steht.

Berlin Heinrich Sp roemberg

Lafont, Ghislain, O.S.B.: Structures et methode dans la sommc
theologique de Saint Thomas d'Aquin. Bruges: Desclee de Brouwer
[1961]. 512 S. 8° = Textes et Etudes theologiques. bfr. 390.-.

Während innerhalb der Thomasforschung eine nahezu unübersehbare
Literatur die Stellung des Thomas von Aquin zu
verschiedenen philosophischen und theologischen Problemen behandelt
hat, ist nur auffallend selten die grundlegende Frage
untersucht worden, welcher Art die Methode ist, die in seinem
monumentalen Hauptwerk „Summa theologiae" zur Anwendung
gelangt. Zu dem letztgenannten Fragenkomplex gehört das umfassende
Problem, wie sich innerhalb der thomistischen Synthese
die philosophischen zu den aus der christlichen Tradition gewonnenen
Gedankenelementen verhalten. Die Besonderheit dieser
Synthese zeigt sich nicht zuletzt in dem eigenartigen Aufbau,
durch den die „Summa theologiae" gekennzeichnet ist und der
auch von der modernen, stark christozentrisch orientierten
römisch-katholischen Theologie nicht selten kritisiert worden
ist. Es stellt sich hier besonders die Frage, wodurch der bekannte
Sachverhalt bedingt ist, daß im zweiten Teil der Summa
die Gnadenlehre abgehandelt wird, bevor überhaupt von Christus
und seinem Heilswerk gesprochen wird. Denn erst der
dritte Teil der Summa enthält die Christologie und Sakramentslehre
.

Lafonts Buch füllt hier eine Lücke innerhalb der Forschung
aus. Er hat nämlich als erster in einer umfassenden Monographie
die durch den Aufbau der Summa gegebenen Probleme behandelt
. Seinen Ausgangspunkt bilden drei verschiedene Lösungsversuche
, die während der letzten Jahre vorgelegt worden 6ind,
nämlich der von M.-D. Chenu O. P., der von A. Hayen S. J.
und der des Rezensenten. Chenu (Introduction ä l'etude de saint
Thomas dAquin, 1950) 6ieht das entscheidende Moment für
den Aufbau in dem neuplatonischen Schema „exitus - reditus",
wobei das erste Glied des Schemas la Pars und das zweite Glied
IIa Pars bestimmen soll, während der lila Pars die spezifisch
„christlichen" Bedingungen für diesen „reditus" angibt. Die entscheidende
Grenzlinie geht somit zwischen dem ersten und
zweiten Teil der Summa. Nach Hayen (Saint Thomas d'Aquin et
la vie de l'Eglise, 1952) verläuft dagegen die entscheidende
Grenzlinie zwischen auf der einen Seite la und IIa Pars, und auf
der anderen lila Pars, wobei die ersteren als Ausdruck für „unc
vision abstraitc" und der letztere als Ausdruck für ,,une vision