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Ausgabe:

1953

Spalte:

505-506

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Max Leopold Margolis 1953

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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505

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 8/9

506

Friedens ist das Böse, Ergänzung der Weisheit die Torheit, Ergänzung
des Reichtums die Armut, Ergänzung der Anmut die Häßlichkeit, Ergänzung
des Samens die Verderbnis und Ergänzung der Herrschaft
die Knechtschaff11.

^133: „Herrlichkeit, Majestät" ist ein weit verbreiteter Terminus
technicus in der jüdischen Gnosis. III, 16. Sie erfüllen ihr Tun so,
daß sie ein Zeugnis ablegen gemäß dem Plane Seines kabhodh, woran
es nichts zu ändern gibt. XI, 6,7: Es erblickte mein Auge eine Erkenntnis
, die verborgen ist vor den Menschen . . . den Ursprung der
Gerechtigkeit, die Ansammlung an Stärke, gemeinsam mit dem Orte
des kabhodh ("PSD "(W3)- 'V 7, 8: Am Tage der Erlösung erstrahlt
die Fülle (oder Krone) des kabhodh in aller Pracht in ewigem Licht.

Diejenigen, die die Erkenntnis des kabhodh erschauen düufcn, werden
nach XI, 7, 8 den Engeln gleich, denn Gott ließ sie teilhaben am
Lose der Heiligen und machte sie zu einer Gemeinschaft mit den Him-
mclssöhnen. Der kabhodh erstrahlt in ewigem Licht an einem Orte,
dir paradiesische Züge hat. Nach IV, 7 dauert dann die Fülle des
Friedens in der Länge der Tage an, gibt es Samenfrüchte mit allem
Segen der Ewigkeit und ewige Freude. Alle diese Eigenschaften der
kabhodh-Sphäre erinnern an das bereits schon aus der rabbinisch-gno-
stischen Literatur bekannte. Schon in der Mischna En dorshin heißt
es: Jeder, der vor dem kabhodh seines Schöpfers nicht Ehrfurcht hat,
für den wäre es besser, wenn er nicht zur Welt gekommen wäre,
b. Chag. 15a heißt es von Rabbi Aqiba, daß man ihn für würdig erachtete
, sich Gottes kabhodh zu bedienen. Vorher 14b heißt es, daß
Rabbi Aqiba mit Erfolg gnostische Studien trieb. Analog zur Vorstellung
des Sektenkanons IV, 7 wird hier für gnostische Spekulationen
der Ausdruck ..Paradies" gewählt. In der kabhodh-Sphäre sind Engel-
wesen, die den Unbefugten den Zutritt zu ihr verwehren'". Möglich,
daß aus diesem Grunde nach Sektenkanon XI, 7, 8 diejenigen den Engeln
gleich werden, die die Erkenntnis des kabhodh haben dürfen.

Die Vorstellung vom Thronsesse] Gottes, dem TÜ3rl NS2, in
der obersten Sphäre ist bereits im Kapitel 14 des äthiopischen Hcnoch-

•*) Im Gegensatz zu meiner ZKTh 74, 1952, S. 46 vorgeschlagenen
Übersetzung faßten andere Bearbeiter IV, 21 r"H5 *n im Anschluß

an Deut. 19, 9, 13, 20; 31, 23 als „Reiniguneswasser" auf. Für diese
Deutung spricht, daß im Zusammenhang von IV, 18 an nur von der
Tilgung der Sünden die Rede ist. Für meine wörtliche Übersetzung
„Wasser der Unreinheit" aber spricht die Tatsache, daß schon IV, 22
ein t"H5 nvi. ein ..Geist der Unreinheit" erwähnt wird und daß die
Stelle gut im Sinne der Syzygicnlchre des Sektenkanons verstanden werden
kann. Die zitierte Stelle b. Chag. 15a wäre gedanklich eine genaue
Parallele, wenn meine Übersetzung des Richtige trifft.
•11) Siehe G. Scholem, a.a.O., S. 361, Anm. 47.

Buches belegt und zieht sich von da an durch die gesamte Hckhalot-
literatur und das hebräische Henochbuch. Im "naDH NDD sahen die
jüdischen Gnostiker die erste Manifestation des göttlichen Schöpfungswillens
, er ist der Ort des göttlichen Schöpfungsplanes. So heißt es
im Midrash Mishle zu Prov. 20, 2: 1?3p T3bl5'3 N^SU) !"P3 b3

— alles, was Er auf Seiner Welt schöpferisch vollbrachte, grub Er im
Throne ein. Somit ist der Ort des kabhodh der Ort der göttlichen
rSCrp:- Die im Sektenkanon XI, 7 erwähnte Bezeichnung
1133 „Ort des kabhodh" scheint also eine ältere Bezeichnung für den
Begriff TlSSfl NSD zu sein, der in der jüdisch-gnostischen Literatur
überaus gangbar war und neben den dann später auch noch als synonymer
Begriff ÜMTO STBSrM trat"5.

Aus der Untersuchung dieser Termini und Vorstellungen
scheint Folgendes hervorzugehen: Im Sektenkanon von En Fesh-
cha III 1 3 — IV, 26 liegt der älteste derzeit bekannte gnostische
Text vor. Der Determinismus, von dem darin die Rede ist,
ist ein kausaler für die nicht spirituelle Kreatur und ein finaler
für die spirituelle Kreatur. Auf Grund von III, 20, 21 und IV, 15
ist es nicht ganz klar, ob die Menschen von den spirituell höheren
Wesen, den Engeln, in ihren Handlungen mit bestimmt
werden'1* oder ob, was auf Grund von XI, 10 wahrscheinlicher
scheint, sie sich durch ihre guten und bösen Handlungen einer
der beiden Engelgruppen selbst zuordnen und, solange sie sich
nicht ändern, ihr zugeordnet bleiben. Der Dualismus wurde als
kein absoluter, sondern nur als ein relativer definiert, da die
Gegensätze von Gott geschaffen wurden und somit Voraussetzung
sind für Bewährung und Versaeen im religiösen und sittlichen
Bereich. Schließlich wurde angedeutet, daß in der jüdischen
Gnosis wie in der Gnosis überhaupt viel altorientalisches, mythologisches
Material verarbeitet wurde. Dies genauer zu untersuchen
, wäre überaus dankenswert.

m) LInklar ist, ob auch Sektenkanon IV, 18 und IV, 23 der Begriff
kabhodh im angegebenen Sinne aufzufassen ist oder ob er nur
wörtlich ..göttliche Maiestät" bedeutet. Wenn ia, würde IV, 18 heißen
, daß Gott im Geheimnis seines Schönfunesplanes. der sich im kabhodh
manifestitiert. nicht zwei böse Urprinzipien zuläßt, sondern das
Böse einmal vernichten wird. IV, 23 könnte bedeuten, daß die Vollkommenen
, die an der Sekte und somit am ewieen Bunde teilhaben,
den für Menschen größtmöglichen Einblick in den kabhodh haben.

**) Diese Vorstellung scheint dem Josephus die Möglichkeit gegeben
zu haben, von einem essenischen Glauben an das Verhängnis zu
sprechen. (Antt. 13/5,9).

ALTES TESTAMENT

Max Leopold Margolis. Scholar and Tcacher. Philadelphia: Dropsie
College for Hebrew and Cognate Learning 1952. XII, 124 S.,
1 Titelbild, gr. 8°. Lw. $ 2.50.

Dr. Max Leopold Margolis (1866-1932), der nacheinander
Professuren am Hebrew Union College (Cincinnati), an der Uni-
versity 0f California (Berkeley) und am Dropsie College (Philadelphia
) innehatte, war der führende jüdische Septuagintaforscher
der vorigen Generation; in Deutschland ist er besonders durch
seiii Lehrbuch der aramäischen Sprache des babylonischen Talmuds
(— Clavis Linguarum Scmiticarum 3), München 1910, bekannt
geworden. Anläßlich der zwanzigjährigen Wiederkehr seines
lodestages haben seine Schüler in einem Gedenkbuch das Lebenswerk
dieses bedeutenden Gelehrten geschildert und gewürdigt
.

Robert Gordis schrieb den Lebenslauf (S. 1—16). Frank
f'immermann behandelt M. s Arbeiten auf dem Gebiet der
Bibelwissenschaft und der rabbinischen Forschung (S. 17-26),
tphraim A. Speiser seine Beiträge zur semitischen Sprachwissenschaft
(S. 27-33), Harry M. Örlinsky seine Septua-
ginta-Forschungen (S. 35—44), Joshua Bloch seine Arbeiten
zur Geschichte und Philosophie des Judentums (S. 45-59). Den
breitesten Raum nimmt die Bibliographie ein, die Joseph Reifer
zusammenstellte und mit z. T. ausführlichen Inhaltsangaben
s°wie mit Indices versah (S. 61 — 124).

Von diesen Beiträgen sei als besonders aktuell derjenige
v°n Orlinsky hervorgehoben, der sich mit Entschiedenheit zu

Margolis' Methodik der Septuagintaforschung bekennt. Es ist
bekanntlich heute umstritten, ob es vor der Septuaginta eine
Mehrzahl griechischer Bibelübersetzungen gegeben habe (Kahle)
oder ob am Anfang der Entwicklung ein Urtext der Septuaginta,
eine Proto-Septuaginta, stand, die es nach bestem Vermögen
wiederzugewinnen gilt (Lagarde, Rahlfs, Katz). Margolis bejahte
die Lagardesche Position und mühte sich in 20jähriger Kleinarbeit
um die Rekonstruktion des Septuaginta-Urtextcs des Buches
Josua. Er bahnte sich den Weg zum Urtext dadurch, daß
er die Hunderte von Septuaginta-Textzeugen, die wir besitzen,
an Hand ihrer Transkription der hebräischen Eigen- und Ortsnamen
zu Gruppen zusammenfaßte. Auf diese Weise kam er zu
fünf Textgruppen: P (Palästina), C (Constantinopel), S (Syrien),
E (Aegypten) und M (Mischtexte). Daß M. gerade das Buch
Josua zu seinem besonderen Arbeitsfeld wählte, hängt mit seiner
eben erwähnten Arbeitsmethode zusammen: das Buch Josua
bietet in besonderer Häufung geographische Namen. Orlinsky
bezeichnet M. s Hauptwerk (The Book of Joshua in Greek.
I—IV, 384 S., Paris 1931—1938) als „the most exhaustive in-
vestigation ever made by any one man or group of men of the
entire textual history of any book in the Old Testament" (S. 38).
Eine Photokopie gibt dem Leser einen Eindruck von dem in der
Tat riesigen Varianten-Material, das in dem — autograph gedruckten
! — Werke verarbeitet ist, und von der Übersichtlichkeit
, mit der dieses Material in einem vielfältig gegliederten
Apparat dargeboten wird. Schade, daß das Werk ein Torso blieb:
Josua 19, 39—24, 3 3 sowie die Einleitung zu dem Ganzen sind
noch nicht erschienen.

Oöttingen Joachim Jeremias