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Ausgabe: | 1959 Nr. 11 |
Spalte: | 826 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Henry, Marie-Louise |
Titel/Untertitel: | Das Tier im religiösen Bewusstsein des alttestamentlichen Menschen 1959 |
Rezensent: | Hempel, Johannes |
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825 Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11 826
sind aber nicht Wurzeln und Grundformen entscheidend, sondern
Endungen, Infixe und Vokalbuchstaben. Nun wird man nicht
verlangen, daß regelmäßige Bildungen der Präformativ- und
Afformativkonjugation oder au6 der gängigen Grammatik bekannte
Suffixformen angeführt werden. Wohl aber müßten die
für Qumrän und die übrige Literatur typischen Bildungen, die
sich auch durch die Handschriften der kanonischen Literatur
hindurchziehen, regelmäßig verzeichnet sein, zumal da sie vielfach
neu und bisher lexikalisch kaum erfaßt sind.
Zur Illustration des Gesagten seien nur ganz wenige Beispiele
aufgeführt. Aus dem Bauernkalender von Geser fehlt die
wichtige, in dem kleinen Text nicht weniger als viermal belegte,
wohl alte Dualform in"V „zwei Monate", die bereits eine ganze
Literatur ausgelöst hat2. Von der Siloah-Inschrift seien als fehlend
vermerkt naprn „der Durchbruch" (?) und das Substan-
tivum »3 „Höhe". In 1 Q Jesa 1, 10 stehen als typische Qum-
ränformen oma „Sodom" und rrrciy „Gomorra" mit ihrer
Septuaginta-Entsprechung ZodofM und ro/iogga, die im Eigennamen
-Lexikon nicht geführt werden, da hier nur die defektiven
Formen des masoretischen Textes begegnen (S. 128. 117). In
Jes 8, 6 findet sich „sanft" mit pausalem Patach — übrigens
ein Adverbium, kein Adjektivum (S. 41)1 - dem in 1 Q Jesa
Dinb mit einem sprachgeschichtlich bedeutsamen o-Vokahsmus
als Qumränform entspricht, und zu 1 Q Myst 1 Kol. I, 10 ist es
weniger interessant, daß hier die Wurzel pH» „bedrücken"
(S. 84) vorkommt, als vielmehr, daß sie im alten Präsens-Futur
als suffigierter Energicus 'eptW „er bedrückt ihn" fungiert;
ebensowenig dürfte zu BFOO (S. 59) die Kontraktionsform
< lyntJfl r>N „den Himmel" aus dem Brief des Ben Koseba von
Murabba'ät fehlen.
Es ist sicher begrüßenswert, daß dem Wörterbuch das Lexikon
von Gesenius-Buhl zu Grunde gelegt ist, und ich selbst, der
ich die Neubearbeitung des Gesenius übernommen habe, bin von
größter Hochachtung hinsichtlich der wissenschaftlichen Meister-
lcistung eines F. Buhl erfüllt. Dennoch aber sollte nicht verkannt
werden, daß seit der letzten eigentlichen Bearbeitung des
Gesenius durch F. Buhl im Jahre 1915 über vierzig Jahre vergangen
sind, die für die Hebraistik teilweise umwälzende Erkenntnisse
gebracht haben. Hier besteht nun die Gefahr, daß der
lexikalische Bestand von damals gleichsam kanonisiert wird; das
hat wiederum für den Benutzer zur Folge, daß er leicht den Blick
für die jederzeit mögliche Erschließung neuer Formen und Stämm;
verliert. Es sei nur auf zwei Fälle hingewiesen: In Jes. 41, 10. 23
stellen die Formen yntin ^ und Ftynttjpi kein Hitpa'el von FWttJ
„schauen" dar, sondern gehören zum Prohibitiv bzw. Energicus
(Kohortativ) des Grundstammes 9M3 „sich fürchten", der durch
das ugaritischc tf und das in Karatepe belegte phönikische st'
in Form und Bedeutung sichergestellt ist. Umgekehrt findet das
Nomen -t-q „Stadt, Festung", das für den Brief des Simon ben
Koseba als wahrscheinlich anzusetzen ist, vom Mittelhebräischen
her seine Bestätigung. Auch dieses Nomen ist, 6oweit ich sehe
(S. 48), nicht verzeichnet.
Mit der Anführung dieser wenigen Beispiele möge der
Wunsch verbunden sein, daß im Falle einer Neuauflage die für
Qumrän, Murabba'ät usw. typischen Formen möglichst vollständig
geboten werden. Dann bekommt der Benutzer ein Bild davon,
daß wir uns im Bereiche der Handschriftenfundc vom Toten Meer
auch philologisch auf einem Forschungsgebiete befinden, für das
der bisher klassische Wortschatz und die gängige Grammatik
ebenso nur bedingte Hilfe leisten wie der masoretische, erst nach
der Tempelzerstörung und dem Untergang der Gemeinde von
Qumrän normativ gewordene Bibeltext oder die tiberische Aus-
sprachetradition.
Iena Rudolf Meyer
O »Ii V|i 2u,et2* F. M. Cross, Jr.. and D. N. Freedman, Early Hebrew
S 4« fgrarhy' A studV °f the Epigraphic Evidence. New Häven 1952,
•46t.; Festschrift A.Alt. WZ. der Universität Leipzig, gesellschafts-
Sprachwi»enSchaftl. Reihe 3, 1953/54, S. 70.
Henry, Marie-Louise: Das Tier im religiösen Bewußtsein des alttestarnen
tlidicn Menschen. Tübingen: Mohr 1958. 52 S. gr. 8° = Sammlung
gemeinverständlicher Vorträge u. Schriften aus d. Gebiet d. Theologie
u. Religionsgeschichte, 220/221. Kt. DM 3.80.
Lie6t man als harter Mann den ersten gut weiblich-romantischen
Satz: „Der beseelte Blick des Tieres gibt dem Menschen
geheimnisvolle Kunde von dem Dasein fremden Lebens und
bringt ihm zugleich die Besonderheit und das Rätsel des eigenen
Seins innerhalb der Fülle der Arten klar zum Bewußtsein", so
mag man in die Versuchung kommen, ihn zugleich den letzten
sein zu lassen. Man erliege ihr nicht! Das also beginnende Büchlein
stellt einen gewiß gefühlsbetonten, aber wissenschaftlich
ernsthaften Versuch dar, vor allem die positiven Seiten des Verhältnisses
Mensch / Tier im AT in ihrer religiösen Bedeutung
herauszuarbeiten. Ausgehend von der Freundschaft zwischen
beiden, für die das Lamm in II. Sam. 12 und der Hund des jungen
Tobias in erster Linie als Beweisstücke dienen, werden die beiden
Schöpfungsberichte daraufhin untersucht, wieweit in ihnen die
alte unio magica, das „Urbewußtsein eines geheimnisvollen Zusammenhanges
aller beseelten Kreaturen", mit anderen Worten
eine „Art instinktgeprägtes Wissen, dem sich die Einheit alles
Lebens noch sicher erschloß", lebendig ist (Gen 2 f.) oder bereits
im Erwachen rationalen Selbstbewußtseins eine Scheidung von
Mensch und Tier sich vollzogen hat (Gen 1). Nachwirkungen
der alten unio magica werden in den rechtlichen Bestimmungen
über den Tierprozeß, den gesetzlichen Schutzbestimmungen für
das Tier (indirekt in den Verurteilungen der Unzucht mit Tieren
), in der Gleichstellung von Mensch und Tier in der Fürsorge
Gottes, vor allem aber in den Gedanken eines frommen Lebens
auch der Tiere und dem eschatologischen Tierfrieden gefunden.
Das führt hinüber zu der „irrationalen Mächtigkeit des Tieres",
das mehr Dinge 6ieht als der Mensch, der an ihnen „gleich einem
Tölpel vorbeitaumelt, während das Tier wissend und instinktsicher
handelt". Natürlich ists Bileams Eselin (Num 22, 20 ff.) und
sind es die Philisterkühe aus L Sam 6, um die es geht. Und der
Weg ist nicht mehr weit zu dem Tier als religiösem Leitbild, wie
es in Jer 8, 7, Jes 1,3, Hi 12, 7 ff. gefunden und (mit Fragezeichen
) auch hinter Mk. 1, 13 vermutet wird, einer Stelle, die
..Erweis dessen (sein soll), daß der Mensch des Tieres bedarf, um
des Gottes innezuwerden".
Mit dieser letzten Übersteigerung hat die Autorin sich freilich
keinen guten Dienst geleistet, zumal wenn man bedenkt, daß
der, der bei den Tieren ist, in Mk. 1 doch nun eben Jesus ist.
Aber weder solche Zuspitzung noch der schon gestreifte romantische
Einschlag dürfen darüber hinwegtäuschen, daß hier ein
ernsthaftes Thema angepackt und solide durchgedacht ist. Gewiß
bleiben im einzelnen Bedenken, vor allem ob in Gen. 2 wirklich
noch so stark die Zusammengehörigkeit von Mensch und Tier
im Mittelpunkte steht, ob das Kapitel nicht vielmehr gerade das
Bewußtsein des Andersseins unterstreicht, ob nicht auch in der
Namengebung neben der Zusammengehörigkeit — man kann nur
Wesensähnliches benennen - doch die Herrschaft stärker zu betonen
ist. Auch daß die Schlange die Verführerin ist, von der
alles Unheil ausgeht — die Schlange, die ganz anders aussah als
die heutige, vielleicht, meint Luther, wie ein schöner Gockel —
würde ich stärker als Beleg eines erlebten Gegensatzes gegen das
Tier werten, wie überhaupt die von dem Tiere ausgehenden Gefahren
für den Menschen als prägende Momente seines Empfindens
nicht hinreichend gewürdigt erscheinen. Aber sei dem wie
ihm wolle: es ist förderlich, wenn ein Problem einmal von einer
ganz anderen Seite angepackt wird, hier also das Verhältnis zum
Tier nicht aus dem schon bei Paulus nachweisbaren Hochmut vor
allem des städtischen Menschen gegenüber dem Tier, sondern
aus der Demut frommen Herzens, das sich mit dem Tier aus
Gottes Hand und in Gottes Hand weiß. Die andere Brille läßt
anderes sehen, und das tut gut.
Göltingen Job. Hempel