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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

123-125

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ammann, Albert M.

Titel/Untertitel:

Die ostslawische Kirche im jurisdiktionellen Verband der byzantinischen Grosskirche (988 - 1459) 1957

Rezensent:

Onasch, Konrad

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123 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2 124

Ammann, A.M., S.J.: Die ostslawische Kirche im jurisdiktionellen
Verband der byzantinischen Großkirche (977—1459). Würzburg: Augustinus
-Verlag 1955. 288 S. 8° = Das östliche Christentum N. F. 13:
Untersuch, z. Gesch. d. kirchlichen Kultur u. des religiösen Lebens bei
den Ostslawen H. 1. Kart. DM 19.50.

Der vorliegende Band ist der erste einer Reihe, in der als
Ergänzung zum „Abriß der ostslawischen Kirchengeschichte"
(vgl. die Rezension von Ludolf Müller in der ThLZ 1952,
Sp. 427 f.) versucht werden soll, „die geistigen und religiösen
Strömungen, deren Ablauf und ihre Verflechtungen darzustellen"
(S. 7). Obwohl der Verf. über ein umfangreiches Wissen auf diesem
Gebiete verfügt und die Spezialprobleme übersieht und beherrscht
, will er diese Arbeiten nur als „Untersuchungen" bezeichnen
. „Zu einer erschöpfenden Darstellung reichen weder die
bisher veröffentlichten und allgemein zugänglichen Quellenwerke
noch die zusammenfassenden Darstellungen, sei es der vergangenen
oder auch der heutigen Epoche der ostslawischen Wissenschaft
aus" (S. 7). Es muß auch sogleich darauf hingewiesen
werden, daß A. auf bestimmte Fachwissenschaften, wie z. B. die
Liturgienforschung nicht ausführlicher eingegangen ist. Er meint,
diese sollten von ihren zuständigen Fachvertretern behandelt
werden. Steigt man nach diesen einschränkenden Bemerkungen
des Verf. im Vorwort in die Untersuchungen selbst hinein, so
wird man doch in diesen mit einer Fülle von Problemen im Zusammenhang
mit der entsprechenden älteren und neuesten Spe-
zialliteratur vertraut gemacht.

Verf. teilt den Stoff in zwei Abschnitte ein: I. Die Frühzeit und
II. Das Vormittelalter, obwohl er diesen Abschnitt bis zum Jahre 1459
führt. Man erwartet deshalb eigentlich noch einen dritten Abschnitt,
der das ausgehende Mittelalter hätte genannt werden können. Die Abschnitte
enthalten folgende Kapitel: I. Kapitel 1: Der Charakter des
altrussischen Christentums unter Vladimir. Kapitel 2: Die Ausformung
des altrussischen Christentums im 11. Jahrhundert: Das Erstarken des
byzantinischen Einflusses. II. Kapitel 1: Das 12. Jahrhundert, das Jahrhundert
der Entscheidung. Kapitel 2: Die politische Wendung des ausgehenden
Ruä-Reiches zum asiatischen Osten hin und deren Auswirkung
auf das innerkirchliche Leben (13. Jahrhundert). Kapitel 3: Die
ostslavische Kirche löst sich von Rom und von Byzanz (etwa 1300
—1459). Diese Kapitel geben ein deutliches Bild, wie sich der Verf.
den geschichtlichen Ablauf der von ihm im einzelnen vorgetragenen
geistesgeschichtlichen und frömmigkeitskundlichen Ereignisse, Entwicklungen
und Schübe vorstellt. Es sind vor allem folgende Bevölkerungsgruppen
, denen er in besonderer Weise seine Aufmerksamkeit schenkt:
Der Episkopat, der niedere Klerus und das Mönchtum (Verf.
gebraucht hier oft den etwas mißverständlichen Begriff des Ordensklerus
), die kirchliche Kultur der Laien und die der geistlichen Kreise. Dabei
werden bestimmte Zentren der kirchlichen Kultur Altrußlands berücksichtigt
: Kiev, Galizien und Wolhynien, Vladimir-Suzdal' und Nov-
gorod, deren wesentliche Sonderzüge herausgearbeitet werden.

Es ist unvermeidlich, daß ein solches Werk eine Reihe von
Fragestellungen aufwirft. Im Rahmen dieser Rezension können
naturgemäß nur einige wenige und diese nur kurz behandelt werden
. Zunächst möchte ich einige Kleinigkeiten bemerken. Warum
sagt der Verf. immer „Lebe n", wenn er das zitie, also die Vita
meint. Die Leser, die sich mit den von ihm vorgeführten, oft sehr
diffizilen Problemen zu beschäftigen haben, werden gewiß das
Wort „Vita" kennen. Methodisch wäre zu sagen, daß der Übergang
von der ruhigen Darstellung zur erregten Diskussion oft zu
6chroff ist und manche Leser, die bereits über die „Vita" stolpern
sollten, gewiß verwirrt. Diese Einzelprobleme wären am
besten in einem Anhang behandelt worden, wie das jetzt in dem
Buch von H. Paszkiewicz: The Origin of Russia, London
1954 zum Nutzen des Lesers geschehen ist. Gewichtiger sind
wohl die Einwände gegen einige historisch-kritische Darstellungen
in den Untersuchungen. So ist nach Meinung des Verf.s Boris
einmal „ein bedeutender Kriegsmann; auf der anderen Seite aber
geht er mit einer so hilflosen Widerstandslosigkeit dem Tod entgegen
, daß sie kaum mit dem vereinbar ist, was wir heute christliche
Klugheit nennen würden" (S. 67). Bei einem Kenner, wie
es A. zweifellos ist, muß ein solches Fehlurteil über Boris und
Gleb geradezu verblüffen! Man braucht keineswegs mit vom
Verf. zitierten Fedotov die ersten Nationalheiligen Rußlands als
..sufferers of nonresistance" aufzufassen. Aber A.s Analysen der
beiden „Leben", d. h. des Skazanie und des Ctenie auf S. 37 ist
nur ein Beitrag zur Frage nach der Geschichtlichkeit eines Metropoliten
Ioann. Warum ist er nicht näher auf diese beiden Formen
und den Bericht in der Nestorchronik eingegangen? A. weiß, daß
in ihnen sehr verschiedene Motive des Märtyrertodes der beiden
Brüder vorgetragen werden, die sein Urteil in keiner Weise begründen
. Ich möchte hier noch auf eine andere Frage eingehen,
deren Entfaltung durch A. die historische Gesamtschau seines
Werkes entscheidend bestimmt. Unter Hinweis darauf, daß die
Novgoroder Chroniken nichts von byzantinischen Klöstern im
Norden Rußlands melden, schreibt der Verf. S. 53: „Der byzantinische
Einfluß war am Nordende der großen Handelsstraße noch
nicht kräftig genug und in Skandinavien, von woher doch auch
viele Anregungen nach Novgorod kamen, gab es damals noch
keine Klöster." Demgegenüber hat jetzt R. Klostermann:
Probleme der Ostkirche, Göteborg 1955, S. 171—172 auf den
weiten bis nach Finnland (Gründung des Valamo-Klosters Ende
des 10. Jhdts.) reichenden Radius der byzantinischen Missionstätigkeit
hingewiesen, welche in den baltischen Ländern auf die
starke Konkurrenz vor allem der Schweden stieß. A.s Interesse
liegt auf einer auffallenden Betonung des sog. „Normannismus",
nicht im Sinne der von den slavisch sprechenden Historikern so
leidenschaftlich abgelehnten Rassenthese, sondern in dem einer
bestimmten Absicht. Diese wird klar, wenn wir nur auf folgende
Punkte in der Darstellung des Verfs. hinweisen: 1. Die Ostslaven
„waren ein ausgesprochenes Festlandvolk, das von der
Welt vergessen zwischen seinen Wäldern, Feldern und Sümpfen,
vor allem im Westen der heutigen ostslavischen Lande saß"
(S. 19). Das erinnert sehr an die berüchtigte, aber durch Niederle
und andere Slavisten und Historiker längst widerlegte
„Verelendungstheorie" Peiskers. Gerade der vom Verf. zitierte
G r e k o v (umfassender als die angegebene engl. Ausgabe
ist die russische: Kievskaja Rus', Moskva 1949 u. später) kann
für diese These auf keinen Fall in Anspruch genommen werden.
Auch V. Gitermann: Geschichte Rußlands. 1. Bd. Hamburg
1949 und mit ihm viele andere übergehen sie mit Schweigen.
2. Diese „von der Welt vergessenen" Ostslaven wurden von der
Herrenschicht der Normannen regiert (S. 18 ff.), wenngleich die
ersteren schon in der heidnischen Epoche und dann vollends nach
der Christianisierung (Gewährung der slavischen Liturgie durch
Vladimir) ihre Eigenart durchsetzten (S. 42 ff.). Obschon die
Varäger unter Vladimir, „deren Seele von der herb-erhabenen
Natur ihrer oft spröden Heimat her großen Gefühlen mehr offen
stand, als dies ihr oft nur allzu rauhes Kriegshandwerk vermuten
ließ" (S. 30), sich dem kirchlichen Einfluß von Byzanz unterstellten
, haben sie trotzdem ihre staatliche und kulturelle Eigenart
zu erhalten gewußt. Oder wie der Verf. schreibt: „Aber in
einem Punkte waren die beiden Volksteile doch einig. Ihr Christentum
war allgemeinkirchlich ausgerichtet. Von einer Wahl
zwischen Rom und Byzanz kann man damals noch gar nichts
merken" (S. 42). Abgesehen davon, ob man in der Epoche Vladimirs
die Unterschiede zwischen den Varägern und Slaven noch
so scharf ziehen kann, ist den nun folgenden Argumenten des
Verfs. über die „allgemeinkirchlichen Anschauungen", d. h. über
das Fehlen antikatholischer Zeugnisse in der Literatur der Kiever
Rus' bereits von Alfred Rammelmeyer in seiner Rezension zu
des Vfs. „Abriß" (In: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 207. Jahrg.
Nr. 1. S. 13 ff.) begegnet worden, so daß ich sie hier nicht noch
einmal ausbreiten möchte. A. hat sie wieder (S. 44, Anm. l) abgelehnt
. Für ihn ist der „Normannismus" deshalb von Bedeutung
, weil er Unter den Varägern eine große Zahl von römischkatholischen
Gläubigen annimmt. Genau wie im „Abriß" geht
der Verf. der allmählichen Lösung Kievs und später Moskaus
nicht nur von Byzanz, sondern vor allem von Rom nach. Folgerichtig
ist für ihn dann auch die Absage der Russen an den
Unionsmetropoliten Isidor (S. 258 f.) eine endgültige Absage an
Rom, von der an Byzanz ganz abgesehen. Hier wäre aber zu
fragen, ob nicht bereits 1274 auf der Synode zu Vladimir an der
Kljazma unter dem Metropoliten Kirill, den G. Z a n a n i r i :
Histoire de l'Eglise Byzantine, Paris 1954, S. 237 einen ausgesprochenen
„anti-Latin" nennt, diese Abwendung von Rom geschehen
ist. Und das wäre noch ein sehr spätes Datum! In diese,
wie gesagt, bei A. bekannte Gesamtkonzeption passen auch seine
Erörterungen über die schwierige Frage des frühen Episkopates
in Kiev. Indem A. die bekannten Untersuchungsergebnisse von