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Ausgabe:

1959 Nr. 11

Spalte:

822-823

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rudolph, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Jeremia 1959

Rezensent:

Herrmann, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

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das gerichtliche Schlichtungsverfahren ein, um Hiob durch förmliche
Anklageerhcbung von seinem Unrecht zu überzeugen. Dodi
müssen sie durch ihr schließliches Schweigen ihren Streitverzicht
erklären, als Hiob mittels seines Reinigungseides seine Unschuld
beweist und zugleich ein Gottesurteilverfahren auslöst (Kap. 15
bis 31). Die folgenden Elihureden (Kap. 32-37) stellen formal
die Wiederaufnahme des Rechtsstreites durch einen Richter mit
autoritärer Gewalt nach babylonischem oder ägyptischem Vorbild
dar, stören aber den Aufbau der Handlung und sind von
fremder Hand hinzugefügt worden. Der Hiobdichter selbst hatte
das Gottesurteilverfahren zwischen Gott und Hiob angeschlossen
(Kap. 38 - 42, 6) - allerdings nicht als kultisches Verfahren,
sondern als einen in der äußeren Form des weltlichen Prozeßverfahrens
verlaufenden Rechtsstreit. Er endet mit der Streitverzichterklärung
Hiobs. Da dieser Ausgang das angestrebte
Ziel des Hiobdichters — die Gerechtsprechung Hiobs — nicht erreicht
, gibt der Dichter die eigentliche Lösung im Epilog der
von ihm verwendeten Rahmenerzählung (Kap. 42, 7 ff.): Gott
handelt am Menschen nicht nach den Kategorien, die eine Theologie
der Weisheit oder der „juristischen" Gotteserkenntnis
aufgestellt hat, sondern „allein aus Gnaden" (S. 127).

Zweifellos war es nötig und nützlich, die im Buche Hiob
verwendeten Formen des Rcchtslebens, auf die zuerst L. Köhler
(Die hebräische Rechtsgemeinde, 1931, in: Der hebräische Mensch,
1953, S. 143 ff.) eingehender hingewiesen hat, genauer zu untersuchen
. In vielen Einzelheiten erkennt der Verf. denn auch den
formgeschichtlichen Sachverhalt und trägt zu seiner Erkenntnis
manches bei. Zugleich aber stellt sich bei näherer Prüfung heraus,
daß seine Untersuchung viel zu einseitig ist, der oft verwickelten
Sachlage nicht gerecht wird und im Ganzen übers Ziel hinausschießt
. Seine Rekonstruktion des israelitischen Rechtslebens
unter Heranziehen babylonischer und ägyptischer Parallelen muß
dabei im Folgenden trotz ihrer Wichtigkeit außer acht bleiben,
weil ihre Prüfung den gegebenen Rahmen sprengen würde.

Zunächst erheben sich Bedenken gegen die Ansicht, daß die Gattungen
des Rcchtslebens im Buche Hiob überwiegen und daß innerhalb
ihrer alles Wichtige gesagt werde. Einige Beispiele seien dafür angeführt.
Die entschuldigenden Worte in 4, 2 werden lediglich infolge der sehr
anfechtbaren Übersetzung „Beginnen wir eine Rechtssache gegen dich,
damit du unmutig wirst?" zu einer Rechtsgattung gestempelt. Weder
hält Eliphas in 4. 3—5 dem Hiob im Schlichtungsverfahren den Spiegel
vor, noch enthalten 4, 6 f. den Leitgedanken seiner Rede als Frage an
den Gegner; vielmehr gehen die Verse eindeutig von der Haltung der
Lebensweisheit aus. In 5, 8 macht Eliphas keinen Vorschlag zur Streitbeendigung
durch Entsühnungs- oder Gottesurteilverfahren, sondern
empfiehlt, daß der Leidende — wie er 6elbst es täte — sein Anliegen
dem Urheber des Leides in geziemender Weise vortragen soll. Darin,
daß Hiob sidi in Kap. 7 an Gott wendet, einen bescheidenen Erfolg der
Freunde sehen zu wollen, durch die Hiob sich aus seiner Gottlosigkeit
habe herausreißen lassen, trifft die Sachlage nicht; weder äußert Hiob
in der vorhergehenden Rede in Kap. 3 ein gottloses Wort, noch ist
einzusehen, wieso diese Klage durch die fehlende Anrede an Gott (die
der Verf. in 3, 20 tilgt) seine Gottlosigkeit zeigt, da für eine Klage
nicht unbedingt ein Adressat erforderlich ist. In 8, 5 f. den Vorschlag
eines Gottesurteilverfahrens erblicken zu wollen, heißt den entscheidenden
Gedanken formal und inhaltlich in den Text eintragen, da die verwendeten
Ausdrücke keinerlei Beziehung dazu aufweisen. In 19, 13-20
liegt eine reine Klage Hiobs über seine Umgebung vor, die ihn im
Stich läßt; sie hat ihre Parallelen in den Klageliedern, ohne daß die
erhobenen Beschuldigungen Gott ebenfalls treffen. In 19, 23 f. ist kein
Gebet gemeint, das der ein Gottesurteil Anrufende zu sprechen hatte
und das in Ägypten schriftlich niedergelegt wurde, sondern der Appell
Hiobs an der Nachwelt, der analog den Inschriften des Darius I. (am
Felsen von Bisutun) hergestellt werden soll. Es ist unverständlich,
wieso in 22, 23 die Anrufung des Gottesurteils empfohlen werden soll,
da doch die Erwähnung der Umkehr zur Hcrlcitung vom prophetischen
Mahnwort nötigt; gegen die genannte Auffassung spricht auch das sonst
'^"nehmende Durcheinander in den folgenden Versen, da 22, 26 den
chluß des Verfahrens, dagegen 22, 27 f. wieder Vorgänge des Verfah-
rCnSnk bst beschreiben sollen. Elihu beteuert in 32, 21 f. «einen Willen
gen ?3 'cktivität' die er im Hinblick auf die anderenfalls drohenden Pol-
Ii." V2;.22^ einhalten will; von einer Selbstvereidigung des Richters
übri L?.tcr Selbstvcrfluchung in 32, 22 b kann keine Rede sein. Im
Prozeß" •H E'il,u 'VP'sdie Streitgespräche eines Weisen, nicht aber
der R '1 ;,zB- enthalten 33,5 keine Aufforderung zum Vorlegen
einzuwend V'nd "''3 kci"C Ankla8e' Schließlich ist grundlegend
c". daß keineswegs sovicle Klagelieder des Einzelnen ihren

„Sitz im Leben" im Gottesurteilverfahren haben und es auslösen sollen,
wie der Verf. behauptet, zumal die Art, in der ein Gottesurteil erging,
für uns nicht einwandfrei ersichtlich ist. Tatsächlich hat ein solches Verfahren
in Israel offensichtlich eine geringe Rolle gespielt. Wenn von
ihm die Rede ist, handelt es sich gerade in den Psalmen vielfach nur
um eine Stilform.

Ähnliche Bedenken wie gegen derartige Einzelheiten erheben sich
gegen die Beurteilung größerer Komplexe. Im dritten Redegang zwischen
Hiob und seinen Freunden ziehen diese durch ihr bloßes Verstummen
keineswegs die Anklage gegen Hiob zurück; eine solche Erklärung
wirkt nach den vorhergehenden scharfen Anklagen (vgl. besonders
Eliphas in Kap. 22) zumindest überraschend. Es ist ferner nicht
angängig, den engen formgeschichtlichen und sachlichen Zusammenhang
zwischen den Reden Hiobs in Kap. 29—31 und der Gottesrede sowie
dem Bekenntnis Hiobs zu lockern. Völlig verfehlt scheint der Versuch,
die eigentliche Lösung des Hiobproblems im Epilog zu erblicken, da in
diesem der Gedanke der „Gnade" überhaupt nicht anklingt. Die Absicht
des Dichters besteht auch nicht primär in der Auseinandersetzung mit
der Theologie und Frömmigkeit seiner Zeit; sie klingt lediglich als
Nebenthema in der Bestreitung des orthodoxen Vergeltungsglaubens
der Weisheitslehre (nicht einer „juristischen" Gotteserkenntnis) an.
Endlich spricht gegen die Auffassung der Elihureden durch den Verf.
außer ihrem ganz durch die Weisheitslehre bestimmten Inhalt der betonte
Zorn Elihus, der kaum zu dem von ihm darzustellenden „selbstvereidigten
" Richter paßt, und der Umstand, daß es für das Wiederaufnahmeverfahren
und die sonstige angebliche Prozeßführung keine
israelitischen Parallelen gibt.

Aus diesen und anderen bedenklichen Urteilen hat der
Verf. den eret recht bedenklichen Schluß gezogen, daß alle von
ihm angenommenen israelitischen Rech tsverfahren im Buche Hiob
vorkommen und das Ganze einen Rechtsstreit zum Inhalt hat.
Dies trifft ebensowenig zu wie die Annahme, daß eine dramatisierte
Klage vorliegt. In beiden Fällen gelten nicht mehr der Inhalt
und die Gedanken der Reden, sondern die Form, in der sie
geäußert werden, als entscheidend. Zudem wird übersehen, daß
»icht ein Formelement überwiegt und bestimmend ist, sondern
daß die Reden nach der Art der Gattungsmischung vor allem aus
Formen des Rechtslebens, der Psalmen und der Weisheitslehre
komponiert sind. Die verwendete Form aber muß nidit unbedingt
dem Inhalt entsprechen oder auf ihn schließen lassen. Einerseits
wird sie häufig genug in rein bildlicher Weise verwendet, so z. B.

der Aufforderung Gottes an Hiob zum Gürtelringkampf in
38> 3. Andererseits kann die verwendete Redeform einem ganz
anderen Inhalt dienen und eine von ihrem „Sitz im Leben" abweichende
Funktion erhalten, so z. B. in der Verwendung von
Rechtsformen zur Bestreitung falscher Lebensregeln in 6, 22 f. 26.
29; 12, 2f.; 13,4—12, zur Abwehr und Bedrohung der Freunde
in 19, 2-4. 28 f. oder zum Ausdruck des Wunsches nach dem
Eingreifen Gottes in 13, 23 ff.; 16, 18 ff., wobei in 17,3 sogar
Elemente de6 Pfandrechts zugrundeliegen.

Während die Arbeit Richters also in Einzelheiten zur Aufhellung
des formgeschichtlichen Sachverhalts hinsichtlich einer
der verwendeten Arten von Redeformen beiträgt, müssen die
einseitige Beschränkung auf sie als die wesentliche Art und das
auf ihrer Grundlage erfolgende inhaltliche Verständnis des Buches
Hiob als unzutreffend abgelehnt werden.

Wien Georg Fohrer

R u d o I p h, Wilhelm: Jeremia. 2.. verb. Aufl. Tübingen: Mohr 1958.
XXIV, 301 S. gr. 8° = Handbuch zum Alten Testament, hrsg. von
O. Eißfeldt, 1. Reihe, 12. DM 22.50; Hlw. DM 26.—.

W. Rudolph bezeichnet diese 2. Auflage bescheiden nur als
„verbesserte". Diese Bezeichnung könnte leicht den Eindruck
erwecken, als ob es 6ich nur um eine verhältnismäßig unerhebliche
Überarbeitung der 1. Auflage handelte. Auch die verhältnismäßig
nicht sehr große Vermehrung der Seitenzahl (XXV Seiten
der Einleitung in der 2. Auflage gegenüber XXI in der 1. Auflage
, und 301 Seiten der 2. Auflage gegenüber 282 Seiten der
1. Auflage) könnte darauf hindeuten. In der Tat war Rudolph
zu einer wesentlichen Umarbeitung des Werkes nicht veranlaßt.
Denn das Werk war die reife Frucht sowohl textkritischer wie
auch exegetischer Arbeit, in jeder Hinsicht fundiert, eigenständig
und zugleich in sorgfältiger und besonnener Auseinandersetzung
mit der internationalen Jeremiaforschung. War es schon ein seltener
Vorzug der 1. Auflage, daß Rudolph die damals vor-