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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

767-769

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Löhrer, Magnus

Titel/Untertitel:

Der Glaubensbegriff des heiligen Augustinus in seinen ersten Schriften bis zu den Confessiones 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

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zu widerlegen, sondern er betont nur seinen in De libero arbitrio
eingenommenen Standpunkt und seine Aufgabe, die er lösen
wollte. Er verteidige den freien Willen des Menschen, ohne deshalb
ausdrücklich von der göttlichen Gnade sprechen zu müssen
oder zu wollen. Trotzdem habe er an mehreren Stellen von
der Notwendigkeit der göttlichen Gnade gehandelt (II, 19, 50;
20, 54; III 18, 50 f., 52). Daß seine Gnadenlehre in seiner Frühzeit
, d. h. vor 395 teilweise irrig war, erwähnt er in Retract. I 9
nicht. Darüber spricht er jedoch in Retract. I 23, wo er frei bekennt
, daß er bei der Behandlung von Problemen des Römerbriefes
die falsche Anschauung vertreten habe, wonach „Gottes
Gnade dem Glauben nicht vorausgehe".

In jüngster Zeit sind mehrere Übersetzungen mit Kommentaren
von De libero arbitrio in verschiedenen Sprachen erschienen:
eine französische Übersetzung mit lateinischem Text von P.
Thonnard, Paris 1941; eine deutsche Übertragung von C. J. Perl,
Paderborn 1947 und eine englische Ausgabe von J. H. S. Burleigh,
London 1953 (in Library of Christian Classics 6). In diesem Zusammenhang
darf ich auch erwähnen, daß Prof. W. M. Green
(University of California) in Kürze eine neue kritische Edition
dieses Werkes im Rahmen des Wiener Väter-Corpus herausgeben
wird. Die wichtigsten Textverbesserungen dieser vorbereiteten
Ausgabe konnte der Verf. dieser neuesten Übersetzung bereits
benützen.

Von den einführenden Darlegungen (S. 3—34) ist hervorzuheben
, daß in pädagogisch wohl abgewogener Kürze der Verlauf
der Diskussion, die Augustinus mit seinem Freunde Evodius
führt, skizziert wird. Anschließend liefert der Übersetzer in Stichworten
oder in kurzen Sätzen unter Fortlassung des weniger
Wichtigen eine Übersicht über die bedeutendsten Fragen. Dadurch
wird dem Leser das Verständnis des Ganzen wesentlich erleichtert
. S. 35—220 finden wir den übersetzten Text. Die Ausführungen
der beiden diskutierenden Freunde werden im Druck klar
und übersichtlich abgegrenzt. Es folgt S. 221—228 das, was Augustinus
in seinen Retractationes I 9 zur Verteidigung seines Werkes
gegenüber den Pelagianern zu sagen für notwendig hielt.
Das, was für ein tieferes Verständnis der Augustinus-Schrift erwartet
werden kann, wird in den kommentierenden Noten
231—281 ausgeführt. Hier hat der Verf. in weiser Beschränkung
einen Teil der schier unübersehbaren Flut von Spezialuntersuchungen
, die sich in der jüngsten Zeit mit zahlreichen in der
Schrift behandelten Einzelfragen beschäftigen, herangezogen und
seinen Kommentar mit guter Sachkenntnis und wünschenswerter
Gründlichkeit gestaltet. Es wäre dem Kommentator ein leichtes
gewesen, zu weiteren Problemen erklärende Ausführungen zu
geben, doch das bereits Gebotene ist ausreichend.

. WüKburg Berthold Altaner

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Lohr er, Magnus, P. OSB: Der Glaobensbegriff des hl. Augustinus
in seinen ersten Schriften bis zu den Confessiones. Einsiedeln-
Züridi-Köln: Benziger [1955]. 280 S. 8°. DM 14.80.

Diese Dissertation an der Facultas Theologica Pontificii
Athenaei S. AnselnTi in Rom setzt sich zum Ziel, eine Vorarbeit
für eine umfassende ÜarsTeTIung des augustinischen Glaubensbegriffs
zu leisten. Einleitend gibt der Verfasser eine Aufzählung
der vorhandenen Arbeiten zum Glaubensproblem bei Augustin.
Wenn er dabei nach einer kurzen Kritik an der Dissertation von
Pirson (Der Glaubensbegriff bei Augustin, Diss. Masch. Sehr .
Erlangen 195 3) eine eingehendere Auseinandersetzung mit ihr
ablehnt, da sie nicht gedruckt sei, muß man sich freilich fragen,
ob Gedanken nur durch den Druck zur Bedeutsamkeit erhoben
werden.

Löhrer will den Glauben bei Augustin bestimmen als
Grundlage des Erkennens, als Weg zur beseligenden Weisheit,
als Prinzip des christlichen Lebens (S. 9). So bringt er eine Darstellung
der Glaubenserfahrung Augustins (S. 23—78), untersucht
die Grundgegebenheiten des Glaubensbegriffs, die auetoritas und
das credere (S. 79—143), stellt die apologetische Seite des Glaubensproblems
dar, d. h. die Begründung der Vernünftigkeit des
Glaubens durch Augustin (S. 144—173), bestimmt sodann den
religiösen Glauben als Element des christlichen Lebens in seinem
Verhältnis zu Christus, Kirche, Heilsgeschichte, sowie hinsichtlich
der Rolle des Glaubens im Aufstieg der Seele zu Gott
(S. 174—223) und geht in einem abschließenden Kapitel auf das
Verhältnis zwischen Glauben und Gnade ein. Hier gibt er eine
nützliche Übersicht über die Entwicklung der Gnadenlehre Augustins
(S. 224—268).

Der Verfasser beschränkt sich auf die Schriften, welche den
Confessiones vorausgehen. Damit arbeitet er zweifellos wesentliche
Teile von Augustins Glaubenslehre heraus. Freilich hätten
manche Äußerungen des späteren Augustin zum Glaubens- und
Autoritätsproblem, etwa in De trinitate oder in De civitate Dei
einiges Licht auf Aussagen früherer Schriften werfen können.
Nicht in jeder Hinsicht ist zwischen dem frühen Augustin und
dem Bischof eine Kluft befestigt. Das Gedanken- und Bildungsgut
seiner Jugend kommt immer wieder trotz aller Kritik an den
profanen Autoren zum Durchbruch, und oft in präziserer Formulierung
— ja es bildet vielfach die Grundlage seiner theologischen
Gedankengänge. Der Rahmen, in dem die auctoritas-Lehre Augustins
steht, wird z. B. deutlich aus De civ. Dei 11, 3, wo
Augustin die Gegenstände des Erkennens, in gegenwärtige, die
uns zugänglich sind (praesentia) und abwesende und unzugängliche
(remota), einteilt. In beiden Gruppen sind wiederum sinnliche
und intelligible Gegenstände zu unterscheiden. Das eigener
Erfahrung nicht Zugängliche wird durch die Autorität von Zeugen
(d. h. credere) oder durch Zeichen erkannt. Dazu vergleiche
man ep. 13 S. 30 f. Goldbacher. Die auctoritas-Lehre Augustins
muß also im Zusammenhang wissenschaftstheoretischer Überlegungen
, die ganz bestimmte antike Wurzeln haben, verstanden
werden. Löhrer bekommt infolge der zeitlichen Beschränkung
seines Quellenmaterials nur einen Zipfel dieses Tatbestandes
zu fassen. Die Elemente des Autoritätsbegriffs, die er nennt: profane
Autorität, göttliche und kirchliche Autorität, die Wahrhaftigkeit
der Zeugen (schon die empirische Ärzteschule hat dafür
Kriterien aufgestellt), bleiben so ohne das verbindende Band, das
zur Konzeption der Autorität bei Augustin gehört.

Andererseits möchte der Rezensent weniger Gewicht auf
die vom Verfasser ausführlich dargestellte Autoritätserfahrung
Augustins (abgesehen vom Eindruck der Autorität des Ambrosius
) legen. Der junge Augustin lebt in entschiedener Opposition
zur Autorität Monnicas wie auch der Kirche. Conf. 5, 5, 9 besagt
nicht, daß er zugunsten der Autorität des Faustus auf die
Ansprüche seiner ratio verzichtet hätte (S. 43), sondern nur, daß
er diese Autorität anerkannt hätte, wenn sie auch eine rationale
Möglichkeit gewesen wäre. Daß Augustin in Pontitians Hinweis
auf das Mönchtum die soziale auetoritas eines ganzen kirchlichen
Standes erlebt habe (S. 37), rückt diesen Vorgang in eine Beleuchtung
, die er in Augustins Sicht nicht hat.

Die Tatsache, daß Löhrer die Verwurzelung der Begriffe
auetoritas und credere in der wissenschaftlichen Prinzipienlehrc
Augustins nicht in den Blick bekommt, wirkt sich auch auf seine
Darstellung des Verhältnisses von credere und intelligere bzw.
scire aus. In De div. qu. 83 q. 48 PL 40 col. 31 spricht Augustin
davon, daß es Fälle gibt, wo credere und intelligere gleichzeitig
sind. Bei der Einsicht in Zahlenverhältnisse und Wahrheiten der
Disziplinen ist das credere sogleich ein intelligere. Gegenstände
der Geschichte werden nie,~erkannt und müssen immer geglaubt
werden, andere, wie die divinae res, werden erst geglaubt, dann
erkannt. Obwohl der Verfasser bemerkt, daß mit dem credere,
welches dem intelligere gleichzeitig ist, das Moment der Über-
zeugtheit gemeint ist, entnimmt er dieser Stelle doch, daß intelligere
eine bestimmte Art des credere sei und kommt so zu
der Annahme, credere und intelligere seien bei Augustin im Gegensatz
zu Thomas nicht grundsätzlich geschieden (S. 140/41),
eine Bemerkung, die er dann wieder einschränkt (S. 141 f.). Die
in der oben genannten Stelle aus De civ. Dei gegebene Einteilung
der res mit den ihnen zugehörigen Erkenntnisweisen verbietet
jedoch diese Annäherung des intelligere an das credere.
Grundsätzlich äußert sich Augustin über den unüberbrückbaren
Unterschied von fides und Einsicht in der ep. 147, die der Verfasser
wegen der zeitlichen Grenze, die er sich gesetzt hat, nicht
ausführlich heranzieht. Eine etwaige Entwicklung Augustins in
Richtung auf eine strengere Scheidung von credere und intelligere
zu postulieren, verbietet sich von selbst. Das credere, welches
das intelligere begleitet, ist etwas anderes, als das credere,