Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

751-754

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Luther Jahrbuch 1959 1960

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

751

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

752

berts. Der Zusammenhang von Dogmatik und Ethik ist eindrucksvoll
, doch das 6chrifttheologische Fundament ist manchmal durch
Buchstäbelei etwas belastet. Man findet sich damit ab, weil Lamberts
Leidenschaft die überzeugenwollende Rede war, nicht die
systematische Klarheit. Von daher erschließt sich die „Somme"
als eine lockere Zusammenstellung der wichtigsten Loci christlichen
Glaubens. Immerhin verweist sie ihren Verfasser in oberdeutsche
Bindungen.

Müllers fleißige Studien wecken den Wunsch nach einer vertiefenden
theologischen Einordnung Lamberts innerhalb der
Reformationsgeschichte der zwanziger Jahre.

Neuendettelsau Friedrich Wilhelm Kantzenbach

Luther- Jahrbuch 1959. Jahrbuch der Luther-Gesellschaft, hrsg. v.
Franz Lau. Jahrgang XXVI/1959. Berlin: Lutherisches Verlagshaus
[1959]. VII, 172 S. 8°. Lw. DM 14.-.

Das Luther - Jahrbuch 1959 stellt den dritten Nachkriegsband dar.
Veranlaßt durch Hans Küng: .Rechtfertigung — die Lehre Karl Barths
und eine katholische Besinnung' (1957) überschreibt E. Schott
seinen Beitrag „Einig in der Rechtfertigungslehre?" (S. 1—24). Es ist
erstaunlich, wie weit nach Küng sich das Tridentinum im Sinne des
reformatorischen Sola fide, Simul iustus et peccator usw. deuten läßt.
Es erhebt sich hier die Frage, ob gerade an diesem entscheidenden
Punkte der konfessionelle Zwiespalt als ein jahrhundertealter Irrtum
angesehen werden muß. Da die Küngsche Rechtfertigungslehre als gut
katholisch angesehen werden kann, stellt Seh. die Frage, wie weit sie
denn dann bei dieser Thesenstellung evangelisch ist. Zur Erleichterung
zeigt er erst Luthers Rechtfertigungslehre nach ihren Grundzügen auf,
um dann Küngs Auffassung auf ihren evangelischen Gehalt zu prüfen.
Sechs Punkte werden von Küng hervorgehoben, bei denen er die Frage
nach der Trennung im Glauben für die Rechtfertigungslehre verneint:
1. Gnade als Gnädigkeit, d.h. primär ist Gnade die Gunst und die
Huld Gottes, 2. Gerechterklärung des Sünders, d. h. Rechtfertigung
oder Nichtanrechnung der Sünde, 3. Rechtfertigung in Christi Tod und
Auferstehung, 4. Simul iustus et peccator, 5. Sola fide und 6. Soli
Deo gloria. Auch wenn Küng sich stark der evangelischen Terminologie
angleicht, so weist seine Rechtfertigungslehre doch im hohen Maße
evangelische Züge auf. Nur von einzelnen katholischen Theologen
wird die Rechtfertigungslehre so vertreten wie von Küng, der aber
feststellt, daß sie so vertreten werden kann und, daß die „unfehlbaren
Lehraussagen diese Interpretation zulassen" (S. 18). Den sechs Punkten
entsprechend stellt Sch. sechs Fragen an Küng, die sich alle auf
Wesen und Stellung des Glaubens in der Rechtfertigung beziehen und
arbeitet so die teilweise unbefriedigenden Punkte in der Auffassung
Küngs heraus.

Seit Melanchthon 1546 im zweiten Band der Wittenberger
Lutherausgabe eine Darstellung von Luthers Entwicklung gegeben hat,
ist viel über diese Frage gearbeitet worden. Auch G. Pfeiffer beschäftigt
sich mit dem „Ringen des jungen Luther um die Gerechtigkeit
Gottes" (S. 25—55). Lange war für den Protestantismus die Meinung
Melanchthons ausschlaggebend, der der Ansicht war, daß Luthers
Entwicklung auf einer aus der Bibel wissenschaftlich erarbeiteten
Lehrmeinung beruht. Über Amsdorf, Mathesius, Georg Mylius, Veit
Ludwig v. Seckendorf, Christian Junker läßt sich eine beliebig zu ergänzende
Linie bis hin zur Lutherforschung des 19. Jahrhunderts, bis
hin zu Julius Köstlin, Theodor Kolde und Gustav Plitt ziehen. Durch
Denifles Polemik gezwungen, setzte sich die Forschung nunmehr mit
zwei Quellen auseinander: Mit Luthers Selbstzeugnissen und mit
Dokumenten seiner frühen Entwicklung. Immer wieder kreiste die
Diskussion um das sog. .Turmerlebnis', in dem von manchen Forschern
Luthers entscheidende Wendung gesehen wurde oder auch noch gesehen
wird. Neben fast allen Einzelheiten ist jedoch nicht nur der
Ort, sondern auch die Zeit des Ereignisses umstritten. Viele der namhaftesten
Forscher haben hierzu ihre Meinung geäußert, so daß eine
zeitliche Ansetzung von vierzehn Jahren, nämlich von 1505 bis 1519
zur Diskussion steht. Daneben mehren sich .glücklicherweise' — dieses
Wort sei dem Berichterstatter erlaubt — die Stimmen, die das Ganze
als eine langsam sich vollziehende Entwicklung ansehen. Hieraus ergaben
sich wiederum einige Fragen, die eine dogmengeschichtliche
Diskussion entfachten, in die Hirsch, Holl, Loofs, R. Hermann,
Scheel und zuletzt u. a. Bizer eingriffen. Der Autor versucht dann
die Frage zu klären, was Luther selbst aussagt bzw. was er als
Inhalt, Form und Zeitpunkt des sog. Turmcrlebnisses' angibt und
wie sich die Zeugnisse aus der Zeit vor 1519 dazu verhalten. Wichtig
ist hier Luthers autobiographischer Abriß in der Ausgabe von 1545.
Daß die Zeitangaben Luthers vielfach unrichtig sind, dürfte heute als
erwiesen gelten. Trotzdem glaubt P. zu folgendem Ergebnis der zeitlichen
Ansetzung kommen zu können: Luthers Erkenntnis von Römer
1,17 hat vor dem Herbst 1518, vor Beginn der zweiten Psalm-Vorlesung
stattgefunden. P. untersucht dann die Weiterentwicklung gewisser
, von Luther häufig gebrauchter Formulierungen und Aussagen.
In der Römerbrief-Vorlesung der Jahre 1515/16 liegen die Grundzüge
der lutherischen Rechtfertigungslehre bereits vor, was schon die Untersuchungen
von K. Holl und R. Hermann aufzeigten. Weiter zurückgehend
, kommt P. zur Psalmenvorlesung und setzt sich hier mit Böhmers
Darstellung auseinander. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die zentrale
Bedeutung des Begriffes Gerechtigkeit Gottes Luther während der
ersten Psalmenvorlesung klar wird. Hier entdeckte Luther das „her-
meneutische Prinzip" (S. 55) der Schrift, mit dem er an die Deutung
einzelner Bibelstellen herangehen konnte. Dmch vergleichbare Wendungen
der Schrift erhärtete er sie und findet schließlich die Bestätigung
bei Augustin.

„Vergängliches und Unvergängliches an Luthers Papstkritik" ist
der Titel der Untersuchung von E. M ü 1 h a u p t (S. 56—74). Er unterteilt
in mehrere Unterabschnitte und wendet sich als erstem dem Vergänglichen
an Luthers Papstkritik zu. Hier ist zunächst der „grobianische
Stil" (S. 57) zu nennen, der jedoch durchaus nicht über den Rahmen des
damals üblichen hinaus ging. Dieser Stil ist genau so überholt wie ein
großer Teil der Papstspottbilder oder ein Teil der geschichtlichen oder
exegetischen Thesen, die Luther im Kampf mit dem Papsttum aufgestellt
hat. Überwiegend zu Recht bestehen jedoch auch heute noch
die Argumente, die Luther 1520 in .Vom Papsttum zu Rom, wider den
hochberühmten Romanisten zu Leipzig' angeführt hat. Hier lehnt er
die rational-politische Begründung des Papsttums ab, da die angewandte
und auch so begründete monarchische Regierungsform eine
rein säkulare, nicht jedoch theologische bzw. biblische Art der Regierung
ist. Außerdem lehnt er die katholische Begründung des Papsttums
aus dem Wesen der Kirche genau so ab wie die allegorischen
Analogieschlüsse vom alttestamentlichen Priestertum auf das Papsttum
und die römische Hierarchie. Am wesentlichsten ist jedoch die exegetische
Zerschlagung der Bibelstellen, auf die sich das Papsttum seit dem
dritten und vierten Jahrhundert immer gestützt hat, nämlich Matth. 16,
16—19 und Joh. 21, 15—17. Noch heute ist die katholische Kirche der
Meinung, daß alles, was dort von Petrus gesagt wird, für den Papst
gilt. Luthers Gründe hiergegen haben heute noch ihr Gewicht: 1. Der
Auftrag des Bindens und Lösens, der Matth. 16, 16—19 Petrus erteilt
wird, ergeht Matth. 18, 18 und Joh. 20, 23 an alle Jünger 2. Das Papsttum
verwischt bewußt den Unterschied zwischen Macht und Vollmacht.
Nur so konnte es seine Weltherrschaft aufrichten, die schon Luther als
unbiblisch erkannte. Seit Leo I. besteht Wesen und Kern der päpstlichen
Ideologie darin, „den Unterschied zwischen geistlicher Vollmacht, die
hier Petrus bzw. allen Jüngern erteilt wird, und rechtlicher weltlicher
Macht systematisch und beharrlich" (S. 66) zu verwischen. 3. Petrus
hat sich nach dem Neuen Testament nicht als Papst benommen oder je
einen Primat ausgeübt, er hat „keinen Apostel erwählt, gemacht, bestätigt
, gesendet, regiert" (WA 6, 310, 10 f.).

Nur zweitrangig ist für Luther der kirchengeschichtliche Beweis,
mit dem er auf die Unwürdigkeit mancher Päpste verweist. Wichtiger
ist der Hinweis auf den oftmals parteilichen Sinn päpstlicher Erlasse,
der durch den einseitigen Sprachgebrauch gewisser Begriffe entsteht. —
Die letzte Konsequenz war bei Luther dann die Bezeichnung des Papstes
als Antichrist, wenn auch die Anwendung dieses Begriffes auf den
Papst nicht von Luther stammt. Er stützte sich in erster Linie auf
2. Thess. 2, 4 und hebt als das Entscheidende die angemaßte Autorität
des Papstes über die Schrift hervor. Wenn sich inzwischen die Stellung
des Papsttums zur Bibel auch gebessert hat, so wird doch noch heute
an der Überordnung der kirchlichen Autorität über die Schrift festgehalten
. Damit wird dem Evangelium die Möglichkeit genommen,
„eine bleibende Kontrolle und Korrekturinstanz für den christlichen
Glauben und die christliche Lehre zu sein" (S. 73). Unter anderem dadurch
bedingt, wird von evangelischer Seite ein Unterschied gemacht
zwischen Katholizismus und Papsttum. Die päpstlich-katholische Lehre
hingegen identifiziert Katholizismus und Papsttum. M. schließt deshalb
seine sehr gründliche Darstellung: „Das Papsttum, gerade das Papsttum
mit seiner ganzen Ideologie halten wir für das eigentliche Unglück
des Katholizismus, der Christen und Völker" (S. 74).

Wie bereits in der Wiss. Zeitschrift der Univ. Jena, Gesell. Reihe 4
(1954/55) 269 ff. und ThLZ 1952, 747 ff. ausführlich und genau, untersucht
R. Jauernig hier nun die „Konkurrenz der Jenaer mit der
Wittenberger Ausgabe von Martin Luthers Werken" (S. 75—92)-
Seine Darstellung bringt hier wiederum eine Fülle von kleinen Einzelhinweisen
und von mit aller Akribie behandelten Archiv- und Quellen-
belegen. Der Tenor ist die Beurteilung der Wittenberger Lutherausgabe
durch Nikolaus Amsdorf, die J. „weithin als unsachliche Polemik
(S. 91) erweist. Die Wittenberger (erstmalig 1 539—1559) und die Jenaer
(erstmalig 1 555—1 558) Lutherausgabe waren beide vom Kurfürsten