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Ausgabe:

1956

Spalte:

223-226

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Das Konzil von Chalkedon ; 2.Entscheidung um Chalkedon 1956

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literatvirzeitung 1956 Nr. 4

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geschieden werden konnten. Das beweist ein selbständiges
Wachstum der Bußstufen auch auf lateinischem Boden (S. 7,
391, 425).

Im Vorwort bemerkt der Verfasser zu seiner Methode in
wörtlicher Anführung einer Äußerung Karl Adams, daß er bei
der Untersuchung der Quellen mit Bedacht die „dogmatische
Brille" aufsetze, nicht um sich gegen die Annahme historischer
Tatsachen zu sträuben oder um mit dogmatischen Mitteln zu
historischen Erkenntnissen zu gelangen, „wohl aber in dem Sinn,
daß wir aus unserem Glaubensbewußtsein, aus dem Ganzen unserer
katholischen Überzeugung heraus dort, wo es sich um Aufstellungen
handelt, die gegen die kirchliche Doktrin zu verstoßen
scheinen, von vornherein geneigt sind, in diesen Aufstellungen
einen geheimen Fehler zu vermuten, und daß wir nun mit
Hilfe rein historischer Mittel — nicht mit den Mitteln der Glaubenswissenschaft
— versuchen, diese Fehlerquellen zu entdecken".
Man wird sich fragen müssen, ob damit das Problem der historischen
Hermeneutik eine zureichende Lösung erfährt. Wird nicht
die Gefahr heraufbeschworen, daß die Überzeugung des Interpreten
zur Quelle der historischen Wahrheit wird? Ohne daß
dieser Vorwurf gegen den Verfasser erhoben werden soll, scheint
doch eine gewisse Neigung, das Material im hierarchischen Sinne
zu deuten, durch sein hermeneutisches Prinzip veranlaßt zu sein.
So wird er z. B. in der Darstellung der Bußlehre des Clemens
Alexandrinus, wo er die alleinige Bußgewalt des Weihepriester-
tums betont (S. 319—328), und in der Polemik gegen Karl Holl,
die den Rezensenten nicht in allen Stücken überzeugt hat, der
auch von Poschmann anerkannten Rolle des Gnostikers als privaten
Seelenführers nicht gerecht.

Ein Vorzug der gewichtigen und förderlichen Arbeit von
Grotz ist, daß sie eingehende Vertrautheit mit den Quellen spüren
läßt und die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Forschung
umsichtig führt. Wenn auch nicht alle Ergebnisse des Verfassers
sich durchsetzen dürften, so trägt er doch nie eine Behauptung
ohne geschickte Begründung vor und macht so die Auseinandersetzung
mit ihm zu einer lohnenden Aufgabe.

Naumburg/Saale Rudolf Lorenz

C r i 11 m e i e r, Aloys, S. J. u. Heinrich B a c h t, S. J.: Das Konzil von
Chalkedon. Geschichte und Gegenwart. Im Auftr. der Theol. Fakultät
S. I. Sankt Georgen, Frankfurt/M., hrsg. 3 Bde. Band 2: Die Entscheidung
um Chalkedon. Würzburg: Echter-Verlag 1953. XIV,
967 S. gr. 8°. DM 46.— ; Lw. DM 50.—.

Der zweite Band des großen Chalkedonwerkes der Frankfurter
Jesuiten kommt leider mit erheblicher Verspätung zur Anzeige
. Der Rez. hatte ursprünglich die Absicht, ihn gleichzeitig
mit dem dritten Bande zu besprechen, mußte sich aber davon
überzeugen, daß dieser mit seinen aktuell-theologischen Beiträgen
zum Thema von „Chalkedon heute" vor allem die Beurteilung
durch einen Systematiker und Kenner der modern-katholischen
Kontroversen erforderlich machte. So beschränkt sich diese
Anzeige auf den zweiten Band, der der schon im ersten Band
begonnenen Nachgeschichte von Chalkedon gewidmet ist. Sie
darf kürzer gehalten werden, da dies naturgemäß weniger interessiert
als das Konzil selbst. Aber alles Lob, das der wissenschaftlichen
Gründlichkeit, Fülle und Haltung des ersten Bandes
gewidmet war (vgl. ThLZ 1953, Sp. 85—92), gilt genau so
auch für den zweiten. Bei der wirren Komplikation der Kirchen-
und Dogmengeschichte gerade des 6. und 7. Iht.s wird man für
die hier gebotene Hilfe und Orientierung sogar besonders dankbar
sein. Das gilt nicht zuletzt für die ausführliche „Zeittafel"
des Anhangs von Ad. Schönmetzer und ganz besonders für
die reichhaltigen Register des 3. Bandes. Hier finden sich auch
einige Nachträge und wenige Berichtigungen. Weitere Druckfehler
und Versehen von nennenswertem Gewicht sind mir nirgends
aufgefallen.

Wie angekündigt, treten im 2. Bande nunmehr auch die kirchenpolitischen
und kirchenrechtlichen Fragen stärker in den Vordergrund
. Ihre unauflösliche Verflochtenheit mit den kirchlich-
theologischen Motiven wird mit Recht betont. Doch zeigt sich

immer wieder das ausgesprochene Bestreben, gegen die vorwiegend
politische, „säkularisierte" Betrachtungsweise der Vorgänge
bei Ed. S c h w a r t z, C a s p a r oder H a 11 e r den echt „religiösen
" Anliegen und Beweggründen mehr zum Recht zu verhelfen
. Gegen manche allzu summarische Urteile dieser Forscher werden
dabei in der Tat begründete Einwendungen erhoben. Die
Dinge liegen immer noch etwas verwickelter, undurchsichtiger
und unentscheidbarer, als wir gemeint hatten. Aber aufs Ganze
gesehen droht nun doch unverkennbar wieder die Gefahr einer
entgegengesetzten Einseitigkeit. Sie scheint mir besonders dort
akut zu werden, wo es um die Beurteilung der päpstlichen Kirchenpolitik
geht. Schon dies ist bezeichnend, daß der Band mit
einem großen Aufsatz über den „Kampf der Päpste um Konzil
und Dogma von Chalkedon" (Fritz H o f m a n n) eröffnet wird,
dem die Darstellung der „kaiserlichen Politik in den Auseinandersetzungen
um Chalkedon" (Rhaban H a a c k e) erst nachfolgt
. Die umgekehrte Reihenfolge wäre vom historischen Standpunkt
aus zweifellos sachgemäßer gewesen; denn im Osten waren
die Probleme gestellt, und es ist der Kaiser als Herr des Gesamtreichs
, der in erster Linie mit ihnen zu ringen hatte. Dazu kommt,
daß die Darstellung der päpstlichen Politik nur bis zum triumphalen
Schluß des akakianischen Schismas verfolgt wird. Die folgende
moralische Katastrophe unter Vigilius muß man bei der
kaiserlichen Politik (und in einem späteren Aufsatz B a r d y s)
nachlesen, und auch dort sind die übelsten, m. E. nicht zu bezweifelnden
Dinge nur in einer Anmerkung (S. 167 Anm. 97) zu
finden. Zunächst wird gewiß niemand der Konsequenz der päpstlichen
Politik die Bewunderung versagen; aber schon bei Leo
scheint mir eine gewisse Idealisierung ihrer Motive nicht völlig
vermieden zu sein. Leos Korrespondenz mit dem Osten atmet
sicherlich ein großartiges Pathos; aber „innere Wärme" (S. 20)
habe ich bei ihrer Lektüre niemals empfunden. Und auch seine
Nachfolger kämpfen nicht bloß für ihre theologische Überzeugung
und die Unabhängigkeit der Kirche, sondern immer zugleich
auch für ihr eignes mit der Anerkennung dieses Konzils verknüpftes
Prestige. Das war, hören wir, der Sache nach eben doch
ein Kampf für Freiheit und Recht, da der Papst „von der Bedeutung
seines Stuhles für die gesamte Reichskirche überzeugt" sein
konnte (S. 145). Aber man sollte dann nicht minder klar betonen
, daß nicht nur der Kaiser, sondern auch die griechischen
Bischöfe, die er gegen sich hatte, das Recht der Kirche anders
verstanden. Sie haben sich insbesondere die eigentlidie römische
Petrusdoktrin bei aller Ehrfurcht vor der römischen Kirche niemals
angeeignet, und dieser Tatbestand wird nicht nur von den
„säkularisierten" Historikern mit Recht betont, sondern auch
durch die Auslegungsgeschichte von Mt. 16, wie sie Jos. L u d-
w i g (1952) verfolgt hat, eindeutig bestätigt.

Wo man das nicht beachtet, müssen lauter Scheinproblcme entstehen
. Auch der an sich interessante und sehr lehrreiche Aufsatz Emil
H e r m a n s über „Chalkedon und die Ausgestaltung des konstanti-
nopolitanischen Primats" scheint mir dieser Gefahr nicht überall entgangen
zu sein. So macht er z. B. im Blick auf den sog. 28ten Kanon
von Chalkedon ständig die Voraussetzung, daß die griechischen
Väter, die Petrus und Leo so eifrig gehuldigt hatten, infolgedessen
gewisse für Rom unannehmbare Anschauungen auch nicht vertreten
und gemeint haben könnten (vgl. S. 466 ff.). Daß der Kanon in
erster Linie tatsächlich nicht gegen Rom, sondern gegen die östlichen
Rivalen des Konstantinopler Bischofs gerichtet war, wird von Thomas
Owen Martin überzeugend nachgewiesen. Aber Leo d. Gr. wußte
sehr wohl, was er tat, wenn er sich in seiner Polemik ganz hinter den
wohlerworbenen Rechten seiner bedrohten Kollegen verschanzte und
es unterließ, die spezifisch römischen Ansprüche dagegen zur Geltung
zu bringen; denn damit wäre er eben nicht durchgedrungen. In diesen
Zusammenhang gehört audi A. M i c h e 1 s Aufsatz über den ,.Kampf
um das politische oder petrinische Prinzip der Kirchenführung" mit
einer lehrreichen Erörterung des Sinnes der gelasianischen „Zweigewal-
tentheorie". Der Kampf zwischen Ost und West führte danach immer
wieder zu einem praktischen „modus vivendi", nicht aber zu einer endgültigen
Klärung des Prinzipienstreites. Es wird gleichzeitig deutlich,
wie unheilvoll gerade dieser Kampf um Chalkedon die Entfremdung
der griechischen und römischen Kirche gegeneinander gefördert hat.

Besondere Beachtung verdient der umfängliche, monographische
Aufsatz Heinr. B a c h t s über das orientalische Mönchtum
in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um Chalkedon.
Man pflegt auf dessen Einfluß zwar immer wieder schlagwort-