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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

624-625

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pohle, Josef

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Dogmatik, II Bd. 1957

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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ketisdien" Zug (9. 80). Der Liberalismus ist in der Gefahr, die
christliche Botschaft aus dem natürlichen Zustand des Menschen
abzuleiten (80). Die Bewußtseinstheologie sieht in der religiösen
Erfahrung die Quelle der Theologie, obwohl diese nur ein Medium
ist (53). Die kerygmatische Theologie verkennt die Beziehung
zwischen Mensch und Gott im religiösen Erlebnis (75) und
verschließt sich gegen die Welt außerhalb des „theologischen
Zirkels" (13). Diese Apologetik ist nicht im Sinne einer veralteten
falschen Apologetik gemeint, sondern bedeutet ein weltoffenes
Eingehen auf die konkrete Situation des heutigen Menschen
und seine Probleme (10. 12).

Die Methode der apologetischen Theologie ist der „theologische
Zirkel", d.h., die Theologie analysiert die menschliche Situation
, und die christliche Botschaft gibt die Antwort auf die
existentiellen Fragen (15. 77). Gegenstand der Theologie ist das,
was uns Menschen im letzten Sinne angeht, was unser Sein oder
Nichtsein bestimmt (20). Den Titel „Dogmatik" lehnt T. ab,
weil die Worte Dogma und Dogmatik historisch zu belastet seien
(42). Eine protestantische Theologie muß alle äußere Autorität
ablehnen, weil unser letztes Anliegen nie mit einer Festsetzung der
Kirche identisch sein kann (48) — Diese theologische Haltung
T.s hat zur Folge, daß seine Theologie offen ist für die Philosophie
, für die Religionen und für die allgemeine Geistesgeschichte.
T. bejaht unbedingt die Bibelkritik (46); er wendet sich scharf
gegen E. Brunner und andere dialektischen Theologen, welche
die geschichtlichen Religionen nur abwerten, ohne die typolo-
gischen Analogien zwischen ihnen und dem Christentum zu begreifen
(262); vor allem aber nimmt T. das philosophische Element
in die Struktur seines Systems hinein (40). Jeder systematische
Theologe muß auch ein kritischer und schöpferischer Philosoph
sein (30)! Die Theologie hat rationalen Charakter, und
zwar in dem dreifachen Sinne einer semantischen, logischen und
methodischen Rationalität (66 ff.). Die Reformatoren werden
kritisiert, weil sie mit einem unzulänglichen Begriff von der Vernunft
die Theologie belastet haben (186). Obwohl die Philosophie
die letzte Frage nach dem Sinn des Seins in Gott nicht beantworten
kann, 6ind dennoch Theologie und Philosophie aufeinander
angewiesen (272. 278). So ist denn T.s Theologie
gleichsam durchtränkt von Philosophie, und der Einfluß der großen
philosophischen Denker, besonders Kants, Schellings, Hegels
und der Existentialphilosophie ist überall offenkundig. —

Der erste Teil des Systems ist darum so fruchtbar und belehrend
, weil er im Gegensatz zu dem meist üblichen theologischen
Verfahren eine gründliche phänomenologische
Analyse der Begriffe Vernunft und Offenbarung bietet und darum
nicht in die Einseitigkeiten der neueren Dogmatik verfällt.
T. unterscheidet sorgfältig die ontologische und die technische,
die subjektive und die objektive Vernunft, die endliche Vernunft
in der Existenz und die Essenz der Vernunft, das Herrschaftswissen
und das empfangende Wissen usw. (92 f. 118 f.). Ebenso
analysiert er den Begriff der Offenbarung, das Geheimnis in der
Offenbarung (131), die Medien der Offenbarung, die universale
und die letztgültige Offenbarung, sowie die Offenbarungsgeschichte
(142 f. 159. 165). Das Ergebnis dieser sorgfältigen
Analysen für das Verhältnis der Vernunft zur Offenbarung ist:
„Offenbarung ist die Manifestation des Grundes unseres Seins;
6ie kann nur in der Ekstase erfaßt werden und zerstört nicht,
sondern transzendiert nur die rationale Struktur des Geistes"
(134 f.). Gott ist zwar Objekt unserer Glaubenserkenntnis,
6teht aber zugleich über der Subjekt-Objekt-Beziehung (205).
Da alle unsere Begriffe und Kategorien in der Endlichkeit wurzeln
, ist alle Gotteserkenntnis symbolisch. Da aber ohne
Analogie zwischen Gott und der Menschenwelt keine Offenbarung
verstanden werden könnte, ist alle Gotteserkenntnis auch
analogisch (15 8 f.). T. tritt mit Nachdruck für die ana-
logia entis ein, die mit natürlicher Theologie nichts zu tun
habe (28 3. 287). Nur das Wissen, daß Gott der Seins-Grund
oder das Absolute ist, ist nach T. keine symbolische Erkenntnis
(282). Die besondere Lehre vom göttlichen Sein ist überhaupt
für diese Theologie charakteristisch. Gott ist der absolute Seins-
Grund, gerade weil er Persönlichkeit und Geist ist. Aber Gott
ist keine Einzelpersönlichkeit, sondern das Sein jenseits aller endlichen
Schranken (187. 278. 288 f.).

Wir können auf die vielen tiefen Gedanken, die uns T. auch
im zweiten Teil seines Systems vermittelt, hier nicht näher eingehen
. Es 6ei aber besonders darauf hingewiesen, daß T. über das
Wesen des Menschen (76. 201. 303), den Sündenfall (300), die
Gottebenbildlichkeit des Menschen (304), die Schöpfung (296)
usw. Gedanken äußert, die sich z. T. sehr von den Ansichten
unterscheiden, die in der neueren Theologie üblich geworden
sind. —

Ein Gesamturteil über dies bedeutende Werk wird erst möglich
sein, wenn der zweite Band vorliegt. Einige kritische Bedenken
wollen wir aber jetzt schon andeuten. Was T. über die
Gottesbeweise sagt, ist unbefriedigend. Er subsumiert
sie einer natürlichen Theologie und sieht in ihnen syllogistische
Ableitungen Gottes von der Welt (242 f.). Ihre Widerlegung i6t
dann leicht. Er geht nicht darauf ein, daß es seit Hegel auch eine
andere Auffassung von den Gottesbeweisen gibt, (z. B. bei Lip-
sius, Biedermann. J. A. Dorner, Trendelenburg, Pfleiderer, Schlatter
, Althaus). Danach hat der Gehalt der Gottesbeweise weder
mit natürlicher Theologie noch mit Syllogismen etwas zu tun,
sondern stellt unter Voraussetzung des Glaubens und der Offenbarung
in begrifflicher Fassung die Erhebung des Menschengeistes
zu Gott dar. — Weiter scheint uns der Begriff der Philosophie bei
T. zu eng zusein. Sie ist nach dem Anspruch vieler philosophischer
Systeme mehr als die Erforschung der Struktur der Wirklichkeit. —
Auch T.s Lehre vom Seins-Grunde ist nicht einleuchtend.
Die Glaubenserkenntnis soll auf Grund der Offenbarung die
ontologischen Welt-Kategorien, besonders Kausalität und Substanz
, transzendieren und so Gott als den Grund des Seins erfassen
(187. 248. 281). Wir fragen: Sind nicht auch die Begriffe
Sein und Grund ontologische Kategorien, die im Glauben transzendiert
werden müssen? Wenn Gott als der absolute Seinsgrund
bezeichnet werden kann, warum nicht auch als absolute Kausalität
und als absolute Substanz? Und wenn der Mensch nach T.
eben als Mensch seiner Endlichkeit und der Endlichkeit der Welt
bewußt ist und im Unendlichen wurzelt (ein Hegelscher Gedanke
!), warum kann dann eigentlich die Vernunft von sich aus
eine Antwort auf die Frage nach dem absoluten Grunde nicht
geben? T.s Begründung der letztgültigen Offenbarung in Jesus
Christus ist religiös (161), er will aber mit Hilfe dieser Offenbarung
nicht nur existentiell-religiöse, sondern auch ontologisch-
philosophische Probleme lösen. So kommt die Offenbarung in
die Gefahr, als ein deus ex machina zu erscheinen. — Die letzte
Unklarheit scheint uns in dem Begriff des theologischen
Zirkels zu liegen.

Solche kritische Bedenken sollen die hervorragende Bedeutung
dieser systematischen Theologie in keiner Weise verkleinern
. Wir haben es mit einer ganz großen Denkleistung zu tun.
an der kein systematischer Theologe und kein Religionsphilosopli
vorübergehen darf, und dürfen mit Spannung auf den Inhalt des
zweiten Bandes warten.

Derben/Elbe Erik Schmidt

Pohle, Josef: Lehrbuch der Dogmatik. Neubearbeitung v. Prof. Josef
Gummersbach S. J. II. Bd. 10. Aufl. Paderborn: Schöningh
1956. VIII, 854 S. gr. 8° = Wissenschaftl. Handbibliothek, eine
Sammlung theologischer Lehrbücher. DM 42.— ; Lw. DM 48.—.

Der vorliegende Dogmatikband, mit der Widmung: „Dei-
parae Mariae Virgini, quam Pius XII. P. M. praedieavit Coeli
Terraeque Reginam", behandelt die Erlösungslehre (Christologie,
Soteriologie, Mariologie) und die Gnadenlehre (Wirkgnade, heiligmachende
Gnade). Die Vorzüge des Pohle, die bereits bei der
Besprechung des ersten Bandes (ThLZ 79, 253) hervorgehoben
wurden, zeigen sich vollauf auch beim zweiten. Die Darstellung
ist klar und übersichtlich, die verschiedenen möglichen Standpunkte
werden weitherzig und mit maßvoller Polemik erörtert,
die eigene Stellungnahme wird umfassend begründet. Der jesuitischen
Tradition entsprechend vertritt Verf. den Molinismus.

Die Veränderungen gegenüber der 9. Auflage sind beträchtlich.
Neu eingefügt wurden die Abschnitte: die Existenz Jesu Christi, seine
Prädestination, seine Ämter im allgemeinen, Christus als Haupt (Kir-
chengliedschaft); Mariens Vorausbestimmung, Befestigung in der Gnade,
die Verehrung ihres Herzens und ihre königliche Würde; die Verehrungswürdigkeit
des Hl. Joseph; die Nachahmung der Heiligen und