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Ausgabe:

1959 Nr. 5

Spalte:

387-389

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Loewenich, Walther von

Titel/Untertitel:

Glaube, Kirche, Theologie 1959

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 5

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Heiligen Geist durch den göttlichen Glauben eingegebene
, eingeschriebene Gesetz ist, so ist das Naturgesetz das in unsere
Herzen vom Schöpfer durch unser geschaffenes Menschsein
eingegebene, eingeschriebene Gesetz. Das Gnadengesetz gehört in
die Analogia fidei, das heißt in die Analogie auf Grund des übernatürlichen
Glaubens, das Naturgesetz dagegen in die Analogia entis, das
heißt in die Analogie auf Grund des natürlichen Seins" (61).

Diese Anschauung wird noch zu einem Schema der analogia legis
ausgeformt, die auf Thomas und Augustin fußen will (59, 78; 91 ff.).
Dazwischen liegt gleichsam als paulinisch-reformatorisches „Intermezzo"
die Erörterung von Verheißung und Erfüllung, die von der evacuatio
legis im positiven und negativen Sinn und von der impletio legis handelt
. In seiner Anwendung der causa finalis, efficiens (principalis und
Instrumentalis), formalis und materialis auf den „ursächlichen Aufbau
des göttlichen Gesetzes" (76) sieht S. „ein Stück theologischer Grundlagenforschung
" (75). „Ich denke, dem Aristoteles wäre der philosophische
Uraffekt des Staunens zu Gesicht gestiegen, hätte ihm Dante
bei seinem Gang durch die Hölle berichtet und berichten können, für
was alles noch die vierfache Ursächlichkeit sich überaus nützlich erweisen
würde" (ebda.). Die Untersuchung erreicht ihren Höhepunkt in einer
systematischen Auswertung des augustinischen Satzes: Lex data est, ut
(promissa) gratia quaereretur; gratia data est, ut lex impleretur
(Kap. VII). „Wäre der Alte Bund einfach mit dem Gesetz und der Neue
Bund einfach mit der Gnade gleichzusetzen, so hätte zwischen Altem
und Neuem Bund keine Analogie oder Entsprechung statt" (101).
K. Barths Formel von der Analogia relationis wird ausdrücklich übernommen
und folgendermaßen interpretiert: „Echte Analogie ... ist Relation
, relationales Gefüge im gesteigerten Sinn einer Relation von Relationen
. Bei der Analogie geht es nicht um einen Vergleich zwischen
Qualitäten selbst, zwischen dem, was die Beschaffenheit dc6 Gesetzes
und was die Beschaffenheit der Gnade hat, sondern um einen Vergleich
von Relationen, in denen solche Qualitäten stehen" (101 f.). In solch
relationalem Sinn ist „die Kirche Jesu Christi" „Kirche des Evangeliums
und des Gesetzes" (118 f.).

Die Inhalt6skizze hat wohl erkennen lassen, mit welcher
Entschlossenheit hier der Versuch gewagt wird, ein paulinisch-
reformatorisches Zentralthema neu zu durchdenken. S. knüpft
nicht nur an eine „große katholische Überlieferung" an, sondern
bekennt audi, daß er der „innerprotestantisdien Kontroverse"
(6) und der römisch-katholischen Exegese (8). viel verdankt.
Trotz seiner sehr selbständigen Gedankenführung beansprucht
das Buch, „die katholische Ansicht" von Gesetz und Evangelium
zu vermitteln. Deshalb erscheint es angebracht, daß protestantische
Würdigung und Kritik vorerst den römisch-katholischen
Fundamentaltheologen das Wort überläßt. Fraglos ist bereits,
daß hier eine Parallele zu H. Küngs Rechtfertigungs-Budi vorliegt
und daß aus der alten Kontroverstheologie immer mehr
ein Gespräch von großer Sadinähe geworden ist.

Leipzig August Kimme

Loewenich, Walther von: Glaube, Kirche, Theologie. Freiheit und
Bindung im Christsein. Witten/Ruhr: Luther-Verlag 1958. 205 S. 8°.
Lw. DM 12.80.

Über dies neue Buch des Erlanger Kirchenhistorikers einen
der Sache gerecht werdenden Bericht zu geben, bedeutet eine
schwierige Aufgabe, weil das Buch einen so überaus mannigfaltigen
Inhalt hat, der, wie schon der Titel sagt, nicht auf Einen
Begriff gebracht werden kann. Es handelt sich um eine Sammlung
von Reden, Betrachtungen und Aufsätzen. Sie zerfallen in drei
Gruppen:

I. Der Ausgang : Drei kurze Betrachtungen über die
Themen: Aufgabe und Grenzen wissenschaftlicher Theologie —
Ist die Bibel Gottes Wort? — Der moderne Mensch und die Bibel.

II. Der Grund: In loser Reihenfolge 16 allgemeinverständliche
Betrachtungen über zeitlos gültige Wahrheiten der
Bibel.

III. Das Ziel: 6 Aufsätze über verschiedene theologische
Probleme. Ihnen müssen wir unsere besondere Aufmerksamkeit
schenken. Aus den ersten beiden Gruppen möchte ich nur eine
größere Zahl kurzer Sätze vorführen, die in glänzender Formulierung
große, wertvolle Gedanken enthalten. Die Seitenzahl
werde ich jeweils hinter dem Zitat bringen.

„Es gibt in der Welt nicht Gewisseres ak persönliche Gewißheit
. Die persönliche Erfahrung des Einzelnen wird zwar gestützt
von der tausendfachen Erfahrung der Gemeinde aller Jahrhunderte
. Aber zuletzt gilt es auch hier: Da tritt kein anderer
für ihn ein, auf sich selber 6teht er da ganz allein" (S. 30). —
„Nicht Glaube an das Mirakel, sondern Ehrfurcht vor dem Geheimnis
, darauf kommt es an" (S. 34). — „Die Macht an sich ist nicht
böse; aber es liegt in ihr der Zug, böse zu werden" (S. 39). —
„Echter Glaube lebt nicht von Spekulationen über die Zukunft,
sondern vom Gehorsam in der Gegenwart" (S. 46). — „Nur da
ist der Glaube echt, wo er ständig aus der Überwindung de«
Zweifels hervorwächst" (S. 51). — „Die Skepsis lähmt den Willen
. Die Fanatiker, sie mögen geistig noch so beschränkt sein,
siegen immer über den Skeptiker. Er sieht alles, er versteht alles,
aber er tut nichts" (S. 61). — „Das ist die höchste Stufe des
Menschseins: wahre Freiheit besteht darin, überall die göttliche
Notwendigkeit zu sehen und danach zu handeln" (S. 65). — „Die
Göttlichkeit Jesu besteht nicht darin, daß er macht, was er will,
sondern darin, daß er will und tut, was Gott will. Die Göttlichkeit
Christi besteht darin, daß er ganz eins ißt mit dem Willen
des Vaters" (S. 66). — „Das ist der tiefe Sinn des göttlichen
Lebens: wahres Leben steht unter dem Gesetz des Opfers 1
Leben e n t steht durch Opfer, und Leben b e steht durch Opfer"
(S. 73). — „Wer als Lebensziel das Glück hat, der ist betrogen ...
wer das Glück zur Basis seines Lebens machen will, wird das
wahre Leben nicht erlangen" (S. 75). — „Die göttliche Erhörung
(des Gebets) besteht nicht in der Erfüllung unserer menschlichen
Wünsche, sondern im Einswerden mit dem Willen des Vaters".
„Aber eben dazu ist uns das Gebet gegeben, daß sich unser Wille
in Gottes Willen klärt" (S. 80). — „Je mehr die Forschung fortschreitet
, desto mehr steht sie vot dem Geheimnis. Je besser wir
das Leben kennen, desto rätselvoller wird es uns" (S. 91).

In dem Aufsatz über: „Das Christentum in der
modernen Welt" wird dem Le6er anschaulich klargemacht,
daß die alte Christenheit in einer Welt gelebt hat, die uns fremd
geworden ist. Die moderne Naturwissenschaft hat den christlichen
Glauben ganzer Generationen zerstört oder wenigstens ins Wanken
gebracht. Auch hat die Bibelwissenschaft uns gelehrt, daß
die „Christologie" nahezu fertig war, bevor Jesus auf die Welt
kam, und das Neue Testament enthält kein einheitliches dogmatisches
System. Daraus dürfte weiter folgen, daß ein dogmatisches
Christentum alten Stiles heute nicht mehr möglich ist.
„Erfahrungsgemäß wird aus der Entkirchlichung die Entchristli-
chung, die leicht in die Entsittlichung übergeht." —

Da heute offensichtlich die römische Kirche zu einer großen
Macht geworden ist, so ist sehr zeitgemäß der Aufsatz: „Die
Aufgabe des Protestantismus in der geistigen
Situation der Gegenwar t". Die geistige
Situation deT Gegenwart ist durch drei Grundzüge bestimmt:
1. Die Säkularisierung unseres gesamten Daseins. 2. Ihre Sozialisierung
und 3. Ihre Neigung zur Verabsolutierung, d. h. zum
Extrem, zum Radikalismus. Eine Hauptaufgabe des Protestantismus
ist die Rettung des Humanuni, des Menschseins schlechthin.
„Es kann sich gegenüber den Mächten des Chaos und der Vermassung
nur behaupten, wenn es seine Begründung wieder im
Divinum, in Gott, findet". Höchst beachtlich ist auch der folgende
Satz: „Angesichts der jüngsten dogmatischen Entwicklung
des römischen Katholizismus liegt es auf der Hand, wie wichtig
es ist, daß es eine Form des Christentums gibt, in der man
fromm und frei zugleich sein kann." Fromm und
frei zugleich, darauf kommt es an; denn „das dogmatische
Christentum alter Prägung trifft nicht mehr unsere Bewußtseinslage
". „Der heimliche Rationalismus des kirchlichen Dogmatismus
kann sich heute als ein Haupthinderais für einen neuen Zugang
zu echter Transzendenz auswirken."

In dem Aufsatz über Adolf von Harnack wird festgehalten
eine Abhandlung, die von der Schriftleitung der „Evangelisch
-lutherischen Kirchenzeitung" zu Harnacks 25. Todestag
erbeten war und andere ausfiel, als die Schriftleitung erwartet
hatte; denn Harnack wurde hier als „der Theologe des undogmatischen
Christentums", also als der Theologe für unsere
Zeit gefeiert.

Aufschlußreich ist auch der Aufsatz über die Bedeutung
de6 Liberalismus. Der Verfasser stellt fest, daß
der Liberalismus immer noch eine Aufgabe zu erfüllen habe, weil