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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

569-571

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Vorderasiatische Studien 1957

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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geistliche Kraft, von der die marianische Frömmigkeit getragen
wird, dieselbe ist, die auch tausende fromme evangelische Menschen
im Kreuze Jesu Christi einen unbedingten Trost suchen
läßt.

Es wäre verlockend die Sache so zu betrachten, als ob es sich
nur um eine Substitution von Symbolen handle; die unbedingte
Barmherzigkeit Gottes, die im gekreuzigten Christus verkündigt
ist, sei hier in der viel anregenderen Gestalt der erbarmenden
Mutter verkörpert. Es sei damit vielleicht nicht eigentlich eine
Substitution, sondern vielmehr eine Verdoppelung, eine Bekräftigung
desselben Gedankens, ausgedrückt, entsprechend dem, daß
in einer der Liguorischen Novellen die Selige Jungfrau sagt: „Ich
werde die barmherzige Mutter genannt, und das ist richtig, denn
die Barmherzigkeit Gottes gegen die Menschen hat mich so barmherzig
gemacht." —

Aber wie immer es auch sei, eine solche Substitution oder
Verdoppelung darf nicht als unwichtig betrachtet werden. Erstens
handelt es sich nicht nur um eine Substitution von Symbolen:
das wäre modernistisch gedacht, und weder die katholische noch
die evangelische Theologie würde es zugeben. Zweitens aber,
wenn auch nur der Inhalt und die Werte, die durch solche Symbole
bezeichnet werden sollen, betrachtet werden, so ist zu beachten
, daß zwischen Christus und Maria eine grundlegende Verschiedenheit
besteht.

Jesus Christus ist Gott im Fleisch. Er ist die Barmherzigkeit
des Vaters, die im Sohn inkarniert ist. In ihm ist Gott selbst uns
nahe getreten und hat uns seine Vergebung verkündigt.

Die Jungfrau Maria aber ist nach der fest formulierten Erklärung
des Hl. Bernards „lautere Menschlichkeit" — pura hu-
manitas in Maria"; und eben durch diese ihre reine Menschlichkeit
ist sie den armen Sündern, die die Majestät Gottes des
Herrn, wie auch seines Sohnes fürchten, so nahe8. Die starke Anziehungskraft
, die in der Gestalt Märiens wirkt, ist gerade die
menschliche Art ihrer Barmherzigkeit; und darum, weil sie so
„nur menschlich" ist, ist es auch richtig, sie als Symbol der Kirche
zu betrachten: es ist ganz normal, daß in diesen Gedanken die
Ekklesiologie und die Mariologie großenteils gemeinsame Wege
gehen.

Aber wie immer die Lehre von der kirchlichen Gnadenvermittlung
oder die parallele Lehre von der Gnadenerteilung durch
die Jungfrau Maria entwickelt werden mag, so bleibt doch eindeutig
, daß diese Lehren immer auf einem menschlichen Mitleid
beruhen, und daß es höchst gefährlich wäre, sie mit der Verkündigung
von Gottes Barmherzigkeit in Christus gleichzusetzen. Es
ist ja doch klar, daß in dem Maße, in dem eine solche Entwicklung
die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen
verwischt, die Kirche von der Höhe der christlichen Wahrheit in
den zweideutigen Raum der niedrigen Religionen absteigt, die
eine Selbstprojizierung und Selbstvergötterung des Menschen
darstellen. Eine solche Umformung aber dürfen wir keinesfalls
als eme echte Entwicklung des christlichen Glaubens ansehen.

y In nativitatc Beatae Virginis Mariae sermo, de Aquaeductu, in
S. Bernardi: Opera Omnia, ed. Mabillon, Paris 1839, Bd. II, Sp. 2170.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Christian, V.:] Festschrift für Prof. Dr. Viktor Christian gewid-
mit von Kollegen und Schülern zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Kurt
Schubert in Verb, mit J. Botterweck u. J. Knobloch.
Wien: Verlag des Notrings der wissenschaftl. Verbände Österreichs
1956. 120 S. gr. 8° = Vorderasiatische Studien. Öst. S. 45.—.

Außer der aus Josef Weningers Feder stammenden
Würdigung der Verdienste Christians um die Wiener Anthropologische
Gesellschaft, „Victor Christian und die Anthropologische
Gesellschaft in Wien" (S. 3), enthält d er vorliegende Band vierzehn
, nach den Namen ihrer Verfasser alphabetisch geordnete
„Vorderasiatische Studien". Von diesen haben es vier mit Keilschriftforschung
, eine mit Ägyptologie, eine mit Arabistik, eine
mit Iranistik, fünf mit Bibelwissenschaft, eine mit Gnosisfor-
sdiung und eine mit einer Rcisebeschreibung des Morgenlandes
aus dem 16. Jahrhundert n. Chr. zu tun. Die erste Gruppe eröffnet
Wilhelm Brandenstein, Verschollene Sprachen in
Vorderasien und der österreichische Beitrag zu ihrer Entzifferung
(S. 32—36). In Ergänzung von Johannes Friedrich, „Entzifferung
verschollener Schriften und Sprachen", 1954 macht
er auf die Beiträge zur Entzifferung vorderasiatischer Schriften
und Sprachen aufmerksam, die österreichische oder in Österreich

tätige Gelehrte wie Georg Hüsing und Friedrich Wilhelm König, [ Von den fünf dem Bereich der Bibel zugewandten Beiträgen

rung von Keilschrifttexten in Tongefäßen vor und scheidet dabei
, dem archäologischen Befund entsprechend, zwischen den in
den Häusern der einzelnen Familien aufbewahrten und vielfach
aus nur einem Gefäß bestehenden Privatarchiven und den mehrere
Tongefäße umfassenden und in „öffentlichen" Räumen untergebrachten
amtlichen Depots. Der ägyptologische Beitrag, Gertrud
Thausing, Amarna-Gedanken in einem Sargtext (S. 108
—110), weist an Hand von Coffin Text 255 nach, daß nicht nur
das für die Religion von Amarna charakteristische Wort Aton
„Sonnensdieibe" bereits im Mittleren Reich auftaucht, sondern
auch das ihr eigentümliche Symbol der zu einem Bündel vereinten
Strahlenarme, während der arabistische, Maria H ö f n e r, Die
altsüdarabischen Monatsnamen (S. 46—54), die im Sabäischen, im
Qatabanischen und im Minäischen vorkommenden Monatsnamen
zusammenstellt, sprachlich und sachlich untersucht und dabei vor
allem die hohe Zahl der für das Sabäische bezeugten Monatsnamen
(28!) mit der Annahme zu erklären vorschlägt, daß hier
verschiedene Kalender, etwa der eines „Bauern-", eines „Kirchen
-" und einen „Finanz-Jahres" vorlägen, und der iranistische,
rranz König, Der Glaube an die Auferstehung der Toten in
den Gathas (S. 69—71), die Nachweisbarkeit des Auferstehungsglaubens
in den Gathas bestreitet und damit die Abhängigkeit
des altrestamentlichen Auferstehungsglaubens von Zarathustra
für unmöglich erklärt.

Friedrich Hrozny und Josef Sturm, C. F. Lehmann - Haupt und , hat es mit der Bibel selbst nur e i n e r zu tun, während sich d..
hrnst Kaiinka geleistet haben. Johann K n o b 1 o c h, „Hethitische | vier anderen bezeichnenderweise mit den neugefundenen Qum-
ttymologien (S. 66-68) bringt sodann hethitisches kummiüant- ; rän-Texten beschäftigen Dafür ist aber die einem Buche der Bi-

„Beil, Axt" mit gotischem aiza-smipa „Erzschmied" und hethi
tisches humant- „jeder, ganz, all" mit gotisch iumjö „Menge"
in Verbindung. Die dritte zur Keilschriftforschung gehörige
Studie, Wolfram von Soden, Beiträge zum Verständnis der
neuassyrischen Briefe über die Ersatzkönigsriten (S. 100— 110),
legt dar, daß die des öfteren vertretene Auffassung, die für Ba-
bylonien und Assyrien bezeugte gelegentliche Einsetzung eines
Ersatzkönigs stelle einen Bestandteil alljährlich wiederkehrender
Fruchtbarkeitsriten dar, irrig ist, und zeigt an den aus dem Archiv
von Niniveh stammenden Briefen der Asarhaddon-Zeit auf,
daß die Einsetzung eines Ersatzkönigs vielmehr der Abwehr böser
Vorzeichen vom König gedient hat. Die vierte und letzte
Studie aus dem Bereich der Keilschriftforschung, Ernst W e i d

bei selbst geltende Studie, Johannes Botterweck, Zur Eigenart
der chronistischen Davidgeschichte (S. 12—31), die dem
Unterschied zwischen den vom Samuelbuch über David gebrachten
Nachrichten und den in der Chronik enthaltenen nachgeht
und dabei sowohl die Auslassungen des Chronisten als auch seine
Hinzufügungen zu erklären sich bemüht, die umfangreichste des
vorliegenden Buches. Von den vier Arbeiten zu Qumrän gelten
zwei, Hans - Joachim Kandier, Zum Problem des Verhältnisses
der Sekte von Chirbet Qumrän zu den Essenern (S. 55—65),
und Friedrich N ö t s c h e r, „Wahrheit" als theologischer Terminus
in den Qumrän-Texten (S. 8 3—92), der Qumrän-Gemein-
schaft und ihren Texten überhaupt, wobei die erste zwar nicht
die Gleichsetzung dieser Gemeinschaft mit den Essenern des

n e r, Amts- und Privatarchive aus mittelassyrischer Zeit (S. 111 Philo und des Josephus für erforderlich hält, aber ihre Zugehörig-
—116), führt die mittelassyrischen Zeugnisse für die Aufbewah- I keit zum „essenischen Sektenbereich" doch für gesichert erklärt, d