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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

25-29

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kraeling, Emil Gottlieb Heinrich

Titel/Untertitel:

The Old Testament since the Reformation 1957

Rezensent:

Fohrer, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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die Fragmente insofern bedeutsam, als damit bewiesen ist, daß
in vorrabbinischer Zeit auch das Judentum Palästinas über eine
ausgedehnte exegetische Literatur verfügte. In einer weiteren
Gruppe, 1 Q 17 bis 1 Q 27, ist apokryphe Literatur bekannter
und unbekannter Herkunft zusammengefaßt. 1 Q 17—18 enthält
Fragmente zu Jubiläen 27, 19—21; 35, 8-10 in hebräischer Sprache
. In 1 Q 19; 19 bis liegen Bruchstücke vor, die zu einem hebräischen
Quellenwerk von 1 Henoch gehören; M. vermutet
hierin Reste eines „Noah-Buches", wie es u.a. in Jubiläen 10, 13;
21, 10 erwähnt wird. Das aramäische Fragment 1 Q 20 gehört
zu der vierten großen Rolle, die zusammen mit 1 Q Jesa, 1 Q S
und 1 QpHab zunächst im Besitze des St. Markus-Klosters gewesen
ist und in der man, da M. Burrows und seinen Mitarbeitern
eine Öffnung seinerzeit verweigert wurde, eine „Lamech-Apo-
kalypse" vermutete. Nachdem nunmehr die genannten Rollen in
israelischen Besitz übergegangen sind, sind die Vorbereitungen
für die Edition der letzten Rolle abgeschlossen, und der Herausgeber
, Y. Yadin, hat angezeigt, daß es sich hierbei um einen Kommentar
zur Genesis (Kap. 5—15) nach der Art des Jubiläenbuches
handelt7. Dementsprechend ist der Titel zu 1 Q 20 „Apocalypse
de Lamech" zu streichen.

In 1 Q21 liegen Bruchstücke zum aramäischen Testament
Levis vor, wie es bereits aus der Geniza von Kairo bekannt ist.
Nach der Meinung des Herausgebers ist das aramäische Testament
Levis älter als das Jubiläen- und Henochbuch, während das Testament
Levis der XII Patriarchen eine jüngere und verkürzte Bearbeitung
der älteren Vorlage darstellt.

1 Q 22 oder 1 Q DM stellt ein hebräisch geschriebenes, bisher
unbekanntes Apokryphon, „Die letzten Worte Moses", dar,
das sich zum Deuteronomium ähnlich verhält wie Jubiläen zur
Genesis. Im Mittelpunkt des Werkes steht der Festkalender; auch
ist zu vermuten, daß 1 QDM einst mit dem Tode und möglicherweise
mit der Himmelfahrt des Mose schloß, da das Ganze am
Nebo spielt.

In 1 Q 23—24 liegen zwei kaum deutbare aramäische Apokryphen
vor, während 1 Q 25 anscheinend eine apokryphe Pro-
phetie enthält, die auf Samaria, Juda, den Zion und die Schefela
anspielt und den klassischen Stil der Prophetie aufweist. 1 Q 25
ist m. E. ein wertvoller Beleg für das Weiterleben der Prophetie
in nachexilischer, bzw. hellenistisch-römischer Zeit. Abgesehen
von 1 Q 26, einem im deuteronomistischen Stil gehaltenen Apokryphon
, verdient 1Q27, das „Buch der Geheimnisse", Erwähnung
. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ein Pseudepigra-
phon, das vielleicht einst den Namen eines Patriarchen trug.

*) Vgl. E. Vogt S. J., Biblica 37 (1956), S. 236.

Die dritte Gruppe der 1 Q-Bruchstücke, 1 Q 28 bis 1 Q 34
enthält religionsgesetzliche und liturgische Texte. Hierher gehören
die „Anhänge zur Ordensregel" 1 Q 28a und 1 Q 28b bzw.
1 Q Sa und 1 Q Sb. 1 Q Sa, von D. Barthelemy bearbeitet, ist
offenbar nicht mit 1 Q S, der „Ordensregel" (serek ha-jahad)
identisch, sondern stellt die „Regel der Volksgemeinde" (serek
ha-'eda) dar, die durch eine Sammlung von Benediktionen,
1 Q Sb, fortgesetzt wurde. Alle drei Teile, 1 Q S (das sog. Manual
of Discipline), 1 Q Sa und 1 Q Sb, gehörten ursprünglich zu
einer Handschrift (S. 119).

In 1 Q 29 liegt eine stark hypothetische Liturgie der „Drei
Feuerzungen" vor, und in lQ 30—31 besteht lediglich eine
Wahrscheinlichkeit, daß es sich um liturgische Fragmente handelt.
Für die ebenfalls hypothetische „Beschreibung des neuen Jerusalem
" in 1 Q 32 wird man das Parallelmaterial aus 2 Q, 4 Q, wo
sich mindestens zwei Exemplare des gleichen Werkes nachweisen
lassen, und 5 Q abwarten müssen. Die Bruchstücke in 1 Q 33 gehören
aller Wahrscheinlichkeit nach zu 1 QM, dem „Krieg der
Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis"8, während
1 Q 34 und 1 Q 34bis vielleicht einer Sammlung liturgischer Gebete
entstammen.

Eine vierte Gruppe, die die Fragmente 1 Q 35 bis 1 Q 40
umfaßt, ist vom Herausgeber als „Recueils hymniques" überschrieben
. Hiervon gehören die Bruchstücke 1 Q 35 zweifelsohne
zu 1 QH, den „Dankpsalmen". 1 Q 36 geht vielleicht auf eine
Hymnensammlung zurück, während die Fragmente 1 Q 37—40
unter dem hypothetischen Titel „Compositions hymniques" zusammengefaßt
werden.

Der fünfte Abschnitt schließlich, „Groupes non caracterises",
enthält das übrige, nicht identifizierbare 1 Q-Material.

Abgesehen von dem Nachtrag, der bereits bei den einzelnen
Texten mit herangezogen ist, sind dem Bande 37 Tafeln beigegeben
, die die Fragmente so ausgezeichnet wiedergeben, daß es
jederzeit möglich ist, Studien am Original zu treiben.

Von den bisher erschienenen Qumrän-Editionen stellt der
vorliegende Band die ohne Zweifel beste Leistung dar. Dies gilt,
auch wenn in der Folgezeit neue Erkenntnisse, wie sicher zu erwarten
ist, die Auffassung des einen oder anderen Textes modifizieren
werden. Man darf nur wünschen, daß auf den verheißungsvollen
Anfang die weiteren Bände des großzügig angelegten
Werkes in nicht allzu großem zeitlichen Abstand folgen
mögen.

8) Vgl. hierzu neuerdings Y. Yadin, The Scroll of the War of the
Sons of Light against the Sons of Darkness (Jerusalem 1955/1956).

ALTES TESTAMENT

Kraeling, Emil G„ Prof.: The Old Testament since the Reformation
. London: Lutterworth Press 1955. 320 S. gr. 8° = Lutterworth
Library Vol. XLVI1. 27 s. 6 d.

Erst kürzlich hat W. Trillhaas darauf hingewiesen, daß das
Alte Testament bei einer Reihe führender Theologen seit Schleiermacher
keine Rolle mehr spiele, während für viele andere seine
Zugehörigkeit zum Kanon einfach jede Problematik erledige und
die Glaubensautorität des Alten Testaments für die christliche
Lehrbildung ohne weiteres bestätige (W. Trillhaas, Das Alte Testament
in der Dogmatik, Gedenkschrift für D. Werner Eiert, Beiträge
zur historischen und systematischen Theologie, 1955, S. 272
—282). Mit dem hier aufgezeigten Dilemma befaßt sich E. G. Kraeling
in dem vorliegenden Buch: Kann und darf das Alte Testament
in der christlichen Kirche noch eine Autorität bilden? Wenn
ja, wie ist sie näher zu bestimmen? Damit berührt er in der Tat
ein Hauptproblem der christlichen Theologie, das nicht nur den
Theologen selbst beschäftigen muß, sondern auch recht häufig
als Frage an ihn herangetragen wird. Kraeling sucht die verschiedenen
Lösungen des Problems seit der Reformation darzustellen
. Er bietet also weder eine Geschichte der alttestament-
lichen Wissenschaft noch eine eigene grundlegende Behandlung
des Problems, sondern eine Geschichte der Gedanken über Autorität
und Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen
Glauben während der letzten vier Jahrhunderte, vornehmlich im
Bereich des evangelischen Christentums.

Nach einem kurzen Vorwort (S. 7—8) faßt Kraeling den
außerordentlich umfangreichen Stoff in 17 Kapiteln übersichtlich
zusammen (S. 9-284). Den Abschluß bilden die Anmerkungen
(S. 285—310, zugleich Bibliographie) und die unerläßlichen Sach-,
Namen- und Bibelstellenregister (S. 311-320).

Ein knapper Überblick über den Inhalt gibt einen Eindruck von
der Wichtigkeit des Problems und der Mannigfaltigkeit der entwickelten
Ansichten: 1. (S. 9—20) Für Luther war die paulinische Botschaft
von der Erlösung durch Jesus Christus maßgeblich, so daß die Bibel ihm
als verbindliches Wort Gottes nur insoweit galt, als sie diese Botschaft
bezeugt oder in sie einzugliedern ist. Daher ordnet er das Alte Testament
diesem Verständnis der neutcstamentlidien Botschaft unter und
hätte seine Geltung wohl noch mehr eingeschränkt, wenn ihm die Un-
haltbarkeit der messianisch-christologischen Deutung klar gewesen
wäre. — 2. (S. 21—32) Die reformierten Theologen schätzten das Alte
Testament höher, weil sie in ihm die Richtlinien für die Schaffung einer
gottgemäßen sozialen und politischen Gemeinschaft fanden. Zwingli
stellte es dem Neuen Testament gleich und betrachtete alles als gültig,
was in diesem nicht aufgehoben oder geändert wird. Calvin verchrist-
lichte unter dem Einfluß des Hebräerbriefes das Alte Testament und
judaUierte das Neue. — 3. (S. 3 3-42) Der protestantischen Orthodoxie
bis zur Mitte des 17. Jhdts. galt die Bibel wie ein einziges Buch, dem
sie in scholastischer Art unterschiedslos einzelne Stellen entnahm, um