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Ausgabe:

1954 Nr. 5

Spalte:

295-304

Autor/Hrsg.:

Bardtke, Hans

Titel/Untertitel:

Bermerkungen zu den beiden Texten aus dem Bar Kochba-Aufstand 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 5

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mal das Merkmal der Pseudonymität der apokalyptischen Literatur
erklären und zum anderen die bunte Mannigfaltigkeit von
Einzelvorstellungen, die in den späteren literarischen Zusammenfassungen
heterogen aneinandergereiht worden sind, auf dem
Hintergrunde eines weithin gemeinsamen Vorstellungsgutes.
Denn bei einer solchen Herleitung können wir eine reglementierende
, institutionelle Beaufsichtigung beim Entstehen dieses
Schrifttums nicht erwarten und so ist das wilde Weiterwachsen
und Fortwuchern dieser Vorstellungen begreiflich, wie es ja dem
sektenhaften Geist eigentümlich ist, immer wieder neue Vorstellungen
und Gedanken aufzusaugen und spekulativ zu verarbeiten
; ebenso begreiflich ist späterhin jedenfalls die spröde
Verhaltenheit des Rabbinismus gegenüber der Apokalyptik in
ihrer immer mehr ausartenden Form trotz gelegentlicher Ausnahmen
in einzelnen Fällen. Hier wäre gewiß noch mancherlei zu
sagen an Hand von Einzeluntersuchungen bestimmter apokalyptischer
Schriften und ebenso könnte eine gesonderte Betrachtung
von Weisheit und Apokalyptik, wie mir scheint, recht förderlich
sein.

Bemerkungen zu den beiden Texten aus dem Bar Kochba-Aufstand

Von Hans B a r d t k e, Leipzig

L

Außer den Originalveröffentlichungen von P. R. de Vaux1 und
J. T. Milik2 standen mir die Arbeiten von O. H. Lehmann = S. M.
Stern3, von Isaac Rabinowitz* und H. L. Ginsberg5 zur Verfügung.
Die zwei letztgenannten Forscher haben mir durch die gütige Vermittlung
von Dr. Abram Spiro, z. Zt. Wien, ihre Arbeiten zugesandt, so
daß ich sie für die Druckvorlage meines Referates benutzen konnte.
Auch an dieser Stelle dar£ ich für die große Hilfsbereitschaft der genannten
Herren herzlich danken.

Beide Urkunden stehen insofern im Zusammenhang, als sie
beide an die gleiche Persönlichkeit gerichtet sind, nämlich an
Jeschua' ben Galgola, der in dem an zweiter Stelle zu behandelnden
Brief als „Lagerkommandant"6 bezeichnet wird. Absender
dieses Briefes sind zwei Unterführer, der Absender des anderen
Briefes ist der Aufstandsführer Bar Kodiba selbst. Mit diesem
persönlich von Bar Kochba herrührenden Dokument wollen wir
uns. zuerst beschäftigen. Ich gebe den Text nach meiner Lesung
und Übersetzung und lasse danach die Begründung für beide folgen
. Die Ausfüllung der Lakune in Z. 4 Anfang kann erst erfolgen
, wenn die Lesung der übrigen Zeilen feststeht.

Der Text: yo-b ttaoia ]3 WBBB •

"psn ^«bi rhibi -p 2
n^aüfi 7» [Dlibia 3
Tfestrnö D'wbbstt ya iddt *
D^basn yni •'snib m ttba s
[ilroyiu irpa nabann 6
biboy pb ?
bt<w «"os ^3Di3 [-)]a ywwe 8
Übersetzung: Von Simeon ben Kosbah an Jeschua' ben Galgola
und die Männer der Festung. Heill Ich nehme gegen mich
den Himmel als Zeugen — aber packt euch fort von den Galiläern,
die ich unblutig gerettet habe — daß ich Fesseln an eure Füße
legen werde, wie ich (es) gemacht habe mit Ben Aphlul. Simeon
ben Kosbah, Fürst von Israel.

Der Brief ist abgesehen von der Unterschrift in sieben Zeilen
geschrieben, die annähernd gleich lang sind. Z. 1 und 2 je 17
Buchstaben; Z. 3 und 4 je 19 (Z. 4 einschl. eines zu ergänzenden
Buchstabens); Z. 5: 18; Z. 6: 14; Z. 7: 8 Buchstaben; die Unterschriftszeile
beträgt nach Miliks Ergänzung 20 Buchstaben,
wenn man naoi3 defektiv, d. h. ohne Waw schreibt. Die Zeilenanfänge
stehen ziemlich gleichmäßig untereinander, während die
Zeilenenden naturgemäß infolge der wechselnden Buchstabenzahl
differieren. Z. 3 und 4 sind am Ende stark zusammengedrängt.
Warum die 6. Zeile nicht völlig ausgefüllt wurde, indem etwa das

*) Quelques textes hebreux de Murabba'at. Hl. Un document sur
papyrus datant de la Seconde Revolte [Revue Biblique LX (1953)
S. 269-275 PL. XIII].

2) Une lettre de Simeon Bar Kokheba [Revue Biblique LX (1953)
S. 276-294. PL XIV].

3) A Legal certificate from Bar Kochba's days (Vetus Testamen-
tum III [1953] S. 391—396).

*) A hebrew Letter of the second Century from Beth Mashko (BA-
SOR 131 [Oktober 1953], S. 21—24).

6) Notes on the two published Letters to Jeshua ben Galgolah
(BASOR 131 [Oktober 1953], S. 25-27.

*) De Vaux S. 273 übersetzt „chef du camp (ou de l'armee)" und
hält ihn für den Militärgouverneur eines vielleicht ausgedehnten Bezirkes
.

lab, mit dem die folgende Zeile beginnt, noch in sie hineingenommen
wurde, wird nicht deutlich.

Die Worttrennung wird durch Spaden bewirkt, z. T. auch
durch die Finalbuchstaben7, z. T. tritt die Worttrennung auch
nicht deutlich heraus, so in Z. 3 zwischen "by und DTOSST Spatien
innerhalb der Wörter treten auf in Z. 2 in "pan hinter demn
und in Z. 7 in bibcr, doch ist das C in der medialen Form geschrieben
und beugt also Mißverständnissen vor. Erst in der
zweiten Zeile" wird die Lesung strittig, wenn man absieht von
dem Vorschlag Ginsbergs9, in Z. 1 den Namen Jeschua' mit einem
Waw vor dem y zu schreiben. Er hält es aber für möglich, daß
es ein zufälliger Punkt ist. Man braucht zum Beweis der defektiven
Schreibung, die übrigens den ganzen Brief kennzeichnet, auf
"•ffllNbi hinweisen. Dort ist der nach rechts abwärtsgeschrägte
Schaft des Sin mit einem kräftigen nach links gerichteten Balken
versehen. Die gleiche Erscheinung läßt sich mit Ausnahme des
Sin von iJtWJ in Z. 5 an allen Sin des Briefes beobachten, in der
anderen Urkunde fehlt dieser linke Oberbalken des Sin. In
rc^bl kann man den deutlichen Abstand zwischen ffl und i
sehen, so daß Ginsbergs Vorschlag hinfällig werden dürfte. Um-
somehr verdient Ginsbergs Vorschlag in Z. 2 Annahme. Das auf
",1B3Nbl folgende Wort wird von Milik als mit n beginnend gelesen
. Er kommt dann auf die Ableitung von der WurzeHan=
"p3n: „und die Männer deiner Kompanie." Ginsberg schlägt vor,
zu lesen "pSST Leider kommt ein anderes n in dem Brief nicht
mehr vor, aber der Buchstabe ist durch das weite Ausladen des
Daches nach links und einen kleinen Bogen auf der linken Seite
oben so typisch als n erwiesen, während die Eigentümlichkeit des
n sein dürfte, daß das Dach unter keinen Umständen über den
linken Schaft herausragt. Das läßt sich in der anderen Urkunde,
im Nash-Papyrus und in den Qumrän-Texten beobachten10. Demnach
muß dieses n den Charakter eines Artikels haben und das"
gehört zum Stamm und ist nicht Suffix. Ginsberg hat "[13 mit
„fort" übersetzt und in einer Anmerkung kommentiert als „the
stronghold in Wadi Murabba'at in which the letters addressed to
Jeshua ben Galgolah were found"11. Freilich muß bei dieser Lesung
bemerkt werden, daß der zweite Buchstabe sehr fraglich zu
bestimmen ist. Milik hat ihn als 3 gelesen, Ginsberg als 3- In Z. 5
kommen in D^baa beide Buchstaben nebeneinander vor, hier
sorgfältiger geschrieben, Vergleicht man beide mit jenem strittigen
3 in *p3n wird man es als 3 anerkennen können, hauptsächlich
wegen der Linkskrümmung des Schaftes, während das
Dach schräg nach oben zeigt und der Winkel rechts oben stark
abgeflacht ist. Unmöglich ist es mir, Ginsberg und auch Milik im
Lesen des ersten Buchstaben von Z. 5 als 3 zu folgen. Wer in
Z. 2 das Beth wie Milik fand, muß es erst recht in Z. 5 tun, denn
hier ist vor allem die über den Schaft nach rechts hinausreichende
Standlinie angedeutet, so daß hier 3 gelesen werden muß. Auch
die redite obere Ecke ist wie bei dem darunterstehenden deut-

7) Besonders deutlich in Z. 5 das

8) Die erste Zeile ist von Milik gründlich besprochen worden
S. 277—282.

•) A. O. S. 25 Anm. 1.

10) Vergl. dazu Albrights Aufsatz ,,A Biblical Fragment from the
Maccabaean Age: The Nash Papyrus" (IBL LVI (1937) S. 145—176).
Ferner die vergleichende Schrifttafel in BASOR 113 (Febr. 1949) S. 20 f.

") A. O. S. 25 Anm. 9.