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Ausgabe:

1960

Spalte:

623-625

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Henry, Carl

Titel/Untertitel:

Evangelical Responsibilty in Contemporary Theology 1960

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Theologische Literatuirzeitung 1960 Nr. 8

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tischen Anwendung klar unterschieden 6ehen; die erste ist eine
wissenschaftlich-ethische, die zweite eine politisch-praktische.
Dementsprechend zeigt später die Begründung der Todesstrafe
nur ihre grundsätzliche Erlaubtheit auf („Man kann mit
guten Gründen bei Anerkennung der grundsätzlichen Erlaubtheit
der Todesstrafe der Meinung 6ein, daß man hier und jetzt auf
ihre Anwendung verzichten sollte", 19). In einem zweiten Abschnitte
lehnt E. inhaltlich falsche bzw. unzulängliche rationale
Begründungen der Todesstrafe ab, unter ihnen z. B. die aus der
sog. Generalprävention, aber auch die organologisch-soziologische
des Thomas: zur Rettung des ganzen Organismus muß ein
entartetes Glied abgeschnitten werden. Die Todesstrafe kann
überhaupt „vom Gemeinwohl allein her nicht begründet werden
" (28). Die eigene ethische Begründung sucht E. mit der Methode
der „ontologischen Reduktion", die auf die Seinsordnung
oder Wertordnung zurückgeht. Des Näheren knüpft er an ein
Wort des Papstes Pius XII. an: „Es ist der öffentlichen Autorität
vorbehalten, den Verurteilten zur Sühne seines Verbrechens des
Lebensgutes zu berauben, nachdem er 6ein Lebensrecht bereits
durch das Verbrechen verwirkt hat" (31). Ermecke entwickelt
daraus die „Rechtsverwirkungstheorie": der Verbrecher hat durch
seine Tat mit der Vernichtung der Existenz seines Opfers die Gemeinschaft
getroffen und sich aus ihr durch eben seine Tat ipso
facto selbst ausgeschlossen" (32 f.). „Der Staat, der die Todesstrafe
dafür verhängt, realisiert nur, was der Verbrecher selbst
schon bewirkt hat: seinen Ausschluß aus der Rechtgemeinschaft,
6einen gleichsam rechtlichen Tod" (33). Die Todesstrafe ist „die
Zwangsvollstreckung de6 Selbstausschlusses des Verbrechers" (34).
Hiermit hat der Verf. insofern die Methode der „ontologischen
Reduktion" angewandt, als er „auf Grund der ontischen Wirkung
des Verbrechens" aufzeigt, was hier gerecht ist. Der Sinn der
Todesstrafe ist, wie der aller Strafe überhaupt, nicht utilitaristisch-
soziologisch zu erfassen, sondern wesentlich nur durch die Gesichtspunkte
der Vergeltung und Sühne. Der Nachdruck, mit dem
E. das betont, ist innerhalb der katholischen Moraltheologie
nicht selbstverständlich (vgl. meine Schrift: Die Todesstrafe als
Problem der christlichen Ethik, 1955 S. 16f.), auch die Absetzung
von Thomas nicht. Dagegen steht E. grundsätzlich zusammen
mit evangelischen Ethikern, die das Ja zur Todesstrafe begründen.
Auch darüber besteht Einverständnis zwischen uns: Wo Staat und
Recht nur diesseitig orientiert und säkularisiert betrachtet werden
, da wird die Todesstrafe entweder abgelehnt oder nur noch
utilitaristisch verstanden und begründet (22).

Ermecke hat seine Rede für den Druck noch mit z. T. umfangreichen
Anmerkungen unterbaut, welche den Gedankengang
an einzelnen Punkten näher begründen oder ergänzen sowie auf
die Literatur hinweisen und andere Autoren zitieren. Ein Nachtrag
gibt Mitteilungen über einen erst 1959, nach dem Satze
dieses Heftes erschienenen Aufsatz von Karl Peters- Münster
und aus den Beratungen der Großen Strafrechtskommission.

Erlangen Paul Alt haus

Henry, Carl F. H., Th. D., Ph. D. Prof.: Evangelical Responsibility in
Contemporary Theology. Grand Rapids/Mich.: Eerdmans Publ.
Comp. [1957]. 89 S. kl. 8°. $ 1.50.

— Christian Personal Ethics. Ebda 19 57. 615 S. gr. 8° $ 1.50.

Das erste der beiden hier angezeigten Werke, aus der Reihe
der Pathway Books, vermittelt un6 Vorlesungen, die der Autor
1957 im Northern Baptist Theological Seminary in Chicago und
bei der Hundertjahrfeier der Christian Reformed Church gehalten
hat. Sie haben zum Hintergrund den für die amerikanische Theologie
offensichtlich noch heute aktuellen Streit zwischen Modernismus
und Fundamentalismus, den das Büchlein wahrhaftig nicht
aufleben lassen will, an dem es aber auch nicht vorübergehen
kann. Im Modernismus zeigt sich, trotz einiger inzwischen vorgenommener
selbstkritischer Korrekturen, ein Substanzverlust,
ja, eine Verfälschung des Christentums. Dem Fundamentalismus
hingegen ist vorzuwerfen, daß er die biblische Botschaft zu einer
Angelegenheit persönlicher religiöser Erfahrung verengt, den
Blick für die Wirklichkeit der Welt vermissen läßt, zu wenig systematische
Kraft und wissenschaftliche Fruchtbarkeit aufweist. Ist
nach H. der Modernismus Unglaube, so hat der Fundamentalismus
für sich, daß er, auf seine berechtigten theologischen Anliegen
zurückgeführt, Positionen verteidigt, die in der theologischen
Entwicklung der letzten Jahre mehr und mehr Anerkennung
gefunden haben. Reine Lehre — das ist ja unter allen Umständen
bleibende Aufgabe der Theologie. H. meint, von daher
auch die „dialektische Theologie" kritisieren zu müssen: sowohl
in der Lehre von der Offenbarung (H. will der revelatio generalis
wieder mehr Gewicht geben), als auch in der Lehre von der
Schrift (H. verficht einen auf eine kräftige Inspirationslehre gegründeten
Biblizismus), als auch in der Christologie. (H. dränge
vor allem auf größere Betonung des historischen Jesus.) Die
„evangelische Verantwortung" liegt für H. in der Rückkehr zur
Schrift, wie er sie versteht; in einer neuen, positiv gerichteten
Predigt, die insbesondere auf die Macht des erhöhten Christus
gerade im Blick auf die Dinge der Welt weist, in einer neuen
Ethik, die nicht nur verbietet und warnt, sondern den Gehorsam
Christi als Maß des christlichen Gehorsams sichtbar werden läßt;
in einer alle Lebensbereiche umfassenden Weite des ethischen
Denkens, die nichts zu schaffen hat mit dem „social gospel" des
Modernismus, aber überall „Haushalterschaft" üben will in der
Liebe zu Gott und im Dienst am Menschen; in einer Annäherung
an die Wissenschaft im Vertrauen auf die „ontological signifi-
cance of reason" (73), die in der im Logos gegebenen Gottebenbildlichkeit
begründet ist; endlich in der Wiederentdeckung der
Kirche als der Einheit des Leibes Christi auf der Grundlage der
Einheit der Lehre. Das Büchlein weiß um die Dringlichkeit der
Sammlung der Christen, besonders im Blick auf die ungläubige
Außenwelt, aber es warnt vor ökumenischer Voreiligkeit.

Die breit angelegte Individualethik — die Sozialethik darzustellen
behält sich Verf. für ein weiteres Buch vor (325) — läßt
manches, was in dem eben besprochenen Büchlein skizziert ist,
deutlicher sichtbar werden. Die aufs kräftigste intendierte biblische
Bindung dieser Ethik schließt nicht aus, daß sie sich ins
Gespräch begibt mit den Systemen der philosophischen Ethik, die
Verf. in pädagogisch geschickt ausgewählten und dargestellten
Zusammenfassungen Revue passieren läßt. Mögen des Verfs. eigener
Studienweg (15/16) und sein gegenwärtiger zweifacher Lehrauftrag
(Systematische Theologie und Philosophie) dies nahelegen
, er ist überzeugt, daß e6 auch um der Sache willen nötig ist,
philosophische Ethik und theologische Ethik zueinander in Beziehung
zu setzen: er spricht davon, daß „impotence and sterility
of speculative ethics derive Iargely from its self-enforced 6egre-
gation from the ethics of revelation;" und umgekehrt: „Christian
ethics becomes impoverished when unrelated to the problems of
secular morality to which the man of the world seeks an
answer" (16). E6 liegt H. am „reaffirming rational knowledge of
the metaphysical world" (139). „Das christliche ethische Ideal
kann nicht definiert werden völlig abseits vom ethischen Ideal
aller Humanität. Wenn die Wahrheit eine ist, und wenn Gott
einer ist, und wenn Gott überall ist mit einem Zeugnis — und
dies sind ja grundlegende christliche Behauptungen! —, dann muß
man auch auf einer solchen Verbindung bestehen" (148/149).
Wobei dann allerdings zu 6agen ist, daß die Offenbarung die
philosophische Ethik mit ihren Voraussetzungen erfüllt und die
Philosophie nicht ihre eigensüchtige Rivalin, sondern ihre „hand-
maid" (ancilla!) sein wird. Begründung für das alles: die Lehre
von der imago Dei und die von der im humanum gegebenen bzw.
stattfindenden revelatio generalis.

Um so bemerkenswerter, daß Verf. dann doch eine Ethik
aufbaut, die nicht nur überhaupt unwandelbare Maximen kennt
— dies könnte man ja von der ratio her begründen —, sondern
diese Maximen im biblischen Gesetz Gottes 6ieht. Das biblische
Gesetz ist eines. Das Neue Testament bringt nicht eine neue
Ethik. Die Bergpredigt, deren Verständnis in pädagogisch geschickter
Weise an den bekannten Typen erörtert wird, ist Interpretation
des einen Gesetzes Gottes, wie es für die nächstmensch-
lichen Beziehungen (nicht für die großen Bereiche von Staat,
Gesellschaft, Wirtschaft usw.) gilt. Die Lehre vom triplex usus
legis wird bejahend vorgetragen. Der Ton fällt auf den tertius
usus legis: der Christ erfüllt das Gesetz auf Grund der in der
Versöhnung ihm widerfahrenen Gnade. Das Buch zeugt an dieser
Stelle am eindeutigsten von seinem reformierten Ursprung. So
6tark es auf eine wirklich materiale Ethik drängt, hat es doch