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Ausgabe:

1958 Nr. 2

Spalte:

122-123

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stange, Erich

Titel/Untertitel:

Er führt uns wie die Jugend 1958

Rezensent:

Niedner, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 2

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onen unter Friedrich Wilhelm IV. und Bunsen (S. 126—147),
schließlich an dem evangelischen Bistum in Jerusalem 1841
(S. 148-219). Eine Schlußbetrachtung (S. 220-228) faßt die
Ergebnisse der Untersuchung in 9 Punkten zusammen (S. 220
—227) und stellt 4 weitere historische Aufgaben (S. 227 f.).
Ein Urkundenanhang bringt 2 Schreiben Jablonskis an den englischen
Gesandten Lionell Gatford in Hamburg (v. 4. Juli 1699
im Auszug, v. 9. Januar 1703 offenbar vollständig), beide aus
dem dankenswerterweise benutzten Briefnachlaß A. H. Franckes
und 6 königlich-britische, parlamentarisch-britische und erz-
bischöflich(Canterbury)-anglikanische Dokumente zur Bistumsgründung
in Jerusalem 1841/42.

Das Buch bietet somit einen ungewöhnlich reichen Inhalt
und stellt sich umfassende Ziele, die gründliche Vorarbeiten
voraussetzen. Bei der gegenwärtigen Forschungslage an diesem
Punkte, genauer gesagt: bei dem jahrzehntelangen Erlahmen
des protestantischen Interesses an Kirchenverfassungsfragen
(seit den entsprechenden Bemühungen des Neuluthertums bis
zum antinationalsozialistischen Kirchenkampf) können runde
Lösungen und abschließende Bearbeitungen dieser verwickelten
Komplexe überhaupt nicht erwartet werden. Gerechterweise ist
nur eine Bestandsaufnahme, eine Erkenntnis der maßgebenden
Grundstrukturen und geschichtlichen Faktoren, eine Durchschau
durch die Problematik zu verlangen, um auf das Thema aufmerksam
zu machen.

In dieser Hinsicht leistet Benz Wichtiges, wobei ich die
Akzente teilweise anders ßetze, als er es selbst in seiner Zusammenfassung
tut:

1. Zunächst ist es ihm darum zu tun, den Widerspruch
gegen das landesherrliche Kirchenregiment („Summepiskopat")
nicht nur sachlich, sondern historisch als evangelische Notwendigkeit
zu erweisen. Er setzt damit Karl Holls Untersuchung über
Luther und da6 landesherrliche Kirchenregiment (ZThK XXXI,
1911, Ergänzungsheft 1 = Ges. Aufs. z. KG I: Luther8 1932,
326—3 80) der Absicht nach fort, ohne freilich auf sie Bezug zu
nehmen, 60 daß in seiner Darstellung der Widerspruch als primär
, wenn nicht ausschließlich von Vorbildern fremden Kir-
chentums inspiriert erscheint. Ein einleitendes Kapitel über Fortbestand
und Untergang des Bischofsamts in der deutschen
evangelischen (lutherischen) Kirche nach der Reformation wäre
hier hilfreich gewesen (Benz äußert sich selbst in diesem Sinne
S. 227), ebenso wie ein nachdrücklicher Hinweis auf Speners
Protest gegen den Cäsaropapismus.

2. Mit Recht hebt B. den unlösbaren Zusammenhang zwischen
Unionsprogramm und Bischofsamt in der Konzeption Jablonskis
hervor und unterstreicht damit dessen Bemühen, den
politisch erstrebten und politisch gedachten Königstitel Friedrichs
III./I. von Brandenburg-Preußen durch ein mittelalterlich
fundiertes Krönungsritual mit seiner ganzen Symbolkraft zu erhöhen
und so den absolutistischen Herrschaftswillen kirchlich
aufzufangen bzw. zu legitimieren. Darin liegt ein beachtenswerter
Versuch „politischer Theologie" im Barockzeitalter, der dadurch
noch an Gewicht gewinnt, daß er sowohl auf den spätmittelalterlichen
, schlicht biblisch verstandenen Episkopat der
waldensisch-mährischen Brüder-Unität als auf den traditionsgesättigten
anglikanischen Episkopat zurückgreift und schließlich
den aktuellen kirchlichen Einheitswillen des Pietismus in
Dienst nimmt. Die Vielschichtigkeit dieser Amts-, Kirchen- und
Staatskirchenauffassung ließe sich noch im einzelnen analysieren
und dabei wohl auch in ihren Widersprüchen aufdecken.

3. Für die Krone ergab sich außer dem von B. eingehend
behandelten fiskalischen Problem das staatskirchenrechtliche,
wie die Einheit des preußischen Herrschaftsgebietes, das ja auch
die reformierten Territorien am Niederrhein (Herzogtum Cleve,
Grafschaft Mark) einschloß, kirchlich gesichert werden konnte,
wenn die Reformierten gegen den Episkopalismus Widerspruch
erhoben. B. läßt bes. S. 54 f. das Ringen zwischen der staatskirchlichen
Prärogative auf Seiten des Herrschers und der kirchlichen
Autonomie auf Seiten Jablonskis ahnen. Kernpunkt wird
die Frage, ob der Bischof dem Konsistorium präsidiert.

4. Besonders klar tritt das kirchliche Autonomieprinzip als
innere Grundlage des Bischofsamts bei Zinzendorf hervor, einmal
auf dem herrnhutischen Missionsfeld (St. Crux), sodann im
Aufbau der politisch unabhängigen Brüdergemeine, die an die
alte Brüderunität anknüpft. Zinzendorfs ursprüngliche Inanspruchnahme
des landesherrlichen Kirchenregiments als Privat-
patronat und germanisches Eigenkirchentum für seine grundherrliche
Stellung auf Berthelsdorfer Boden gegenüber der neu
erblühenden Herrnhuter Gemeine übergeht B. Beim Rückgriff auf
den Episkopat der alten waldensisch-hussitisch-mährischen Brüderunität
hätte die dortige urchristliche Fassung des Bischofsamts
(und Priesteramts) eine schärfere Profilierung vertragen
(vgl. dazu bes. Joseph Theodor Müller, Geschichte der Böhmischen
Brüder I 1922, 124—131; 283-287), obwohl zuzugeben
ist, daß Zinzendorfs kirchenpolitische Diplomatie den Abstand
zum mittelalterlich-anglikanischen Bischofstypus bewußt verkleinert
hat. Offenbar besaß bereits Jablonski keine klare Vorstellung
mehr vom urchristlichen Sinn der brüderischen Apostolizi-
tät und von ihrer Geschiedenheit vom humanistischen Traditionsprinzip
des Anglikanismus.

5. Im Rußland des frühen 19. Jahrhunderts 6ollte das Bischofsamt
, das Alexander I. für alle evangelischen Kirdien anstrebte
, ebenfalls der Union dienen. Die entsprechenden Versuche
hatten eigentümliche Geschicke und endeten mit der Reduktion
auf das schwedische Bischofsverständnis im Baltikum,
während das Wolgagebiet in Ignaz Fessler von Saratov tatsächlich
einen kirchlich autonomen Bischof und eine evangelische
Union für 14 Jahre (1819—33) erreichte. ,

6. Für Friedrich Wilhelm III. von Preußen bedeutete das
Bischofsamt einerseits ein Ausstattungsstück in seinen liturgischen
Restaurationsliebhabereien, andererseits ein Derivat seines
Summepiskopats — unter beiden Gesichtspunkten eine Perversion
des eigentlichen Sinnes und damit ein eindrucksvolles
Beispiel für den möglichen Mißbrauch.

7. Im schärfsten Gegensatz zu ihm bringt sein Sohn, Friedrich
Wilhelm IV., gefördert durch Bunsen, die urchristliche Einheit
des kirchlichen Amts als diaxovla und xÖQio/ua heraus,
ordnet also sachlich — im Widerspruch zum Anglikanismus (was
B. schärfer hätte herausarbeiten können) — den Episkopat dem
Diakonat unter, ohne freilich klar und entschieden daran festzuhalten
und seine Erkenntnis praktisch wirksam werden zu
lassen.

8. Die Frucht solcher unklaren Mischung wird das 1841
gemeinsam mit der Kirche von England gegründete Bistum von
Jerusalem, über dessen Auffassung notwendig große Meinungsverschiedenheiten
zwischen England und Deutschland, aber auch
innerhalb beider Länder bzw. Kirchen einsetzte.

So sind nirgends im deutschen Protestantismus der bischöfliche
Gedanke und die apostolische Sukzession rein erfaßt, geschweige
durchgestaltet worden. Gerade die Vielfalt der Auffassungen
und Absichten, die Mischung und Überschneidung der
Motive, wobei Spielerisches und Verkrampftes neben Echtem und
Gültigem sein Wesen treibt, ist das Lehrreiche an dieser Überschau
, die nach Vertiefung im Grundsätzlichen und nach Ausbau
im Historischen ruft. Darüber hinaus müßte eine Konfrontation
mit den sonstigen Episkopatsverständnissen in der Kirchengeschichte
erfolgen, außer mit dem römischen Katholizismus vor
allem mit dem Gallikanismus, Anglikanismus und dem skandinavischen
Luthertum, um eine wirkliche ökumenisch-konfessions-
kundliche Gesprächsbasis zu schaffen.

Berlin-Zchlendorf Martin Sc h m i d t

Stange, Erich, D.: Er führt uns, wie die Jugend. Bericht über eirK
Lebenswerk im Dienst an der jungen Generation. 1957. Kassel:
Eichenkreuz-Verlag 1957. 244 S. 8°. Lw. DM 7.80.

Am 23. März 1958 feiert Erich Stange seinen 70. Geburtstag
. Dabei werden weitere Kreise innerhalb und außerhalb
Deutschlands ihr Interesse der Persönlichkeit und dem Lebenswerk
Stanges zuwenden. Es trifft sich da gut, daß eben jetzt
Stange 6elbst einen umfassenden Lebensbericht erstattet, der
ganz abgesehen von Stange selbst wertvollstes, ja dokumentarisch
kostbares Material zur letzten Zeit — und vor allem Kirchengeschichte
bringt. Kein Historiker wird daran vorbeigehen
können.