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Ausgabe:

1958

Spalte:

429-433

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald 1958

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literatuirzeitung 1958 Nr. 6

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einer indischen und einer jüdischen Gruppe; zu letzterer rechnet
er Judentum, Christentum, Islam und Parsismus. Das Kriterium
der Unterscheidung ist für Toynbee ein antithetisches Geschichtsverständnis
beider Gruppen. Mit für das Religionsverständnis
höchst bedeutsamen Gedanken, die, wenn wir recht sehen, erstmals
ausführlich von Hans Leisegang entwickelt wurden7,
stellt Toynbee für die indische Gruppe ein kyklisches Weltbild
heraus; die Ansicht von einer eindimensionalen, irreversiblen
Bewegung dagegen für die Geschichtsschau der jüdischen Religionen
.

Diese so bedeutsamen Gedanken des unterschiedlichen Verständnisses
der Zeit in den Hochreligionen regen an zu weiterführenden
Fragen, weil die mit ihnen vollzogene Unterscheidung
religiöser Gruppen tatsächlich eine geographisch unterschiedliche
Lokalisierung impliziert; nach der Bedeutung auch der prägenden
Kraft des Raumes zu fragen, ist eine gelegentlich angeregte",
aber bislang noch nicht ausgeführte Aufgabe der Religions-
phänomenologie. —

Das Werk Toynbees erschöpft sich nicht in historischen
Systematisierungen, sondern will aus ihrer Sicht zugleich einen
Beitrag geben zur religiösen Situation unserer Zeit. Die geistigen
Entwicklungen des 17. Jahrhunderts führen zu einem Bruch mit
der mittelalterlich-christlichen Welt; seine Schilderung gemahnt
an die grundlegenden Ausführungen von Romano Guardini"
und vor allem an die schmale, inhaltsreiche Schrift von Ludwig
Landsberg10. Mit dem technischen Zeitalter entsteht die Gefahr
der Technokratie". Die Tatsache aber, daß diese europäische
Situation durch die Verbreitung abendländischer Kultur
mittels der Seefahrt zu einer globalen geworden ist, bedingt für
die Gegenwart die weltweite Dialektik von Furcht und Hoffnung
. Grund zur Furcht ist die Möglichkeit der Selbstvernichtung
im Atomzeitalter. Die Hoffnung unserer Generation aber
besteht in vernünftiger Einsicht und Hinwendung zu eigentlichen
geistigen Aufgaben. Sie bestehen in einer irenischen Begegnung
der Hochreligionen, für die Toynbee offenbar die jesuitische
Missionspraxis des 17. Jahrhunderts für vorbildlich ansieht.

Wabern, Bez. Kassel Günter Lanczkowski

7) Hans Leisegang, Denkformen, Berlin u. Leipzig 1928.

8) Heinrich Frick, Die aktuelle Aufgabe der Religionsphänomeno-
Iogie, in: ThLZ 75 (1950), Sp. 641—646; vgl. auch: Helmut Thielicke,
Fragen des Christentums an die moderne Welt, Genf o. ]., S. 93.

") Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Basel 1950.

10) Paul Ludwig Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir,
Bonn 1922. — Vgl. ferner vor allem: Rudolf Eucken, Thomas von
Aquino und Kant, ein Kampf zweier Welten, Berlin 1901.

*) Die von Toynbee vorgenommene scharfe Trennung zwischen
Techniker und Naturwissenschaftler ist vielleicht heute nicht mehr in
dieser Weise durchführbar; vgl. J. B. Conant, Moderne Naturwissenschaft
und der Mensch, Frankfurt (Main) 1953.

Festschrift zur 500 - Jahrfeier der Universität
Greifswald 17. 10. 1956. Band I u. II. Hrsg v. d. Ernst Moritz
Arndt-Universität Greifswald durch die Redaktionskommission Dr.
W. Braun, Prof. Dr. E. Kählcr, Dr. J. Schildhauer, Prof. Dr. H.
Schwarz, Prof. Dr. O. Wegner unter d. Vorsitz v. Prof. Dr. W. Rothmaler
. Greifswald: Universitätsbibliothek 1956. 302 S. m. Abb. u.
586 S. m. Abb. 4°.

Zur 500-Jahrfeier der Greifswalder Universität 1956 legt
eine sechsköpfige Redaktionskommission, der auch der Kirchenhistoriker
Ernst Kahler angehört, zwei stattliche Bände mit annähernd
900 doppelspaltigen Seiten vor. Der 1. Band behandelt
die Universität als Ganzes, während im 2. Band die einzelnen
Fakultäten aus ihrer Vergangenheit berichten. Auf diese Weise
werden einige Ereignisse mehrfach gebracht, doch ist die gelegentlich
recht unterschiedliche Beurteilung mancher Persönlichkeit
in Band I und 11 durchaus nicht ohne Reiz. Band I beginnt
mit 2 Beiträgen, die einen Überblick über die Geschichte der
Universität bieten. Roderich Schmidt beschreibt „Die Anfänge
der Universität Greifswald", Hans Schröder nimmt Stellung „Zur
Politischen Geschichte der Ernst Moritz Arndt-Universität".

In Schmidts Beitrag werden auf 33 Seiten (mit 584 Anmerkungen
) die verschiedenen, bei der Universitätsgründung beteiligten
Kräfte lebendig: Einmal der Stiftungsbrief des Papstet Calixt III. und

die Einsetzung des Bischofs Henning Iven von Cammin zum Kanzler
der Universität; zum zweiten das Interesse des Herzogs Wartislav IX.
von Pommern-Wolgast. Das Ineinander dieser beiden Faktoren läßt
sich im Eröffnungsakt der Universität, der sog. missa universitatis,
nachweisen. Die Feier bezeichnet Schmidt als „Symbol dafür, wie sehr
die Universität nicht nur an ihrem feierlichen Beginn, sondern in ihrem
ganzen Leben eingefügt war in den Rahmen der Kirche" (21 a). Doch
Schmidt fährt fort: „Die Überreichung der Szepter innerhalb der kirchlichen
Feier und des kirchlichen Raumes erfolgte aber durch den Herzog
. Er war es, der in diesem Symbol dem Rektor und der ganzen Universität
das Zeichen ihrer Eigenständigkeit überreichte. Was sich aus
den Urkunden ablesen läßt, kommt ebenso in diesem äußeren Akt zum
Ausdruck" (21 b). Schmidt weist dann auf den dritten wichtigen Faktor
bei der Universitätsgründung hin, die Rolle der Stadt Greifswald.
Die besondere Leistung des Gründers der Universität, des damaligen
Bürgermeisters Heinrich Rubenow, sieht Schmidt darin, daß er die verschiedenen
Faktoren zu koordinieren verstand. Fast alle deutschen
Universitäten vor Greifswald verdankten ihre Gründung entweder der
Initiative des Landesfürsten (Prag, Wien, Heidelberg, Leipzig u. a.),
oder aber der Initiative der Städte (Köln, Erfurt). „Es ist das Besondere
der Gründung von Greifswald, wie vorher von Rostock, daß Landesherr
und Stadt gemeinsam zu ihrem Zustandekommen gewirkt haben
" (21 b).

Schröders Artikel ist der weitaus umfangreichste der Festschrift
. Eine Fülle interessanter Tatsachen aus den Greifswalder Archiven
wird mitgeteilt. Die verschiedenen Geschichtsperioden werden
jedoch ungleich berücksichtigt; Schröder beschäftigt sich vorwiegend
mit jenen Epochen, von denen aus sich eine Verbindung zum gegenwärtigen
Zustand der Universität ziehen läßt. Die 3V2 Jahrhunderte
bis 1815 beanspruchen 28 Seiten (53—81), die Ereignisse um die Revolution
von 1848 41 Seiten (81—122). Zur Begründung sagt Schröder.
„Die demokratische Bewegung 1848/49 geriet wie alles Demokratische
•nich in anderen Gebieten des offiziellen junkerlich - bürgerlichen
Deutschland in Vergessenheit oder in den Zerrspiegel der Reaktion.
Sie blieb auch in der Weimarer Republik verschüttet. Nachdem die Vollendung
der bürgerlich-demokratischen Revolution 194 5 im östlichen
Teile Deutschlands gelungen ist, erscheint es natürlich, daß die Revolution
von 1 848 im Rahmen einer Darstellung der 500 jährigen Geschichte
der Universität Greifswald einen hervorragenden Platz einnimmt
und eine objektive Würdigung findet" (121 b). Die sieben
Jahrzehnte von 1849—1918 werden auf 4 Seiten unter der Überschrift
„Zwischen 2 Revolutionen" dargestellt, während die Jahre 1918—20
auf 14 Seiten beschrieben werden (126—40). Die Übergabe Greifswalds
an die Sowjetarmee Ende April 1945, bei der unter Mitwirkung der
Professoren Katsdi und Engel ein sinnloser Widerstand verhindert werden
konnte, leitet über zur Darstellung der jüngsten Geschichte seit
1945. Die letzten Ereignisse, die Schröder erwähnt, sind die Ausbildung
von Medizinern für die Deutsche Volkspolizei und die Immatrikulation
einer chinesischen Studentengruppe im Jahre 1955 (148 b).

Die folgenden Beiträge behandeln die Baugeschichte des
Universitätsgebäudes (S. 157 ff.), die Universitätsbibliothek
(S. 175 ff.) und den Waldbesitz der Universität (S. 199 ff.).
W. Schönfeld berichtet über die Promotion einer Greifswalder
Professorentochter zur baccalaurea artium et philosophiae
1750 (S. 261—264). In dem Beitrag über die wissenschaftlichen
Zeitschriften Greifswalds erfährt man (S. 265—267) von dem
führenden Anteil des Theologieprofessors J. H. Balthasar an der
Gründung der beiden ältesten Zeitschriften der Greifswalder
Universität (1741 Critische Versuche und 1743 Greifswaldisches
Wochenblatt). Beiträge über das Greifswalder Studentenleben um
1812 (S. 283 ff.), das Studentenlokal „die Falle" (S. 293 ff.) sowie
aus der Baugeschichte Greifswalds (S. 297 ff.) beschließen den
ersten Band, aus dem jedoch noch zwei Beiträge über Ernst Moritz
Arndt ausführlicher zu behandeln sind. Manfred Reissland
berichtet über „Ernst Moritz Arndts Tätigkeit an der Universität
Greifswald" (S. 203 ff.), Bruno Markward behandelt das Thema
„Greifswalder Dozenten als Dichter. Zur Würdigung E. M.
Arndts und G. L. Kosegartens" (S. 227 ff.).

R e i s s 1 a n d sieht in Arndt nicht nur „einen der bedeutendsten
Männer im Kampf um die Befreiung des deutschen Volkes von der
napoleonischen Fremdherrschaft", sondern audi den Mann, der „vor
allem während seiner Tätigkeit in Greifswald soziale Gedanken äußerte,
die von den bürgerlichen Historikern keineswegs ihrer Bedeutung entsprechend
gewürdigt" wurden (203 a). Dabei teilt Reissland interessantes
Quellenmaterial mit; u.a. werden die Dokumente, die zu
Arndts Rücktritt 1811 führten (Anwendung von Zensurbestimmungen)
als Anlage abgedruckt (217—20). — M a r k w a r d behandelt die Problematik
Dozent-Dichter einleitend unter Hinweis auf Reudilin und
Eoban Hessus, Simon Dach und Andreas Gryphius, Gottsched und Gel-