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Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

416-421

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kraus, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Psalmen 1962

Rezensent:

Kaiser, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

416

ALTES TESTAMENT

Newman, Jacob, M. A., D. Litt., Prof.: The Commentary of Nahmanides
on Genesis Chapters 1—6 Introduction, Critical Text,
Translation and Notes. Leiden: Brill 1960. XII, 95 S., davon 75
Doppelseiten zweisprachig, XXV S. 8° = Pretoria Oriental Series,
ed. by A. van Selms, Vol. IV. Lw. hfl. 30.—.

Sinn und Bedeutung der kritischen Bearbeitung und Veröffentlichung
eines Kommentars aus der Feder eines jüdischen
Gelehrten des 13. Jahrhunderts hat der Herausgeber der Reihe
A. van Selms in einem Vorwort ungefähr folgendermaßen treffend
gekennzeichnet: Die Bibelgelehrsamkeit ist wie jede andere
Wissenschaft ein kontinuierlicher Prozeß. Nahezu alles, waG von
Bedeutung ist, wird von späteren Autoren übernommen. Dennoch
dürfte man nicht dem Irrtum verfallen, man könne 6ich auf die
Äußerungen der letzten und vorletzten Generation stützen, in
der Annahme, die klassischen Werke früherer Gelehrter stünden
jenen an Wert und Aktualität nach. Gerade die Tatsache, daß
6ich dort nicht wenig findet, was auch heute vertreten wird,
beweist die Größe jener Autoren. Hinzu kommt, daß sie manches
zum ersten Male ausgesprochen und verfochten haben, was
der späteren Forschung nach gründlicher Prüfung zum Gemeingut
geworden ist. Auf diese Weise könnte man jetzt kaum noch die
Originalität und den revolutionären Charakter der Leistung
klassischer Gelehrter ermessen.

Diesem Umstände soll Newmans Veröffentlichung entgegenwirken
. Er stellt zum Verständnis seiner Darbietung eine kurze
Biographie des Autors sowie einige Bemerkungen über den
literarischen Ort und Charakter des Werkes voran.

Nachmanides wurde im Jahre 1195 n.Chr. in Gerona in
Katalonien geboren. Er wurde in die jüdisch-christlichen Religionsstreitigkeiten
hineingezogen, die Spanien um die Mitte des
13. Jahrhunderts bewegten, mußte infolge der standhaften Verfechtung
seiner Meinung von dem Vorzug der jüdischen Religion
das Land verlassen und lebte seit 1267 in Akko, wo er auch seinen
Kommentar vollendete. Hier starb er dann im hohen Alter
und wurde in Haifa beigesetzt.

Nach der Ansicht des jüdischen Gelehrten bildet die Toräh
den Quellort alles menschlichen Wissens und aller Weisheit.
Voller Hingebung studierte er ihren Wortlaut. Hierin wandelt
er auf Raschis und Ibn Esras Spuren. Dennoch erschöpfte sich darin
die Weisheit der Toräh nicht. Sie hat noch einen tieferen, verborgenen
, vom Literalsinn grundsätzlich zu unterscheidenden Gehalt
, der ebenfalls von Mose selbst her auf auserwählte
Schüler mündlich übergegangen ist. Zu ihnen zählt sich auch
Nachmanides selbst, zu den Gelehrten der Kabbalah, der Geheimüberlieferung
. So finden wir Nachmanides' Kommentar im Spannungsfeld
zwischen der reinen Wortexegese und der mystischen
Reflektion über den Text der Toräh. Verständlicherweise hat er
sich hierin mit seinen Vorgängern und Lehrern auseinandersetzen
müssen.

Es liegt in der Natur der Sache, daß es sich in diesem jüdischen
Kommentarwerk eigentlich um die gleichen Fragen handelt,
die auch uns die Genesis-Exegese aufgibt: Um Gen. 1, 1, die
Schöpfung und das Verhältnis von töhü wäböhü und der
creatio ex nihilo. Nachmanides vertritt die Ansicht, daß zunächst
Himmel und Erde der Substanz nach aus dem Nichts geschaffen
wurden und aus diesen dann erst die weitere Schöpfung
mit all' ihren Heerscharen hervorgegangen ist (S. 33 f.). Desgleichen
sinnt Nachmanides über die Verwendung der 1. Pers. Plur.
in Gen. 1,26 nach: „Lasset uns Menschen machen!" Hier findet
er eine originelle, für uns gleichwohl nicht mehr annehmbare Antwort
. Gott spricht hier mit der Erde, und sie beide sind dann
auch die Schöpfer des Menschen. Aus der Erde entspringt dessen
Leiblichkeit, von Gott stammt sein Geist (S. 55). Das Nebeneinander
von selem und d'müt als Bezeichnungen für die Gottebenbildlichkeit
des Menschen wird so gedeutet, daß das erstere seine
äußere Gestalt, das zweite seine innere Beschaffenheit meine.
Nach der einen ist er der übrigen Kreatur gleich, nach der anderen
den höheren Wesen verbunden (S. 56). Die dem Menschen von
Gott eingeblasene n°sämäh (Gen. 2, 7) sei die höhere menschliche
Seele, die nicht aus den Elementen der Schöpfung, sondern

von Gott selbst herrühre (S. 65). In der Deutung des Unterscheidens
von Gut und Böse nach dem Genuß der Früchte des
Erkenntnisbaumes grenzt sich Nachmanides von seinen Vorgängern
ab, die hier die Wurzel sexuellen Verlangens erkennen
zu können glauben. Er selbst findet darin den Ursprung der bewußten
Willensentscheidung des Menschen (S. 68 f.). Einer Erwähnung
wert ist ebenfalls die Auslegung des Berichtes vom
Wandeln Gottes im Garten Eden. Nachmanides versteht diese
Aussage in strikter Ablehnung des groben Anthropomorphismus
im übertragenen Sinne ähnlich Lev. 26, 12: „Und ich werde unter
euch wandeln . . .". Gottes Erscheinung im Garten wird dem
Menschen an dem göttlichen Hauch offenbar, der durch den Hain
weht (S. 76 f.). Gen. 4, 1: „Ich habe einen Menschen erworben
mit Jahwe" deutet Nachmanides folgendermaßen: Eva meinte:
„Als er mich und meinen Mann schuf, schuf er uns für sich
(Fbddo, by Himself). Nun, in diesem Falle, sind wir Partner
mit ihm (immö)" (S. 80 f.). Ausführlich nimmt Nachmanides
auch zu dem Problem der Göttersöhne Stellung (Gen. 6, 2). Nach
seiner Auffassung seien Adam und seine Frau Göttersöhne zu
nennen, da Gott sie selbst geschaffen habe und somit ihr Vater
sei. Einen anderen Vater hätten sie nicht. Die ersten Generationen
: Adam, Set und Henocli seien infolge besonderer Qualitäten
als Göttersöhne zu bezeichnen (S. 93). Auch hier zeigt sich das
Bemühen, Gottes Transzendenz, den Abstand von Schöpfer und
Geschöpf, herauszustellen.

Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um die Eigenart
und Tiefe dieses Kommentars zu kennzeichnen. Wir finden immer
wieder unsere eigenen Fragen — zwar in anderem Gewände, lauschen
einem Manne, der zu ganz anderer Zeit von völlig anderen
Voraussetzungen her mit theologisch-exegetischer Schärfe, aber
auch mit tiefer, gläubiger Inbrunst über die Worte der Töräh
nachsann.

Der Kommentar wird so geboten, daß der hebräische Text
in Quadratschrift der englischen Übersetzung synoptisch an die
Seite gestellt wird, um so dem Leser einen leichten Zugang zu
der Terminologie und Ausführung dieses jüdischen Kommentars
zu vermitteln. Der Text ist mit zahlreichen hinweisenden und
kritischen Fußnoten versehen, die einmal die Vertrautheit des
Herausgebers mit der jüdischen Gedankenwelt und Literatur
zeigen und auf der anderen Seite dem interessierten Leser eine
tiefer eindringende Beschäftigung mit der Materie ermöglichen.
Dieses Buch ist ohne Zweifel ein erfreulicher Beitrag zur Auslegungsgeschichte
des Alten Testaments.

Halle/Saale Gerhard Wallis

Kraus, Hans - Joachim: Psalmen. Neukirchen Kr. Moers: Verlag d.
Buchhandlung d. Erziehungsvereins [i960]. LXXXVIII, 994 S. gr. 8°
= Biblischer Kommentar. Altes Testament XV. Lw. DM 116.—.

Mit LXXXVIII + 994 Seiten liegt der Psalmcnkommentar
von Hans-Joachim Kraus abgeschlossen vor, dessen erste Lieferungen
in Band 84, Sp. 512 ff. dieser Zeitschrift angezeigt worden
sind. — Es ist die umfangreichste wissenschaftliche Erklärung
dieses biblischen Buches in der Gegenwart, und die umfassendste
in deutscher Sprache seit Gunkels 1926 erschienenem Werk.
Und es sei gleich vorweg betont, daß auch der Benutzer, der in
vielen großen und kleinen Fragen anderer Ansicht ist, dem
Werk als ganzem seine Achtung nicht versagen wird, das sich
um die Aufarbeitung einer so vielschichtigen und zahlreichen,
seit den ausgehenden zwanziger Jahren erschienenen Literatur
bemüht. Gewiß wird er Ungleichmäßigkeiten in ihrer Verarbeitung
feststellen können, ja, vielleicht im Blick auf die Auseinandersetzung
mit den stärker religionsphänomenologisch orientierten
Publikationen der angelsächsischen und skandinavischen
Forschung sogar zu dem Urteil neigen, daß mit diesem Buch
keineswegs das letzte Wort über die Psalmen gesprochen ist,
ohne deshalb dem Verfasser seine Anerkennung für die in ihrer
Weise konsequent geleistete Arbeit vorzuenthalten, die das
Buch immer wieder, sei es zustimmend, sei es widersprechend,
angeregt aus der Hand legen läßt.

Die als letzte Lieferung ausgegebene Einleitung (S. VII-
LXXXVII1) behandelt in zehn Paragraphen die wesentlichen
Probleme und erleichtert es dem Benutzer ebenso, sich vor der