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Ausgabe:

1959 Nr. 7

Spalte:

528-529

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Löhe, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Gesammelte Werke ; 5.Die Kirche im Ringen um Wesen und Gestalt 1959

Rezensent:

Schmidt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 7

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KIRCHEN GESCHICHTE: NEUZEIT

Franz, Georg: Kulturkampf. Staat und katholische Kirche in Mitteleuropa
von der Säkularisation bis zum Abschluß des Preußischen Kulturkampfes
. München: Callwey [1954]. 355 S. gr. 8°. Lw. DM 19.-.

Es ist verständlich genug, daß der 60g. Kulturkampf, also
die Auseinandersetzung zwischen Preußen bzw. dem Deutschen
Reich auf der einen und der römisch-katholischen Kirche auf der
anderen Seite, die sich zwischen 1872 und 1878 abgespielt hat
und erst 1887 wirklich zu Ende gegangen ist, in den letzten Jahrzehnten
immer wieder beachtet worden ist und daß mancherlei
Untersuchungen erneut auf ihn hingewiesen haben. Die letzte bedeutendere
Untersuchung dürfte die 1950 von Heinrich Bornkamm
geschriebene Studie „Die Staatsidee im Kulturkampf" 6ein. Erst
1956 ist dann noch eine Aktensammlung veröffentlicht worden
unter dem Titel „Die Vorgeschichte des Kulturkampfes. Quellenveröffentlichung
aus dem Deutschen Zentralarchiv", herausgegeben
von Adelheid Constabel. Das Buch, das hier zu besprechen
ist, ist nicht auch eine Darstellung des preußischen Kulturkampfes,
so sehr der preußische Kulturkampf in ihm den breitesten Raum
einnimmt. Vielmehr stellt sein Verfasser den preußischen Kulturkampf
in eine ganze Kette der Auseinandersetzungen zwischen
dem modernen Staat bzw. der liberalen Bewegung des 19. Jahrhunderts
und der römisch-katholischen Kirche hinein. Damit erwirbt
er sich ein echtes Verdienst, insofern er die Betrachtung
des sog. Kulturkampfes aus der üblichen Isolierung herausnimmt
und in die Zusammenhänge stellt, in die dieser tatsächlich hineingehört
. Dabei setzt er bei der Französischen Revolution an und
bei der großen Säkularisation. Er geht dann auf die Kräfte der
Restauration und der Revolution im 19. Jahrhundert ein und
stellt schließlich den Kulturkampf in Österreich (Auseinandersetzung
um das österreichische Konkordat), den in der Schweiz
und den im kleindeutschen Reiche dar, wobei neben dem preußischen
Kulturkampf auch die Kämpfe in den anderen deutschen
Staaten zu ihrem Recht kommen. Den Abschluß des ganzen Buches
bildet eine Rückkehr zum Ausgangspunkt, ein Blick auf
Frankreich und dessen neuen Kulturkampf, der dann schließlich
1905 zu der Trennung von Staat und Kirche geführt hat. Ganz
deutlich ist die Sicht, in der der Verfasser die Vorgänge sieht,
auf Seite 187 wiedergegeben: Der ganze Konflikt zwischen Staat
und Kirche war ein universeller Zug des Zeitalters. Ausgegangen
ist der Liberalismus, der die stärkste Kraft in dem Konflikt war,
und die ganze Umsturzbewegung von der katholischen Welt, wo
der kulturkämpferische und kirchenfeindliche Liberalismus seine
eigentliche Heimat hatte. Auf französischem Boden hat der
Liberalismus seine radikale, atheistische Gestalt bekommen. In
der Person des Gründers des Deutschen Reiches hat der Kulturkampf
besondere, individuelle Züge dramatischen und tragischen
Charakters angenommen. Daß der große, unversöhnliche Konflikt
bei einer so bedeutenden neuen Staatsgründung wie der des
Deutschen Reiches gewaltige Formen annahm, ist nicht verwunderlich
. Im übrigen ist es auch wieder kein Zufall, daß der kirchliche
Ausgangspunkt für den deutschen Kulturkampf das katholische
Bayern wurde (vgl. 171); und der eigentliche Gegner Bismarcks
im Kulturkampf war die katholische Zentrumspartei.

Nicht nur diese grundsätzliche Sicht der Dinge ist ernst zu
nehmen und fruchtbar. Auch mit vielen Darlegungen im einzelnen
ist es möglich, mitzugehen. Die Bedeutung des Krimkrieges für
die Aktivierung des Konfliktes der widerstreitenden Kräfte ist
gut herausgearbeitet (80; erster gesamteuropäischer Konflikt nach
den Napoleonischen Kriegen, Zerstörung der machtpolitischen
Grundlagen des europäischen Konservativismus und der Legitimität
); und es wird sehr verständlich, warum die Zeit zwischen 18 59
und 1879 die eigentliche Kulturkampfperiode Europas werden
mußte. Sorgfältig sind auch die verschiedenen Gestalten herausgearbeitet
, die der Liberalismus hier und dort angenommen hat,
die Begegnung und stellenweise Vermengung josefinistischer und
liberalistischer Motive, der Unterschied zwischen dem die religiöse
Sphäre nicht verneinenden, aber privatisierenden Liberalismus
in Österreich und dem westlichen Liberalismus, der den

Kampf gegen die Kirche schließlich (Combes) zum Kampf gegen
Gott übersteigerte.

Schwächen der Darstellung 6ind freilich kaum verkennbar.
Man möchte es gern als ein positives Verdienst des Verfassers
werten, daß er nach allen Seiten hin gerecht zu sein bestrebt ist.
Bismarcks Größe, Weitsicht, prophetische Gabe wird mehrfach
gerühmt. Die Größe Leos XIII. und seine politische Klugheit
kommt in gleicher Weise zu ihrem Recht. Bei Pius IX. fragt man
sich schon, was nun gelten soll, daß sein Pontifikat keine Regeneration
echten christlichen Geistes gewesen sei (73), oder, daß in
Pius IX. sich das Papsttum, sofern es in ihm gegen den ökonomischen
Materialismus eines Karl Marx aufstand und gegen
Hegel als den Vater der monistischen Philosophie, zu seiner echten
und wahren Größe erhob (65). Und Bismarck dürfte doch
wohl nicht nur entgegengehalten werden, daß er die Doppelnatur
der Kirche und des Papsttums verkannt (276) und auch nicht erfaßt
habe, daß die Männer der Zentrumspartei zuletzt aus
religiös-konfessionellem Gewissen handelten (210). Viel stärker,
als es geschieht, müßte eine kritische Auseinandersetzung mit
dem Staatsgedanken Bismarcks erfolgen. Dabei sieht der Verfasser
sehr wohl, daß es letztlich um den Hegeischen Staatsgedanken
ging. Die Feststellung (231), daß um des Hegeischen Staatsgcdan-
kens willen der Kulturkampf Mitteleuropas in Preußen seinen
dramatischen Höhepunkt erreicht hat, dringt damit wirklich viel
tiefer als die wesentlich harmlosere Erklärung, die oben wiedergegeben
wurde (vgl. S. 187 des Buches). Auf die Frage Bismarck
und Falk mag nicht näher eingegangen werden. Ob sich die Behauptung
halten läßt, daß Falk Bismarcks ganz andere Intentionen
einfach liberalistisch verfälscht habe und wider Bismarcks Willen
dem Kulturkampf das Gepräge einer ausgesprochenen Kirchenverfolgung
gegeben habe, ist dem Rezensenten außerordentlich
fraglich. Die Erklärung ist zu einfach, als daß sie recht überzeugen
könnte.

Einzelheiten wären noch einige anzumerken. 35: Die Darstellung
von dem „Abgang" Droste-Vischerings nach dem Kölner Kirchenstreit
ist unklar. — 137: Daß die russische Orthodoxie in Ruthenien bei den
mit Rom linierten eine intensive Propaganda für die Einführung der
russischen Sprache in die Liturgie betrieben habe, stimmt so
keinesfalls. — 155: Die Schweiz die Geburtsstätte der radikalsten Form
des Protestantismus, der calvinischen Lehre? Der Calvinismus ist doch
wohl ein französisches Gebilde; und es gibt noch radikalere Formen de«
Protestantismus als die calvinische Lehre. — 156: Einen Satz wie ,.Unbestreitbar
ist ein innerer geistiger Zusammenhang zwischen Kalvincr-
tum und Freimaurerei" sollte man nicht schreiben, ohne ihn sehr sorgsam
zu begründen. So, wie er dasteht, ist er m. E. überhaupt nicht zu
halten. —215: Die Altkatholikcn dürften niemals unter Führung Döl-
lingers gestanden haben. Hat sich Döllinger überhaupt den Altkatholiken
angeschlossen? — 262: Jacobini Leiter der Kurie? — 289: Statt Ma-
cheinke wohl Marheineke. — 346: Bücher, die im vorigen Jahrhundert
erschienen sind (betr. Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen)
sollte man nicht nur mit dem zufälligen Erscheinungsjahr irgendeines
Neudruckes zitieren.

Mit den kritischen Einwänden möchte keinesfalls widerrufe!1
sein, was positiv zu dem Buch gesagt wurde. Der Rezensent hat
vielerlei aus ihm gelernt und ist der Überzeugung, daß auch andere
von ihm Gewinn haben werden. Die Darstellung ist weithin
fesselnd und geschickt.

Leipzig Franz Lau

Löhe, Wilhelm: Gesammelte Werke. Hrsg. im Auftrage der Gesellschaft
für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche
e. V. von Klaus G a n z e r t. Bd. V: Die Kirche im Ringen um Wesen
und Gestalt. I. Teil: 1831/32—1 852; 2. Teil: 1 852—1 863. Neuen-
dettclsau: Freimund-Verlag 1954/56. 1336 S. gr. 8*. Lw. DM 22.—
und 27.—.

Die in ThLZ 79 (1954), Sp. 164 f. erstmalig angezeigte vortreffliche
Gesamtausgabe der literarischen Hinterlassenschaft Wö"
heim Löhe6 macht auch im 5. Band einen guten Eindruck. Er enthält
so wesentliche Schriften wie die epochemachenden Drei Bucher
von der Kirche (1845), die Schriften zur urchristlichen und
gegenwärtigen Kirchenverfassung, die Überlegungen und den
Vorschlag zu einem lutherischen Verein für apostolisches Leben,
der den Stürmen des Revolutionsjahres 1848 seinen Ursprung
verdankt, die große Darstellung der kirchlichen Lage 1849/50'