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Ausgabe:

1953 Nr. 3

Spalte:

154-156

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlier, Heinrich

Titel/Untertitel:

Der Brief an die Galater 1953

Rezensent:

Delling, Gerhard

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153 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 3 154

hobene Argument nicht mehr stichhaltig, die Abhängigkeit von
Kol. bedeute, daß auch die gemeinchristliche Tradition nur durch
Kol. dem Eph. zugeflossen sein müsse und Verwendung dieser
Tradition im nachapostolischen Schrifttum nähere Berührung mit
Kol. als mit Eph. erwarten lasse. Jene Fragestellung, die nur oder
hauptsächlich auf den Erweis literarischer Abhängigkeit bedacht
ist, sollte heute überholt sein. Damit wird auch der Wert der so
reichlich dargebotenen Statistik und Psychologie problematischer,
als dem Verfasser lieb sein dürfte, und seine unter Goodspeeds
Einfluß stehende Rekonstruktion der Entstehung des Epheser-
briefes wertlos, umgekehrt allerdings der Abstand des Eph. von
Paulus noch deutlicher. Vielleicht wird nun aber ebenso die Bahn
frei, im Eph. nicht bloß ein Summarium paulinisdier Lehre, sondern
den ersten theologischen Traktat vom Wesen der Kirche im
paulinischen Sinne zu erblicken.

Oöttingen E. Käsemann

eindeutig negativen Urteil. Sie hat auch dem etwas zu sagen, dem
die Frage als solche längst im gleichen Sinn entschieden zu sein
scheint. Denn sie unterrichtet einmal ausführlich und instruktiv
über die Geschichte der Auseinandersetzung, besonders auch auf
angelsächsischem Boden. Allerdings sind leider Schliers Arbeiten
und Percys Probleme der Kolosscr- und Epheserbriefe 1946 nicht
mitberücksichtigt. Zweitens stößt der Verfasser aus den ausgefahrenen
Geleisen in eine selbständige Betrachtungsweise vor.
Er meint, daß mit der bloßen Analyse der Begriffe, des Stils
und der Lehre nicht mehr recht weiterzukommen sei, und sucht
darüber hinaus das Verhältnis des Eph. zu Kol., dem paulinischen
und nachapostolischen Schrifttum genauer zu bestimmen,
um von da dem Eph. einen festen Platz in der Urchristenheit zuzuweisen
. Die Beweisführung ruht auf drei Pfeilern, nämlich
einer sehr vorsichtig, aber ebenso konsequent gehandhabten Psychologie
, die das Mögliche und Wahrscheinliche kritisch erhebt,
einer minutiösen Statistik, die, von umfangreichen Gegenüberstellungen
im Text abgesehen, allein 58 Seiten Tabellen im Anhang
bietet, und einer unverkennbaren Bevorzugung jener Arbeitsweise
, der es um den Erweis literarischer Abhängigkeit zu
tun ist, vor form- und traditionsgcschichtlichcr Betrachtung.

Drei Untersuchungsgänge, vielfach unterteilt und durch
klare Zusammenfassungen abgeschlossen, führen zum Ziel. Der
erste beschäftigt sich mit dem Verhältnis zu dem als paulinisch
geltenden Kol. Die Abhängigkeit von diesem wird erneut festgestellt
, gleichzeitig aber auch die Divergenz der Thematik im
ganzen und einzelnen, besonders in der Verwendung bestimmter
Hauptbegriffe, aufgezeigt und stark hervorgehoben, daß Eph.
kaum ein längeres Wortgefügc des Kol. aufgreift, wenn man von
der Benutzung von Kol. 4, 7 f. absieht, dagegen häufig ganz getrennte
Kol.-Stellen zusammenzieht („conflation"). Aus diesem
Tatbestand wird gefolgert, daß hier jedenfalls kein „Abschreiber
" am Werk ist. Hat Paulus nicht selber gleiche Motive zweimal
verschieden verwandt, schreibt der Autor aus engstem Vertrautsein
mit dem Kol., an den er sich doch nicht sklavisch bindet.
Der zweite Untersuchungsgang wendet sich dem Verhältnis zu
den übrigen Paulinen zu und konfrontiert exemplarisch den zeitlich
nächststehenden Phil, mit Eph. Dabei springt heraus, daß der
letzte doppelt so viel Rcminiscenzen an sonstigen Paulusaussagen
bietet wie der erste, anders als dieser sich gerade auf charakteristische
Theologoumena bezieht, sie mehrfach und wieder in
kennzeichnender conflation berücksichtigt, ja, als ein paulinisches
Summarium angesprochen werden kann. Mitton erklärt diesen
Sachverhalt damit, daß der Apostel sich nicht selbst kopiert, der
Schüler sich jedoch vom Lehrer geprägt erweist. Im dritten Gang
möchte der Verfasser Benutzung des Eph. nicht nur bei Ignatius,
Barnabas, Hermas und vielleicht schon im t. Clemens, sondern
auch durch die Pastoralen, den 1. Pt. und möglicherweise die
Apokalypse erweisen, während er, wenngleich nicht ohne Reservate
, Acta als dem Eph. bekannt postuliert. Das würde bedeuten,
daß Eph. etwa zwischen 8 5—95 geschrieben worden ist. Die besondere
Nähe zu Kol. und Philemon, aber auch zur Miletrede
Act. 19 weist nach Kleinasien, genauer in die Gegend von Ephe-
sus. Die andern Paulinen scheinen dem Verfasser erst nachträglich
zugänglich geworden zu sein. Ein Schlußabschnitt rechtfertigt
dieses Ergebnis aus dem Selbstzcugnis und der Theologie des Eph.
mit recht einleuchtenden Argumenten.

Die solide, immer wieder auf den Gegner hörende Arbeit
wird was ihr Ergebnis anlangt, in Deutschland auf keinen star-
ken Widerspruch stoßen. Ihre Beweisführung ist freilich nicht in
gleicher Weise unantastbar. Sic vernachlässigt allzu sehr die tradi-
tionsgeschichtlichc Forschung, speziell die neueren Einsichten zur
urchristlichen Liturgie und Erbauungssprachc. Jedenfalls ist mir
keine von den zahlreich aufgeführten Berührungen mit dem nachapostolischen
Schrifttum im NT und bei den apostolischen Vätern
zwingender Beweis für literarische Abhängigkeit vom Eph. oder
wie bei Acta seitens des Eph. Selbst die Parallelität mit dem Kol.
kann man weitgehend, wenn auch nicht völlig aus dem Vorliegen
gleichen liturgischen Gutes, paränetischer Schemata und Formeln
und der gemeinsamen Erbauungssprachc im Asien des ausgehenden
l. Jahrhunderts ableiten, wodurch sich das Problem erheblich
kompliziert. Denn dann ist das vom Verfasser immer wieder er-

Schlier, Heinrich: Der Brief an die Galatcr übers, u. erklärt.
10. Aufl. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht 1949. 11*, 212 S.
gr. 8° = Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament,
begr. v. H. A. W. Meyer. 7. Abt. DM 13.30; Hlw. DM 16.50.

Gerade 50 Jahre nach Veröffentlichung der 9. Aufl. (von Fr.
Sieffert, 1899) wurde die Neubearbeitung des Gal.-Kommentars
im Meyerschen Kommentarwerk durch Heinrich Schlier abgeschlossen
, deren Erscheinen sich freilich seinerseits über 10 Jahre
hinzog (1. Lfg. 1939). So war dem Verf. Gelegenheit gegeben,
die exegetische und biblisch-theologische Arbeit eines langen
Zeitraumes für seine Auslegung fruchtbar zu machen, und Schlier
hat sie in einer die große Tradition des Kommentarwerkes fortführenden
Weise genutzt. Das Buch ist so angelegt, daß auf einen
einführenden Teil verzichtet wird, ebenso auf Exkurse (mit einer
Ausnahme, einem Vergleich von Gal. 1 f. und Ag., S. 66—78, der
S. 66—72 eine anschauliche Textsynopse bietet). Die Einleitungsund
andere historische Fragen werden im Zusammenhang der
Exegese knapp erörtert, der Nachdruck liegt auf der theologischen
Interpretation.

Zumal in d e n geschichtlichen Fragen zu Gal. 1 f., auf die der Text
keine Antwort gibt, übt Verf. eine wohltuende Zurückhaltung. Gal.
1 f. wird nicht zu Ungunsten der Ag. übersdiätzt. sondern „die ahistorische
Absicht beider Quellen" (S. 52 A. l) herausgestellt; so wird eine
weitgehende Harmonisierung beider durchführbar (ausgenommen ist besonders
Gal. 1.17). Die Situation von Ag. 11,27 ff. ist gleich der von
Gal. 1,18 ff. (S. 75); das Geschehen von Ag. 11.27 ff. ist also nicht mit
dem von Ag. 15 identisch. Ag. 15 und Gal. 2 zeigen „eine deutliche
Übereinstimmung in den entscheidenden Momenten" (S. 76); das Dekret
hat (nach Ag. selbst) „einerseits örtlich beschränkte Bedeutung", „andererseits
stellt es nur eine Ordnungsvorschrift dar" (übrigens scheint Gal.
2.6 von ihm „etwas zu wissen"; S. 77). — Ebenso übt Verf. weise Beschränkung
in der Rekonstruktion der in den galatischen ..Kirchen"
vorauszusetzenden Situation; es wird nur einige Male im Zusammenhang
der Exegese wichtig, daß der Abfall der Galater noch nicht geschehen
, die letzte Entscheidung noch nicht vollzogen ist. 4,10 wird
hauptsächlich auf ängstliche, abergläubische Beachtung bestimmter astronomischer
Termine gedeutet (S. 144 f). Auch über die Verführer, die
die Gemeinden Galaticns bedrohen, ergeht Verf. sich nicht in Vermutungen
(S. 172). — Zur Adressatenfrage entscheidet sich Schlier für die
„nordgalatische" Hypothese (S. 5f); dementsprechend ist Gal. 4,13
t6 xqoteoov „das erstemal", identisch mit Ag. 16,6.

Dem Stil der Meyerschen Kommentare entsprechend ist die
neuere Literatur in zahlreichen Spezialuntersuchungen und Aufsätzen
angezogen, besonders aber sind die Kommentare in Fülle
befragt; in weniger wichtigen Punkten wird wenigstens in einer
Namenstatistik ihre Stellungnahme referiert, in bedeutsameren
nach Möglichkeit das Für und Wider so dargestellt, daß dem Benutzer
eine eigene Entscheidung erleichtert, aber doch vom Verf.
eine klare Stellune bezogen wird. Außerdem ist auch die Aus-
Icfung der alten Kirche nicht nur einfach zitiert, sondern wirklich
für den Leser fruchtbar gemacht, ebenso die Luthers und Calvins
. Das zeitgenössische sprachliche und sachliche Material ist
in sorgsamer Auswahl, an wichtigeren Stellen auch in reicher Fülle
(z. B. zu Gal. 3, 19) angeführt, wenn möelich auch in Zitaten,
die zu einer einigermaßen selbständigen Beurtcilune helfen. Öfter
werden damit eigene Erörterungen zum theologischen Lexikon
des NT eingeleitet.