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Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

286-290

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Introduction générale 1957

Rezensent:

Wessel, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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Druckerei jenseits der Oder im Satz zerstört worden. Nachdem
sie zunächst in der Historischen Zeitschrift erschienen war, ist sie
mit einigen Nachträgen und kleineren Überarbeitungen als besondere
Broschüre neu erschienen. Unter den verschiedenen Publikationen
, die im letzten Menschenalter zur Erkenntnis der Geschichte
des Kulturkampfes und des Bismarckschen Charakterbildes
dienten (als letzte die Monographie über den Kulturkampf von
Georg Franz im Verlag von Georg D. W. Callwey in München,
1951), teilweise angeregt durch den „zweiten Kulturkampf", den
wir in der Ära des Nationalsozialismus durchzukämpfen hatten,
gibt die Arbeit Bornkamms in aller Knappheit einen umfassenden
und sehr in die Tiefe dringenden Beitrag zur Geschichte und
Politik des ersten Reichskanzlers. Der Kulturkampf wird hineingestellt
in den weltgeschichtlichen Vorgang, den Jakob Burckhardt
„Die große Krisis des Staatsbegriffs" im Ausgang des 19. Jahrhunderts
genannt und beschrieben hat (s. „Weltgeschichtliche Betrachtungen
", Kröners Taschenausgabe, Band 55, S. 134).

Unter diesem Aspekt geht Bornkamm daran, zunächst die einzelnen
ftiasen des Kampfes zu registrieren. Die Feindschaft beginnt
(1 mit der Beschränkung des kirchlichen Einflusses auf die Schule. Es
rolgen (2) die Gesetze zur genaueren Regelung des Verhältnisses von
Kirche und Staat. Die nächste (3) Gruppe von Kampfgesetzen sind die
Strafgesetze gegen Nichtbefolgung und Umgehung der Kirchengesetze;
VAVJ. / s 2UF Sperrung des Staatszuschusses an die katholische Kirche,
tndlich (4) ist man soweit, durch die Bildung von Kirchenvorständen
und Gemeindevertretungen einen Neuaufbau der Gemeinden einzuleiten
und die geregelte Verwaltung des Kirchenvermögens (durch Laien
statt durch Geistliche) zu sichern. Nach dem Tod des Papstes Pius IX.
beginnt der Abbau d. h. die oft genug gehemmte und sich überschlagende
Beilegung des Kulturkampfes zunächst in Preußen, während Bismarck
im Reich die „Errungenschaften" des Kulturkampfes beizubehalten
sucht. Der neue Papst Leo XIII. findet den Faden des Verständnisses
mit Bismarck über den Rücken des Zentrums und die sich zurückhaltenden
Gruppen der Kurie hinweg. Andererseits findet Bismarck auch
den Anschluß an den Papst im Gegensatz zu den enttäuschten Stimmen
der Liberalen und zu den Angstrufen der Unruhe in weiten protestantischen
Kreisen. Es waren, wie Bornkamm seinem Thema entsprechend
deutlich betont, nicht einzelne Punkte der Flurbereinigung zwischen
den Konfessionen oder der Abwehr von Übergriffen der einen oder anderen
Seite, sondern es handelt sich eben um das grundsätzliche Problem
aus dem Verhältnis von Staat und Kirche. Es offenbaren sich im
Geschehen des Kampfes die Risse und Spannungen, die damals das
deutsche Staatsdenken durchzogen. Die damalige weltgeschichtliche
„Krise des Staatsdenkens" wird hier in deutschem Räume sichtbar.

Es werden nun die einzelnen Kämpfer, die Protagonisten auf beiden
Seiten, und die verschiedenen Gruppen des Liberalismus
nationaler oder freisinniger Färbung auf der einen Seite, sowie die politische
Vertretung des katholischen Volksteils im Zentrum einander
gegenüber gestellt, wobei beide Seiten einen Tiefstand der Polemik
je in ihrer Art zum Ausdruck bringen. Zwischen den beiden
scharfen Extremen der liberalen und der katholischen Staatsanschauung
stand eine Fülle von anderen Auffassungen, die in einer noch nicht dagewesenen
Masse von Büchern und Flugschriften, Reden und Parteikundgebungen
zu den Grundfragen des deutschen Staatsbegriffs ausgebreitet
wurden. Die Altkonservativen, wie Ludwig von
Gerlach und Kleist-Retzow, dazu neben ihnen Männer wie Roon, der
als preußischer Ministerpräsident die Maigesetze zu vertreten hatte,
und anderseits der alte Kaiser mit seinem Widerwillen gegen jedes der
Kampfgesetze, namentlich gegen die Einführung der Zivilehe, vertreten
je eine besondere Spielart der konservativen Staatsauffassung im Verhältnis
zur Kirche. „Den Kaiser trotz seiner starken, im Tiefsten religiösen
Hemmungen für den Kampf zu gewinnen und die Kräfte zur
Wahrung der Staatshoheit in ihm zu mobilisieren, das war keine geringere
Probe der diplomatischen Geschicklichkeit Bismarcks als später
die umgekehrte Leistung, den Papst zu einem Friedensschluß im Gegensatz
gegen das Zentrum zu veranlassen.

Bornkamm geht im einzelnen noch darauf aus, neben der Haltung
der Gencralsuperintendenten einzelne Führer und Vertreter weiter
Protestantischer Kreise, wie Willibald Beyschlag, den
Praktischen Theologen in Halle und Stöcker zu Wort zu bringen. Ausführlich
werden dann besprochen die zwei entgegengesetzten Lösungsvorschläge
, die einerseits von d?m altkatholischen Kirchenrechtslehrer
Paul Hinschius und anderseits von dem Barmer Missionsdirektor und
Kolonialpolitiker Friedrich Fabri in reichhaltigem Schrifttum gemacht
Worden sind. Der letztere ist der einzige, der positive Vorschläge zu
einer Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu machen
versuchte. Aus der freien Publizistik, die sich mit der Lage des Protestantismus
im Kampf beschäftigte, werden P. Th. Lagarde, Konstantin
Frantz und Konstantin Rößler ausführlich besprochen. Aus dem Ausland
kommen namentlich Jakob Burckhardt und in sehr interessanten

Ausführungen vom Standpunkt der orthodox-russischen Kirche aus
Dostojewski zu Wort.

Als „Spannungen in der Regierungspolitik" werden die Standpunkte
der beiden Kultusminister Mühler und Falk besprochen und
dabei die Meinung vertreten, daß Bismarck klarer als Falk die staatsrechtliche
Situation den Kirchen gegenüber durchschaut habe. Zuletzt
schließen sich die Gedankenfäden von allen Seiten zusammen zur Darlegung
der kirchenpolitischen, der außenpolitischen und der innenpolitischen
Motive Bismarcks. Alle wirken zusammen zu einem
einheitlichen Ganzen. „Auch die Summe aller aufzählbaren Gründe ergibt
noch keine vollgültige Erklärung für die Taten, die aus den nie
auszulotenden Tiefen einer großen elementaren Natur aufsteigen."

Der letzte Abschnitt stellt unter dem Titel „Die Krisis des
Staatsgedankens" noch einmal die verschiedenen Staatsideen
zusammen: Der altpreußische Staatsgedanke und darin eingeordnet die
protestantische Staatsanschauung; ihr gegenüber der liberale Staatsgedanke
auch mit protestantischen Ideen gesättigt; weiterhin zu beiden
im Gegensatz stehend die katholisch-jesuitische Staatslehre, in der Politik
des Zentrums je nach Bedarf mit liberalen Freiheitsideen sich
schmückend oder seine konservativen Triebe hervorkehrend. Bismarck
wird mehrfach mit Luther verglichen, obwohl festgestellt werden muß,
daß Luther alles andere ist als ein Politiker, während Bismarck in gewisser
Hinsicht Nurpolitiker ist. Doch ist seine Politik und sein Staatsethos
gegründet auf den Rechtfertigungsglauben, den Luther neu entdeckt
hat. „Inmitten der Krisis des Staatsbegriffs steht Bismarcks Politik
. Er hat zwar den gigantischen Fehler dieses Kampfes gemacht, aber
er ist auch der einzige, der in der Lage ist, ihn soweit wie möglich
wieder gut zu machen. Er braucht dafür kein Programm zu verleugnen,
denn er hat keins, sondern nur das eine Ziel, dem Beginn und Beendigung
dienen: zwischen den politisch-geistigen Realitäten innerhalb des
Volkes zwischen dem Staat und den Kirchen einen gesunden Ausgleich
zu sdiaffen." „Der Verzicht, zu dem er gezwungen wird, ist im Grunde
keine Resignation; sondern er wendet nur aufs neue auf die Situation
seine Grundüberzeugung an, daß sich zwischen Staat und Kirche keine
starren unveränderlichen Grenzen ziehen lassen, daß vielmehr immer
neu ein modus vivendi gesucht werden muß." „Nimmt man alle politischen
Spannungen zusammen mit den weit auseinanderstrebenden
religiösen und weltanschaulidien Strömungen der Zeit und den Erfordernissen
der noch ungefestigten äußeren und inneren Lage des neuen
Reiches, so liegen über alle persönlichen Kräfte hinaus genug der
sachlichen Gründe dafür vor, daß damals der Strom der Geschichte jene
hohen Wellen führte."

München H. Hermelink

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Reau, Louis: Iconographie de l'Art chretien. I.: Introduction generale
. Paris: Presses Universitäres de France 1955. VII, 480 S., 32 Taf.
gr. 8°. ffr. 2.400.-.

Der bislang nur vorliegende1 erste Band der dreibändig geplanten
Ikonographie enthält die „Introduction generale". Allein
der Umfang des stattlichen Bandes läßt schon erkennen, mit welcher
Gründlichkeit hier zu Werke gegangen wurde. Dieser Eindruck
vertieft sich in erfreulicher Steigerung bei der Lektüre.
Ein Überblick über den Inhalt möge einen Einblick in die Anlage
dieser Einführung zu geben versuchen.

Schon die Einleitung bringt in ihren beiden Kapiteln sehr
wesentliche grundsätzliche Aussagen. Das 1. Kapitel handelt von
der Definition und der Anwendung der Ikonographie.

Es lohnt sich, hierauf näher einzugehen. R. unterscheidet 1.) l'iconographie
d'un individu ( = Bildniskunde historischer Persönlidikciten),
die sich auf ganze Familien, Dynastien und Träger des gleichen Amtes
— als Beispiel nennt er die Marschälle von Frankreich — erweitern
kann, 2.) l'iconographie d'une epoque und 3.) l'iconographie d'une
religion, als deren Aufgabe er es ansieht, die religiösen Themen, die
die Künstler im Laufe der Jahrhunderte inspiriert haben, zusammenzutragen
, zu identifizieren und zu deuten. Wir werden dieser Einteilung
zustimmen können, werden aber gerade für die Gegenwart als vierte
Sparte ikonographischer Arbeit doch wohl die Ikonographie der Weltanschauungen
bzw. politischen Ideologien, wie sie sich gerade in der
staatlichen und gesellschaftlichen Auftragskunst der Gegenwart herauszubilden
beginnt, hinzufügen müssen.

Anschließend grenzt R. die Ikonographie gegen die Archäologie
und die Kunstgeschichte ab. Archäologie ist ihm, unter Berufung auf
Salomon Reinach, l'exlication du passe par les monuments, sie umfaßt
klassische und mittelalterliche Archäologie und Prähistorie und hat als

l) Während des Druckes erschien Bd. II: Iconographie de la Bible.
I: Ancient Testament.