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Ausgabe:

1961 Nr. 10

Spalte:

750-752

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eliade, Mircea

Titel/Untertitel:

Yoga 1961

Rezensent:

Melzer, Friso

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 10

750

hatten, wie etwa die Denshinkyo, welche die Elektrizität als
Hauptgott und Edison als eine der kleineren Gottheiten verehrte
. Am 1. 1. 1958 zählte man 126 „Neue Religionen", von
denen einige auch als christlich eingetragen sind. Genauer wäre
zu übersetzen „neu erstandene Religionen", oder es wäre zu sagen
„moderne Religionen". Denn „Neues" ist in den neuen
Religionen kaum feststellbar. Der Japaner Oguchi vergleicht die
Mehrzahl einem „Cocktail, gemixt aus Bibel, Kojiki und dem
buddhistischen Kanon" (60), und von der Modernität der Per-
fect Liberty - Sekte wird gesagt, sie sei „alter Sake in einer
neuen Flasche" (71).

Der Einfluß des Christentums zeigt sich bei der Betonung
der Gleichheit aller Menschen, bei der Stellung der Frau und der
betont sozialen Gesinnung und aktiven sozialen Tat. Tatsächlich
handelt es sich weniger um Religion als um eine Art „Lebensführung
". Die Zahl der Anhänger wird auf 18 Millionen geschätzt
, so daß also jeder 5. Japaner erfaßt wäre. Das mag vor
allem auch zurückzuführen sein auf die praktizierte Einfachheit
und Volkstümlichkeit im Reden (anders als in der Kirche;
Thompsen meint, bei vielen japanischen Christen herrsche die
entgegengesetzte Neigung, eine wegen ihrer Gelehrsamkeit nur
halb verstandene Predigt als „schön" zu bezeichnen. „Kein
Wunder, daß wenig Bauern und Arbeiter in der Kirche zu finden
sind!" — Rosenkranz, w. o. S. 44). Daß diese Gebilde mit der
Vokabel „Kirchen" bezeichnet werden, ist unerwartet und untragbar
(12,13,71): diese Vokabel ist eindeutig vorbelegt (cf.
meine Ausführungen „Falsche Vokabeln", NAMZ 8/1938 und
„Lapsus Linguae — oder mehr?" in: Missionsdienst der Luth.
Kirche, 1942).

Der Verf. geht so vor, daß er zunächst sehr ausführlich die
„neuen Religionen" mit dem religiösen Erbgut Japans, das diese
beeinflußt und geformt hat, konfrontiert und die positiven und
die negativen Elemente in den sozialen, den psychologischen,
den religiösen und den historisch-politischen Umständen aufzeigt
. Im 2. Kap. bespricht Verf. die geistig-religiöse Gegenwartslage
Japans, wie sie sich nach der Niederlage 1945 ergeben
und das Entstehen der neuen Sekten begünstigt hat (Nicht:
Nach mir die Sintflut, sondern:' Nach mir die Bombe.' S. 39).
Auf den Seiten 49—51 zählt er zusammenfassend 16 Gründe auf,
die für die günstige Aufnahme der neuen Gruppen wichtig
waren, wobei er unter Punkt 10 auch die Einwirkung des
Christentums nennt.

Die eigentlich interessanten Kapitel sind das 3. und das 4.
Das 3. Kap. nennt die Charakteristika der modernen Religionen
, und zwar werden sie getrennt als religiöse und soziale
Momente aufgeführt. Auffallend und fraglos richtig ist die
Beobachtung, daß hier eine Rückkehr zu den Praktiken der
primitiven Religion des Schamanismus vollzogen wird. Den
Theologen interessieren besonders auch die Phänomene des
Illuminismus und der behaupteten Offenbarungsempfänge, der
synkretistische Charakter, die Besessenheit, die Magie der Worte
und das Hervortreten der Frauen als Gründerinnen, Leiterinnen
und — bis zu 80 % — als Mitglieder der Sekten. Beispielhaft
bringt das 4. Kap. eine eingehende Beschreibung einer der
neuen Religionen, nämlich der „Bruderschaft der vollkommenen
Freiheit" (Perfect Liberty Kyodan), die „eine Mischung aus
neuen Worten, aus Shintoismus und einem frei ausgelegten
Buddhismus ist" (71). Dem Nachweis der Verwurzelung in
der Tradition und einer summarischen Darstellung dieser modernen
Religion folgen eine Vorstellung des Gründers und
seiner Bruderschaft, eine Wiedergabe der Lehre und ihrer 21
Artikel (Art. 1: „Das menschliche Leben ist eine Kunst";
Art. 14: „Der Friede der Welt ist das letzte Ziel") und schließlich
eine Aufweisung des Kultus und der Propaganda. „Diese
Religion ist höchstens eine moralistische Religion" (lll).

Eine willkommene allgemeine Bibliographie schließt das
Werk ab. Rez. ist zwar des Japanischen und der Quellen nicht
kundig, er bezeugt aber nach der Lektüre und aus einer allgemeinen
Kenntnis des Sachverhaltes die Solidheit und Vertrauenswürdigkeit
dieser guten Untersuchung.

Hnlle/S. Arno Lehmann

Elia de, Mircca: Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit. Aus dem Französischen
übers, v. Inge Köck. Zürich-Stuttgart; Rascher 1960.
X, 515 S. gr. 8°. Lw. DM 37.20.

Kurz nach Prof. Hauers Yoga-Werk (vgl. unsere Rez. in der
ThLZ 1958, Nr. 10, Sp. 669-671) hat Prof. Mircea Eliade (Chicago
, früher Paris) sein gleichfalls umfassendes Werk herausgebracht
, ohne daß er jenes in seiner Darstellung noch" berücksichtigen
konnte. Bietet Hauer ausgezeichnete historisch-philologische
Erläuterungen, aus den Quellen geschöpft sowie Quellen übersetzend
und auslegend, so erschließt Eliade dem Leser eine weite
religionsgeschichtliche Sicht, indem er das Schamanentum einbezieht
, somit sein früheres Werk über „Schamanismus und archaische
Ekstasetechnik" weiterführt und auch nach Tibet und China
blickt. Mit sachlich gegründeter Darlegung verbindet er einen
weltgewandten Stil, der die Lektüre angenehm macht (er hat auch
bewußt für Nicht-Fachleute geschrieben, vgl. S. 9). So ist zu sagen
: beide Werke ergänzen einander; wer die Welt des Yoga
kennen lernen will, sollte sich beider Arbeiten bedienen!

Als ob er geahnt hätte, daß Hauer darüber ausführlicher geschrieben
hat, verzichtet Eliade auf eine quellenmäßige Erörterung
der Yoga-Lehren Patanjaiis. Auch die buddhistischen Praktiken
läßt er zurücktreten, weil darüber gleichfalls schon genug
geschrieben worden sei. Was zeichnet sein Werk aus?

Der Niederschrift voran ging ein dreijähriger Aufenthalt an der
Universität Kalkutta (1928—1931) unter der Leitung von Professor
Surendranath Dasgupta. Ferner weilte Eliade 6 Monate im Ashram von
Rishikesh, Himalaya (bei wem? bei Sivananda? vgl. seine Fußnote S. 65
— wenn ja, was hat Sivananda ihm damals geboten? Wir wissen, daß
Sivananda später sich vom echten Gurutum abgewandt hat und zum
Manager einer weltumfassenden Propaganda-Gesellschaft geworden ist,
vgl. meine Darlegungen in „Meditation in Ost und West", 1957,
S. 21-23).

Leider nimmt Eliade die in diesem Buch durch den Gegenstand
gegebenen Möglichkeiten, aus eigener Erfahrung zu berichten, nicht
wahr. Er nennt zwar den indischen Professor Dasgupta in Kalkutta seinen
Guru (10), schreibt aber kein Wort von eigenen Übungen und Ergebnissen
solcher Übungen, die er bei diesem Guru gelernt und durchgeführt
habe. Das ist schade. Ich kann mir nicht denken, daß ihm solches
Berichten durch den Guru verboten worden sei. Aber auch in diesem
Fall hätte er ein Wort dazu sagen dürfen, über die Tatsache der Übungen
wie de6 Verbots. Oder hat er die Initiation nicht erreicht? (Das ist
uns gerade bei den Büchern von Hans Ulrich Rieker das Wichtige, daß
er aus eigener Erfahrung spricht.) Erst durch eigenes Üben erschließen
sich auch die überlieferten Texte. Somit gehört in diesem Bereich der
Forschung eigene Übung mit zur Wissenschaftlichkeit. Wer selber nicht
übt, kann die überlieferten Texte im letzten nicht sachgemäß auslegen.

Doch nun zum Aufbau des Werks! Acht große Kapitel führen
den Leser in den Yoga ein: Die Lehre des Yoga — Die Techniken
der Automatie — Yoga und Brahmanismus — Der Sieg des
Yoga — Yogische Techniken im Buddhismus — Yoga und Tantris-
mus — Yoga und Alchemie — Der Yoga und die indischen Ureinwohner
. Die letzten drei Stücke zeigen den Fachmann der vergleichenden
Religionswissenschaft in seinem Element und legen
dem Leser viel Unbekanntes vor, tragen verstreute Elemente
zusammen.

Hier ist anzumerken, daß Eliade Verbindungslinien zu den Erkenntnissen
seines früheren Werkes über „Schamanismus und archaische
Ekstasetechnik" (Zürich 1957) zieht. Die indischen Yoga-Wege grenzen
an die ausgedehnte Welt der Schamanen. Beiden gemeinsam ist die Ekstase
: wobei allerdings zu bemerken ist, daß dieser Begriff vieldeutig
ist. Während Eliade in seinem Werk über das Schamanentum den Formen
der primitiven Mystik nachgeht und dabei Indien nur kurz streift
(S. 384—401), steigt er in seinem Yoga-Werk auf die höhere Stufe der
indischen Religionsübungen. Er bezieht sich hier S. 329 auf seine erste
Arbeit über den Schamanismus und stellt S. 326—333 die Verbinduhg
zwischen beiden Arbeiten, d.h. zwisdien Schamanismus und Yoga, her.

Besonders wichtig ist das erste, grundlegende Stück über die
Lehre des Yoga. Eliade legt dar, wie vier Begriffe einander bedingen
, so daß man, beginnt man beim einen, stets auch auf die anderen
drei stößt: karman, mäyä, nirvana und yoga. Dabei
bezeichnet Yoga „die Mittel zur Erlangung des Seins und die
Techniken zum Erreichen der Befreiung (moksa, mukti), welche
in ihrer Gesamtheit den Yoga bilden" (11). Es geht also in der
indischen Philosophie nicht um theoretische Wahrheit oder Wahrheit
an sich, sondern Wahrheit dient der Lösung des Menschen
aus der Welt des Scheins, dient seinem Streben nach absoluter